Bilder des Untergangs begleiten die Entwicklung der Zivilisation. Sie sind keine düstere Illustration, die das Licht der Aufklärung heller erscheinen lassen sollen. Sondern sie haben eine ganz konkrete staatstragende Funktion. Sie sind der Klebstoff, mit dem die Herrschenden eine aufbegehrende, in verfeindete Lager zerfallende Gesellschaft wieder zusammenfügen wollen: durch Drohung mit dem nahen Ende. Visionen einer Apokalypse sollen den Blick auf die wahren, vom System erzeugten Probleme vernebeln.
Bilder von Unheil und Verderben sind das Alltagsfutter der Medien. Sie waren seit jeher das stärkste Werkzeug zur Knechtung der Massen, besonders in jener vergleichsweise fast bilderlosen Periode, in der sich die Kirchen den größten Teil vom Grundbesitz der Erde eigenmächtig angeeignet und sich in jeder Hinsicht ein Wertmonopol geschaffen haben. Das Menetekel vom Weltende besitzt einzigartige, jeden Widerstand brechende Kraft. Angesichts des Weltendes scheint jede Auflehnung gegen das herrschende Unrecht vergebens.
Der Haupthebel der Wirksamkeit ist dabei der Beweis, das obwohl das Ende bislang trotz vielfacher Ankündigung niemals gekommen ist, es dieses Mal doch unabwendbar sein wird.
Die Ungebrochenheit der Macht des Bildes heute muss jedoch angezweifelt werden. Zwar funktioniert es noch als fast perfekte Ablenkung vom Kern der Problematik (dass der Kapitalismus per se keinen Umweltschutz, kein Menschenrecht, keine Sozialität ermöglicht) – und dient als Begründung für die Verhängung von allerlei Wirtschaftsförderungsmaßnahmen (siehe Habecks heuchlerische Heizungs-Fantasmen; zuvor die “grüne” Energiesparlampe, die ein Osram-gesteuerter Ausschuß beschloß; die konzernorientierte Umstellung auf E-Mobilität und autonomes Fahren etc. pp.). Doch während in den hohen Zeiten christlichen Glaubens die Menschen angesichts der Botschaft vom Ende in Furcht erstarrten und unter dem Druck ihres Gewissens vielleicht noch ihr Verhalten überprüften, scheint die heutige Bedrohung mit dem baldigen Untergang durch Klimakatastrophe und globalen Hitzekollaps eher die Wirkung eines Beschleunigers zu entfalten: angesichts des rundherum sichtbaren Verfalls der Biosphäre glaubt sich so mancher berechtigt, noch eins obendrauf zu setzen. Die Menschen, denen schon lange das Gefühl für das Heiligen, Unantastbare, Fragile, das existenziell Wesentliche abhanden gekommen ist, leben ersatzweise erst recht, als wenn es gerade egal wäre, wie schädlich ihr Verhalten ist.
In seinem höchst lesenwerten Essay “Das gespaltene Land. Ein Psychogramm” spitzt der Psychiater Hans-Joachim Maaz den Konflikt zwischen Mensch, Macht und Klima noch einmal zu, indem er die seelischen Notlagen in den Blick nimmt (S. 172; siehe hierzu auch die kritische Anmerkung von Jutta Weber in den Kommentaren unter diesem Beitrag):
“In der Klimafrage bekommt die Spaltung der Gesellschaft eine neue Front. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Positionen über das Klimasystem und Menschen gemachte Einflüsse sind widersprüchlich. Sicher ist nur, dass wir nicht die Herrscher über das Klima sind und auch nie sein werden. Für den aktuellen Kampf und Streit müssen wir einander widersprechende wissenschaftliche Befunde und Erklärungsmodelle zur Kenntnis nehmen, wobei ich die anwachsende Hysterie und geschürte Weltuntergangspanik als Ausdruck eines sich entladenden Gefühlsstaus einschätze.
Gerade das ungesicherte Wissen um Klimaveränderungen triggert Affekte der Bedrohung, der Ohnmacht und Unsicherheit, die politischen und ökonomischen Interessen Tür und Tor öffnen. Im Klimanotstand bekommt die individuelle psychosoziale Not vieler Menschen, die aber verleugnet und unterdrückt ist, eine vermeintliche Zielscheibe.”
Und unter dem Stichwort “kollektive Selbstzerstörung” fährt er fort (S.190):
“Die vielfachen Bedrohungen durch Umweltzerstörung, Finanzkrise, Migrations- und Integrationsprobleme, kriegerische Handlungen und Verlust an sozialer Sicherheit werden vom Klima-Thema überdeckt und vernachlässigt.”
Zwar bedient auch Jutta Webers Titel “Planetarische Notlage“, der heute in DIE AKTION erscheint, das Paradigma des Untergangs. Denn wenn es “ums Ganze” (Planet) geht, hilft uns keine Feuerwehr, kein Katastrophenschutz, kein global behandelnder Notarzt mehr. Wenn der höchste Gefährdungsgrad erreicht ist, sind wir praktisch schon tot.
Doch so defätistisch ist Weber gar nicht. Schon der Untertitel “Über grünen Kapitalismus, die Revolution der letzten Generation und die Versuchungen protektionistischer Technokratie” stellt klar, dass die Arbeit am Horror nicht auf eine strategische Verstärkung von Niedergeschlagenheit zielt, sondern im Gegenteil als Ermutigung zum Aufstand gegen die politische Lüge gemeint ist.
Denn praktisch alles, was von Menschenhand geschaffen wurde und unseren Alltag regelt und bestimmt, Gesetze, Geld, Algorithmen, Staatsgrenzen, politische und kommunikative Systeme, lässt sich von Menschenhand abändern, abschaffen, annulieren.
Doch eine Ausnahme gibt es vielleicht doch: Naturzerstörung lässt sich zwar leicht von Menschenhand machen, aber nur schwer mit menschlichen Mitteln reparieren, auch wenn viele Politiker und Geoingenieure uns weiß machen wollen, das der Zerstörer auch probate Mittel der Heilung kennt.
Die Vernichtung der Umwelt lässt sich nicht rückabwickeln. Es lässt sich lediglich hoffen, dass etwas Anderes, Neues, hoffentlich Erfreuliches entstünde, wenn man die Auslöschung über Nacht auf Null setzen könnte. Planbar ist das Ergebnis jedoch sicher nicht.
Weber hat für DIE AKTION ihren Beitrag, der zuvor nur in Österreich beim ESC Medien Kunst Labor erschien, nochmals eingeschärft. Viele Einsichten und neuen Mut durch die Lektüre wünscht die Redaktion.
Die „Lust am Untergang“ ist den Menschen eingeboren. Auch wenn es nur rudimentäre Fetzen der Erinnerung sind, im kollektiven Unbewussten, und damit bei jedem in einer „vor-physischen-Zeit“ erlebten Phase, ist der Untergang von Atlantis noch in den hintersten Ecken des Bewusstseins zu finden und damit immer präsent. Sozusagen normal, dass es einen Untergang gibt. Die Bibel propagierte dann noch in den Offenbarungen des Johannes das „Harmageddon“, die Endschlacht, bis alles rein und besser wird. Vorangehend das germanische „Ragnarök“. Kein Wunder also auch, dass der Film „Titanic“ solche Erfolge feiern konnte.
Es ist für kluge Politiker also schon immer ein Hebel vorhanden gewesen, da anzusetzen und als Neueres, nun das Klima, dafür auch zu benutzen, um eigene Ziele zu erreichen.
Aber auch: ohne Untergang keine Auferstehung! Die Inder sagen gleich: alles zeitlich Geschaffene wird auch wieder vergehen. Nur der Wandel ist von Dauer.
Ich denke nicht, dass die Befunde der Klimawissenschaftler:innen gravierend voneinander abweichen. In der Grundtendenz ist man sich einig. Es gibt eine Spielbreite, wann man mit dem Eintreten der Kipppunkte rechnet, aber dass sie bald überschritten werden, wenn wir so weiter machen wie bisher (sprich: der Kapitalismus weiter mehr oder weniger ungebremst wütet), ist eigentlich unbestritten.
Zudem würde ich weniger mit Maaz den Klimanotstand gegen die psychischen Nöte der Leute aufrechnen und es eher mit der Medienwissenschaftlerin Birgit Schneider halten: Es fehlen uns die Geschichten vom “Anfang einer neuen Welt” (https://www.matthes-seitz-berlin.de/buch/der-anfang-einer-neuen-welt.html). Denn leider nehmen die Leute den Klimawandel auch deshalb nicht so schwer, weil es an konkreten Utopien fehlt. Und weil es abstrakter ist als der leere Geldbeutel, das desolate Gesundheitssystem, die häufig schlechten Arbeitsbedingungen, die Verlogenheit der Politik, die Angst vor dem Atomkrieg, etc. pp.