Post-coronale Pfingstgesänge aus kalifornien
V. Vale wohnt in San Francisco und hat seit dem 11. März 2020 seine Wohnung nicht mehr verlassen. Vale ist Musiker und Punk-Archäologe. Seit 1980 gibt er das legendäre Underground-Magazin RE/SEARCH heraus. Schon zuvor, im Jahr 1977, hatte Vale die Kultzeitung „Search&Destroy“ produziert. Lawrence Ferlinghetti and Allen Ginsberg spendeten ihm damals je 100 Dollar für den Druck.
RE/SEARCH bezeichnet sich selbst als „ein Unternehmen der Gegenkultur“ – mit mehr als einem Hauch von Dada, Surrealismus und Anarchie. Vales Arbeit richtet sich gegen jede Form von willkürlicher Rangordnung, gegen die vorherrschende Ästhetik und Technologie und „alles, was unser Leben – oft unsichtbar – kontrolliert“. Die Ausgaben von RE/SEARCH sind sämtlich Themenhefte über „Outsider“ und ihre Kulturen. Das Heft über Tatoo beispielsweise erschien gut 30 Jahre, bevor das Pigmentieren der Haut in Deutschland den Gartenzwerg ersetzte.
Vales Hefte sind Archive ihrer Zeit und enthalten seine unverwechselbaren Interviews mit Jello Biafra (Dead Kennedys), Henry Rollins (Black Flag), Lydia Lunch, William S. Burroughs, J.G. Ballard, Genesis P-Orridge, SPK und vielen mehr. Man kann Vale ohne Zögern als Pioneer der „Industrial“-Bewegung bezeichnen. Punk ist für ihn eine Bewegung auf der Suche nach „totaler“ Befreiung und Kreativität.
Geradezu visonär klingen heute, unter dem Eindruck der Pandemie, Vales Worte aus der Gründungszeit der Zeitschrift:
„Wenn unsere Welt in jeder Hinsicht auf eine Katastrophe zuzusteuern scheint, sollten wir zumindest die Theorien des Katastrophismus kennen und sie untersuchen, um zu sehen, ob irgendwelche Gegenmittel entdeckt oder erfunden werden können. Die ganze Intelligenz und Kreativität eines jeden Rebellen auf unserem Planeten kann für das Ziel eingesetzt werden, nicht nur die Zukunft zu entschlüsseln, sondern auch, um zu verstehen, was heute vor sich geht, versteckt hinter jenem massiven Bildschirm einer gewaltigen, von Konzernen gesteuerten Täuschung, die uns von den großen Kontrollmedien unseres elektronischen Planeten täglich geliefert wird.“
Als ich Vale bat, uns über die Zustände in den USA zu berichten, reagierte er sehr Vale-typisch mit einem Lied: der „dunklen, romantisch-satirisch-prophetischen Korona-Hymne für Fans von DEVO, Nico, ABBA und den Beatles„.
Hier der Text in Übersetzung:
„CORONA – wir fragten uns, wie die Welt sich verändern würde,
wenn wir Fledermäuse und Schuppentieren essen?
Unsere (Wildtier-)Diät lässt uns den Atem stocken.
Das Reisen rund um die Welt verteilt den Tod, CORONA.
CORONA – Du hast ganz geschickt nur die Alten getötet.
CORONA – Du hast die Arbeit erledigt; wir haben ihr Gold bekommen.
Es gibt so viel Reichtum für jedermann.
Es gibt viel mehr Land unter der Sonne, CORONA.
CHOR:
Du hast die Welt zu einem besseren Ort gemacht
durch Ausdünnung der Menschheit.
Du hast die Alten getötet und
dadurch das neue Glück auf den Weg gebracht, CORONA.
CORONA – die Tiere sind nun glücklicher.
CORONA – so viele Menschen… fortgegangen!
Das Wasser ist klar, der Himmel ist blau.
Das neue Paradies ist dein, CORONA.
CORONA – wir nennen euch (Viren) jetzt Glückssterne
CORONA – wir bleiben zu Hause, die Stunden verfließen,
wir leben unser Leben in Elfenbeintürmen.
Und jetzt sind wir froh, denn wir haben unser CORONA.
CHOR:
Du hast die Welt zu einem besseren Ort gemacht
durch Ausdünnung der Menschheit.
Du hast die Alten getötet und
dadurch das neue Glück auf den Weg gebracht, CORONA. CORONA, CORONA, CORONA, CORONA.
Und weil es das Thema des Tages ist, legt Vale zwei mal nach: für die besinnlichen Stunden zu Ostern komponierte er „Corona 2“ – den Virus-Rock´n´Roll!
Zu Pfingsten können wir alle mitsingen, denn Vale beschenkt uns mit einer ganzen LP: „Schlaflieder für die Zeit der Ausgangssperre„