Nr.42 Gerald Grüneklee Anleitung für den Faschismus in fünfzehn Schritten

Wie man Faschismus fördert

Faschismus ist keine Naturkatastrophe. Er hat spezifische Entstehungsbedingungen – die historisch wie national und regional unterschiedlich sein können. Faschismus kann bekämpft oder eben gefördert werden. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit betrachte ich hier einmal die Lage seit 2020 in Deutschland. (Neo-)Faschismus, (Neo-)Nazismus, Rechtspopulismus, Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhass, Rassismus, Autoritarismus, völkisches Denken, Nationalismus, Ethnozentrismus, Chauvinismus, Dominanzverhalten, Rechtsextremismus bzw. Rechtsradikalismus sind nicht das Gleiche, sollen hier aber nicht näher definiert und differenziert werden. Hier geht es mir um das, was diese Ideologien verbindet: im Kern basieren diese Erscheinungsformen a) auf Imaginationen und Konstruktionen von Gemeinschaft des „Eigenen“ in Abgrenzung zu den „Anderen“, b) daraus abgeleiteten Hierarchisierungen, die die Legitimation von Unterdrückung abgeben und c) nicht zuletzt auf Macht, Gewalt und der Verachtung – bis hin zur physischen Vernichtung – bestimmter Menschengruppen. So irreal krude rechte Vorstellungen und Aussagen oft erscheinen – sie haben ihre Wurzeln nicht am Rand der Gesellschaft, sondern in deren Mitte. Sie sind häufig eine – wenn auch absurd anmutende – Reaktion auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, denen Menschen ausgesetzt sind. Empfindungen der Machtlosigkeit kreuzen sich dabei mit wahnhaften Elementen und, in organisierten rechten Bewegungen, ausgeprägtem Machtwillen. Eine gefährliche Mischung.

Eine Mischung, die inmitten der Gesellschaft entsteht. Tagtäglich reproduziert. Faschismus wird in und von der bürgerlich-demokratischen, kapitalistischen Gesellschaft gefördert,

  1. Indem man die Würde antastet

Man tritt die Menschenwürde mit Füßen, beutet sie aus und betrachtet sie als staatliches Sicherheitsrisiko.

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das steht jedenfalls im Grundgesetz. Darin zeigt sich, was man von Rechten – von dem Recht -, auch von Grundrechten zu halten hat. Papier ist eben geduldig, und ein Rechtsbruch nur dann folgenreich, wenn er von der falschen Seite aus begangen wird. Das begreifen auch immer mehr Menschen, die sich desillusioniert von wohlfeilen Sonntagsreden abwenden. Die auf vielfältigste Weise gedemütigt, geknechtet, drangsaliert, eingesperrt, entwürdigt, ihrer Lebensgrundlagen beraubt und enteignet werden. „Das Gesetz in seiner majestätischen Gleichheit verbietet es Reichen wie Armen, unter Brücken zu schlafen, auf Straßen zu betteln und Brot zu stehlen“, so drückte es bereits 1894 der spätere Literaturnobelpreisträger Anatole France aus. Das gilt bis heute: alle Menschen sind gleich. Nur manche sind gleicher (frei nach George Orwell: Farm der Tiere). Pierre-Joseph Proudhon brachte diese Entwürdigung folgendermaßen auf den Punkt: „Regiert zu werden bedeutet, beobachtet, untersucht, ausgeforscht, beauftragt, untergeordnet, befohlen, benannt, unterwiesen, beschwatzt, überwacht, besteuert, geprüft, beschränkt und herumgeschickt zu werden von Männern, die dazu weder das Recht und das Wissen noch die Tugend haben. Das ist Herrschaft, das ist ihr Recht und ihre Moral“ (von Männern spricht Proudhon, weil damals, im 19. Jahrhundert, keine Frauen regierten, allerdings soll auch nicht verschwiegen werden, dass Proudhons Herrschaftskritik vor der Geschlechterfrage Halt machte: er war ein ausgeprägter Antifeminist). Denn einzig als „Humankapital“ und zugleich potentielles Sicherheitsrisiko werden Menschen im kapitalistischen Staat noch wahrgenommen. Proudhon prägte auch den berühmten Ausspruch „Eigentum ist Diebstahl“ – denn was den einen gehört, von ihnen in Besitz genommen wird, das wird den anderen genommen. In einer Gesellschaft, in der das Privateigentum alles, das Gemeinwohl nichts bedeutet, ist kein Platz für die Menschenwürde. Die Rechten haben das verstanden. Sie agieren dementsprechend, wie die anderen parlamentarischen Parteien, nur unverhohlener: sie brauchen keine Sonntagsreden, ihre Verachtung der Menschenwürde ist reinste Menschenverachtung, den jeweils „Nicht-Zugehörigen“ gegenüber. Der Irrglaube der Rechtswählenden: sie meinen, sie bekämen so etwas wie die Würde zurück, wenn sie den anderen nur hemmungslos genug genommen würde.

  1. Indem man Angst macht

Man erzeugt Angst und erhöht so die Zustimmung zu autoritärer Politik und einem „starken Staat“.

Angst ist ein schlechter Ratgeber, dass weiß schon der sogenannte Volksmund. Seit Etienne de La Boetie vor 500 Jahren danach fragte, warum sich Menschen unter die Macht anderer Menschen begeben, ist eine Antwort darauf: Angst. Auch der Kapitalismus betrieb von Beginn an sein Geschäft mit Angst, so lassen sich die Menschen verfügbarer machen und effektiver ausbeuten. Von Beginn der Corona-Pandemie an wurde Angst systematisch geschürt, was ein geleaktes Panikpapier der Bundesregierung bewies. Kanzlerin Merkel goss 2020, nach Wochen rückläufiger Infektionszahlen, nochmal Öl ins Feuer: „Wir dürfen uns keine Sekunde in Sicherheit wiegen“. Keine Sekunde, keine einzige. Angst macht Schockstarre, die Synapsen werden deaktiviert. Auch eine Form des Lockdown. Hirn: herunterfahren, abschalten. Christof Wackernagel sprach damals von einem tödlichen mentalen Virus. Mit „Regieren durch Angst“ fasste der Politologe Wolfgang Merkel das Corona-Management bündig und zutreffend zusammen. Tatsächlich ist Angst seit langem ein erprobtes Regierungsmittel; wenn sie wirkt, ertragen die Menschen in ihrer großen Mehrheit klaglos auch die härtesten Entbehrungen, kalte Wohnungen, steigende Preise und Sondersteuern etwa, und sie bejahen autoritäre Politikpraxen, verschärfte Sicherheitsgesetze etwa, die sonst nicht so umstandslos durchgeboxt werden könnten. „Ständig aktivierte Angst ist das beste Herrschaftsmittel“, weiß auch der Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz. Angst ist nur in einem begrenzten evolutionärem Ausmaß etwas „natürliches“, in erster Linie wird sie heute bewusst erzeugt und benutzt. Denn Angst schützt nicht nur vor realen Gefahren, sie lässt sich instrumentalisieren, macht Menschen damit abhängig von anderen Menschen, und nicht zuletzt von Institutionen wie dem Staat, die dann als „Schutz“ wahrgenommen werden – was sich nun wirklich jeder Staat wünscht. Wir haben es also, mit Alexander Mitscherlich gesprochen, mit ideologisch manipulierter Angst zu tun. Das klappt in Kriegszeiten natürlich besonders gut. Unterstellt wird, dass „der Russe“ schon vor unserer Tür steht, bis an die Zähne bewaffnet, ebenso „der Araber“, als „Feind im Innern“, weshalb die Worte von Verteidigungsminister Pistorius, das Land müsse nun endlich „kriegstüchtig“ werden, aus fruchtbaren Boden fallen und als Wahrheit akzeptiert werden. Nun ist es dummerweise so, dass die Rechten erstens immer schon die größten Fans eines starken Staates waren und zweitens ebenso immer schon besonders geübt darin waren, durch die Vermittlung von Bedrohungsszenarien Angst zu produzieren und mit dieser dann Stimmung zu machen. Die Regierung wildert seit 2020 massiv im rechten Feld – und kaum jemand widerspricht. Die Rechten können sich die Hände reiben und die Bevölkerung mit Kampagnen gegen Geflüchtete, die „uns überschwemmen“ und ähnlichem Unsinn vor sich hertreiben. Rechte Parteien betreiben ihren Wahlkampf stets mit Angstmache, vornehmlich vor Zuwanderung, ob in der Schweiz, in Italien, Deutschland, Schweden, Polen oder sonstwo. Die Angst schafft es sogar, Menschen dazu zu bringen, gegen ihre eigenen Interessen zu handeln. So ist es auch zu erklären, das Rechte ihre potentielle Wahlklientel (die vielfach eher zu den „sozial Schwachen“, wenigstens zu sozioökonomisch bedrohten Schichten gehört) bereit ist, noch ungerechtere Praxen zu akzeptieren, etwa höhere steuerliche Belastung, um die Ausgrenzung noch schwächerer Schichten (Flüchtlinge) oder die Abwehr vermeintlicher Feinde (Kriege) zu finanzieren.

  1. Indem man polarisiert

Man spitzt die Debatten auf eine vereinfachende Trennung in „gut“ und „böse“ zu und stutzt sie dabei in einem Ausmaß, das einer Diskursverweigerung gleichkommt.

Seit 2020 wird eine schon zuvor bestehende Tendenz der gesellschaftlichen Spaltung praktisch turbomäßig beschleunigt. Geimpft oder ungeimpft – der Umgang mit Ungeimpften nahm in den Corona-Jahren totalitäre Züge an. Die Holocaust-Überlebende Vera Shalev warnte damals, dass wir uns in einer Entwicklung befinden, die in einem dem Nationalsozialismus ähnlichen, diktatorischen System münden kann. Gut oder böse, dieser simplifizierende Dualismus entspricht vielleicht dem Denken von Menschen im Kindergartenalter (vielleicht tue ich den Kids damit aber auch Unrecht), nun wurde diese Trennung anhand des Impfwillens aber zur Staatsdoktrin. Gut oder böse – wiederholt hat sich diese ahistorische, unwissenschaftliche Polarisierung im Ukraine-Krieg. Forciert wird die Polarisierung durch die Erzeugung von Angst, sie schaltet die Vernunft aus. Wer auch nur versuchte, den Krieg zu kontextualisieren, samt seiner Vorgeschichte (ohne deshalb im Geringsten den Putin´schen Angriff zu rechtfertigen, es geht nämlich beides: einen Angriffskrieg verurteilen ohne dabei die Entwicklung der Jahre zuvor auszublenden!), war böse. Denn die Botschaft ist: entscheide dich. Für eine Seite! Ordne dich zu. Beim Impfen muss man sich in der Tat entscheiden – für oder gegen Impfen, dazwischen geht nichts, es gibt keinen halben Piks – doch vielleicht hat eben jede/r für die eigene Entscheidung gute Gründe. Warum aber muss man sich im Krieg für eine Seite, d.h. einen Staat vollkommen vorbehaltlos entscheiden? Wir erleben das infantile Gut-Böse-Denken abermals im Angriff der Hamas gegen Israel. Es wird gar nicht erst gefragt, wie es sein kann, dass einer der besten Geheimdienste der Welt – eben der israelische – so gar nichts von den umfassenden, minutiösen Angriffsvorbereitungen gewusst haben will (tatsächlich soll Ägypten gewarnt haben). Oder ist das nun schon wieder eine Verschwörungstheorie? Gefeiert wird dagegen von praktisch allen reichweitenstarken Medien Robert Habecks Rede gegen den Antisemitismus. Aber ach, wie kurz die Halbwertzeit des menschlichen Gedächtnisses doch ist: vor gut einem Jahr hat Habeck einen Gas-Deal mit dem Fußball-WM-Land Katar (das Land hatte kurz zuvor tausende Tote Arbeiter für ein kommerzielles Sportereignis in Kauf genommen und war damals schon islamistisch) abgeschlossen – und Katar ist eben auch ein Hamas-Hauptfinanzier. Diese Verlogenheit kommt in der grünen Politik dann auch noch im Gewand der moralischen – also doch wohl erhabenen – Politik daher. Außenministerin Baerbock jedenfalls will nun nicht mehr nur Russland ruinieren, sondern auch die Hamas vernichten. Reihenweise wird nun die Abschiebung „krimineller“, dem arabischen Raum zugeordneter Geflüchteter gefordert. Polarisieren aber können immer noch die Rechten am besten. Wundere sich niemand, wenn wieder Unterkünfte von Asylbewerber*innen brennen.

  1. Indem man Konsens herstellt

Man schafft eine Konsensgesellschaft, die zu ihrer Stabilisierung den Fingerzeig auf die Abweichenden, Ausgeschlossenen braucht.

Die Konsensgesellschaft ist die andere Seite der Polarisierung. „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ – für diese Maxime eines Immanuel Kant ist in der Konsensgesellschaft kein Platz mehr. Eine im Magazin der Universität Passau im September 2020 publizierte Studie von Dennis Gräf und Martin Hennig untersucht 93 Fernseh-„Sondersendungen“ bis zum Juni 2020– womit sich angesichts der Häufigkeit das Sondersendungs-Format selbst schon konterkariert – von ARD und ZDF zum Coronavirus. Der klare Befund: es gab eine einseitige Krisenrhetorik, in der die Corona-Maßnahmen als „natürlich“ und „alternativlos“ inszeniert werden und als einzige Erlösungserzählung die schnelle Entwicklung eines Impfstoffs geboten wird. Andere Sichtweisen als die eigene wurden nicht zugelassen – oder durch „Fakten-Checks“, die sich in der Pandemie epidemisch ausbreiteten, scheinbar ad absurdum geführt. Die Botschaft: wer nicht denkt wie wir – also „richtig“ -, ist dumm und/ oder gefährlich, gehört also nicht mehr zu uns. Medien haben mittels „Fakten-Checks“ damit jede Kritik, so weit sie sich nicht ignorieren ließ, lächerlich zu machen versucht oder dämonisiert. Wer auf die Leerstellen in der Berichterstattung verwies, wer kritische Fragen stellte, der wurde umgehend mit einem „Fakten-Check“ konfrontiert. Dabei dienten diese Checks eben gerade nicht der Aufklärung, sondern waren Teil der Desinformation. Vielfach waren diese epidemisch auftretenden Reaktionen auf jede kritische Nachfrage (und manchmal auch schon vorbeugend gegen mögliche unliebsame Fragen formuliert) so lausig zusammengestümpert, dass man Fakten-Checks zur Prüfung dieser Fakten-Checks bräuchte. Jedwede Wissenschafts-, Medien- und Konzernkritik, wie sie in vergangenen Epochen (die erst wenige Jahre zurückliegen) prononciert geäußert wurde, wurde dabei gleich mit entsorgt. Das galt für Corona, es gilt auch für die neuen Kriege. Denn das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit. Das ist ein Allgemeinplatz, der sich einmal mehr angesichts des Krieges in der Ukraine bestätigt. Im Zeitalter „sozialer“ Medien werden Kriege immer stärker zu Informationskriegen. Oder treffender: zu Schauplätzen der Desinformation. Eigentlich ein Grund mehr, genau zu analysieren, wer was mit welchem möglichem Interesse äußert. Mit „Fakten-Checks“ wurde auch hier jede kritische Nachfrage torpediert. Das Ziel war und ist erreicht: die Abweichler*innen wurden zum Freiwild erklärt und rückten ebenso dichter zusammen, wie dies jene taten, die sich in bräsiger Selbstgewissheit unter dem verordneten Konsens versammelten. Abwehr auf beiden Seiten. Man hat es dabei den Rechten sehr leicht gemacht, sich so zu inszenieren, wie sie das am besten können: als Opfer.

  1. Indem man die Armen ärmer macht

Man stürzt Menschen in verunsicherte Lebensverhältnisse und setzt sie zunehmender Verarmung aus.

Armut ist ein globales Thema. Die Armut steigt in dem Maße, in dem die Reichen reicher werden. Das gilt global, national, und auch lokal. Schon vor Jahren lag etwa die Differenz in der durchschnittlichen Lebenserwartung zwischen dem reichsten und dem ärmsten Stadtteil in Bremen bei sieben Jahren. Sieben Jahre lebt man länger, wenn man reich, oder wenigstens vermögend ist. In der gleichen Stadt. Wobei, die Identifikation mit der „gleichen Stadt“, in der auf kleinem Raum die Parallelwelten nebeneinander existieren (nicht miteinander, eher gegeneinander), vielleicht am ehesten noch über den Fußball funktioniert. Der damit ebenso die Widersprüche negiert wie es auf staatlicher Ebene der Kitt des Nationalismus tut (was sich dann in WM-Zeiten miteinander verbindet: der vermeintlich „fröhliche Party-Patriotismus“ ist keineswegs harmlos!). Die Gemeinschafts-Rhetorik von oben (Brot & Spiele) kann nicht davon ablenken, dass arme Menschen heute vor allem im Weg sind, wenn es etwa darum geht, die Stadt zu gentrifizieren. Wer von den Armen versucht, sich zum Brot noch die Butter – oder das vegane Streichfett – zu organisieren (etwa „schwarz“ dazuverdient), wird schnell zum stigmatisierten „Sozialschmarotzer“. Unterdessen ist in den Zeitungen zu lesen, wieviel Milliarden in den letzten Jahren verpufften durch Bankenrettungspakete, überteuerte PCR-Tests, die windigen Aktivitäten des amtierenden, unter Gedächtnisverlust leidenden CumEx-Kanzlers, staatlich legitimierte Steuerschlupflöcher und Steuerbetrug – lauter ehrbare Menschen, jeder dieser Posten ein Vielfaches des angeblichen „Sozialbetrugs“. Und jede dieser Milliarden eine Ohrfeige für diejenigen, die um jeden Cent kämpfen müssen. Wie viele Menschen sitzen derweil „Ersatzfreiheitsstrafen“ ab, weil sie sich keine Tickets für öffentliche Verkehrsmittel leisten können, und Geldbußen schon mal gar nicht? Erst jüngst wies eine Untersuchung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung nach, dass das Vertrauen gegenüber Politik und Parteien in dem Umfang sinkt wie das Einkommen: wer arm ist hat weniger Vertrauen. Ist das wirklich erstaunlich? Wenn dann wiederum geschaut wird, in welchen Gesellschaften die Menschen am glücklichsten sind (was auch immer man von solchen Studien hält), so ist das ebenfalls wenig überraschende Ergebnis dann regelmäßig: dort, wo die Schere zwischen Arm und Reich am geringsten ist und es noch wirklich so etwas wie gelebte Gemeinschaftlichkeit gibt (die wiederum in Verbindung steht mit der relativen Gleichheit). Gemeinschaft und Miteinander, das geht ganz ohne Fußball und Nation. Solange man aber Millionen Menschen existentiellen Risiken, einem täglichen Überlebenskampf und dabei auch noch Betrugsvorwürfen aussetzt, muss man sich nicht wundern, wenn die Menschen sich abwenden – gegebenenfalls zur falschen Seite hin.

  1. Indem man die Reichen reicher macht

Man vergrößert die Mach der Superreichen und betreibt eine Umverteilung der Steuerlasten von oben nach unten.

Der massiv steigende Reichtum einer global sehr kleinen Gruppe von Menschen war bis vor Kurzem erstaunlicherweise überhaupt kein mediales Thema. Das dies jetzt geschieht, hängt vor allem mit der Sensibilisierung für das Klima-Thema zusammen. Denn das reichste Prozent der Menschheit verursacht mehr als doppelt so viel CO2-Ausstoss wie die ärmere Hälfte der Menschheit zusammen. Doch auch innerhalb des reichsten Prozentes gibt es nochmals eine Elite. Das sind die 30.000 Menschen – doppelt so viele wie noch vor 20 Jahren –, die ein Vermögen von mindestens jeweils 100 Millionen Dollar haben. Auf knapp 300.000 Menschen dieser Erde entfällt also einer dieser Superreichen. Diese bilden einen eigenen Markt. Für sie werden pro Jahr im Schnitt 1.000 Superyachten gebaut. Die größten davon verbrauchen 2.000 Liter Treibstoff pro Stunde. Einmal Volltanken kostet 1,5 Millionen Dollar. Kein Wunder, dass die Spitze dieser Centimillionäre, die Milliardäre, pro Kopf so viel Treibhausemissionen verursachen wie eine Halbmillionenstadt. 125 von ihnen sorgen alleine für einen Treibhaus-Ausstoß in der Höhe von Frankreich. Nun ist Klima nicht das zentrale Thema rechter Parteien und ihres Fußvolks, aber man kann erfahren, für wen man schuftet und in wessen Interessen Arbeitsbedingungen verschlechtert, Sozialleistungen gekürzt und Kriege geführt werden. Jenseits der Klimafrage hinterlässt es natürlich auch so seinen Eindruck beim Wahlvolk, wenn Politiker in Privatjets zu Hochzeiten düsen. Symbolische Politik vom Feinsten: die da oben sind einfach abgehoben vom Boden. Mehr noch, bedient wird das rechte Paradigma: die da oben machen, was sie wollen. Das Tragische daran: das stimmt weitgehend sogar. Siehe z.B. die in Berlin erfolgreiche Volksabstimmung zur Enteignung des Wohnungskonzerns „Deutsche Wohnen“ 2021 – die dann komplett vom Senat ignoriert wurde, was zu Enttäuschungen führt. Die Rechten werden daran nur nichts ändern – sie haben keinen Begriff von einem Klassenkampf, der nicht rassistisch ist, und gegen die steuerpolitischen Vorstellungen der AfD ist die FDP geradezu eine Sozialpartei. Den obszönen Reichtum aufzuzeigen, auch zu zeigen, zu wessen Lasten er geht, und was die (nicht nur steuerpolitischen) Alternativen wären – das wären Aufgaben einer außerparlamentarischen Linken. Wenn es sie noch gäbe.

  1. Indem man Menschen isoliert

Man entwurzelt Menschen und redet ihnen ein, sie würden schon noch ein schönes Leben erreichen können, wenn sie sich nur genug anstrengen.

Kern der neoliberalen Ideologie – einer spezifischen Ausprägung des Kapitalismus -, die die Politik in den Industriestaaten seit rund vier Jahrzehnten bestimmt, ist die Vereinzelung der Menschen. Denn atomisierte Menschen können besser gegeneinander ausgespielt und regiert werden – übrigens ist es kein Zufall, dass ausgerechnet das von einer rechten Militärdiktatur regierte Chile das Musterland des Neoliberalismus war -, sie verinnerlichen auch auf besonders ideale Weise das ihnen als „alternativlos“ dargereichte Konkurrenzprinzip bis hin zu den krudesten, selbstdisziplinierenden Praxen einer „Selbstoptimierung“, um bloß auch konkurrenzfähig genug gegen andere zu bleiben. Damit ist der Neoliberalismus eine zutiefst sozial- und gemeinschaftsfeindliche Ideologie. So konditioniert akzeptieren Menschen allerlei Ungerechtigkeiten als zumeist noch „selbstverschuldet“. Auch Krankheiten sind nun „selbstverschuldet“ (man hat sich halt nicht vernünftig genug verhalten), dabei hat gerade unlängst eine Pandemie plastisch vor Augen geführt, dass Menschen vor dem Virus eben nicht gleich sind, sondern höchst ungleiche Möglichkeiten in ihrem Alltag zur Verfügung haben, um sich zu schützen. Doch die neoliberale Ideologie ist scheinbar bruchsicher genug, auch solche Widersprüche zu absorbieren. So übersteht diese Ideologie nicht nur die Pandemie-Politik – die phasenweise einen Bruch mit der neoliberalen Theorie zu markieren schien. Nein, sie schafft es auch, die von ihr in Gang gesetzten, folgenreichen „Schocktherapien“ (d.h. für die Bevölkerungen: sozioökonomische Entwurzelung, Krisen, Arbeitslosigkeit…), beispielsweise während der Transformationsprozesse Osteuropas oder auch im Rahmen der Politik von IWF und Weltbank als einzig möglichen Weg auszugeben und diesen Weg von seinen Folgen (Kriege und Bürgerkriege – auch die Lage Russlands vor dem Einmarsch in die Ukraine ist ein Resultat dieser „Therapie“) soweit abzutrennen, das nach einem möglichen Zusammenhang gar nicht erst gefragt wird. Diese Umwälzungen (verkauft oft noch geradezu zynisch als „soziale Reform“) führen wiederum zu massiven Vereinzelungsprozessen, und als „Medizin“ wird nun abermals die Konkurrenz aller gegen alle unter die Menschen gebracht. Gemeinschaft weg, Konkurrenz her: jede/r gegen jede/n. Die Botschaft: man ist auf sich gestellt, kann den „alten Kräften“ nicht mehr trauen. Das neoliberale Glücksversprechen ist eine Verheißung, die exklusiv verteilt wird – längst nicht allen winkt das süße Leben, auch bei noch so großer Anstrengung bleibt es oft unerreichbar. Der Neoliberalismus stärkt so die Rechten: wird den Entwurzelten nun eine Mohrrübe hingehalten („wir helfen euch, wenn erst einmal die Flüchtlinge weg sind, die Bedrohungen abgewehrt sind, wird es euch besser gehen“), so wird diese leider nur allzu oft angenommen. Das ist kein zwangsläufiger Modus, in Zeiten fehlender Alternativangebote, verbreiteter Halbbildung (bestenfalls!), hysterisierter Stimmung, Angstkampagnen und der Wiederkehr von Nationalismus und Militarismus bis weit hinein in (einst) linke Milieus etc. aber auch nicht weiter erstaunlich.

  1. Indem man die Menschen digitalisiert

Man schafft die Illusion des Sozialen in den sozialen Medien und schafft damit Netzwerke der Hassbotschaften.

Die digitale Gesellschaft ist die andere Seite der Isolierung und Vereinzelung. Wir haben gesehen, dass echte Gemeinschaftlichkeit längst der Allgegenwart des Konkurrenzprinzips gewichen ist. Gesucht wird ein Surrogat des Sozialen, eine virtuelle Verbindung, die Einsamkeit eher fördert als aufhebt. Im Netz gibt es noch 1.000 Freundschaften, und dafür muss mensch sich nicht einmal mehr aus der Wohnung heraus bewegen. Im Ernst: die Folge der Vereinzelung, die durch noch so viele „Freundschaften“ irgendwo da draußen in den virtuellen Welten nicht aufgewogen werden kann, ist die Sehnsucht nach Wahrnehmung (der fortwährende Blick auf das Smartphone nach den neuen Posts via WhatsApp), die Sucht nach dem Kick des medialen Dauerfeuers, die Erzeugung von Aufmerksamkeit durch die Lautstärke aggressiver Kommentare. Irgendwas muss da doch noch sein. Hört mich denn niemand? Doch das Stakkato der „news“ überfordert permanent. Nie Innehalten, das bedeutet: nicht zur Ruhe kommen, Besinnungslosigkeit, mit der Herde rennen, permanente Erregbarkeit. Meute werden, um das Gefühl zu haben, nicht allein zu sein, um noch irgend etwas mit anderen zu „teilen“, und sei es die Pseudo-Gemeinschaftlichkeit im Hass. Die Psychoanalyse weiß, dass die innere Leere atomisierter Individuen Angst erzeugt, aus Angst wird – zunächst gegen sich selbst gerichtete – Wut, daraus Aggression und Hass. Das Versprechen virtueller Gemeinschaft, bei gleichzeitiger Abwehr der bzw. des „Anderen“, Empfänglichkeit für einfache – kurze – „Wahrheiten“, für die Hysterisierung der Diskurse, die latente Aggressivität: Elemente, die zugleich zentrale Bestandteile faschistischer Stimmungen sind. Die „sozialen“ Medien sind vor allem: a-sozial. Und sie erzeugen ein entsprechendes Verhalten. Nicht als „Kollateralschaden“ („nicht die Technik ist schuld, die Menschen müssen nur den Umgang besser lernen“). Sondern weil jene, die diese Technik auf den Markt brachten, dies so wollten: der a-soziale Mensch entwickelt den konsumistischen Rauschzustand, den die Tech-Konzerne wollen, nein brauchen, um ihn finanziell profitabel zu machen. Neben den sozialpsychologischen Folgen der digitalisierten und vereinzelten Gesellschaft kommt noch hinzu: die Rechten sind überaus geschickt darin, die asozialen Netzwerke zu nutzen, um ihre eigenen Ideen und Ideologien darüber zu verbreiten. Das klappt deshalb so gut, weil diese Medien sich so gut dafür eignen: die Welt lässt sich eigentlich nicht in 140 oder 280 Zeichen erklären. Wenn man twittert aber schon. Die asozialen Medien sind Verkürzungs-, Simplifizierungs-, Emotionalisierungs-, und Erregungsmedien par excellence. Wie erfunden dazu, Hass zu säen. Medien für Rechte eben.

  1. Indem man Gesundheit zum absoluten Wert erhebt

Man verankert ein autoritäres Gesundheitsregime samt gesundheitspolitischer Normen, die zu Isolation und Ausgrenzung führen.

Nur mal am Rande: es wird viel Politik mit Gesundheit gemacht. Gesundheit wurde die letzten Jahre sogar zu einem zentralen politischen Handlungsfeld. Das Gesundheitswesen selbst aber wird dem Markt, also dem Kapital, überlassen. Woran sich bereits zeigt, dass Gesundheit viel mit Ideologie zu tun hat, aber wenig mit Gesundheit im Wortsinn. Mit der Corona-Pandemie wurde ein autoritäres, Gesundheitsregime durchgesetzt. Eine rigide Gruppenmoral wurde individueller Selbstbestimmung entgegengesetzt, letztere war nun nurmehr ein überseigertes – und also „egoistisches“ – Freiheitsverständnis. Moralisierendes und repressives gesundheitspolitisches Handeln wurde in der Gesellschaft bis ins Privatleben hinein umgesetzt, was antihumanistisch und letztlich auch antiaufklärerisch ist. Fatal war dabei auch, dass sich diejenigen, die die “neuen Gebote” befolgten, selbst als “höherwertig” betrachteten. Besonders deutlich wurde dies bei den Impfkampagnen, bei denen Befürwortende des Impfens gegenüber (corona-)impfskeptischen Menschen Verächtlichmachung und Häme, schließlich mit massiver Ausgrenzung bis hin zu Vernichtungsphantasien (inklusive Vergleichen mit Ungeziefer, wie man es aus dem Nationalsozialismus kennt) begegneten. Unabhängig von Pandemien setzt sich ein immer autoritäreres Gesundheitsverständnis durch. Dies beinhaltet z.B. Diskriminierung, etwa von “Übergewichtigen” (wobei man sich gesund zu ernähren erst einmal leisten können muss – hier werden also mit der Gesundheitsnorm zugleich Vorurteile gegen “Unterschichten” aktiviert) oder sich sonst irgendwie (vermeintlich) „unvernünftig Verhaltenden”. Nicht thematisiert wurde, dass es Menschen gibt, die für sich nicht mal eben gesunde Arbeitsbedingungen schaffen können, oder Menschen, für die in ihren Wohnsilos „stay at home“ eine drakonische Strafe ist. Man muss deshalb nicht die AfD wählen. Abwertende Etikettierungen und Ausgrenzungserfahrungen, haben Menschen, die ohnehin als „rechts“ verortet wurden, wenn sie zu gewissen Demos gingen, als sich selbst erfüllende Prophezeiung tatsächlich vielfach weit nach rechts getrieben. Und manchmal waren dies erst einmal einfach auch nur Menschen, die Oma nicht allein im Heim sterben lassen wollten oder sich sorgen um ihre ohnehin schon prekäre ökonomische Existenz (und also: ihr Überleben) machten.

  1. Indem man Menschen hierarchisiert und entwertet

Man sortiert Menschen in „Rassen“ bzw. schützenswerte und „überflüssige“ Menschen und schafft damit Vorurteile und Überlegenheitsgefühle.

Olivette Otele hat in ihrem großartigen Buch „Afrikanische Europäer – Eine unerzählte Geschichte“ die Geschichte des afrikanischen Kontinents neu erzählt und damit zugleich den großen afrikanischen Anteil an der europäischen Geschichte herausgearbeitet. Dass dies überhaupt nötig ist, sollte allein schon zu denken geben. Ein Blick in die Kolonialgeschichte, ja in die Geschichtsschreibung bis weit in das 20. Jahrhundert hinein überhaupt, verdeutlicht, dass Menschen „fremder“ Herkunft vielfach nicht als Menschen wahrgenommen wurden – und schon gar nicht als gleichberechtigt. Die andere Seite der Versklavung ist die Exotisierung, die Ausstellung von Menschen in „Völkerschauen“. Die Hierarchisierung , Diskriminierung und Abwertung von Menschengruppen im Kolonialismus, die Konstruktion einer „Herrenrasse“ (Frauen waren die gesamte Kolonialzeit hindurch allenfalls „Beiwerk“ und insofern strukturell selbst Kolonisierte), war eine bedeutsame Grundierung für spätere faschistische Bewegungen. Die Beziehungen zwischen Kolonialismus und Rassismus in Vergangenheit und Gegenwart herauszuarbeiten wäre eine zentrale Aufgabe von Bildung, wenn es denn eine gäbe, die diesen Namen verdiente (vgl. 13.) Ein Beispiel dafür sind faschistische Bewegungen wie der Ku-Klux-Klan und ähnliche rassistische Vereinigungen, die Unterordnung bis zur Sklaverei als „natürlich“ ansehen, und die bis heute ihr mörderisches Unwesen treiben. Die Geschichte der Ungleichheit in der den Menschen jeweils zugemessenen Bedeutung schreibt sich bis heute fort, und manchmal wird diese Ungleichheit nicht einmal mehr bemerkt, soweit ist sie verinnerlicht. Welche Menschenleben zählen und welche nicht, konnte man im Sommer 2023 an zwei fast zeitgleichen Ereignissen erleben: mehrere hundert Flüchtlinge starben beim Schiffsunglück vor Pylos, als der Fischkutter „Adriana“ sank. Notwendige Maßnahmen zur Seenotrettung wurden nach einer Recherche des Magazins „Monitor“ offenbar bewusst unterlassen, die Toten reihen sich ein in die unerträgliche Geschichte der tödlichsten Grenze der Welt – des Mittelmeers. Dabei ist die absurde Behauptung, Rettungsaktionen für Geflüchtete würden mehr Flüchtlinge nach sich ziehen (die „Pull“-Theorie) – was für ein Zynismus spricht schon aus solchen Überlegungen! – längst widerlegt. Wenige Tage später sank ein Tauchboot auf dem Weg zum „Titanic“-Wrack. An Bord eine Handvoll gelangweilter, prominenter Superreicher, die nicht unerträglichen Lebensverhältnissen entflohen, sondern das Abenteuer suchten, den „Kick“. Man illustriere die Berichterstattung zu dieser „Tragödie“ mit jener über die „Adriana“-Havarie. Medial wurde vermittelt, dass der (durch unterlassene Hilfeleistung eines EU-Staats mitverschuldete!) Tod von ein paar hundert nicht-europäischen Geflüchteten ganz offensichtlich erheblich weniger schwer wiegt als der Tod von ein paar „weißen“ Angehörigen der Eliten des globalen Nordens. Eine überdeutliche Botschaft, die faschistischen Bewegungen zuarbeitet.

  1. Indem man Politik mit der Identität macht

Man wendet Identität von einem möglichen Werkzeug der Emanzipation zu einem Konzept von Macht, Ausgrenzung und Entmischung.

Identität ist, nach Heiner Keupp, „ein Akt sozialer Konstruktion: Die eigene Person oder eine andere Person wird in einem Bedeutungsnetz erfasst. Die Frage nach der Identität hat eine universelle und eine kulturell-spezifische Dimensionierung. Es geht immer um die Herstellung einer Passung zwischen dem subjektiven “Innen” und dem gesellschaftlichen “Außen”, also um die Produktion einer individuellen sozialen Verortung. Die Notwendigkeit zur individuellen Identitätskonstruktion verweist auf das menschliche Grundbedürfnis nach Anerkennung und Zugehörigkeit“. In der individuellen Identität schwingt als schon eine Trennung zwischen „ich/ wir“ (der Zugehörigkeit) und dem/ den „Anderen“ (den Nicht-Zugehörigen) mit, denn es braucht das eine, um es vom anderen abgegrenzt zu kategorisieren.”

Deutlicher wird das bei überindividueller Identitätspolitik: ich kann mich danach nur als „Mann“ definieren im Wissen, dass ich (vermeintlich) in bestimmten Merkmalen oder Aspekten anders als eine „Frau“ bin. Ab- und gar Ausgrenzung (oft, wenn das Identitätsgefühl fragil ist) schwingen bei der Frage nach Identität also stets mit. Damit ist die Identitätsfrage immer auch empfänglich für populistische Bewegungen, die die (konstruierten) Unterschiede hierarchisieren und Politik mit diesen Unterschieden machen. Ungeachtet dieser grundlegenden Problematik diente die Klärung und Herausstellung von Identität in vergangenen linken Bewegungen zunächst oft als Werkzeug der Emanzipation – sich als „Schwarz“, „Frau“, „Schwul“/ „Lesbisch“, „Krüppel“ (ja, es gab eine sehr selbstbewusste Krüppelbewegung) zu definieren, war dabei auch ein Akt der Selbstermächtigung und Ermutigung der „Schwachen“ gegen die – in ihrer sozialen, rechtlichen und/ oder ökonomischen Stellung – „Starken“. Das konnte immer schon zu Schwierigkeiten führen – wenn ich nicht mehr nur als abhängig beschäftigte Person definiere, sondern zugleich nach sexuellen, geschlechtlichen, religiösen etc. Kategorien, dann schwindet das Gewicht der Klassenzugehörigkeit dahin und anstelle des Erkennens gemeinsamer Interessen steht ein je individueller Mix, was wiederum bestens mit der neoliberalen Hegemonie der Individualisierung harmoniert. Nun ist aber nicht nur dieses Befreiungselement weitgehend verschwunden, sondern es hat eine problematische Entwicklung dahingehend stattgefunden, sich gleichsam selbst einzuopfern. Das bringt ein weiteres Problem mit sich: wenn eine Menschengruppe sich nicht nur aktiv und emanzipativ-versteht, sondern als „Opfer“ von Verhältnissen, kann das – nicht zuletzt über den Umweg der Moral – zu einer Forderung nach Definitionsmacht führen. Was sich verkompliziert, wenn mehrere „Opfergruppen-Angehörige“ im Wettbewerb gegeneinander befinden. Das alles führt einerseits zu merkwürdigen Konfliktlagen – wenn beispielsweise scheinbar (äußerlich) bio-deutsche „Linke“ an einem autonomen Zentrum den Zutritt verbieten, weil jemand Dreadlocks hat, was eine „kulturelle Aneignung“ sei, und damit zugleich ein fragwürdiges „antirassistisches“ Verständnis offenbart -, andererseits aber eben auch zu Machtkämpfen, autoritären Verhaltensweisen und Ausgrenzungen. Das Thema ist zu komplex, um es in wenigen Zeilen darzustellen, in Bezug auf das Thema dieses Aufsatzes sei aber festgehalten: 1. Identitätspolitik führt dazu, einerseits Abwehrstellungen gegen „Andere“ einzunehmen, andererseits auch idealtypische Vorstellungen der jeweiligen Identitätsmerkmale zu haben; 2. Identitätspolitik steht damit für eine ahistorische Entmischung der Menschen, siehe „kulturelle Aneignung“, wo doch die Geschichte der Menschheit ohne Vermischung gar nicht zu denken ist; 3. Autoritäre Ab- und Ausgrenzungen (und damit verbundene „Opfer“-Gefühle) sowie vermeintlich „reine“ Identitäten spielen Rechten in die Hände, die sich eh als Opfer von „Linksgrünversifften“ sehen und denen Vermischung immer schon ein Gräuel war.

  1. Indem man Kriege führt

Man normalisiert Kriege in der Gesellschaft, betreibt psychologisch-mentale Aufrüstung und forciert die Akzeptanz des Militärischen.

Krieg, das ist immer ein Klassenkrieg, ein Krieg der Herrschenden gegen die Beherrschten, das wussten die alten Sozialistinnen und Sozialisten. Denn jeder Krieg der letzten 250 Jahre, seit der „Erfindung der Nation“ (Benedict Anderson) gründet auf nationalen geopolitischen Interessen, mindestens aber auf nationalistisch aufgeladenen ethnisierten/ sozialen/ religiösen Machtkämpfen. Die Zeche zahlen die Regierten in doppelter Hinsicht. Zum einen bekriegen sich ja nicht die Kriegsführenden unmittelbar nebeneinander, etwa nach Art eines Duells, sondern sie schicken ihre Untertanen ins Feld, die diese Machtkämpfe im Zweifelsfall mit ihrem Leben bezahlen. Weshalb die einzig logische Antwort darauf sein kann, in Massen zu desertieren; im Falle des Ukraine-Krieges etwa geschieht dies bereits, auf beiden Seiten, doch noch ist genug Kriegsmaterial – vulgo: Menschen – zur Hand. Zum anderen wird der Krieg ja auch nicht aus der Privatschatulle der Anführenden bezahlt, sondern der jeweils „eigenen“ Bevölkerung abgepresst, die dafür noch jahrelang und unter oft massiven Entbehrungen zu zahlen hat, ganz selbstverständlich natürlich, ohne dass man zuvor eine Wahl gegeben hätte, „Nein!“ zu sagen. Es ist also ganz einfach, gegen den Krieg zu sein, zumal es selbst im Falle eines Angriffskrieges immer noch ein großes Repertoire an Möglichkeiten der sozialen, nicht-militärischen Verteidigung gibt. Und doch hat sich die deutsche Gesellschaft innerhalb kürzester Zeit in einem zuvor kaum vorstellbaren Ausmaß militarisiert. Das Gedächtnis an zivile Optionen wurde buchstäblich niedergewalzt. Es dominiert blindwütiger Kriegsnationalismus. Die erwünschte Fahne (beispielsweise gelb-blau) zu schwenken ist geradezu Staatsräson geworden, und wer an der Kriegspolitik Kritik äußert, wird medial vorgeführt, von Berufsverboten bedroht oder eben wieder, wie man sich das schon so schön in der Corona-Zeit angeeignet hat, in die rechte Ecke gestellt. Es herrscht dabei gleichermaßen Krieg nach innen, mindestens – als manipulativer Propagandakrieg – um die Köpfe. Jedem und jeder wird abverlangt, sich zu positionieren, natürlich auf der regierungsamtlich vorgegebenen, einzig richtigen Seite. Es herrscht praktisch Bekenntniszwang, wenn man nicht ernsthafte soziale und ökonomische Nachteile riskieren will. Die echten Rechten profitieren davon gleich doppelt (vielleicht muss man schon fast froh sein, dass unter Rechten in dieser Frage noch kein Konsens herrscht). Der soldatisch konditionierte Mann war stets der Prototyp des faschistischen Menschen, daran erinnerte bereits Klaus Theweleit mit seinem genialen Werk „Männerphantasien“. Das Militärische war historisch immer eine Domäne der Rechten, samt Heroisierung und Heldentum, aggressiv nationalistische Töne, wie wir sie nun bis weit in grüne und linke Milieus hören, inklusive. Teile der Rechten machen das allerdings vergessen, indem sie nun versuchen, in das Vakuum linker Bewegungen einzudringen und sich quasi als einzig wahre Friedensbewegung zu inszenieren.

  1. Indem man Bildung begrenzt

Man betreibt eine Bildungspolitik, die bestenfalls Halbbildung ist und auf Selektion basiert.

Bildung, das meint heute Aus-Bildung, eine Bildung also, die dem Zweck der späteren Verwertbarkeit unterworfen und darauf reduziert ist. Das ist meilenweit entfernt von einem umfassenden Bildungsideal, wie es etwa Wilhelm von Humboldt vertrat. Doch heutige Bildung ist nicht nur eine Verkürzung. Sie basiert auf normativen Vorstellungen (alle lernen auf die gleiche Weise in der gleichen Zeit das gleiche) und auf einem selektiven Konkurrenzprinzip (sowohl der Lernenden untereinander wie auch zunehmend der Bildungsinstitutionen unter- bzw. gegeneinander), bei dem keinesfalls alle die gleichen Chancen haben. Die Ökonomisierung schreitet voran: so ist in immer kürzerer Zeit immer mehr zu lernen (nur nicht das Lernen selbst oder gar eine selbstbestimmte Aneignung von Wissensgebieten), ein Bulimie-Lernen (auf die nächste Prüfung hin und dann wieder vergessen) ist der Regelfall. Relativ willkürlich voneinander getrennt sind die Lerninhalte, bei denen bedeutsam ist, was sich „auszahlt“ – weshalb Sprachen und Naturwissenschaften etwa mehr Raum einnehmen als Philosophie, Ethik, Sozialwissenschaften oder auch, zum Beispiel, Medienkompetenz. Für das Lernen in Zusammenhängen ist keine Zeit, schon gar nicht für ein Hinterfragen. Hinzu kommt, dass Projekte der politischen Bildung und der Erwachsenenbildung – allgemein jedweder emanzipatorischen Bildung – gerade in Zeiten des um sich greifenden Populismus immer mehr zusammengestrichen werden. Bildung, das bedeutet, sich den genannten Prinzipien und Bedingungen in einem hierarchischen – und hierarchisierenden –, auf Konkurrenz basierenden System zu unterwerfen. Wenig erstaunlich: kritikfähige, mündige, bildungsinteressierte, an Gemeinsinn orientierte Menschen verlassen dieses System in den wenigsten Fällen. „Gelernt“ werden Willkür, Konformität, Gehorsam, Autorität, Ausgrenzung, Vereinzelung, Egoismus – Faschismus kann darauf solide aufbauen.

  1. Indem die Linke sich selbst aufgibt

Man schwächt und kriminalisiert linke Bewegungen, sofern sie sich nicht schon selbst verabschieden.

Wir mussten es in den Corona-Jahren erleben: die Linke hat sich als gesellschaftliche, progressive, nicht zuletzt auch staatskritische Bewegung selbst aufgegeben. Kränkelnd war der Patient schon länger, doch nun hat er sich selbst den letzten Stoß gegeben. Ein Total-Exitus, durch die ganze Breite hinweg, von der parlamentarischen Linken bis zur Antifa und autonomen Bewegungen. Dafür brauchte es nicht einmal nennenswerten staatlichen Druck, wie er in anderen Zeiten nötig war, in denen Staaten auch vor politischem Mord nicht zurückschreckten. Man hat sich selbst den Maulkorb gegeben, sich dem Staat an die Brust geworfen, als gäbe es kein Morgen mehr. Rudimentäre Restelemente sind die Ausnahme von der Regel. Wer sich in der Corona-Pandemie nicht artig vermummte, dem wurde kurzerhand jegliche Solidarität entzogen. Solidarität wurde zum Droharsenal – von Linken aus, die sich damit ihres Erbes entledigten. Somit gibt es für Menschen, die noch auf der Suche nach Alternativen zu wachsenden gesellschaftlichen Ungleichheiten, zu Prekarisierung und Verarmung, zu staatlichen Zugriffen auf die Arbeitskraft, die Gesundheit, die informationelle Selbstbestimmung kein Korrektiv mehr. Daseinsvorsorge, Nachhaltigkeit für kommende Generationen, Ernährungssicherheit, sichere Altersabsicherung, globale Wasserversorgung, bezahlbarer Wohnraum – das alles und noch viel mehr: geopfert dem Kapital in immer neuen Privatisierungsorgien, koordiniert: vom selben Staat, der vielen Linken noch immer (und sogar wieder verstärkt seit der letzten Seuche) als „Retter“ erscheint. Wahrlich, was für eine Vision… Allerorten verschlechtern sich die Lebensbedingungen, die immer mehr zu Überlebensbedingungen werden, und dabei reden wir noch nicht einmal vom Klima. TINA _ There Is No Alternative. Das war mal ein Mantra des Neoliberalismus. Einst widersprachen noch Linke, in internationalen, sichtbaren Versammlungen, und im konkreten Handeln, in unterschiedlichsten Ansätzen und Projekten. Heute scheint das Mantra Wirklichkeit geworden. Keine Alternative, nirgends (sofern man sich nicht mit der Stecknadel auf eine, allerdings voraussetzungsvolle, Suche im Heuhaufen begibt). Außer weit rechts. Eine Scheinalternative zwar, aber unübersehbar. Wie wirklichkeitsfremd kann man sein, wenn man sich noch wundert, dass sich Menschen vergessen fühlen, nicht mehr vertreten, nicht mehr wahrgenommen (oder nur noch in negativer, abwertender Weise), nicht mehr gehört. Das diese Menschen sich in die falsche Richtung bewegen, kann man ihnen vorwerfen. Oder auch einfach mal anfangen, darüber nachzudenken, was das vielleicht mit einem selbst zu tun hat, mit den eigenen Versäumnissen.

  1. Indem man die Rechten hofiert

Man verharmlost die Rechten und versucht, an ihre Themen anzuschließen.

Der Eindruck ist nicht von der Hand zu weisen: die Rechten wurden groß geschrieben. Meinungsumfragen haben, erst recht vor Wahlen, immer eine manipulative Komponente, sie beeinflussen Entscheidungen. Je stärker der Hype über den „überraschenden Erfolg“, desto höher die Prozentpunkte bei der nächsten Umfrage. Nach dem Motto: wenn die schon so viel Erfolg haben, können sie so verkehrt ja nicht sein… Warum eigentlich wird so umfassend über eine offen rechtsextreme Partei wie die AfD berichtet, warum wird ihr Führungspersonal ständig interviewt und in Talkshows geladen? Ach ja, die Medien. Alles halb so wild mit dem Faschismus – das ist jedenfalls der Extrakt aus der Berichterstattung deutscher Medien über die Politik der italienischen ultrarechten Regierungschefin Meloni, und die ist immerhin bekennender Mussolini-Fan. Die Medien haben ihren Anteil an der gesellschaftlichen Polarisierung, als sprichwörtliche „vierte Gewalt“ forcierten sie Hetze, wie es Rechte nicht besser können, gegen die „verantwortungslosen Ungeimpften“ etwa, entdeckten überall „Schwurbler“ (die in der wahrgenommenen Bedeutung ungefähr mit dem gefährlichen Verschwörungsnetzwerk QAnon gleichgesetzt wurden), brandmarkten jeden sich noch antimilitaristisch äußernden Menschen nun als „Putin-Fan“ oder dummen Menschen, der den „Kreml-Demagogen“ auf den Leim geht. Weitgehend unhinterfragt wurde der Bericht des Bundeskriminalamtes über politisch motivierte Straftaten im Jahr 2022 übernommen. „Reichsbürger und Klimaschützer“ seien vor allem verantwortlich. Wenn das Blockieren einer Straße schon ungefähr so viel wiegt wie ein rassistischer Mord, dann haben die Rechten schon halb gewonnen. Verheerend ist, dass fast alle Parteien versuchen, den Rechten vorwegzulaufen, und dabei doch immer nur hinterherhinken. Das ist schon beim Aufreger-Thema „Gendern“ so gewesen, es wiederholt sich in der Flüchtlingspolitik (angesichts der sich für die nächsten Jahre abzeichnenden Entwicklung frage ich mich, ob die Rechten den Fachkräftemangel ausbügeln, indem sie mir morgens die Brötchen backen, bevor sie fix zum Wahlkampf eilen, vor der Spätschicht im Krankenhaus oder bei der Feuerwehr). Ich erspare es mir, hier die Aussagen von Politiker*innen aus CDU, CSU, FDP, SPD und Grünen zu zitieren, die sich in Sachen Flüchtlingsabwehr einen Wettstreit liefern in Sachen dummdreister, menschenverachtender Unkenntnis und damit zeigen, dass die Verrohung kein AfD-Privileg ist. Menschen mit rechtem Gedankengut lassen sich nicht von rechten Parteien abwerben, indem man sie mit rechten Positionen ködert (und schon gar nicht dämmt man damit den rechten Einfluss ein). Denn die Menschen wählen dann eben lieber gleich das Original, das zeigte sich schon nach der Asylrechtsänderung 1993, die die Rechten für sich – auch manifestiert in Wahlergebnissen – als Erfolg verbuchen konnten. Dabei wäre es leicht, die Partei hier auszubremsen, indem man aktiv die wichtigeren Themen besetzt und auch vermittelt, warum diese Themen wichtiger sind – soziale Sicherheit und Gerechtigkeit, Gemeinwohl, Klimaschutz…

Zerstörung des Gehorsams

So betrachtet liest sich die jüngste Entwicklung seit 2020 wie eine Gebrauchsanweisung für die erfolgreiche Installation von Faschismus in einer Demokratie, die dagegen keine Reserven mehr mobilisiert.

Doch mein Text zeigt: es wäre einfach, den Faschismus zu bekämpfen. Wenn man es denn ernst meinte mit dem von der Politik gebetsmühlenartig beschworenen „Erhalt unserer Demokratie“. Das ist zunächst einmal alles andere als revolutionär, man müsste dazu nur einmal, beispielsweise, das Grundgesetz und die internationalen Menschenrechtskonventionen tatsächlich umsetzen. Das wissen auch jene, die regelmäßig an einen „Aufstand der Anständigen“ appellieren, der dann von der Notwendigkeit wirklicher Änderungen ablenken soll. Um Faschismus zu bekämpfen, bräuchte man lediglich das unterlassen bzw. beenden, was in dieser Anleitung zu seiner Installation beschrieben ist.

Jene, die „den Faschismus“ in den Medien wortreich verurteilen (oder die AfD-Wählenden pauschal beschimpfen), wollen das in der Regel nicht. Denn sie profitieren vom gesellschaftlichen Zustand, der den Faschismus hervorbringt. Sie wollen nur den Auswuchs (eben den Faschismus) – meist – nicht haben, wenigstens noch nicht, oder nicht in allzu offener Form: sei es nun aufgrund der Besitzstandswahrung, des deutschen Ansehens in der Welt oder ähnlich grandioser Motive.

Mit diesem Text sollen die Rechten und ihre Klientel nicht verharmlost werden, im Gegenteil. Die AfD ist zutiefst rassistisch, und Umfragen zeigen immer wieder, wie viele Menschen einem rassistischen Weltbild anhängen. Kurz: Rassist*innen wählen Rassist*innen (und ärgern sich hoffentlich über das Gendersternchen). Hinzu kommt die Sache mit dem autoritären Charakter – Theodor W. Adorno und andere aus dem Umfeld der Kritischen Theorie (Frankfurter Schule) wiesen auf die Disposition hin, die anfällig für faschistisches Gedankengut macht. Schlimm, dass der Autoritarismus durch die hier beschriebenen Strategien der Faschismusförderung noch verstärkt wird, wo es doch eine „Zerstörung des Gehorsams“ (Peter Brückner) bräuchte. Hier haben wir einen Hinweis, warum Menschen mit ausgrenzenden, rassistischen und faschistischen Denkweisen derzeit scheinbar – und plötzlich – viel mehr werden.

Es zeigt sich: es greift viel zu kurz, sich nur auf die eine rechte Partei zu fokussieren. Und es ist fatal, ganze Menschengruppen aufzugeben und sie so noch zusätzlich in die Arme rechter Menschenfänger*innen zu treiben. Der Erfolg der Rechten ist – das ist die eigentliche Tragödie -in erster Linie Resultat der von den anderen Parteien sowie Teilen der „Zivilgesellschaft“ gestalteten Rahmenbedingungen. Er ist die Folge des Unwillens bzw. Unvermögens, diesem Rahmen einen attraktiven Gegenentwurf entgegenzustellen, nicht zuletzt, weil die Kräfte, die dies zu anderen Zeiten hätten tun können, in den politischen Kollektiv-Suizid verabschiedet haben. Wie eine fremde Tierart wird das rechte Milieu seziert, mit soziologischem und ethnologischem Blick, man wundert sich im universitären Sessel über das rechte Unvermögen, sich eine Zukunft vorzustellen, gar dystopisch zu denken. Doch wie, bitte schön, soll man angesichts der skizzierten Bedingungen anders als dystopisch denken? Wäre das nicht utopisch? Das akademische Spektrum seinerseits offenbart mit diesen Betrachtungen das offenkundige Unverständnis, das die Etablierten jenen entgegenbringen, die vielfach nicht so etabliert sind.

Dieser Text soll zeigen: der Mensch ist nicht „an sich“ gut oder schlecht, gar „dem Menschen ein Wolf“ (wie es die zum Sozialdarwinismus politisierten und dabei höchst selektiv interpretierten darwinistischen Theorien behaupten). Rassismus ist kein Naturzustand, und man wird nicht zum Rassisten oder zur Faschistin geboren. Der Mensch ist so gut oder schlecht wie die Umstände, in denen er lebt. Was nicht heißt, dass es unmöglich ist, aus diesen Um- bzw. Zuständen auszubrechen. Unter dem Pflaster liegt der Strand, man muss ihn nur wahrnehmen. Schon der anarchistische Geograph Peter Kropotkin wies auf den beachtlichen Umfang gegenseitiger Hilfe selbst innerhalb scheinbar durch und durch kapitalistischer Gesellschaften hin, und auch heute gibt es viele dem Gemeinwohl verbundene, für eine andere Gesellschaft sich einsetzende zivilgesellschaftliche Bewegungen. Doch diese stehen unter Druck. Es braucht daher eine Zerstörung des Gehorsams, um mehr Menschen in die Lage zu versetzen, über den Tellerrand zu gucken, und das heißt auch: für eine menschenwürdigere, bessere Gesellschaft zu kämpfen. Für eine Gesellschaft, in der Faschismus keinen Platz mehr findet.