Nr. 1 Hanna Mittelstädt “Heraus zum 4. Mai”

“Die Aktion” – 109 Jahre radikale Intelligenz.
Die lange Geschichte einer Zeitschrift gegen “Kommerz und Lumperei”

von Hanna Mittelstädt

Von der Revolte zur Aktion
“Heraus zum 1.Mai” war eine Parole, die Lutz Schulenburg immer nur ironisch benutzte. Zu sehr war sie an alte konventionelle “Kampfformen der Arbeiterklasse” angebunden und zu sehr war er ein antiautoritärer Linksradikaler. Aber die geballte Faust, die wurde, ein wenig spöttisch, hin und wieder als Gruß benutzt. Irgendwie wollte sich Lutz doch positionieren …

Revolutionärer Rollmops im Familienkreis: Lutz mit Eltern, ca. 1970

Lutz und Pierre Gallissaires begannen das Verlagsprojekt, das später in Edition Nautilus umbenannt wurde, 1971 mit der Veröffentlichung der Zeitschrift MAD (Materialien, Analysen, Dokumente) – Anarchistische Hefte. Es folgten 1972 die ersten Broschüren (Reprint, Reihe Anarcho-Syndikalismus) im Copydruck und von eigener Hand zusammengeheftet bzw. -geleimt. 1973 dann die MAD-Flugschriften, in einer selbstverwalteten Berliner Druckerei hergestellt.
Die Nummer 1 der Flugschriften hatte den bezeichnenden Titel Dranbleiben … einmal klappt’s bestimmt – Strategie & Taktik für den Betriebskampf.
In Nummer 2 erschienen die ersten Übersetzungen aus dem Französischen bei uns veröffentlicht: Perspektive einer bewussten Änderung des alltäglichen Lebens – Texte der Situationisten. Seit 1972 waren wir zu dritt: Pierre, Lutz und ich.

Parallel zu unseren Buchveröffentlichungen machten wir von 1973-1982 eine neue Zeitschrift: die Revolte, Organ der Subrealisten-Bewegung, Experimentierfeld und Probebühne eines kollektiven Experiments.

Nachdem das kollektive Experiment zerbrochen war, wurde der Verlag professionalisiert. Lutz entschied sich 1981 zur Herausgabe einer Zeitschrift, die an die kämpferische Tradition von Franz Pfemfert anknüpfen sollte: Die Aktion.

Für ihn war die Zeitschrift ein leichtes Beiboot in der stets komplexer werdenden Verlagsroutine. Sie wurde durch den Verlag mitgezogen, brauchte keine eigene Ökonomie. Die Herausgeberschaft war auf eine Weise die Kür der Verlegerei – beweglich, frei, voller Dynamik, mit unzähligen, höchst interessanten Beiträgen und Beiträgern. Keiner hätte sich vorstellen können, dass diese Zeitschrift einmal 220 Nummern in 33 Jahren hervorbringen würde.

Verschiedene Bündnispartner und Mitherausgeber kreuzten unseren Weg, und wenn man sich heute die 220 Nummern durchsieht, ist man beeindruckt von dem geistigen Reichtum, der dort präsentiert wird. Einen recht guten Überblick gibt es auf der anarchopedia-Seite und eine Liste der Beiträge auf dataspace.

Die Aktion erschien in drei verschiedenen Formaten. Zunächst im Din A4 Format, rein schwarzweiß gedruckt, der Umschlag mit einer Schmuckfarbe zusätzlich ausgestattet. Von Nr. 33 bis 213 in einem handlichen B-Format (13×21 cm) mit einem beigefarbenen Naturkarton als Umschlag, ebenfalls in schwarzweiß gedruckt, hin und wieder Rot als Schmuckfarbe auf dem Umschlag. Ab Nr. 214 wurde das Format wieder vergrößert (24×16 cm), der Umschlag wurde teilweise vierfarbig auf Cromolux-Karton gedruckt, es gab auch hin und wieder vierfarbig gedruckte Beihefter im Innenteil.
Die Frage der Druckfarben war einerseits der Tradition der politischen Pamphlete geschuldet. Andererseits aber auch schlicht eine Frage des Geldes. Die Drucktechnik war noch nicht so weit, dass der Vierfarbdruck erschwinglich war. Auch die Satztechnik war noch in den frühen Entwicklungsstufen. Die Texte wurden außer Haus im Composersatz gesetzt und die Satzfahnen von Lutz in ein Layout geklebt. Die ersten 7 Nummern erschienen in einem Sammelband im Februar 1982. Die Aktion sollte monatlich erscheinen, später dann so monatlich wie möglich, auch als Mehrfachnummern. Erst in den 90er Jahren kaufte der Verlag einen Computer und stellte die Druckvorlagen damit selbst her. Entweder machte Lutz das oder der langjährige Hersteller der Edition Nautilus, Klaus Voss.

Pfemferts “Aktion”
Lutz bezog sich auf die seit 1911 von Franz Pfemfert herausgegebene Zeitschrift Die Aktion, die er liebte und er eifrig gelesen hatte. Franz Pfemfert musste sein Zeitschriftsprojekt 1932 aufgrund der verschärften politischen Lage und aufgrund gesundheitlicher Probleme einstellen. Die Aktion war Zeit ihres Bestehens eine bedeutende Anti-Kriegsstimme und versammelte wesentliche Avantgarde-Künstler im Bereich Wort und Bild. Pfemfert und seine Frau Alexandra Ramm hatten nicht nur das Zeitschriftenprojekt. Sie veröffentlichten auch Bücher (politische Analysen, Lyrik, Literatur), veranstalteten Aktions-Abende, sogar Aktions-Bälle, betrieben kurzfristig eine Aktions-Buch- und Kunsthandlung und ein Fotostudio für Porträts.
Politisch engagierten sich Franz und Alexandra bei den “undogmatischen” Linken (Spartakusbund, KAPD, Anarcho-Syndikalisten u.a.). Das war für Lutz ein ungeheuer inspirierendes Vorbild.

Einer der wichtigsten Autoren, die Edition Nautilus herausgebracht hat, Franz Jung (der auch in der originalen Aktion veröffentlichte), beschrieb Franz Pfemfert so:
„Der Mann, der in Berlin, in der Nassauischen Straße im Hinterhaus im 4. Stock, sozusagen bei offener Tür hinter seinem Schreibtisch gesessen ist, jeder konnte ohne zu klopfen oder zu läuten eintreten und zu ihm sprechen, während er mit einer kleinen Handmaschine sich seine Cigaretten stopfte. Für Pfemfert war jeder, der in den Laden kam, ob er etwas zur Beurteilung brachte oder gedruckt werden wollte, ein Kunde, ein guter oder ein schlechter.“

Lutz sah sich selbst in einer ähnlichen Rolle, war immer begierig, neue Ideen von solchen Leuten aufzunehmen, “die eine radikale Intelligenz mehr zu schätzen wissen als die modische Einöde und die ungeheuerliche biedergeistige Wachstumsrate, die in diesem Land jeden ernsthaften Gedanken in konjunktureller Abnutzung erstickt. Dieses Missverhältnis mit unseren bescheidenen Kräften zu korrigieren, dazu soll diese Zeitschrift dienen und durch ihr Wirken mithelfen, die Kräfte der Veränderung zu sammeln, indem die Ideen verbessert werden.” (Lutz Schulenburg in der 1.Ausgabe 1982).

Die Aktion sei entschiedene Gegnerin des literarischen Strebertums, der behäbigen Allianz von Kommerz und Lumperei. In jeder Ausgabe stand oben unter dem Namenszug: Begründet von Franz Pfemfert, Berlin 1911-1932, als Würdigung und Erinnerung an das großartige Vorbild. Und der erste Leitartikel vom September 1981 hieß: „Kriegstrommeln und Friedensschalmeien“.

Die Vielzahl der Autorinnen und Autoren und die Verschiedenartigkeit und Internationalität der Themen hat, das kann man von heute aus sagen, in den dreißig Jahren wieder ein “Aktions-Kosmos” entstehen lassen, durchaus vergleichbar mit dem des Ur-Verlegers.

Die Herausgeberschaft sollte kollektiv sein. Das gestaltete sich aber nicht so einfach und wurde “so kollektiv wie möglich”. Ich war immer als Beraterin und Lektorin involviert. Egon Günther, Maler und Autor, war lange Zeit Mitherausgeber und Lutz immer in großer Freundschaft verbunden.

Frank Witzel war in den ersten Nummern Mitherausgeber und Ideengeber. Martin Rheinländer begleitete Lutz eine lange Zeit als Inspirator von marxistisch-philosophischer Sicht aus. Jürgen Otte war insbesondere in der Zeit der Solidaritätskampagnen mit den Zapatisten im Boot, als Horst Rosenberger, Übersetzer aus Barcelona, und Lutz von 1994 bis 1998 das Informationsbulletin Land und Freiheit als “Imprint” der Aktion veröffentlichten.

Die nächste Aktion
Olaf Arndt hat bei etlichen Nummern mitgewirkt, u.a. im Heft 215 über die “Schmerzmaschinen” oder im Heft 217 über die “Krise. Ein Brevier für schwierige Lagen. Teil 1. Das nützliche Chaos. Zur Erfindung der Katastrophe in staatlichen Krisen-Vorhersagen”, vielleicht heute noch einmal mit Erkenntnisgewinn zu lesen … Und Teil 2 über “Labyrinth und Lager” in der Nr. 218.

Seit Lutz Tod war klar, dass dieses Projekt nicht in der Form weitergeführt werden konnte, denn es verschlang sehr viel Arbeit und brachte sehr wenig Geld ein, es finanzierte sich nicht selbst, von Honoraren für die Beitragenden ganz zu schweigen. Die Aktion im Rahmen der Edition Nautilus war ein Herzensprojekt von Lutz. Ich wollte es nicht weiterführen. Und als Olaf mich fragte, ob ich etwas dagegen hätte, wenn Die Aktion als Blog wiederbelebt würde, habe ich gleich meine Zustimmung gegeben.

In diesem Sinne also viel Glück und Heraus zum 4.Mai!

Hanna Mittelstädt, 3.Mai 2020

Auf der homepage der Edition Nautilus bekommt man einen sehr knappen Überblick über die lieferbaren Nummern.
Aber es sind auch noch weitere Nummern in geringer Stückzahl vorhanden und gegen eine Portospende gern erhältlich!

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