Reizlos

Wenig Eindrücke – viel Wirkung. Warum der Lockdown das Potential hat, eine kollektive Psychose auszulösen.

Der Präsident des Royal College of Psychiatrists, Adrian James, rechnet laut Guardian vom 27. Dezember 2020 allein für Großbritannien damit, dass bis zu 10 Millionen Menschen, darunter 1,5 Millionen Kinder, als direkte Folge der COVID19-Krise neue oder zusätzliche medizinische Unterstützung für ihre psychische Gesundheit benötigen: immerhin 15% der Gesamtbevölkerung. In Japan sind im Dezember 2020 mehr Menschen an Selbstmord gestorben, als im ganzen Jahr an Covid19, meldet CNN am 29. Dezember 2020.

Was wirkt so stark auf das Gemüt? Werden wir am Ende alle psychisch krank?

Un-Personen

In der Zeit lockdownbedingter Reizarmut bekommt unser psychisches Porzellan leicht einen Knacks, den man erst viel später bemerkt. Die Folgen der grassierenden Infektions-Krankheit, kombiniert mit wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen, und die permanente Ungewissheit, die drohend über allen schwebende Gefahr ewiger Wiederholung der Katastrophe beschädigen die seelische Gesundheit so stark “wie der zweite Welt-Krieg”, befindet der führende britische Experte Adrian James.

Doch nicht nur allgemeine Beschränkungen im Rahmen der Pandemiebekämpfung führen zu seelischen Zusammenbrüchen. Insbesondere hätten die Zwangsisolierungen den Verlust von Angehörigen zu einem tief traumatischen Erlebnis umgestaltet, weil sich die Familien oft nicht einmal persönlich von den Sterbenden verabschieden konnten. So erleben die Hinterbliebenen die ohnehin schon harte Trennung von einem Mitglied ihrer Familie angesichts des Verbotes, Abschied zu nehmen, wie eine Art Strafe. Schließlich gibt es für die Leidenden keine hoffnungsvolle Perspektive: wann der augenblickliche Zustand endet, ist nicht absehbar, wird er doch von Monat zu Monat scheibchenweise verlängert, was die Einschätzbarkeit und damit eine Erleichterung der Bewältigung aus der Aussicht auf baldige Besserung verunmöglicht. Von Spätfolgen über Jahrzehnte ist jetzt schon die Rede.

Es sei sogar nicht einmal ausgeschlossen, dass Corona bereits in den wenigen Monaten seit März 2020 unsere Gehirne “neu verkabelt” habe.

Die im gleichen Guardian-Artikel zitierte Psychotherapeutin Philippa Perry sieht uns schon alle als “Unpersonen” (non-persons) umherlaufen. Bereits das Fehlen der täglichen “sozialen Tänze” rund um die Suche nach einem Platz im Bus oder Cafe und die damit verbundenen Interaktionen rauben uns das Gefühl von “Zugehörigkeit”.

Besonders fatal wirken harte Beschränkungen natürlich in einer hochgezüchteten Kultur, die gerade erst seit fünfzehn, zwanzig Jahren ihr Heil in geradezu manischer (Reise-)Bewegung suchte und Jedermann darauf drillte, das Ausleben jedes noch so blöden (sportlichen oder sonstigen) Spleens als Ausdruck persönlicher Freiheit zu verbuchen. Nun rächt sich im Verbot von Allem die gezielte Entpolitisierung der Menschenrechte. Wer mit dem Gefühl des verbrieften Anrechts auf Kauf und Amüsement sich abspeisen ließ, gerät in die Depression, statt durch Widerstand Gesellschaft aktiv mitgestalten zu wollen. Nach dem überschäumend schönen Traum von Luxus und Freiheit mit dem trüben Aufguß des “tele-everything” abgespiesen zu werden und exotische Orte nur noch auf Youtube erleben zu können, haut natürlich besonders ins Stimmungskontor. Fieser Frust macht sich breit und demoliert die Seele.

Gedächtnisnegativ

Adrian James´ Vergleich mit der Härte des zweiten Weltkrieges ruft die Formen “negativen Erinnerns” wach, die zu “Jahren des Beschweigens” der Verbrechen nach Kriegsende 1945 geführt haben. Wenn das Leiden eine bestimmte Qualität erreicht, sind Auslöschung oder Trivialisierung der Erinnerung häufig vorkommende Schutzmechanismen der Betroffenen. Das Trauma wird verkapselt. Oder es wird umgewandelt.

Leugnung, Schuldzuweisung, Selbstmitleid und herbeiphantasierte Leiden sind Figuren, die aus der Bewältigung faschistischer Greuel – insbesondere bei Tätern und “Mitläufern” – bekannt sind. Der Ethnologe Y. Michal Bodemann spricht in diesem Zusammenhang von einer “Gedenkepidemie”, mit der 30 Jahre nach dem Krieg das Schweigen durchbrochen werden sollte. Bodemann untersucht in seinen Texten nicht nur die Bedeutung von Leugnung oder Herabwürdigung als “Strategien der Mythologisierung” – zur Überwindung von Trauma, Schuld und Scham. Er spricht auch von einer “Strategie des Gedächtnis-Negativs”: ein Schweigen über die eigentlichen Auslöser (Kriegsverbrechen) bei gleichzeitigem Hinweis auf dessen Epiphänomene. Hierdurch wiederum bleibt der Kern des Problems “verdunkelt”. Das Gedächtnisnegativ ist inhärentes Element aller von Bodemann identifizierten Strategien. Er sagt: “Analog einem Fotonegativ oder der Gußform einer Plastik werden nur die äußeren Konturen der Katastrophe sichtbar gemacht.” (S. 357, in: Trutz von Trotha, Soziologie der Gewalt, Opladen 1997)

Nun ist Bodemann kein Psychologe – und der Lockdown kein Vernichtungskrieg. Doch ist gut vorstellbar, was mit einschneidenden Verlusterfahrungen passiert, welche langfristigen psychischen Einschreibungen entstehen und wie schwer sie wieder zu “normalisieren” sind, insbesondere wenn sie einer ganzen Generation eignen.

Mit solchen Forschungsergebnissen im Kopf ist die Frage zu stellen, welche Strategien uns helfen werden, posttraumatischen Streß abzubauen und das “new normal” nach dem Ende der Pandemie zu verkraften? Mit Impfen allein ist da nicht viel geholfen.

Kollektive Psychose

Meine erste Begegnung mit der methodischen Produktion einer kollektiven Psychose fand am 18. Oktober 2018 statt. Das war rein zufällig der 41. Jahrestag der sog. “Todesnacht von Stammheim“. In dieser Nacht starben Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in ihren Gefängniszellen in der JVA Stuttgart. Irmgard Möller überlebte schwer verletzt. Insofern muss ich korrigieren, dass es sich um eine erste Begegnung handelte. Während der Terroranschläge des Deutschen Herbsts 1977 bestand während einiger Wochen ein offizielles Kontaktverbot (der Inhaftierten untereinander und zu ihren Anwälten), das durch das – wohlgemerkt! – nachträglich beschlossene Kontaktsperregesetz legitimiert worden war.

Ohne die zuvor medial geschürte kollektive Psychose, dass diese vielleicht zwanzig bewaffneten Täter mit dem etwas kindischen Namen “Rote Armee Fraktion” in der Lage seien, eine solid gebaute rechtsstaatliche Demokratie wie die Bundesrepublik in Schutt und Asche zu bomben, hätte sich wohl keine Mehrheit in der Bevölkerung dafür gefunden, die die Isolation und Entrechtung der Gefangenen ebenso gutheißt, wie die Denunziation und Verfolgung von sog. “Sympathisanten” (siehe z.B. Peter Brückner), die sich nicht klar genug von den Terroristen distanzierten, sondern darauf beharrten, die Gesamtsituation verstehen zu wollen.

Agressive Software?

41 Jahre danach führte ich auf dem Parkplatz vor einem Haus im Baskenland, in dem ich einige Tage gewohnt hatte, um mich von den Strapazen einer 6-monatigen Ausstellungsvorbereitung zu erholen, ein Gespräch mit dem Ferienhausvermieter, ein hochdotierter Programmierer von Anwendungen sogenannter “künstlicher Intelligenz”, angestellt bei einer Firma in der Schweiz, die auf die Weiterverarbeitung europäischer Medizindaten spezialisiert ist.

Der Mann berichtete unter Bezug auf meinen Text über gezieltes Töten mit Drohnen, die von ähnlich intelligenter, “selbstlernender” Software auf ihre “weichen Ziele” gelenkt werden, wie er sie programmierte, dass er mit ethischen Problemen bei der Arbeit zu kämpfen habe.

Sein Job war, Krankenhausdaten in eine Datenbank so einzupflegen, dass sie im europäischen Maßstab vergleichbar und gemeinsam nutzbar würden. Das schien auf den ersten Blick keinen Grund für Gewissensbisse zu liefern. Die Problematik entstand durch die mangelnde Bezahlung. Sein Chef hatte deswegen mit seinen Auftraggebern eine freie, wenig gemeinnützige Weiter-Verwendung der im Wesentlichen aus Steuermitteln kreierten Daten ausgehandelt. Um die geringe Entlohnung durch die beteiligten Krankenhäuser auszugleichen, hatte das Unternehmen ausgehandelt, zur Aufbesserung der Einkünfte die Daten an private Nutzer weiterverkaufen zu dürfen. Mein Gesprächspartner hatte entdeckt, dass militärtechnische Unternehmen zu den ersten Interessenten gehörten. Das machte ihm erheblich zu schaffen. Nicht die Software an sich, doch ihre Nutzung als “Waffe” bereitete ihm Magenschmerzen.

Mein Gesprächspartner war mit der jüngst noch einmal von Wolf Wetzel erinnerten “jahrzehntealten” Erkenntnis konfrontiert, “dass Pharmakonzerne so ähnlich agieren wie die Waffenindustrie” – zwei sonst eher getrennt gesehene Komplexe, zwischen denen doch die Daten zügig hin- und her fließen.

Sauerstoff der Menschensteuerung

Aber, und dabei ging er unruhig einige Schritte hin und her, bevor er zum Punkt kam, das sei alles gar nichts im Vergleich zu dem Job seines Bruder, ebenfalls Programmierer. Ob ich schon mal von “360 Social” gehört hätte? Hatte ich nicht.

Das Softwareunternehmen “360 Social”, bei dem sein Bruder angestellt sei, habe sich darauf spezialisiert, die Chats von Angestellten in den “sozialen Medien” abzulauschen und Firmen gegen Bezahlung ein genaues Bild der Wahrnehmung ihres Unternehmens durch ihre Angestellten zu liefern.

“comments are oxygen” – wie eine Ökosphäre beschreiben solche Dienstleister ihr Geschäft mit der Meinung: sie liefern den Sauerstoff der Menschensteuerung.

Was als Analysetool begonnen haben mag, das den Firmen Möglichkeiten in die Hand gab, sich selbst zu reflektieren, aus ihren Fehlern zu lernen, ihnen aber zugleich auch Daten lieferte, mit denen sie Mitarbeiter wegen verbaler Sabotage verfolgen und neutralisieren konnten, drehte sich unter dem Eindruck des Brexit schnell um zu einem Mittel politischer Strategie.

Konservative Philanthropen und Milliardäre mit konkreten Zielen der Umgestaltung von bestehender Gesellschaft, so mein Gesprächspartner, würden diese Dienste massiv anzapfen, um aus dem Analyse- ein Angriffswerkzeug zu machen.

Über die gleichen Kanäle, die der “privaten” Veröffentlichung von Unzufriedenheit Raum gaben, würde denselben Nutzern gezielt Inhalt eingespielt, der in diesem Fall dazu diente, den Brexit mehrheitsfähig zu machen. Das, so sagte er, sei eine schockierende Tatsache und er wisse nicht, wie sein Bruder es mit seinem Gewissen vereinbaren könne, dafür Software herzustellen.

Die Dimension der Selbstschädigung eines Landes, das nun zwei Jahre später noch immer um die genaue Form seines “regellosen” Ausstrittes aus der EU ringt, ist immer noch nicht in Gänze abschätzbar, doch auf jeden Fall desaströs. Die in weiten Teilen ultra-rechte Anti-EU-Stimmung aber, die den aktuellen Un-Zustand überhaupt heraufbeschwören konnte, resultiert im Wesentlichen – so die damalige Einschätzung meines Gesprächspartners – aus einer gezielt geschürten Ablehnung, die den Charakter einer medial induzierten Psychose besitzt.

Psychokeime

Ich hatte das Gespräch auf dem Parkplatz längst wieder vergessen. Doch dann kam mein Freund Moritz, der sagte: „Psycho-Keime!“
Ich sagte: „Was?“
„Na, Psycho-Keime! Du sagst es ja selbst: früher haben wir alle vor den Bullen Schiß gehabt. Jetzt fürchten wir uns bei einer Demo vor unseren Nächsten. Und nur, weil es verboten ist, mit ihnen zusammen zu sein, halten wir sie für gefährlich.“ Den Rest des Gespräches könnt ihr in meinem Beitrag “Höllenwinter” nachlesen. Ich ergänze nur folgendes:

Bin ich schon längst Opfer einer methodischen Anwendung des Selektionsprinzips namens „Hypochondrie“? Wer sich mit Hypochondrie infiziert, kann die Löffel abgeben.

Ich will jetzt nicht auch noch mit Zahlen anfangen, aber es ist doch recht wahrscheinlich, dass so in etwa 97% der Menschen hinter ihren Masken gesund sind. Da ist aber trotzdem – bei allen – dieser Prägestempel mitten im Gesicht.
Wenn man sich im Spiegel mit der Maske sieht und vor allem andere hinter ihren Tüchlein anschaut, fühlt man sich gleich krank.
Man horcht ganz anders in sich hinein… ist das Ziehen in der Lunge wirklich vom Kisten-Schleppen gestern? Oder lauert da ein Untier in mir und bereitet seine Vervielfältigung vor?

Hypochondrie sitzt schon dem Wort nach zwischen den Rippen. chondros ist griechisch für den Rippenknorpel, unter dem nach alter Vorstellung die Gemütskrankheiten lauern.

Systematischer Reizentzug

Die Forschungen zu den Folgen von Isolationshaft rund um das zuvor erwähnte distanzierte Unterbringen in Hochsicherheitstrakten von Gefängnissen haben gezeigt, das für die Konstruktion einer stabilen Identität die “Retorsion” zentral wichtig ist: das Wechselspiel von Abgrenzen und Zurückweisen. Das gilt auf persönlicher Ebene ebenso, wie im Austausch mit staatlichen Zugriffen, gegen die man sich erfolgreich zur Wehr setzt. Wo das ausbleibt, erfolgreich verboten wird oder schlicht nichts mehr zurück kommt, wo jede Berührung, jeder Sinneseindruck, jeder Reiz fehlt, bricht die Psyche zusammen: man ist – schneller als man glauben möchte – nicht mehr “derselbe” (lat.: identitas).

So gesehen sind, anders als oft in den Medien dargestellt, emotionale Instabilität, zeitliche und räumliche Desorientierung, Konzentrationsschwierigkeiten, Gedankenflucht und schlechtes Erinnerungsvermögen, sowie Sprach- und Verständnisdefizite keine Folge des Virus, sondern des systematischen Reizentzuges.

Wir sind alle “Gefangene” – im französischen Wort für Lockdown, “confinement”, kommt dies deutlich zum Ausdruck: confiner heißt “verbannen, einsperren”. Als Gefangene nehmen wir unfreiwillig an einem Massenversuch teil.

Solche Erkenntnisse, wie sie im Sonderforschungsbereich 115 der Deutschen Forschungsgemeinschaft am UKE Hamburg experimentell erprobt (“camera silens” , siehe auch meine Rekonstruktion von 1994) und wissenschaftlich ausgewertet wurden, sollten in den 70er Jahren im Strafvollzug gezielt Verwendung finden, um ideologisch hochmotivierte Täter zur Aufgabe ihrer Einstellungen zu zwingen und so das Resozialisierungsziel der Haft zu erreichen.

Als tragischer biografischer Hintergrund dieser Forschung kann gelten, dass der Forschungsleiter Jan Gross als KZ Häftling in Bergen-Belsen – bei permanenter Konfrontation mit dem eigenen Tod und dem seiner Mitinsassen – eine Unzahl von traumatische Erfahrungen mit “sensorischer Deprivation und sozialer Isolation” sammeln musste, Eindrücke, die ihn sicher zeitlebens nicht wieder verlassen haben. So wundert es wenig, dass er sein Leben in den Dienst der Forschung stellte, um den Mechanismus der Persönlichkeitsveränderung in reizarmen Umgebungen zu erkunden und ihm entgegenzuwirken. Dass damals solche Erkenntnisse staatlich nutzbar wurden: dafür sorgte ein Projektmitarbeiter aus dem Kreis der Bundeswehr-Angehörigen. Er spielte die Akten den Planern von Stammheim zu, damit sie dort einer effizienten Behandlung der “Staatsfeinde” dienlich wären.

Regelungssucht

Die Isolierung nimmt immer groteskere, oft kaum noch bemerkte Formen an. Ein Freund in Oslo berichtete mir, dass es lange Streit um den sicheren Abstand gab: reicht Einmeterfünzig oder müssen es mindestens zwei Meter sein?

Da man in Norwegen im Restaurant ohne Maske sitzen darf, die Tische aber oft klein, nicht größer als 90 cm an der längsten Kante sind, stellt der Betreiber der Wirtschaft immer zwei Tische zusammen und platziert die Gäste an den äußeren Enden. So sind sie theoretisch 1,8 m voneinander entfernt. Aber so fern sehen sie sich kaum, hören schlecht. Also beugen sie sich vor, um näher zueinander zu kommen. Schon erscheint der Wirt mit dem Zollstock und exekutiert die staatliche Regel: nicht von Brust zu Brust sei zu messen, sondern von Nasenspitze zu Nasenspitze. Der öffentliche Eingriff ins Privatleben mit dem Maßband aber macht uns klar, dass nichts unbeobachtet bleibt und das intime Zusammensein als Gefahrenquelle gilt. “Eng zusammen sein” und “krank” werden so synonym.

In der Corona-Regel des Bundeslandes Bremen für die Durchführung von Weihnachtsfeiern (präzise: “Zweiundzwanzigste Corona-Verordnung für Bremen und Bremerhaven gültig vom 1.12.2020 bis 9.1.2021 Zusammenfassung in Einfacher Sprache”) war zu lesen: zu Hause sind Aktivitäten, die starkes Atmen erfordern, zu unterlassen. Blasinstrumente unterm Baum: maximal zwei.

Ist Regelungssucht auch eine der Krankheiten, von denen Adrian James erwartet, dass sie die psychiatrischen Anstalten füllen werden?

Destruktives Wissen

Wo verweben sich nun die Fäden “Krankheit” (primäre Seuche), “Reizarmut”, “Lockdown” und “Social Media” und erzeugen eine weitere, grassierende Krankheit: des Gemütes?

Die Antwort: sie verflechten sich zu einem üblen Zopf in den negativen, asozialen Effekten der Kontaktverbote.

Denunziation, geschäftsschädigendes Verhalten zur Ausschaltung von Konkurrenz, immer populärer werdender Egoismus (alle sollen Maske tragen, damit ich nicht krank werde) und ähnliche im Alltag vorkommende, oft autodestruktive Handlungen, die im Kleinen das große Bild einlösen vom Kapitalismus als Produzent von schizophrenen Zuständen, von einem System in sich nicht zur Lösung zu bringender Widersprüche.

Es ist lange bekannt, dass die sozialen Medien, die uns jetzt helfen sollen, die reizarme Zeit “gemeinsam mit Freunden” zu überwinden, schwerpunktmässig eine zerstörerische Kommunikation befördern.

Hetze, Anprangerung und Verhöhnung fällt über “digitale Kanäle” leichter, als wenn man jemandem direkt ins Gesicht spuckt. Mit den oben geschilderten Methoden der Umschmiedung von Analysetools in Influencerwerkzeuge ist nicht nur “Meinung” schnell gemacht – sondern auch die Stimmungkrankheit fix ausgelöst.

Wir alle sind plötzlich eine Gesellschaft von eingebildeten Kranken.

Schlimmer noch: Der fehlende Austausch steigert weiter die Dämonisierung. Wer nicht mehr persönlich seine Sorgen und Nöte (be)spricht, sondern nur auf Distanz (medial vermittelt), verliert die ausgewogene Einschätzung und ist anfälliger für Verleumdungen. Er verfällt leichter dieser – man möchte fast sagen – gesundheitspolitisch organisierten Hypochondrie.

Die Mediziner werden vielleicht – wie einst Charcot die “Hysterie” – eine neue politisch induzierte Krankheit erfinden müssen, analog zur “Morbus Google”, jener sog. “Cyberchondrie“, bei der die Betroffenen durch intensives Recherchieren im Internet eine Symptomverstärkung erleben.

Der “soziale Tanz” jedenfalls ist derweil fraglos zu einer Art Ringkampf umgewidmet, ein Schlamm-Catchen gegen die Solidarität. Auch das ist eine Form des Leugnens, ein “Gedächtnis-Negativ”, entstanden unter dem Druck einer für den Einzelnen zu groß gewordenen Herausforderung. Statt Schutz der Schwachen ist jeder Bürger des Bürgers Feind. Wenn es beim Lockdown wirklich um die Gesundheit aller geht, sollten die Regierenden ihn aufheben, bevor es für unsere Psyche zu spät ist.

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