Nummer 36.2 Bert Papenfuss Schlaffzahn

Dies ist Teil zwei des Dreiteilers. Teil 1 finden Sie hier. Zeilenumbrüche der Lied-Texte sind – damit sie unabhängig vom End-Gerät des Nutzers erkennbar sind – im folgenden Online-Layout jeweils durch ein “/” dargestellt.

Ende 2018 habe ich angefangen, diesen Text zu schreiben. Inzwischen hat sich die NATO-Soldateska aus Afghanistan zurückgezogen und einen Teil ihrer Kollaborateure mitgenommen. Viel Geld ist verdient worden: Abermilliarden sind in ein Afghanistan-Aufbauprogramm „investiert“ worden, 90 % davon kamen der amerikanischen und sonstwie globalisierten Rüstungsindustrie zu gute. Als das Geschäft ausgelutscht war, beschloss man, den Opiumbauern nicht weiter im Weg zu stehen; schließlich braucht die westliche Wertegemeinschaft Heroin für Speedballs, sonst ticken noch die Broker, Joker und Rocker aus.

Schon 2017/18 machten sich offizielle Stellen Gedanken um die „Ortskräfte“, die verdienstvollen „afghanischen Diener des deutschen Staates“ am Hindukusch, wo Deutschland verteidigt werden muß. Nach der Lektüre eines journalistischen Elaborats über die alleingelassenen „Bundeswehr-Helfer“1 beschloss ich Crass-gemäß einen O-Ton-Kommentar abzugeben:

Soldaten, die Deutschland ins Ausland schickt, kämpfen …/
Soldaten, die Deutschland ins Ausland schickt, kämpfen nicht …/
Soldaten, die Deutschland ins Ausland schickt, kämpfen nicht nur …/
kämpfen nicht nur für mehr Sicherheit. Sie sind zugleich Botschafter …/
Botschafter der Demokratie … der Demokratie zum Beispiel in Afghanistan.2

Usw. usf.; ich kann das hier nicht weiter ausführen, da ich diesen Text nie ernsthaft zu Ende geschrieben habe. Stattdessen machte ich mich an eine Bearbeitung des Crass-Songs Sheep Farming in the Falklands in Form einer „freien, aktualisierten Übertragung“:

Schafhaltung in Afghanistan, Hochrüstung in Nazistan, / Schafe ficken3 in Schlumpfistan, Merkels Horden greifen an …/ Schert euch nach Afghanistan, Heiko Maas sein Traumland,/ den Bund treibt Abenteuerdrang. Kiek dir den Gewehrlauf an,/ das Geficke in der Takelage: Imperialistisches Pfaffentheater,/ ein Kapitel deutscher Geschichte, den nationalen Arsch abzuwischen./ Bumsfidel narzißtischer Bundestag schickt Uschi auf Truppenbesuch./ War’s nich’n abjebrüter Zufall, daß sie nich’ anjegriffen wurde/ in ihrer Hubschraubergurke? Leutheusser-Schnarrenberger4, Feldafing …/ Ein Prosit der Gemütlichkeit, und ein Selfie mit Satan;/ steckt es euch, steckt es euch ins demokratische,/ steckt es euch tief ins demokratische Album.5

Bis hierher hatte ich mich an die Struktur des Crass-Textes gehalten. Dann wurde es mir zu bunt, und ich ging zu „freier Assoziation“ über. Hier ein kleiner Ausschnitt:

Vorwärts Uschis Soldateska! Zum Kampf seid ihr geboren;/ kommt’s zum Kampf, seid ihr breit – gefächert und zerstreut./ Ideale Ziele liegen in der Landschaft rum, fidibum: „Wenn ich/ Weihnachten nicht nach Hause komm, bring ich Heldenrente mit.“

Eine Randnotiz zu dieser Strophe lautet: „Wie kann sich eine Mutter von sieben so verbiegen wie die Patriarchin Ursula von der Leyen? Es ist zum Pazifist werden! Zumindest unter der Gürtellinie.“ 2019 fügte ich dem Themenkomplex „Schafhaltung in Afghanistan“ folgenden Strophenentwurf zu:

Jott segne Merkel,/det anile Ferkel –/ „Yes Sir, I Will“ –;/ belügt wejen Koronisation/ die jesamte Population –/ jebärdet sich wie’n Reptil./ „Yes Sir, I Will.“/ „Mit Raketenwerfern/ würde ich nicht zögern.“6/ „Yes Sir, I Will.“/ „God save Margaret Thatcher7,/ she’ll claim our empire back.“8/ „Yes Sir, I Will.“/ Die spacke Dachdeckerin hätte/ bei ihrer Sparren bleiben sollen./ „Yes Sir, I Will.“9

Das „God save“-Zitat dieses Entwurfes stammt aus dem Crass-Song Gotcha, der folgendermaßen daherkommt:

This is Thatcher’s Britain built on national pride, built on national heritage/ Dies ist Thatchers Brittanien, gebaut auf Nationalstolz, gebaut auf Nationalerbe/ And the bodies of those who died to wave the flag on the Falklands/ Und den Körpern derer, die starben, um die Fahne auf den Falklands zu schwenken/ To protect us from the Irish hordes, to support the rich/ Um uns vor den irischen Horden zu schützen, die Reichen zu unterstützen/ In their difficult task of protecting themselves from the poor/ Bei ihrer schwierigen Aufgabe, sich selbst vor den Armen zu schützen/ Yes, this is Thatcher’s Britain, so let’s increase the strength of the police/ Ja, dies ist Thatchers Brittanien, laßt uns die Polizeikräfte verstärken/ Let’s expand the military, let’s all arm for peace/ Laßt uns das Militär aufrüsten, laßt uns alle für den Frieden bewaffnen.

Das ist Musik in meinen Ohren! So klingt militanter Pazifismus! Der Antimilitarismus muß bewaffnet sein, wenn auch umgekehrt. Mit aller Macht der Gegengewalt! Und mit schrägen Tönen. Zu Grind, Kruste und Schwarzmörtel kommen wir später10, eilt ja nicht mehr, inzwischen haben wir schon 2022. Schließlich ist der Weg über kurz oder lang verschlungen. Immer, wenn irjendwat anfängt, ein’ zu interessieren, ist es, wie man unschwer erkennt, schon vorbei jewesen. Sicherer ist es, jeder Bewunderung für wat auch immer mit Selbstbehauptung zuvorzukommen, notfalls nachzuhinken. Wenn wir nicht optisch voreingenommen und videotisch zugeschissen wären, würden wir durchsehen. Das Heroikum is’ rum, ebenso das Wirtschaftswachstum. Keiner hat Recht, weil alle Recht haben, auch wenn sie unrecht haben, oder lügen; das ist der Normalzustand, ein einziger Sozialstatus: kein Milieu, keine Schicht, keine Klasse, keine Kaste, kein Stand.

Zum Einstand geben Flugzeugträger einen Haufen Schrott, Buntmetalle und Wertstoffe ab. Mit ausgedienten Windrädern kann man kaum was anfangen, Solarzellen sind Sondermüll. Atomsprengköpfe hingegen geben einen schönen Brennstoff ab. Ich habe nicht die Absicht, mich hier über den Pazifismus lustig machen, solange er der „Sache“ dient, also der „Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen“. Entspannte Mucke und Latschdemos jedenfalls dienen dem Militarismus und immer mehr forcierten „grünen“ Totalitarismus, „Demokratie“ genannt. Ich bin für Empörung und Entrüstung, tätige Auseinandersetzung, mit den größten Arschlöchern gerne auch tätlich, häßlich und gräßlich. Man muß sie ja nicht gleich ausrotten wollen und entmenschlichen, wie man es gewöhnlich mit Feinden macht; gebe aber zu bedenken, daß Turbokap’talisten keine Menschenbrut sind, sondern Geldautomaten, die künstliche „Intelligenzen“ trainieren, uns mit Playlists zu traktieren. – Ich weiß nicht, wo ihr lebt und vor euch hin sterbt, aber ich wüte im Untergrund, fege dreimal täglich die Hölle durch. Als Paradies für unsereins würde ich es nicht beschreiben, aber man kommt zurecht, hat gelegentlich sein Auskommen, wie ich das Darben in Altersarmut nenne. Wenn ich Vorsicht walten lasse, brauche ich keine Rücksicht. Kann insofern nicht klagen. „Hoorah, hoorah, hoorah, yeah.“11

Abschwiff 4: Kurzer Abriß eines Überblicks des Untergrunds
1. Profit und Kalkül

Anarchismus ist keine Philosophie, keine Theorie, keine Utopie, noch nicht einmal eine Praxis, jedenfalls keine festgeschriebene. Anarchistische Texte können philosophische, theoretische oder utopische Aspekte haben und Vorschläge für Handlungsweisen unterbreiten. Anarchismus ist in erster Linie Kritik an der auf Privateigentum an Grund und Boden, Produktionsmitteln, Geld und Informationen basierenden kapitalistischen Produktionsweise und am Reproduktionswerk des bürgerlichen Kulturbetriebes.12

Anarchismus ist zunächst, wie das Wort schon sagt, eine Negation und ein Ismus, wie andere Ismen auch, die zu Schismen führen. Wie sozialrevolutionär, militant und untergründig13 die Praxis der Kritik ausfällt, ist unterschiedlich. Der Anarchismus ist eine weltweit verzweigte Bewegung, in die sich mannigfache Zwänge und Dogmen aller Couleur einschleichen,14 was bedenklich ist. Eine befreite Meinungsäußerung erfolgt mit Bedacht, aber bedenkenlos: Sag, was auf der Seele15 brennt, als wär’s der letzte Moment.

2. Diffamierung und Zweifel

Anarchie kennen die meisten nur aus der Fresse16 – meist im Zusammenhang mit Chaos – als Beschreibung für die Gesetzlosigkeit des Kampfes Aller gegen Alle, die nur durch den Rechtsstaat, sprich „Demokratie“, behoben werden kann. Mit „Demokratie“ ist genau der Kapitalismus gemeint, dessen Konkurrenzprinzip der Kampf Aller gegen Alle ist, und zwar zum Vorteil herrschender Eliten. Tja, was soll man dazu sagen? Fakt ist, daß die Verschwörung der Regierten gegen sich selber real ist. Es mangelt generell an Gerechtigkeitssinn und tätiger Empörung. Und gegen Chaos, Gewusel und Wuling ist nichts einzuwenden, dazu haben wir ohnehin zu wenig Durchblick.

Andere kennen „die Anarchie“ aus dem Studium der Klassikerinnen und aus hehren Traktaten, um diese Adepten geht es hier nicht; sie maßen sich ohnehin nicht an, Bescheid zu wissen, kennen sich dafür mit Scheitern aus. Die anarchistischen „Theoretiker“ sind zunächst Schriftsteller, die Primärliteratur17 schreiben und sich mehr oder weniger sozial, kulturell und antipolitisch engagieren. Sie motivieren uns, Autoritäten zu negieren und Experten in Frage stellen, denn bei einer befreienden Entfaltung stören die Konsorten der Kohorten doch sehr. Wir leben auf der Erde – dieser vorerst einzigen Welt – in einer Blase, um uns Abgrund, Chaos. Da geht’s lang. Augenblicklich gilt der Kampf dem Futilitarismus.

3. Markt und Witz

Als „anarchisch“ wird gemeinhin im bürgerlichen Feuilleton ein künstlerischer Ausdruck bezeichnet, der schwer klassifizierbar ist, irgendwie provokant, aber das Potential hat, frischen Wind in den Betrieb zu bringen. Nach der Ausschlachtung läßt das „Anarchische“ nach, und ergibt sich weiterer Kommerzialisierung. Das Feuilleton jedoch ist passé, es beinhaltet keine Kultur, sondern Streiflichter des Kunst- und Büchermarkts, die in ein paar Jahren erloschen sind. In Zeitungen steht Schnee von gestern. Das betrifft schnelle digitale Medien genauso, die Redakteure wollen ihren Schnitt machen, scheuen den Entwurf ins Ungewisse, um nicht zu sagen, ins „Anarchische“.

Das Feuilleton besteht aus Werbung für Neuerscheinungen, dem Abfeiern von merkantil relevanten Jahrestagen und Nachrufen. Ein in Ansätzen existierendes linkes, also irgendwie wenigstens halbwegs antikapitalistisch gesonnenes, Feuilleton plappert den Scheiß nach, manchmal „kühn“ um die Ecke interpretiert. Auch linksradikale und antiautoritäre Organe unterscheiden sich nicht groß; gerade sie könnten darstellen, daß ein widerständiges, wenigstens „anarchisches“, künstlerisches Potential existiert. Aber sie trauen sich nicht; sie könnten sich zwischen Stühle setzen, eventuell diese oder jenen verletzen.

Das Privateigentum anzugreifen, ist erst mal eine anarchische Tat, die Frage ist, was man mit der Beute anfängt. Störtebeker hätte den Scheiß gleichgeteilt, Eulenspiegel entweder unter den Nagel gerissen oder weggeschmissen. Wer auf Copyright besteht oder auf Patente erpicht ist, verhält sich „systemrelevant“ und ist für die Anarchie verloren. Aber wir sind alle von gestern – und haben keine Zukunft, außer der Gegenwart, die wir verbraten, ausnutzen, gestalten. Morgen wird’s nichts geben, schon gar nicht geschenkt; lieber den Hals verrenkt, als den Rücken der Wirtschaft gebeugt. Der Neokolonialismus der Alternativlosigkeit (oder umgekehrt) schlägt zwar aufs Gemüt, motiviert aber auch.

Über das anarchische Zusammenleben indigener Völker, deren Gesellschaftsmodelle Ethnologen und Soziologen so gerne beschreiben, wissen wir herzlich wenig. Oft sind die beobachteten „Subjekte“ bereits durch „Zivilisation“ korrumpiert, und die zivilisierten Beobachter korrupt.18 Sicherer ist es, bei sich selber anzufangen, um das „Anarchische allzu Menschliche“ unter all dem medialen Zuschiß auszugraben und zu revidieren, um es zu aktivieren. Es geht darum, Produktion und Konsum zu befreien, Zwischenmenschlichkeit zu erwerben und künstlerischen Ausdruck anzueignen – um gemein unter Gesellen zu sein. Ohne dabei den Humor zu verlieren, und einen neuen zu kreieren, denn in Zukunft werden wir anders lachen. Wissen ist Witz: Jäh ist der Nu, und zäh die Kuh.

Im letzten Moment die klare Kante …

Nicht nur das Sein an sich,/ sondern das Sein überhaupt,/ ist sowohl eine Frage der Betrachtung/ als auch der Mißachtung nach Belieben./ Faule Existenz empört sich/ und schlägt schnöde Realität:/ Sag, was auf der Seele brennt,/ als wär’s der letzte Moment./ Nichtexistenz ist genauso/ gravierend wie ein Dasein,/ das von „Wissenschaftlern“ bezeugt wird,/ die mehr als weniger schuldige Gaffer sind./ Raue Existenz empört sich/ und schrubbt glatte Realität:/ Sag, was auf der Seele brennt,/ als wär’s der letzte Moment./ Die Natur ist ebenso beherzt,/ wie die Zivilisation seelenlos,/ die keine Ausstrahlung für Körper hat,/ die Wellen senden, die sich verbinden./ Rüde Existenz empört sich/ und schluckt schnieke Realität:/ Sag, was auf der Seele brennt,/ als wär’s der letzte Moment./ Nur auf dem letzten Loch/ sehen wir endlich durch. Tja,/ ist sowohl eine Frage der Betrachtung/ als auch der Mißachtung nach Belieben./ Pralle Existenz empört sich/ und strafft schroffe Realität:/ Sag, was auf der Seele brennt,/ als wär’s der letzte Moment./ Wir wissen um unsere Potenzen,/ aber uns fehlen die Mantissen …

vorerst. Vorwärts Empor Abwärts!

Wir stehen auf den Ruinen einer – hoffentlich letzten – „Zivilisation“, die auf dem Wahn basiert, daß es „Unzivilisierte“ gibt; Menschen, die sich nicht dem Dogma des sogenannten industriellen Fortschritts durch zunehmende technologische Revolutionen unterwerfen.19 Für diese Menschen und viele andere Lebewesen allerdings ist die sogenannte Zivilisation ein Trümmerfeld. Betonschluchten, Asphaltstraßen, Pipelines, Plastikabfall und Elektroschrott sind – für einige Zeit im globalen Maßstab – Sondermüll; Stockrüttler und Eierschneider hingegen Vermeider, oder? Wer sich arrogant aufschwingt und Sanktionspakete schnürt, ist schuld und stirbt eher früher als später – meinetwegen als effizienzoptimierte transhumanistische Menschmaschine.

Gerechtigkeit steigt aus dem Zorn der Unterdrückten, die sich kraft ihrer Wassersuppe ehrlich machen und Gleichheit walten lassen wollen. Das kapitalistische Wachstumsmodell hat seine Grenzen erreicht, jetzt herrscht Kanzelkultur. Knappe Ressourcen werden von unten nach oben verteilt, die Meritokraten der Ellenbogengesellschaft frönen dem fröhlichen Postenergattern. Die Außenstehenden pflegen entwaffnende Bescheidenheit, und zwar militant, notfalls selbstgebastelt.

Sten gun

Der Glücklichste stirbt am ehesten,/ der Klügste scheißt auf falsche Gesten,/ der Superlative bleibt bei seinen Leisten20,/ schustert seine Knarre selber,/ wenn Gegengewalt es gebietet:/ Widerstand ist mehr als Erwartung./ Hoffnungen sind mit Freiheiten zu entsorgen;/ aufwiegelnd schwerem Gerät entgegenzutreten,/ gebieten Selbstbehauptung und Befreiungskampf.

Mittlerweile ist der Ukraine-Konflikt eskaliert. Kein Krieg „bricht aus“, sondern wird aus staatspolitischen Interessen vorbereitet, durchgezogen und verloren. „Sieger“ ist vordergründig irgendein Staat (oder mehrere), „Gewinner“ der profitorientierter militärisch-industrieller Komplex und die ihm untergeordneten politischen Eliten, „Helden“ sind die Gefallenen, also die aus irgendwelchen irrationalen – zumeist nationalistischen und/oder (oft vorgeschobenen) ideologischen bzw. religiösen – Gründen Ermordeten. In Kriegen kommt niemand um, sondern wird ermordet; das gilt ebenso für sog. „Kollateralschäden“, Insassen von Konzentrationslagern und sonstigen Gefängnissen, sowie die alltäglichen Opfer des kapitalistischen Konkurrenzkampfes in sog. friedlichen Zeiten. Auch in Befreiungskriegen werden Feinde ermordet, ebenso bei „humanitären Einsätzen“, „speziellen Militäroperationen“ oder gar „gezielten Tötungen“ angezählter Übeltäter. – Im Nachhinein, wenn sich das politische Blatt mal wieder gewendet hat, werden allerdings oft auch die „Verlierer“ zu „Helden“. Störtebeker ist und bleibt ein Held, weil er den berechtigten Kampf für soziale Gleichheit gegen einen übermächtigen Feind, das kapitalistische Pfeffersackgesocks, verlor. Außer Befreiungskämpfen sind alle Kriege Verbrechen. Aus Befreiungskriegen kehren Veteranen zurück, die genauso soziopathisch sind, wie ihre Kameraden aus den Angriffskriegen. Morden ist nicht gesund, auch nicht für beherzte Gegengewalttätige. Nicht „Krieg dem Kriege“ sollte es heißen, sondern „Kampf dem Krieg“, bis zum letzten. Aber ob das einen Unterschied macht …

Deutschland war der Paradeverlierer des 20. Jahrhunderts und ist heute ein „Gewinner der Geschichte“ – aus durchsichtigen politischen Gründen. Jedoch kann man die Bevölkerung eines Landes nicht auf ihr Land, ihre Nation, ihren Staat reduzieren. Im Widerstand gegen Monarchismus, Imperialismus, Faschismus, Militarismus und Revanchismus, Chauvinismus, Nationalismus und Etatismus gab und gibt es Helden. Die sog. „Gewinner der Geschichte“ sind vorübergehende Sieger im Sinne einer indoktrinären Geschichtsschreibung, deren Irrationalität auf jeder Seite steht, die weggeblättert werden wird.

Die Militaristinnen ACAB (Annalena Charlotte Alma Baerbock) und MASZ (Marie-Agnes Strack-Zimmermann) kämpfen gegen „Kriegsmüdigkeit“21 und für ein „Feindbild“22. Ja, „laßt uns dieses Europa gemeinsam verenden“23! Als eingeschworener Antieuropäer und Undeutscher bin ganz ihrer Meinung; die sinnlosen Halbinseln an Eurasien müssen „verendet“ werden, die südliche noch dazu völlig übervölkert, was sich leicht beheben ließe, in Skandinavien ist viel Platz unter den Mückenschwärmen. Natürlich gibt es noch mehr alte weiße Männer unter Europas mehr oder weniger jungen Politikerinnen und Propagandistinnen, aber ich habe keine Lust, mich in diesen medialen politischen Abgrund zu versenken … ohne vorher noch der aktuellen Bundesministerin der Verteidigung Christine Lambrecht eine Anagrammskizze mit auf den Karriereweg zu geben:

Als die Blechamtsrichterin mit dem Meilenschritt brach,/ durch Milchtrichterbasen wie eine Schmeichlerin trabt,/ und mit blanchiertem Strich jede Eilnachricht bremst,/ war klar, daß sie nur bitterlichen Ramsch propagiert/ und als Schirmrechtebaltin mit Schmaltieren bricht.

Crass und Konsorten wie meinesgleichen könnten hinzufügen: „Steißgeburt einer unbefleckten Empfängnis, aufgepäppelt mit Dosenkohl, der ich einen Heldentod wünsche, am besten durch Drohnenschlag.“ Oder ähnliches. Warum hat der Krieg neuerdings auch ein weibliches Gesicht? – Ursula von der Leyen, ACAB, MASZ, Katrin Göring-Eckardt, „Annegret Kramp-Karrenbauer, Marieluise Beck, Florence Gaub, Ulrike Herrmann, Serap Güler, Agnieszka Brugger, Ronja Kempin“24, Mary Elizabeth „Liz“ Truss (MELT)25. – In den sog. alternativen, oft schlampig edierten, Medien ist nach ACABs Warnung vor der „Kriegsmüdigkeit“ eine Glosse von Karl Kraus verbreitet worden, auf die die Rechercheure wohl gestoßen sind, als sie in der Fackel nach „Ukraine“ gesucht haben. In der Fackel Nr. 474-483 vom Mai 1918 geht es immer mal wieder um den Krieg in der Ukraine, und speziell auch um die Getreidelieferungen, die heute wieder Thema sind. Parallelen zu heute sind unverkennbar, schlagt selber nach.26 Im folgenden Karl Kraus’ Glosse zur Kriegsmüdigkeit vollständig, und im Originalwortlaut:

Kriegsmüde – das ist das dümmste von allen Worten, die die Zeit hat. Kriegsmüde sein[,] das heißt müde sein des Mordes, müde des Raubes, müde der Lüge, müde der Dummheit, müde des Hungers, müde der Krankheit, müde des Schmutzes, müde des Chaos. War man je zu all dem frisch und munter? So wäre Kriegsmüdigkeit wahrscheinlich ein Zustand, der keine Rettung verdient. Kriegsmüde hat man immer zu sein, das heißt nicht nachdem, sondern ehe man den Krieg begonnen hat. Aus Kriegsmüdigkeit werde der Krieg nicht beendet, sondern unterlassen. Staaten, die im vierten Jahr der Kriegführung kriegsmüde sind, haben nichts besseres verdient als – durchhalten!“27

1 Hier der Originaltext aus der Süddeutschen Zeitung vom 15. 11. 2018: „Bundeswehr-Helfer / Alleingelassen / Die Bundeswehr darf ihre afghanischen ‚Ortskräfte‘, die oft als Dolmetscher arbeiten, nicht im Stich lassen. / Von Bernd Kastner / Soldaten, die Deutschland ins Ausland schickt, kämpfen nicht nur für mehr Sicherheit. Sie sind zugleich Botschafter der Demokratie, zum Beispiel in Afghanistan. An ihrer Seite arbeiten Hunderte Einheimische, vorwiegend fürs Verteidigungsministerium. Die ‚Ortskräfte‘ sind Dolmetscher, sie übersetzen Sprache und Kultur, in beide Richtungen. Ohne sie wäre die deutsche Mission noch viel gefährlicher. / Die afghanischen Diener des deutschen Staates gehen oft ein großes Risiko ein, weil die Taliban sie wegen ihres Engagements für eine Demokratie bedrohen. Sie bitten deshalb um Hilfe. Ihr Arbeitgeber aber, die Bundesrepublik, lässt sie zunehmend allein, er verweigert die Aufnahme in Deutschland. Dass es seit 2017 nur noch drei Schutzzusagen gab, ist wohl kein Zufall. Dahinter steht die Linie einer Koalition, die das Wort Flüchtlingsabwehr groß schreibt, zu groß. / Die Berliner Politik gefährdet nicht nur die Ortskräfte, sondern auch deutsche Soldaten und den Ruf der Demokratie. Die Bundeswehr darf sich nicht wundern, wenn irgendwann kein Einheimischer mehr für sie arbeiten will. Und wenn sich schon ein Rechtsstaat nicht angemessen um seine Mitarbeiter kümmert, wie glaubwürdig können deutsche Soldaten erklären, dass sich der Einsatz für die Demokratie lohnt?“ (Quelle hier)

2 Die Notizen für eine zweite Strophe lauten: „An ihrer Seite arbeiten Hunderte [e]inheimische [Schafzüchter] … / [e]inheimische [Schafzüchter] vorwiegend fürs Verteidigungsministerium. / Die ,Ortskräfteʻ sind Dolmetscher, sie übersetzen Sprache und Kultur, / in beide Richtungen. Ohne sie wäre die deutsche Mission noch viel gefährlicher.“ In einem weiteren Vers, den ich nicht mehr rekonstruieren kann, sollte das „Liebesflehen der deutschen Mannschaften“ irgendeine Rolle spielen.

3 Viele Crass-Texte bestehen aus rassistischen, sexistischen, nationalistischen usw. Beschimpfungen, die man heut so nicht mehr artikulieren dürfte, nicht mal mehr aus satirischen Motiven. – Wie heute mit einem künstlerischen Produkt provozieren? Ins Internet stellen, verboten werden, abgeschaltet werden, und dann? Monieren? Überlegen, wie teuer die Pressung einer Flexi wäre. Recherchieren … die Preßwerke sind auf Jahre ausgebucht. Und: Wer hat heut noch einen Plattenspieler? – Der Afghane dampft entweder, oder qualmt.

4 Kraftausdruck tiefer Abneigung; hat nur bedingt mit der Politikerin gleichen Namens zu tun, mit deren Machenschaften ich mich hier nicht auch noch auseinandersetzen kann, ebenso wenig wie mit Seitenbacher- Pfannenschwarz.

5 Tja, die „Seele“ eines Dichters erscheint klarer in den Nachdichtungen als den eigenen Dichtungen. Machwerk vertuscht.

6 Verweis auf den Song If I Had a Rocket Launcher von Bruce Cockburn (auf Stealing Fire, True North/Gold Mountain, 1984). – „In 2009, Cockburn performed the song for Canadian troops in Afghanistan; he was subsequently presented (temporarily) with a rocket launcher.“ (Quelle: 7. 11. 2021)

7 Margaret „There Is No Alternative (TINA)“ Thatcher (1925-2013); elendes Miststück, und dennoch eine Frau, die irgendjemand geliebt haben wird … ich möchte nicht wissen, wer, und schon gar nicht, wie.

8 Aus: Crass. Gotcha. „Crass Records 121984/3. Recorded on 27th/28th April 83 at Southern. Personnel as usual. Comes with foldout poster/lyric sheet.“ Im Juli 1983 auf Platz 1 in den UK Independent Charts.

9 Der Crass-Song Yes Sir, I Will (Crass Records 121984-2) bezieht sich auf einen Fernsehnachrichtenbeitrag, in dem Prince Charles dem Falkland-Veteranen Simon Weston, der auch im Gesicht üble Verbrennungen erlitten hatte, ein joviales „Get well soon“ entbot, woraufhin dieser erwiderte: „Yes Sir, I Will.“

10 In: Probleme des anarchistischen Pazifismus, Teil 2: Der Terror.

11 Aus dem „pazifistischen“ Sauflied Swords of a Thousand Men (Eddie Tenpole) von Tenpole Tudor; auf: Eddie, Old Bob, Dick and Gary (Stiff Records, 1981).

12 Der „moderne“ – z. Zt. eher „modernde“ – Anarchismus beginnt mit dem bürgerlichen Autor William Godwin, die Klassiker Bakunin, Kropotkin und Malatesta „entsprangen“ feudalistischen Familienverhältnissen, folgende Klassikerinnen kommen aus kleinbürgerlichen, proletarischen und subproletarischen Zusammenhängen. Zeitgenössische Autoren agieren im Milieu der prekären Überflüssigen (Futilitariat). Berufsrevolutionäre gibt’s nicht mehr, hingegen berufsüberflüssige Aktivisten. Wie sozialrevolutionär, klandestin, „kriminell“ oder „terroristisch“ die Autoren und Aktivistinnen in ihrer „Freizeit“ engagiert waren oder sind, steht auf einem anderen Blatt, das ich hier nicht wenden werde.

13 „Untergrund“ ist ein ambivalenter Begriff, beschreibt aber meiner Meinung nach die Existenz und Wirkung einer antiautoritären Bewegung, die für einen libertären Sozialismus eintritt, einigermaßen angemessen. Die Syndikalisten werden das anders sehen. Aber seien wir mal ehrlich … ja, vor 100 Jahren war es natürlich anders. Erst muß man die Leisten mal haben, um bei ihnen zu bleiben und über die Stränge zu schlagen. – Die Unterhöhlung der Oberflächlichkeit und Seichtheit, die uns permanent multimedial um die Ohren gehauen wird, bringt die Fassade ins Wanken und zum Einsturz.

14 Politische Korrektheit, Genderismus, Identismus (im Gegensatz zum rechten Identitarismus) usw. – Etatismen über Etatismen, bis hin zur Befürwortung eines Impfzwangs … aber mein Körper gehört mir, mit jedem Bier, jeder Zigarette, jedem Joint und ausgefallenem Zahn. Ja, irgendwann sind wir alle mal dran – und sollten darauf gefaßt sein. Wozu haben wir ein Immunsystem? Und unsere Skepsis und Entscheidungsfreude … bis zum vorübergehend letzten Entschluß.

15 „Seele“ ist – zugegeben – ein spukistischer Begriff; wenn Bert Papenfuß (und seine Pseudonyme Sepp Fernstaub usw.) ihn benutzt, bitte immer „Kehle“ mitlesen, denn sie ist der Ort der „Kanalisation ins Darumsonst“, der vom Wissensdurst (und psychoaktiven Substanzen) gespeist wird.

16 Die 2021 inthronisierte Außenministerin des totalitaristischen Deutschlands Annalena Charlotte Alma Baerbock (ACAB) rief am 18. Januar 2022 bei ihren Antrittsbesuch in Minsk (oder war es Dwinsk, oder Pinksk, gar bei den Moskowitern selber?) die „Fressefreiheit“ aus, wohl um die freie Presse der westlichen Wertegemeinschaft vor weiteren Repressalien durch Fake-Schleudern zu schützen. Eigentlich sollten „Young Global Leaders“ wie ACAB eine logopädische Schulung absolviert haben, aber Machtgeilheit schlägt eben manchmal doch auf die Zunge und läßt freudianisch wat kieken, das sich in diesem Falle wohl auch auf das Vermummungsgebot bezieht.

17 Im Augenblick ist es „leider“ so, daß diese Literatur im Akademischen versackt, bevor sie auf der Straße – und in den Städten, Dörfern, Feldern, Wäldern und Wüsten – ausagiert und revidiert wurde. Das Wort „leider“ geht mir so schwer über die Zunge, wie ACAB die „Pressefreiheit“. „Leider“ ist eine (vergebliche) Entschuldigung für jeden Scheiß: Opportunismus, Einsicht in die Notwendigkeit, Feigheit – Entschuldigung, ich meine natürlich Mutlosigkeit –, Militarismus, Vernichtung. – „Leider sind Neider Meider.“ (Die vier Wörter sind beliebig umstellbar.) Wir leben in einer Kanzelkultur, der es darum geht, Kursabweichler anzuscheißen und auszubooten. Dieses tief verinnerlichte Konkurrenzprinzip waltet links und rechts in allen Klassen.

18 Dennoch kann es in unseren normopathischen Zeiten nicht schaden, einen ethnologischen Blick auf uns selber zu werfen. Narzissmus ist mit einigem Abstand durchschaubar, wenn man nicht gerade Entfremdung, Unterdrückung und Ausbeutung akzeptiert, um seine Ruhe zu haben – und sich gemächlich hochzukanzeln.

19 Hier die aktuelle Kriegserklärung des EU-Außenbeauftragen und „Obergärtners“ Josep Borrell an den Rest der Welt, den „Dschungel“: “Europe is a garden. We have built a garden. Everything works. It is the best combination of political freedom, economic prosperity and social cohesion that the humankind has been able to build – the three things together. […] The rest of the world […] is not exactly a garden. Most of the rest of the world is a jungle, and the jungle could invade the garden. The gardeners should take care of it, but they will not protect the garden by building walls. A nice small garden surrounded by high walls in order to prevent the jungle from coming in is not going to be a solution. Because the jungle has a strong growth capacity, and the wall will never be high enough in order to protect the garden. The gardeners have to go to the jungle. Europeans have to be much more engaged with the rest of the world. Otherwise, the rest of the world will invade us…” (Aus einer Rede von Josep Borrell in der Europäisch-Diplomatischen Akademie in Brügge, 13. 10. 2022.)

20 Frei nach: „Wisest is he who has fewest expectations, and happiest who dies young.“ Zitiert nach: Fredy Perlman. Against His-tory, Against Leviathan! Black & Red, Detroit, 1983, S. 91. Perlman wiederum zitiert frei nach Menander.

21 Ende Mai 2022 tagte der Ostseerat der Anrainerstaaten, diesmal unter Ausschluß Russlands, sicherheitshalber an der Nordsee, im norwegischen Kristiansand, dessen Kneipen ich sehr geschätzt habe, als man dort noch rauchen durfte. Der Spiegel berichtet über ACABs Auftritt: „Die demokratischen Staaten müssten dafür sorgen, dass man keinen ‚Moment der Fatigue‘ erreiche, sagt sie auf Englisch. Ein Punkt, an dem in europäischen Gesellschaften erklärt werde, ‚nun dauert der Krieg schon seit Monaten, lasst uns zu anderen Themen übergehen‘.“ (spiegel.de/politik/deutschland/annalena-baerbock-auf-ostsee-konferenz-urlaubsziel-als-sicherheitszone-a-863cca46-99dd-4b13-a6e5-6e920c982c43, 1. 6. 2022)

22 Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, in einem Interview mit Eva Quadbeck (rnd.de/politik/strack-zimmermann-zur-neuausrichtung-der-bundeswehr-wir-brauchen-ein-feindbild-64c33020-d0ef-4bbe-a2a2-fb92c0ab3a5b.html, 1. 6. 2022): „ … das mag jetzt martialisch klingen, sie [die Politiker] brauchen auch, um aus der Sicht der Bundeswehr zu agieren, ein Feindbild, und wir haben in den letzten Jahren der Appeasement-Politik Russland nicht mehr als ein solches empfunden. Jetzt wissen wir, wie ein Feind aussehen könnte, in diesem Fall aussieht, und deswegen muss auch die NATO angepasst werden, an das Thema China, was passiert mit dem Iran, wie gehen wir weiter mit Russland um? Das heißt, sie brauchen das Bild eines möglichen Feindes, der unsere Freiheit und Demokratie beseitigen will.“

23 Aus einer Ansprache von ACAB nach Prognose und ersten Hochrechnungen zu irgendeiner Wahl, die niemand hatte, am 26. 5. 2019 (youtube.com, 1. 6. 2022).

24 Nach: Ulrike Baureithel. Toll, dieser Panzerfeminismus! (freitag.de/autoren/ulrike-baureithel/wieso-sind-so-viele-frauen-begeistert-von-aufruestung-militaer-und-heldentod, 11. 5. 2022)

25 Mittlerweile staatseidank dahingeschmolzen.

26 https://fackel.oeaw.ac.at/

27 In: Die Fackel, Nr. 474-483, Mai 1918, S. 153.