Nummer 39 Hanna Mittelstädt bombardiert die vororte des schlafs

Auszüge aus “Arbeitet nie!”, der “Verlagsbiografie” der Edition Nautilus, Hamburg

Ja, wir waren immer am Rande
Lutz Schulenburg im Interview mit Jan Bandel,
veröffentlicht unter dem Titel “Fantasie und Aufklärung” in Kultur & Gespenster 3, 2007

Passenderweise hatte ich mein weites, luftiges, blaugemustertes überlanges Hippiehemd an, als ich im Sommer 2017 zu einer Vernissage am Elbufer abgeholt wurde: in einem orange lackierten, komplett elektronikfreien VW-Bus, Baujahr frühe Achtziger! Er kam immer noch gerade so durch den TÜV, und seit er einmal gestohlen, auf dem nächsten Parkplatz von den Dieben aber wieder stehengelassen wurde, weil er ihnen offenbar doch zu primitiv war, fungierte ein improvisierter roter Kippschalter als Anlasser, und etliche Kabel hingen vorn aus dem Armaturenbrett. In Unbesandten, das seinem Namen zum Trotz heutzutage zwischen den Elbbuhnen ganz ordentlich besandet ist und etwa auf halber Strecke zwischen Hamburg und Magdeburg liegt, wurde eine Kunstausstellung zum Thema Un/Heimat eröffnet: Es ging um die NSU-Morde, die unwirtlichen Unterkünfte der Geflüchteten, die Geschichte dieses winzigen Ortes im hochgesicherten Grenzgebiet der DDR … Gibt es eine Heimat als offenen, dynamischen Ort? Ist Heimat immer Gewalt? Ist sie da, wo man sich aufhängt, wie unser ehemaliger Autor Franz Dobler formulierte? Muss man in jeder Lebenslage besser aus ihr fliehen? Sie verlassen? Hinter sich lassen? Das “Eigene” und das “Fremde”, wie geht das zusammen? Zu diesen Fragen gab es in einer renovierten Scheune aufgehängte Bilder, ausgestellte Objekte und gesprochene Texte. Olaf Arndt und seine Freundin Janneke Schönenbach hatten die Ausstellung organisiert, wir hatten eine Zeitlang verlegerisch zusammengearbeitet.

Abends schichteten sich die Farben des Himmels sanft und transparent übereinander: graublau – rosa – hellblau. Stahlblau und still lag die Elbe wie unter einer Folie, aber die Fließgeschwindigkeit ist erheblich. Ich hatte mittags kurz im braunen Brackwasser einer Bucht gebadet und mich, als ich die Strömung spürte, schnell wieder in den Schutz der Buhnen zurückgezogen. Nach dem großen gemeinsamen Essen mit fünfzig Personen lief ich am Elbdeich längs, der Mond war als filigrane schmale Sichel zu sehen. Ich wünschte, ich wäre so schmal und aus Stahl und könnte schneidend und unangefochten die wilden Mückenschwärme durchwandern, die hier am Deich aufflogen. Auf der Landseite des Deichs beleuchtete ein roter Lichtstreifen unterhalb der Alleebäume die ein paar Kilometer weiter erkennbaren Dünen der Endmoräne, Relikte aus der Zeit, als die Elbe noch das Urstromtal der Gletscherschmelze bildete.

In einen VW-Bus einsteigen, durch die sommerliche Landschaft fahren, das erhebliche Motorengeräusch mit endlosen Geschichten übertönen, bei Freunden ankommen, ausreichend Platz, ein schöner Ort, Frieden, in der kleinen Glasveranda zum Garten hinaus ein Bett für mich … Diese Art Leben kam immer zu kurz. Da war ein anderer Plan, die Revolution, oder erstmal auf dem Weg dahin die internationalen anarchistischen und post-situationistischen Genossen (und wenigen Genossinnen) kontaktieren, die Genossinnen und Genossen deutscher Sprache mit geschichtlichem Material und Anregungen für kluge Aktionen versorgen, und später, als wir uns entschlossen hatten, vom Verlag zu leben, kehrte die ökonomische Vernunft ein, die Zeitrationalität, ein nicht unerheblicher Druck, gemischt mit dem Ehrgeiz, es zu schaffen.

So viele Jahre lang war ich die Fahrerin zwar keines Busses, aber zunächst eines orangefarbenen VW-Käfer, später eines orangefarbenen Lada-Kombi. Fast nie war ich Beifahrerin und wäre es doch gern öfter gewesen. Im Sommer fuhren Lutz und ich nach Südfrankreich, Pierre und seine Freundin oder Pierres alte Kommune besuchen. Die Hitze, die ländliche Langsamkeit, die Fliegen mit ihrem betörenden Brummen, der Garten, Gemüse wässern, Gemüse ernten, Gemüse zubereiten, nachts aufs Melonenfeld und ein paar der besten Melonen der Welt, melons de Cavaillon, klauen und mit etwas grobem Meersalz oder, wenn es die gemeinsame Kasse hergab, mit ein paar Scheiben getrocknetem Schinken als Entrée verspeisen. Paté de campagne, Kaninchen in Rotwein, Lamm mit Knoblauch und Thymian, Auberginen in Zitronensaft eingelegt … Hier lernten wir kochen und das Essen als Zeremonie genießen. Danach in der größten Hitze und leicht vom Wein benebelt Siesta halten, und gemäßigtes Arbeiten: vormittags und nachmittags je zwei bis drei Stunden übersetzen, Projekte diskutieren, palavern.

Wir lernten auch, dass die Revolution und das alltägliche Leben zusammengehören, dass das eine ohne das andere sinnlos ist. In der Sonne des Südens machten wir Pause von den polit-aktivistischen Verwicklungen, in die sich insbesondere Lutz gestürzt hatte. Wir konnten hier mit Pierre debattieren, lernen, entdecken, was alles für die großen Umwälzungen, auf die wir aus waren, von Bedeutung war. So kamen die gesamten Ausgaben der Zeitschrift Internationale Situationniste ins Deutsche, von Pierre und mir Seite für Seite übersetzt, von den anwesenden Genossen kommentiert und diskutiert, die Reiseschreibmaschine bei gutem Wetter auf einem Holztisch im Garten, sonst auf einem großen Tisch in einem der bescheidenen, mit Plakaten aus dem Mai 68 geschmückten Innenräume.

Eine andere Stadt für ein anderes Leben
Situationistische Parole, 1959

Ich sitze draußen bei einem Nachbarschaftsitaliener und warte auf eine Verabredung. Am Nebentisch: Die Frauen trinken Bier, die Männer Weißweinschorle, die Frauen essen prächtige Pasta, die Männer halten Diät mit sommerlichem Salat. Auch heute hier an der Kreuzung in St.Pauli-Nord wieder hartes Cornern. Zwei Gestalten haben sich am Bordstein hockend mit sechs Flaschen Bier, ihren Rucksäcken, Kippen und einer Zeitung auf der Straße ausgebreitet. Hier wird heute Abend kein Auto parken! Der LKW, Abhol- und Lieferservice für Getränke, muss schwer rangieren, um an den ausgestreckten Beinen vorbeizukommen.

Der G20-Gipfel in Hamburg ist vorbei, eine sommerliche Lässigkeit ist ins Viertel zurückgekehrt. Die pinkfarbenen Foodora-Boxen auf dem Rücken der Fahrradfahrer sind wieder zur Essensauslieferung da, werden nicht mehr als Täuschungsaccessoire für ein besseres Durchkommen an den Polizeisperren eingesetzt. Sirenen deuten auf Unfallwagen hin, nicht auf die massenhafte Verschubung von Polizeiwannen. Kein Hubschrauber mehr über der Stadt.

Ich hatte mich während der Gipfeltage im Juli 2017 immer wieder in die Innenstadt begeben und war in all die kontrollierten Gebiete mit den Sperrkorridoren und Sperrzonen der verschiedenen Farbabstufungen (entsprechend dem Gefahrenpotenzial bzw. der Sicherheitsstufe für die Staatsgäste) gelangt. Ich hatte auf dem Arrivati-Platz an der Kreuzung zwischen dem Schanzenviertel und St.Pauli Pause gemacht, auf dem zivile Utopien für eine freie Stadt der Zukunft ausbaldowert wurden, wo über dem DJ-Pult “Deeskalationscenter” auf ein Banner gesprayt war, oder im Gängeviertel, der Gipfelgegner-Oase. Ich war wie Alexander Kluges “Patriotin” in die Schlachtfelder der Geschichte zwischen die beiden Schwarzen Blöcke geraten (den staatlichen und den ungleich kleineren, aber hochgradig motivierten anti-staatlichen), allerdings nicht in Schwarz-Weiß und auf der Leinwand, sondern in echt und Farbe (gelber Rock, grünes T-Shirt). Die berühmte Welcome-to-Hell-Demo hatte ihren gefährlichen Schlagabtausch auf der Hafenstraße, einer engen Schneise zwischen der Hafenrandpromenade neben und drei Meter oberhalb der Straße und der Häuserbebauung. Ein ausgesprochen brutaler Polizeieinsatz, der sich darauf gründete, dass von den etwa 10.000 Demonstrant*innen ca. 5 Personen in der Frontlinie des Schwarzen Antifa-Blocks ihre Vermummung nicht abgenommen hatten, denn maskiertes Demonstrieren war damals verboten.

Später kam durch die Nachforschungen eines Untersuchungsausschusses heraus, dass etliche von den Demonstranten vorn am Demokopf, die sich geweigert hatten, die Vermummung abzunehmen, Polizeispitzel waren, wir wir früher sagten. Heute heißen sie Verdeckte Ermittler.

Jeden Abend Schlachten mit der Polizei, die aus ganz Deutschland zusammengezogen war, immer wieder den Scherben nach, den brennenden Müllcontainern, den demontierten Bauzäunen und blockierten Straßen, den eingeschlagenen Schaufensterscheiben, diese Kulisse für die staatliche Machtdemonstration, das absurde und blutige Theater, der Wahn des Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz, hier mitten in der Stadt voller Menschen den Hochsicherheitsbereich für die weltweite Funktionselite zu implantieren.

Die “Zivilgesellschaft” wehrte sich mannigfaltig: Wir erlebten spontane, überraschende, schnelle und flüchtige Freiheitsmomente, am Arrivati-Platz wurde das riesengroße Transparent “Die freie Stadt der Zukunft gehört keiner Nation an” aufgestellt, übrigens ein Zitat aus einem bei uns verlegten Buch (Niels Boeing, Von Wegen. Überlegungen zur freien Stadt der Zukunft).

Die Lust am Durchstreifen der Stadt, ob im Ausnahmezustand oder nicht, in der bei sommerlichen Temperaturen bis in die späten Nachtstunden überall Menschen unterwegs waren, die guckten, redeten, herumsaßen, cornerten, bassten, Musik hörten, Bier tranken und insgesamt und diffus oder auch mit konkreten Ideen an der freien Stadt der Zukunft bastelten, ist für mich persönlich mit den Übersetzungen der situationistischen Texte entstanden, mit dem Kosmos, der sich damals, 1972, für uns erschloss: Unsere politisch-philosophisch-künstlerische Sozialisation ging durch das Nadelöhr der situationistischen Erfahrungen und Dokumente. Hier musste alles durch, was wir erlebten, was uns nahe kam. Das war der Prüfstein und gleichzeitig der Schleifstein.

das glück war da das risiko / der überfluss der traum
und seine wirklichkeiten schwarze blüten von neuem

Pierre Gallissaires, Die Straßen, die Mauern, die Commune, MaD Flugschrift Nr. 10, 1975

Pierre, Lutz und ich hatten uns im Versammlungslokal der Hamburger Anarchisten 1972 kennen gelernt, ein schwarz gestrichener Kellerraum unterhalb eines griechischen Lokals in der Karolinenstraße Ecke Marktstraße. Die zumeist jungen Menschen, auch hier viele junge Männer, wenige junge Frauen, waren Verweigerer, Suchende … Es herrschte eine diffuse Stimmung zwischen Rausch und Verzweiflung, enthusiastischer politischer Diskussion, es gab Posen der Bewaffnung, Posen der Scheißegal-Haltung. Auch hier wurde nach dem Glück gesucht, auch nach der Wahrheit, nach Solidarität und Freiheit.

Ein indischer Anarchist kochte hin und wieder in seiner bescheidenen Sozialwohnung große Mengen Reis mit Gemüse für die Genossinnen und Genossen und erzählte von anarchistischen Traditionen in Indien. Leider ging der Kontakt zu ihm bald verloren, vielleicht war ihm die militante Radikalisierung der zumeist männlichen Genossen aus dem Anarchokeller zu fremd. Aber in seiner Küche traf ich erstmals Lutz. Er war mir wie ein Mythos angekündigt worden: Heute kommt ein echter Proletarier … Da saß er dann auf dem Kühlschrank, in schwarzer Kordhose und rotem Rollkragenpullover aus Wolle, dünn, lang, energiegeladen, gestenreich und provokativ diskutierend, die schwarzen glatten und kräftigen Haare schulterlang mit Pony neben dem Seitenscheitel (seine lebenslange Frisur), eine feine Goldrandbrille (die er ebenfalls so gut wie lebenslang beibehielt): So begann dieses starke Energiefeld zwischen uns beiden, eine spontane und heftige Anziehung, die viele Erschütterungen überstand.

Mit Pierre zusammen bildeten wir in diesem schon relativ kleinen anarchistischen Kreis eine besondere Zelle, die Theoretiker, könnte man sagen, diejenigen, die die Geschichte genauer kennenlernen wollten, bevor sie Aktionen starteten oder es lieber ließen. Wir verlegten schon bald unseren Schwerpunkt aus den anarchistischen Kreisen und starteten etwa 1974 unser eigenes kollektives Experiment und nannten uns “Subrealisten”. Das Konzept der offenen anarchistischen Zeitschrift MaD – Materialien, Analysen, Dokumente verwandelten wir 1976 in ein Diskussions- und Reflexionsblatt mit dem Titel Revolte, Organ der Subrealisten.

Ein später auch in der Subrealisten-Bewegung aktiver ganz junger Suchender war Jürgen Otte. Er beschreibt seine Situation in der Aktion 220 (2013):

“Anfang der siebziger Jahre waren die Ausläufer der Wellen des weltweiten 1968 auch in der niedersächsischen Provinz angekommen. In Schüler- und Lehrlingsgruppen, in Initiativen für autonome selbstorganisierte Jugendzentren, in denen wir uns bewegten, fanden sich einige Slogans der Rebellion wieder. An den Gymnasien gab es die ersten ‘linken Lehrer’, im Philosophie- und Geschichtsunterricht wurden Auszüge der Frühschriften von Marx gelesen. Seine Thesen über die Entfremdung hinterließen tiefe Spuren im eigenen Denken. Ein Großvater war Antifaschist, Gewerkschafter und Kommunist gewesen. Er gab mir einiges mit auf den Weg, starb, als ich sechzehn war. Im selben Jahr die erste eigene Tramptour nach Holland, Amsterdam. …

Hier in Amsterdam fanden sich selbstgedruckte Zeitschriften, Broschüren, Pamphlete, die ich so nicht kannte. Fast das Kleinste, was es dort überhaupt gab, fiel mir in die Hände. Zwei Faltblätter mit Parolen des Mai 68 und Thesen zur Selbstorganisation, wenn ich mich recht erinnere. Beides publiziert von Lutz, Hanna und Pierre. Zwei der allerersten Veröffentlichungen dieser drei. Und wie das damals war: Die ganze Welt sollte wissen, hier, das sind wir, das sind unsere Publikationen, das ist unser Beitrag zur sozialen Revolution. Deshalb fanden sich diese winzigen Faltblätter auch in Amsterdam wieder. Nicht viel Text, aber der hatte es in sich. Der brachte zum Ausdruck, wofür die eigenen Worte noch nicht weit genug waren. Die Thesen zur Selbstorganisation fundierten unseren Kampf für ein Jugendhaus. Der Mai 68, die soziale Revolution sollte fortan auch der Bezugspunkt für das werden, was jugendliche Oberschüler in der Provinz erträumten.”

Politisch engagiert?! Das waren die Jusos! Wir waren Revolutionäre!
Lutz im Interview mit Jan Bandel, 2007, s.o.

Als Lutz und ich 1974 nach drei anderen Stationen nach Hamburg-Bergedorf zogen und dort mehr als dreißig Jahre bis Weihnachten 2008 blieben (“Dieses Gerede vom Metropolenleben muss man ja nicht mitmachen”, Lutz 1999), bildeten wir umgehend mit etlichen Genossen einen radikalen Aktions- und Diskussionskern. Dieser Versuch einer “revolutionären Kollektivität” beschäftigte uns bis 1979. Der Kern des Kerns waren Freunde aus Bergedorf, die Lutz seit der Schülerbewegung kannten: u.a. Roberto Ohrt, Günter Meyer. Auch mein Bruder Thomas Mittelstädt stieß dazu, und Klaus Voß, der ab Mitte der achtziger Jahre für die Edition Nautilus Satz und Umbruch gestaltete. Hinzu kamen zumeist, aber nicht ausschließlich männliche Genossen, die wir über Aktivitäten oder durch die Publikationen kennen lernten: aus Hamburg, Hannover, Mannheim, die bei den “Subrealisten” aufgenommen wurden und von denen wir uns nach einer gewissen Zeit wieder trennten, wenn die Konflikte stagnierten. Pierre war zunächst persönlich anwesend, später als Ideengeber im Hintergrund für uns wichtig. Er war auch in den Fragen der zu gestaltenden Kollektivität und ihren Schwierigkeiten ein Einflüsterer … oder Mitspieler …

finde es auch wunderbar, dass wir uns über jede kürze, jeden hast und trubel, jede jeweilige “anhäufung von turbulenz” hinaus immer wieder mal “gegenseitig vehement ins gedächtnis rufen”, immer wieder mal was schaffen und überhaupt – dass unsere schöpferische (dreieckige) beziehung fortbestehen und sich weiterentwickeln kann. (Pierre an mich aus Charmoy, “an welchem denn eigentlich” im Jahr 1978).

Wenn ich jetzt die Korrespondenzen und auch die kollektiven Texte noch einmal lese, ist zunächst augenfällig, wie stark die Situationistische Internationale unser Vorbild war, sowohl ihre theoretisch-analytische Schärfe als auch die Rigorosität der Ansprüche an die Mitglieder. Und: Wie sehr wir uns bemühten, echte Revolutionäre zu sein, d.h. klar in der Beurteilung der gesellschaftlichen Verhältnisse, radikal in der persönlichen und kollektiven Haltung, schonungslos gegenüber anderen, aber auch gegenüber uns selbst. In einigen Ordnern der Marke Korona finde ich einen Großteil der Korrespondenz, unter uns und in die Welt hinein. All den Freundinnen und Freunden, die uns über den Weg gelaufen sind, sind wir in einer intensiven Zeitspanne begegnet, wir haben gemeinsam gesucht, gestritten, geliebt, und das alles unter einem ungeheuren Anspruch auf Kohärenz, einem ungeheuren Druck. Der Findungsprozess bezog sich auf unser gesamtes Leben: auf unsere Emotionen, auf eine uns entsprechende radikale Theorie und Praxis, war gegen jeden Reformismus gerichtet, gegen das Kleine Glück von konventionellen Beziehungen, gegen andere politische Gruppierungen, die der radikalen Kritik nicht standhielten, auch gegen die sogenannten undogmatischen Gruppen (die Spontis), die uns zu unscharf waren und deren informelle Hierarchie wir kritisierten, gegen die Guerillaformation, die das Spiel und die Freiheit nur in einem sehr begrenzten Rahmen zuließ, bevor sich die schweren Tore schlossen oder die Illegalität einen verheizte.

Als Subrealisten veranstalteten wir gemeinsame Treffen, oder hin und wieder “Kongresse” (also größer angelegte, gut vorbereitete Treffen an besonderen Orten), organisierten Aktionen, diskutierten die für die Revolte geschriebenen Texte, und entwarfen gemeinsam eine Grundlage für die neueren Feldzüge der kritisch-praktischen Theorie: Jetzt, ein subrealistisches Manifest, das, der Verlag war ja vorhanden, 1979 in der Edition Nautilus veröffentlicht wurde. Auf dem Cover, weißer Untergrund, schwarzer Aufdruck einer Weltkarte, rote Schmuckfarbe für die Schrift, die programmatischen Zeilen “bye bye, kleines glück / erledigt die synthetische zeit / bombardiert die vororte des schlafs / sprengt die city des traums”. Auf den linken Seiten im Buch versammelten wir Zitate unseres Ideenpools, rechts stand unser eigener Text.

Die Vorrede in einer gewissermaßen im Voraus beanspruchten Großartigkeit: “Im übrigen versichern wir den Lesern dieser Seiten, dass es uns nicht darauf ankommt, mit den Vertretern verschiedener Grade spezialisierter Delirien zu diskutieren in der Art wissenschaftlicher Streitschriften, dem Traktatdienst für subalterne Mitglieder geistiger Zuchtanstalten, noch dass wir liberal Raum für Realitätspathetiker einzuräumen gedenken, sondern dass es uns allein auf das kategorische Urteil ankommt, das es zu fällen gilt, und darauf, dies schleunigst als konzentrierte Gärhilfe in die praktischen Kämpfe einwirken zu lassen …” Und der Klappentext endet mit: “Wie diese revolutionären Perspektiven des Umsturzes heute aussehen und über welche Hilfscorps die spektakuläre Gesellschaft noch verfügt nach den Feldzügen von 1968, alle beunruhigenden Geheimnisse dieser Zeit, die nicht die unsere ist, enthüllt diese Veröffentlichung, die das verschwiegene Programm der langen Revolution ist, die am warmen Morgen des Jahres 1968 begonnen hat und nun auf rauen Wegen durch die Nacht zu den Sternen zieht.”

Immerhin ist klar, dass dieser Ton in der antiautoritären Linken damals ausgesprochen selten war.