Nummer 15 Mathias Bröckers Symbionten statt Parasiten

Blauer Himmel

Als mein Essay Klimalügner-Vom Ende des Kaputtalismus und der Zuvielisation über das „heißeste“ Thema unserer Tage – die Erderhitzung – Mitte März 2020 gerade abgeschlossen war, kam mit dem SARS-CoV-2-Virus ein Ereignis in die Welt, das mit seinen Folgen alles in den Schatten gestellt hat. Ein unsichtbares Wesen, eine winzige biologische Entität, zwingt die zerstörerische globale Maschine des »Kaputtalismus«, wie wir das herrschende Wirtschaftssystem im Untertitel genannt haben, in den Lockdown, den Stillstand, die Quarantäne. Und erstmals seit vielen Jahren zeigen Satellitenbilder über den von der Epidemie am stärksten betroffenen Gebieten –- der Region Wuhan in China und Norditalien in Europa – wieder blauen Himmel.

Zusammenzuarbeiten statt Krieg führen

Wenn SARS-CoV-2, wie die Mehrheit der Virologen meint, auf natürliche Weise entstanden ist und mit diesen Forschungen gar nichts zu tun hat, sind seine Folgen schon schlimm genug, und falls es doch aus einem Biowaffen-Labor entschlüpft sein sollte, wäre es ein Skandal von unfassbarer Dimension – und ein unwiderrufliches Signal, sämtliche Forschungen dieser Art weltweit sofort einzustellen. Gleichzeitig sollte aber das Ausmaß der Wirkung dieses winzigen, unsichtbaren Agenten aus dem Reich der Viren, der den ganzen Planeten in Stillstand und Erstarrung versetzt hat, ernsthaft zu denken geben, mit dieser Supermacht zusammenzuarbeiten, statt zum Krieg aufzurufen, sie kennenzulernen und zu verstehen, statt sie blind zu bekämpfen, auf Stärkung der Immunsysteme zu setzen, statt nur auf die Wunderwaffe Impfung – denn das nächste, neue Virus kommt bestimmt. Corona und die möglichen Gefahren durch Viren zu leugnen, macht deshalb genauso wenig Sinn wie der Glaube, dass eine Impfung das grundsätzliche Problem löst.

Blind für die Wirklichkeit

Kaum eine Debatte wird derzeit emotionaler geführt als die um den Klimawandel. Aktivisten von »Fridays For Future«“ und »„Extinction Rebellion«“ stehen Skeptiker und Leugner gegenüber, die die Gefahren von CO₂ und der Erderwärmung für überschätzt halten oder für nicht einmal vorhanden. Zwar schmilzt Grönland wieder zu Grünland, aber wächst nicht anderswo gerade wieder das Packeis? Und gab es nicht vor 250 Millionen Jahren Unmengen CO₂ in der Atmosphäre und einen rapiden Anstieg der globalen Temperatur und im Mittelalter, wo sie gar nicht hingehört, eine kleine Eiszeit? Und war die Erde nicht schon immer klimatischen Zyklen, Veränderungen der kosmischen Strahlung und des Sonnenmagnetfelds ausgesetzt, die dann zu Dürreperioden, Hitzewellen oder Überflutungen führten? Und wenn nachgewiesenermaßen simpler Wasserdampf zu 80 Prozent für den Treibhauseffekt verantwortlich ist, wie können da Stoffe wie CO₂ oder Methan, die nicht einmal ein Prozent der Atmosphäre ausmachen, eine entscheidende Rolle spielen? Und wenn die Klimaforscher an ihren Kurven, die menschengemachte CO₂-Emissionen als Ursache für den Temperaturanstieg aufzeigen, ein wenig herumgeschraubt haben, ist das nicht ein Beweis, dass diese Klimamodelle falsch sein müssen? Werden wir nicht nach Strich und Faden verschaukelt von Wissenschaftlern, die nicht die wahren Fakten aufzeigen und erklären, sondern einer politischen Agenda folgen? Oder die in einem Gruppendenken verhaftet sind, das durch Forschungsförderung und Schwerpunktsetzung bei Publikationen sowie durch politischen Druck nur die herrschende Lehrmeinung bestätigt, aber mit echter Wissenschaft nichts mehr zu tun hat?

Den Gegenpol zu solchen kritischen, skeptischen Fragen bilden die Gutachten des Weltklimarats (IPCC) und die von den meisten Forschern weltweit unterstützten Klimamodelle, die bei einem weiteren CO₂-Anstieg in der Atmosphäre stark steigende globale Durchschnittstemperaturen und fatale Folgen nicht nur für küstennahe Regionen der Erde vorhersagen. Dazu gehören extreme Hitzewellen, Dürre, Ernteausfälle, Flüchtlingsströme und – in letzter Konsequenz – das Ende der Zivilisation.

Doch Panikmacher, Apokalyptiker und Fatalisten lügen sich in Sachen CO₂ genauso in die Tasche wie die Skeptiker und Leugner einer menschengemachten Erderwärmung. Wir haben also »Klimalügner« auf beiden Seiten, die blind geworden sind für die Wirklichkeit.

Klimalügner

Mit Klimalügner bin ich auch selbst gemeint. Denn was den Kaputtalismus und die “Zuvielisation” betrifft, bin ich als Bewohner einer westlichen Metropole ein Täter, auch wenn ich versuche, meinen Konsum zu reduzieren, Müll zu vermeiden und mit dem Rad statt mit dem Bus oder mit dem Auto zu fahren. Gleichzeitig bin ich aber auch Opfer, denn meine Lebensweise, Gewohnheiten, Bedürfnisse und Verhalten sind geformt und geprägt vom gesellschaftlichen Zeitgeist in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese Gewohnheiten sind die Haut, aus der ich genauso schwer rauskomme wie alle anderen domestizierten Primaten in den vergangenen 11.000 Jahren, seit das Ende der letzten Eiszeit unseren Vorfahren, jagenden und sammelnden Nomaden, die Entwicklung zu sesshaften Ackerbauern und Viehzüchtern ermöglichte. Und neue Formen von Besitz, Eigentum und Macht entstanden, die den Jägern und Sammlern unbekannt waren, weil sie nur so viel Privatbesitz hatten, wie sie tragen konnten. Einige Forscher datieren das Anthropozän auf den ersten Spatenstich, den Beginn der Bearbeitung des Bodens, von Kultivierung und »Kultur« – es ist die Grundsteinlegung der Megamaschine, des Weltsystems mit dem sich Homo sapiens zum Herrn und Meister der Erde aufschwingt und Mensch und Natur einer radikalen Ausbeutung unterwirft.

Gaia vs. Anthropogener Terror

Mit dem entfesselten globalisierten Kapitalismus ist diese Megamaschine des Fortschritts und der Zivilisation im 21. Jahrhundert an ihr Ende gekommen – das Imperium, in Form des Neuen Klimaregimes, schlägt zurück, Gaia lässt sich den anthropogenen Terror nicht länger bieten. Doch ihn zu stoppen, das sechste große Artensterben auf diesem Planeten zu beenden, das wir – auch ich – gerade aktiv betreiben, würde einen derart fundamentalen Wandel, eine Umwälzung unserer gesamten Wirtschafts- und Lebensweise und des menschlichen Selbstverständnisses mit sich bringen, dass wir davor lieber den Kopf in den Sand stecken. Und verdrängen, leugnen und lügen, statt uns der Wahrheit zu stellen: dass wir Täter sind und unser Verhalten, unsere Haltung, unser Verhältnis zur Welt der Änderung bedarf. Und dass sich nichts zum Besseren ändert, wenn wir weiter denken und wirtschaften und leben wie bisher. Und dass es keine gute Idee ist, die Oligarchen in unserem Bus darüber entscheiden zu lassen, wie diese große Transformation vonstattengehen soll – schließlich sind sie es, die vom Kaputtalismus am meisten profitieren und ihn in seiner derzeitigen destruktiven Form überhaupt erst erschaffen haben. Und die uns jetzt einerseits CO₂-Zertifikate verkaufen wollen und gleichzeitig weltweit mehr als 1.200 neue Kohlekraftwerke an den Start bringen, die unersetzliche Wälder roden für ineffizienten Biosprit und unseren Konsum immer weiter anheizen MÜSSEN, um ihr Geschäftsmodell und ihr Geldsystem zu retten. Und uns dabei permanent einreden, dass ewiges Wachstum möglich ist, wenn wir es nur smart und grün genug anstellen; und dass alle Probleme lösbar sind, wenn wir sie nur den Märkten überlassen, die freilich von ihnen nach Gusto manipuliert und gesteuert werden. So wird das nichts. Weshalb ein Wohlfahrtsausschuss der Erdlinge, in dem wie gesagt auch den Tieren und Pflanzen ein »Stimmrecht« eingeräumt werden muss, unverzichtbar ist, um den unermesslichen Reichtum der Menschen art- und erd-gerecht zu investieren und zu verteilen. Auf dass die Akteure, die das Klima der Erde seit Milliarden Jahren managen, ihrer Arbeit wieder möglichst ungestört nachgehen können. Dafür müssten die domestizierten Primaten freilich ihr »Wenn sich was bewegt, hau drauf und friss es«-Programm einem Update unterziehen, wenn sie gemerkt haben, dass diese Art der Zuvielisation definitiv nicht zukunftsfähig ist.

Menschenrechte und Klimakrise

»Letzten Endes geht es bei der Klimakrise nicht nur um die Umwelt. Es geht um die Menschenrechte, um die Gerechtigkeit und um den politischen Willen. Kolonialistische, rassistische und patriarchale Systeme der Unterdrückung haben die Krise geschaffen und angetrieben. Wir müssen sie alle abbauen. Unsere Politiker können sich um ihre Verantwortung nicht länger herumdrücken«, schrieb Greta Thunberg im November 2019.

Die Ablehnung und der Hass, die ihr für solche Aussagen entgegenschlagen, haben natürlich damit zu tun, dass sie wahr und richtig sind. Und revolutionär im eigentlichen Sinne, weil sie eine grundlegende Umwälzung fordern. Wie das Lichtenberg-Motto dieser Buchreihe vorhersagt, kommt die junge Schwedin dabei nicht umhin, mit ihrer Botschaft die Bärte vieler, vor allem alter weißer Männer anzusengen. Weil sie eben nicht nur ein bisschen Öko-Kosmetik mit CO₂-Zertifikaten fordert, mit der sich an der Börse schöne Geschäfte machen lassen, sondern eine radikale Kursänderung, einen Systemwechsel. Dass der gefährlich und unmöglich sei, dass wir in der besten aller Welten leben und der Kaputtalismus schlicht alternativlos sei und Kritikerinnen wie Greta doch nur gesteuerte Marionetten sind und wo wir denn hinkommen, wenn kleine Mädchen darüber bestimmen, wo’s langgeht in Politik und Wirtschaft – so lauten die Invektiven, die der Fridays-for-Future-Bewegung regelmäßig entgegenschallen. Von rechts, wo man sich ins nationale Wolkenkuckucksheim zurückziehen und von supra-nationalen Problemen einfach nichts hören will, ebenso wie von links, wo das – unterstellte – fehlende sozialrevolutionäre Potenzial der Bewegung bemängelt wird. Und in der Mitte drückt sich die Politik um ihre Verantwortung herum.

Und dann kommt mit dem Coronavirus ein subversiver Wink von Gaia. Politik und Staaten schalten weltweit in den Krisenmodus und kaum sind ein paar Tausend Menschen an der grippeähnlichen Erkrankung gestorben, werden ganze Länder gesperrt, Massenveranstaltungen abgesagt, die Börsenkurse stürzen ab, und weil die globalen Versorgungsketten kollabieren, droht eine große Wirtschaftskrise. Zwar haben viele der von Corona Befallenen nur milde Symptome, die Todesrate freilich wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit 3,5 Prozent angegeben, obwohl die Gesamtzahl der Infizierten gar nicht bekannt ist. Anfang März 2020 waren weltweit 100.000 von dem Virus befallene Menschen registriert, von denen 3.500 starben. Da die Dunkelziffer der tatsächlich Infizierten aber mindestens um den Faktor zehn höher geschätzt wird, sterben de facto an der Viruserkrankung wahrscheinlich nur 0,3–0,5 Prozent (was in etwa der Fatalitätsrate von H3N2, dem Erreger der Hongkong-Grippe entspräche, dem 1968/69 weltweit etwa eine Millionen Menschen erlagen).

Der Wohlfahrtsauschuss der Erdlinge

Aber weil es kein Medikament gegen die Erkrankung gibt, brennt es Homo sapiens auf der Pelle und er kommt sofort in die Gänge. Dass laut WHO jährlich fünf Millionen Menschen an Luftverschmutzung sterben, ist hingegen nirgendwo ein Grund, in den Krisenmodus zu schalten und drastische Maßnahmen gegen diese Gefahren einzuleiten. In China, wo Covid-19 zuerst ausbrach und die Luftverschmutzung ein großes Problem darstellt, zeigt sich – wie eingangs erwähnt – auf den Satellitenbildern erstmals seit Jahren wieder blauer Himmel – die Megamaschine der Industrie und des Konsums ist ins Stocken geraten und schon atmet die Erde auf. Der globale Kapitalismus erweist sich als sehr viel anfälliger für das Coronavirus als der menschliche Organismus, ein winziger Parasit zwingt das riesige parasitäre System menschlicher Wirtschaft in die Knie. Und erinnert uns, dass wir im Wohlfahrtsauschuss der Erdlinge außer den Tieren, Pflanzen und Bakterien auch den Viren ein Stimmrecht einräumen müssen – auch wenn sie noch als Nicht-Lebewesen gelten, haben ihre Informationen ganz entscheidend zur Entwicklung höherer Lebewesen beigetragen. Als frei umherschweifende Informationseinheiten gehören sie seit 3,5 Milliarden Jahren dazu und sind ebenso unverzichtbar wie die lebenden Bakterien. Das erste Biomolekül – die Ribonukleinsäure (RNS) – wurde von seinen Entdeckern »viroid« genannt, weshalb es keine haltlose Spekulation ist, Viren als den Ursprung des Lebens und der Evolution anzusehen.

Nur weil in unserem Körper ein ganzes Arsenal von Viren steckt, verfügt er über die nötigen Informationen, sich gegen schädliche Eindringlinge zu verteidigen, aber für ein neuartiges Virus wie SARS-CoV-2 hält das Immunsystem noch keine Anti-Körper bereit, die das Andocken an menschliche Zellen verhindern. Für Kinder und junge Menschen ist SARS-CoV-2 aber, Stand der Erfahrung bis dato, offenbar ein geringes Problem, viele von ihnen können den Eindringling aufnehmen, ohne dass sich Symptome zeigen – der Wink von Gaia wäre insofern auch ein Gruß an Greta: Corona rafft bevorzugt alte Männer (wie den Autor dieser Zeilen) dahin! Das ist zwar tragisch, aber irgendwie auch bezeichnend, denn sie sind es, die für die Krise des Planeten in erster Linie verantwortlich sind. Fiebersenkende Maßnahmen helfen nicht, wenn Lunge, Herz und die anderen Organe weiter geschädigt werden. Das gilt für den von Covid-19 befallenen menschlichen Organismus und es gilt für den von Homo sapiens befallenen Planeten. Beide können nur heilen, wenn aus den Parasiten Symbionten werden.