Nr. 2 Heidrun Friese “Fetisch Mutter”

„Women‘s lib in der Krise“? Heidrun Friese zeigt in ihrem beitrag “Fetisch Mutter”, wie durch die Pandemie patriarchale Strukturen, die längst als überwunden galten, wieder erstarken.
Friese beschreibt, wie Frauen aus dem Bürgertum COVID-19 mit Wucht nutzen, um ihre Privilegien zu sichern. Sie geht dabei der Frage nach: Was passiert mit den Frauen aus ärmeren Schichten? Nimmt der Umgang mit dem Virus die Befreiung der Frauen zurück?
Illustration „Das Mutti-Narrativ“ von © Janneke Mai 2020

„The first women are fleeing the massacre, and, shaking and tottering, are beginning to find each other. […] This is painful: no matter how many levels of consciousness one reaches, the problem always goes deeper. It is everywhere. […] feminists have to question, not just all of Western culture, but the organization of culture itself, and further, even the very organization of nature.“

Shulamith Firestone (2003 [1970]), The Dialectic of Sex: The Case for Feminist Revolution, 3-4.

Die Pandemie ist kein Gleichmacher und social distancing zeigt soziale Distanzen.

Die derzeitige Lage macht gesellschaftliche Spannungen (um den marxistisch besetzten Begriff “Widersprüche” zu vermeiden) deutlich, die unseren Alltag durchziehen. Arm – reich, alt – jung, global north – global south. Arme sind von der gesellschaftlichen Quarantäne ganz anders betroffen als Reiche. Die herzzerreißenden Berichte von Influencerinnen wie Arielle Charnas, – celebrities im Rosenbad … ist das „öde am Pool“ und im 700-qm-Haus – machen diese Spannungen mehr als deutlich. Zustände in italienischen und französischen Altersheimen zeigen, dass die unproduktiven Alten sterben gelassen werden. In Italien wird ernsthaft die Frage diskutiert, ob man Menschen ab 60 nicht auch nach den Lockerungen des strikten Ausgehverbots in die eigenen vier Wände verbannen soll. Nicht nur die Diskussionen um die Frage, wem einst Impfstoffe und Heilmittel zur Verfügung stehen werden, zeigen die Asymmetrie zwischen Nord und Süd.

Mit der Andauer des Lockdowns in westlichen Gesellschaften wird auch deutlich, dass sich zu diesen Spannung eine weitere gesellt. Frauen und Männer. Frauen und Männer? Hier muss näher spezifiziert werden: Mütter und Nichtmütter. Lassen wir die Kategorie alleinerziehender Mann für diesen Moment aus den Augen.

Women’s lib – also die Bewegung zur Befreiung der Leben von Frauen seit den 1960ern – ist zur Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Mutterrolle verkommen, Befreiung und Freiheit zur Frage, wer die Mütter entlastet.

Das Private ist politisch, so der damalige Schlachtruf. Nun ist dieser tatsächlich mit Vorsicht zu genießen. Nicht umsonst sind die Bereiche des Öffentlichen und des Intimen, des Häuslichen voneinander geschieden. Oikos und polis sind eben unterschiedliche Sphären.

Im westlichen Mainstream des Feminismus wurde die damalige Bewegung von Frauen, nachdem sie längst in Form von Gleichstellungsbeauftragten und Diversity Management institutionalisiert ist, genau jenes Freiheitsaspektes beraubt, auf den die einstige Frauenbewegung zielte.

Frauenpolitik wurde zu Familienpolitik mit Steuererleichterung, Familien-Krankenversicherung, Rentenpunkt und niedrigen Pflegeversicherungsbeiträgen.

Zugleich gibt es keine Kritik der Kleinfamilie mehr – eine Kritik, die auch und gerade die deutsche Frauenbewegung mit der Studentenbewegung teilte. Die autoritär-patriarchalische Kleinfamilie (Papa, Mama und zwei Kinder) wurde doch als Ursprung des Faschismus und des unbefreiten Lebens gesehen. Diese Kritik gab der Schwulen/Lesbenbewegung ebenso Auftrieb, wie ‚alternativen’, kollektiven Lebensformen in Stadt und Land und neuen Erziehungsformen. Heirat und Kleinfamilienleben mit dem Prinzen waren Zeichen überkommenen Ungeistes. Sie galten als Ausbund des Spießbürgerlebens. Endlich Freiheit!

Diese Freiheit, so dämmerte es dann nicht nur der Feministin bell hooks bald, war nun eigentlich die Freiheit einer kleinen weißen Frauenbürgerschicht, die sich das Bürgerlebenprivileg sicherte und mit Autonomie (auto-nomos) – List der Geschichte – just das bürgerliche Selbstverständnis der Aufklärung und der Moderne verwirklichen wollte.

Die Familie ist die Keimzelle des Staates (die hegelianische-bürgerliche Sittlichkeit), so weiß jeder Konservativer: der biopolitische Aspekt dieser nicht umsonst Keimzellen genannten Sozialform. Die Kleinfamilie reproduziert die Gesellschaft, die nachfolgenden Generationen, die nachfolgenden Frauen und Männer, die nachfolgenden Arbeiter, Soldaten, Angestellten, Beamten, die nachfolgenden Eliten. Nicht umsonst wurden Sexualität und Reproduktion zum gesellschaftspolitischen Schlachtfeld der Frauenbewegungen nach 1968. Radikale Vertreterinnen entwarfen nicht nur Gebärstreiks. Sondern die Befreiung von Frauen von Schwangerschaft und Geburt, Retortenreproduktion unter Verzicht auf männliche Anteile, der Slogan „mein Körper / mein Uterus gehört mir”- zeugen von den Kämpfen um körperliche Hoheitsrechte und der Verweigerung von Reproduktion.

Diese Perspektiven werden gegenwärtig u.a. von Nina Power weiterentwickelt, die die Fetischisierung von Mutterschaft kritisch in den Blick nimmt.

Mutterschaft, so macht Nina Power deutlich, ist zum dominanten Kriterium dafür geworden, was es heißt eine Frau zu sein.

Nicht umsonst stehen Körper an erster Stelle der Angriffslisten von autoritären Regimen – ‚Genderwahn‘, Homosexualität, Abtreibung sind die Ziele. Doch auch liberale Frauenpolitiken sind mittlerweile biopolitisch ausgerichtet. Sie sollen auch und gerade den Bestand des ‚ethnischen‘ Staatsvolkes sichern und eben die notorisch niedrigen Gebärraten auf einem Volkserhaltsniveau. Schon gelten kinderlose ‚Karriere-’Frauen –die, das nur nebenbei, den familienpolitische Segen qua erhöhter Steuerlast mitfinanzieren – als verdächtig, weil egoistisch, asozial und/oder konsumorientiert.

Mir sind nun keine Frauen bekannt, die ihre Kinder zur Sicherung des Volkskörpers bekommen haben oder zur Sicherung des Rentensystems – welches sehr wohl vollständig aus Steuermitteln zu finanzieren wäre. Vielmehr entspringen Kinder doch eher aus verliebtem Wunsch à la „Ich will ein Kind von Dir!“. Kinder dienen der Sicherung kriselnder Ehe oder Vorstellungen vom Familienleben, eben mit Kindern – dieses allerdings allesamt höchst persönlich-private Gründe, die mittlerweile sozialstaatliche Ansprüche generieren.

Der feministische Hinweis auf die hier geleistete unentgeltliche Care-Arbeit, die weitgehend immer noch von Frauen geleistet wird, ist höchst widersprüchlich. Nicht nur, weil Care hier dem (kapitalistischen) Lohnprinzip und einer Mehrwertlogik unterworfen wird. Sondern auch und gerade, weil sie an Reproduktion gebunden ist. Freiwilliges Engagement oder politische Tätigkeit gelten dann eben nicht als Care. Damit weibliche Karrieren gestützt werden können und Frauen zumindest zeitweise freigestellt sind, ist Care zudem als Billigarbeit ausgelagert. Care-Arbeit wird auch und gerade Frauen zugemutet, die ihrerseits damit ihre Familien unterhalten und längst zu abwesenden Müttern geworden sind. Auch verkennt der Begriff ‚Care-Arbeit‘ die Tatsache, dass Kinder – zumindest in bürgerlichen Kreisen – mittlerweile zu einem veritablen Projekt geworden sind, das nach Expertenkriterien von Geburt, Frühforderung, kindgerechter Schule und persönlichkeits- und karrierefördernder Freizeitaktivität zu absolvieren ist – damit Anna und Maximilian den (historisch reichlich jungen) Abschnitt Kindheit (siehe Phillipe Ariès) erfolgreich durchlaufen und Mutti sich des gelungenen Projektergebnisses („Anna studiert jetzt in Oxford Kunst und Maximilian in Yale VWL“) versichern kann.

Ich gestehe, ich verstehe die derzeitigen Frauengenerationen nicht mehr.

Ziel ist wieder Heirat, trautes Heim und ein bisschen Karriere daneben, damit soziale Aspirationen und der Konsumstandard gesichert werden können. Nicht nur die privaten Fernsehsender sind voll von Brautkleid-Doku-Soaps und Heiratswettbewerben um die schönste Hochzeit: „der schönste Tag in meinem Leben“! Studentinnen sind weit entfernt davon, sich einen sichtbaren Platz in den Hörsälen zu verschaffen. Man richtet sich in der Retrotopie, im heimeligen Privatleben ein, das vom rauen Wind von Konkurrenz und Beruf abschirmt. Es geht nicht nur um die berühmte “Vereinbarkeit”.

Dürfen kinderlose Frauen sich zu Tode schuften, weil der Uterus nichts hergab oder hergeben wollte?

Es geht um Work-Life-Balance. Nun vergisst dieses Rentenkonzept – Freunde, Freizeit, Urlaub und Kernfamilie und ein bisschen intellektuelle Arbeit nebenher, damit man nicht verblödet–, dass Passion für eine Sache – eben auch für Wissenschaft als Beruf (Max Weber) eben gerade nicht sich an Überstunden, eine Halbtagsbeschäftigung ‚auf Arbeit‘ und gesicherte Abend- und Wochenendfreizeit orientiert. Nun wird Wissenschaft zwar zunehmend nach diesem Verwaltungsdenken organisiert. Ein Professor – von lat. “professare”, bekennen – ist eben kein Bekenner mehr, sondern Dienstleister. Er befördert eben nicht (theoretisches) Denken, sondern ist ein möglichst unterhaltsamer Zertifikatslieferant in der Freizeit-und Konsumgesellschaft, der den Eintritt in ein work-life-balance-Leben und in den dazugehörigen Status sichern soll. Dennoch erlaubt das Feld – zumindest streckenweise – die Beschäftigung mit Themen, die nur eines verlangen, eben Passion.

Nun zeigt die derzeitige Lage – die allenthalben vorgebrachten Forderung nach Elterngeld oder Kitaöffnungen[1] etwa vor allem eines. Die Konzentration des ‚Feminismus‘ (wenn man diesen biopolitischen Mainstream noch als feministisch bezeichnen will) auf die Mutter hat sich als das erwiesen, was sie immer auch schon war: eine praktisch/diskursive Sackgasse, die ganz familienfreundlich auch problemlos an reaktionär-konservative Leitlinien anschlussfähig ist. Bereits Élisabeth Badinter hat diesen Dead End Feminism aufgezeigt.

Nun bringt das geschlossene Familienleben sicherlich Herausforderungen mit sich. Doch warum wird Überforderung mit Home-Office und Home-Schooling derzeit mit Leidensvehemenz publik gemacht und etabliert eine Leidenshierarchie, an deren Spitze sich die doch recht privilegierten Mütter stellen? 

„Das Opfer ist der Held unserer Zeit“, bemerkt Daniele Gigliolo in seinem Buch Die Opferfalle. Die Einrichtung der Opfersemantiken und der Opferhierarchien sind an neue Subjektivitäten angeschlossen. Diese lassen als wahr und ‚real‘ nur gelten, was individuellem Gefühl entspringt und bereits unvorhergesehene Lebenslagen als Zumutung empfinden, welche allseitige Anerkennung und öffentliche Unterstützung fordern.

Diese feministischen Opfersemantiken, die Frauen erstaunlicherweise die Opferrolle zuweisen, machen bestenfalls im Nebensatz auf das Leiden der Armen aufmerksam, die – wie etwa in einigen Stadtteilen Neapels – mit sechs Personen auf 20qm leben.

Warum beschäftigt man sich nicht mit der Frage, dass viele Frauen – auch und gerade “of color” – etwa in GB in Berufen arbeiten müssen, die sie einem hohen Infektionsrisikos aussetzen? Es ist eine „ungemütliche Wahrheit“, schrieb der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan kürzlich im Guardian, dass Menschen mit Migrationshintergrund eher auf engem Wohnraum lebten, in prekären Arbeitsverhältnissen stünden und “nicht den Luxus haben, sicher von zu Hause aus zu arbeiten”. Ein Leben in Armut mache anfälliger für Krankheiten, weshalb es wenig überraschend sei, dass Angehörige der Bame-Community „eine größere Wahrscheinlichkeit haben, den Virus zu bekommen und, wie es scheint, zu sterben.“.

Die Pandemie-’Krise‘ zeigt die Krise des Feminismus und die Krise von Lebensentwürfen.

Auch bleibt die Frage, ob derzeitige Lebensherausforderungen für kinderlose (Single)Frauen nicht gelten. Schließlich, so können diese argumentieren, ist Mutterschaft ein freiwillig gewählter Lebensentwurf, wie eben auch das Singledasein, für das durchaus Verantwortung auch in ‚Krisen’zeiten übernommen werden kann. Warum, so darf man vielleicht doch noch fragen, sollte Kindererziehung eine staatlich geförderte Leistung darstellen? Wir kommen hier ganz offenbar zu einer ‚Querfront‘, in der Konservatismus und Mainstreamfeminismus sich treffen und immer neue sozialstaatliche Leistungen zur gemeinsamen Biopolitik erfinden.

Die Spannungen des pandemischen und nachfeministischen Zeitalters machen im Home-office mit den Kids schmerzhaft klar, dass die heimische Arbeitsteilung dann doch die herkömmliche Arbeitsteilung der bürgerlichen Kleinfamilie geblieben ist. Retrotopie erweist sich als dystopisch. Die emotionale Aufladung des Themas rührt vielleicht gerade daher. Es dämmert einigen, dass gesellschaftliche Spannungen auch in der Familie alltäglich inszeniert werden. Es wird deutlich, dass trotz selbstorganisiertem Kinderladen mit veganer Torte zum Kindergeburtstag das Private sich tatsächlich vom Öffentlichen unterscheidet und die private Sphäre eben nicht die der Öffentlichkeit ist. Die derzeitige Pandemie’krise‘ zeigt so auch die Krise des Feminismus und die Krise von Lebensentwürfen. Was die Krise auch deutlich macht: sie zeigt, wie privilegierte Bürgerfrauen ihre Privilegien befestigen und die eingenommene Mutterrolle Vorrechte garantieren soll. Kurz: Die Krise wird zeigen, wie das Bürgertum Privilegien sichert.

[1] Mit einem offenen Brief an die Bundesregierung fordern Eltern ein „Corona-Elterngeld”. Eine der Initiatorinnen ist Stefanie Lohaus, sie arbeitet für die „Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft“ und ist Mitherausgeberin des „Missy Magazin““, das MAGAZIN FÜR POP, POLITIK UND FEMINISMUS

Literaturhinweise:

Badinter, Élisabeth (2006). Dead End Feminism (translated by Julia Barossa). Cambridge: Polity Press.

Gigliolo, Daniele (2016). Die Opferfalle. Wie die Vergangenheit die Zukunft fesselt (orig. Critica delle vittima. Roma: nottetempo, 2014). Berlin: Matthes & Seitz.

Power, Nina (2012). Motherhood in France: Towards a Queer Maternity? Paragraph 35, 2: 254-264. DOI 10.3366/para.2012.0056.