Nummer 11.b, 16. August 2020 Bert Papenfuß SŸSTEMRELEVANZ (Auszug 2)

Von „Ich und Meins“ und „Du und Deins“ zu „Unsereins“

Abgebrochener Vortrag von Sepp Fernstaub, gehalten am 29. 7. 2020 in der Schankwirtschaft Watt in weitgehender Abwesenheit der Abwärts!-Redaktion; anwesend waren Wildfremde in Sauflaune und abwesende Stammgäste sowie ein Grüppchen als Pilzsammler verkleideter Ex-Straßenkämpfer. Mitschnitt, Abschrift und Fußnoten von Bert Papenfuß.

Eigentum ist Diebstahl, aber … Eigentum ist auch kein Diebstahl, weil es kein „rechtmäßiges“ Eigentum gibt.i – Allen „gehört“ Alles; besser ausgedrückt „Alles für Alle“, wenn „Alle für Alle“ einstehen, also „Einer für Alle“ praktizieren, aber … „Kennste Ein’, kennste Alle“. – Solange auch sog. „korrekte“ Leute darauf spekulieren, sich mit einer Geschäftsidee, z. B. einem Start-up, dumm und dämlich zu verdienen wie die Magnatinnen der Computerbranche, bleiben die Felle der Emanzipation und Gleichheit davongeschwommen. Wenn jemand Millionen und Milliarden Profit macht, ist er ein Betrüger, der die zu seinem Gewinn von unterbezahlten Lohnsklaven hergestellten Produkte zu teuer verkauft. So wird Diebstahl zu rechtlich sanktioniertem Eigentum … „Aller gegen Alle“.

Jeglicher Profit ist Betrug am Gemeinwohl; daran ändert sich nichts, wenn Teile des Profits für „gemeinnützige Zwecken gespendet“ – besser: „investiert“ – werden. Ein „Philanthrop“ in einer wirtschaftlichen, und somit politischen, Machtposition ist ein Strippenzieher des Systems, das diesen Krösus hervorgebracht hat. So tickt der „alternativlose“ Neoliberalismus, der den Produzenten und Konsumenten ungefragt übergebraten wurde; dagegen gewehrt hat sich nur eine Minderheit, die schwindet und sich immer mehr spaltet. Der Zuschiß greift gnadenlos durch, Unterdrückung macht korrupt: Obwohl jeder weiß, daß professioneller Ballsport Menschenhandel, Prostitution und Betrug mit hochbezahlten Gladiatoren ist, hat fast jeder eine Lieblingsmannschaft.

Angst treibt die Leute zur Arbeit, Verlustangst um den ergatterten Ramsch und das Grummeln der Unsicherheit vor der Zukunft. Das geflügelte Wort „The future is already here – it’s just not evenly distributed“ von William Gibson beschreibt den Status quo aus kaufmännischer Sicht. Eigentum verpflichtet zu nichtsii; die privaten Eigentümer bzw. Enteigner streben danach, immer mehr Profit zu machen, was zu einem Wirtschaftswachstum führt, das die Ausbeutung der den Menschen nützlichen Ressourcen der Erde überschreitet. Das dämmert inzwischen manchen, die für eine Technologiewende plädieren, aber vor Angst nicht am Grundübel rütteln wollen, wie die sog. Umweltaktivisten von Extinction Rebellion, die sich nicht entblöden, vor dem Haus der Deutschen Wirtschaft in Berlin-Mitte unter dem Motto „There is no economy on a dead planet“ zu „demonstrieren“.iii – Es geht nicht um „die Wirtschaft“, gar das Wohlergehen der Privatwirtschaft, sondern deren Vergesellschaftung zu unseren Zwecken, die gemeinhin nicht selbstzerstörerisch sind, es sei denn – alle sind einstimmig dafür, oder zumindest in großer Mehrheit, was untierisch wäre, aber menschenmöglich … dann hätten wir die wahre Extinction Rebellion zum Vorteil unserer Mitbewohner auf der Müllhalde, die irgendwann einen guten Kompost abgibt. Aber ganz soweit sind wir noch nicht.

Die Besitzenden sind Machthaber, die den Staat als ausführendes Organ nutzen, weil er einstweilen das Gewaltmonopol besitzt. Einige Unterdrückte werfen sich notgedrungen zu Kriminellen auf; gäbe es sie nicht, hätte man sie im Sinne der ängstlichen Besitzenden erfunden. Knapp vor Schlottern wird der Wachschutz hochgerüstet. Wer sich zur „Elite“ aufschwingt bzw. in sie kriecht, hat fürchterliche Angst, Reichtum, Macht und Privilegien zu verlieren. – Rund um die Uhr bewerben die Massenmedien Kriminalität und den nötigen Schutz davor, argumentieren somit täglich neu die Berechtigung der Institution Eigentum und Erbrecht. Polizisten können keine „gute Arbeit“ leisten, sie sind Schergen des Systems, das ein Strafgesetzbuch hervorgebracht hat, das Eigentumsdelikte und Machtkonflikte ahndet. Wenn diese Büttel übers Ziel hinaus genau treffen – am liebsten töten sie „Gefährder“ auf Droge oder mit psychischen Störungen –, und demzufolge strafgesetzgemäß in den Sack hauen müssen, finden sie Unterschlupf in den privaten Söldnerhorden internationaler Eigentums-, Wach- oder Begleitschützer – Blackwater Worldwide …

Die Massenmedien spielen im Unterbutterungsprozeß eine entscheidende Rolle, sie bewerben eine sog. „transatlantische Wertegemeinschaft“, vulgo: die politische und wirtschaftliche Vorherrschaft der Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Union. Westliche Wertegemeinschaft bedeutet, das Privateigentum zu lieben, zu achten und zu mehren, somit Unterdrückung, Ausbeutung und Vorenthaltung von Bildung und Gesundheit zu tolerieren bzw. gutzuheißen. Journalisten folgen dem „Narrativ“ vorauseilend gehorsam, mutieren zu ausgemachten Staatskriechern, deren unbezahlte Interviewpartner sich kratzfüßig für ihrer Auftritt bedanken müssen, um wieder mal als „Experten“-Popanze für dieses und jenes vorgeladen zu werden.

Die offiziellen Medien wurden – bzw. haben sich selbst – konditioniert und McKinsey-optimiert; sie fühlen sich aufgrund sinkender Auflagenhöhen und Einschaltquoten bedroht durch die Konkurrenz der sog. alternativen Medien, in denen sich auch narzisstische Protagonisten gerieren, die ohne weiteres für etwas Geld und Aufmerksamkeit in den offiziellen Sektor wechseln würden. Sie gehören ebenso zur Lumpenintelligenz, wie die „freien Mitarbeiter“ der „Qualitätsmedien“; sie sind Lohnsklaven, die von der Hand in den Mund leben. Bedürfnislosigkeit schützt vor Torheit nicht, Konsumterror greift grundsätzlich durch. Wer sich selber prinzipiell sträubt, kann es seinen Kindern nicht abverlangen. Cookies, App, Podcast, App, Spotify, App, Playlist, App, Download, App, Corona App, App, App … Jeder muß seine Familie – liken … und sharen. Bloß nicht likedeelen – und immer an die Altersvorsorge denken: „Berlin ist angesagt, da steigen die Mieten, nimm lieber einen Kredit auf und kauf dir eine Wohnung.“ – Eigentümer sind Teil des Raubsystems, haben nicht nur etwas zu verlieren, sind nicht nur Mitläufer, sondern Täter.

Wenn ich die Inhalte verschiedener schwedischer Krimiserien addiere, erhalte ich das Ergebnis, daß nahezu die gesamte Bevölkerung im klassischen Sinne „kriminell“ ist; hinter ihren Gardinen allerdings darben vergleichsweise unschuldige osteuropäische Pastorentöchter, die auch nur ihre Familien ernähren müssen. – Massenmedien wirken zwischen den Zeilen; die Macher denken so, kritische Rezipienten só: Wahrheit ist präsent, wahr ist nur die Gegenwart, fünf Minuten später schon verbogen und erlogen. „Mit Werbung und üblichem Tracking“ oder „ganz ohne Werbetracking und praktisch werbefrei“ – 90 % von diesem ganzen Medienmüll ist Werbung: Wahlkampf, Neuerscheinungen immer knapper werdender Oligopole, Modeschnickschnack und sonstige Produktpalette inklusive Rüstungsindustrie. Und steckt euch diese ganzen widerlichen aufoktroyierten Jahrestage und Preisverleihungen in den Arsch, die der Vermarktung von Ladenhütern dienen und der Lobpreisung von Staatskriechern. Jeder verdammte Tag ist ein Jahrestag, freie Erinnerung schadet der Empörung nicht.

Jegliche intellektuelle Leistung und sonstiger Schrott gehört ins Internet, und zwar frei zugänglich und selbstverständlich ohne Copyright. Wer ein Buch lesen möchte, wird es erwerben, Bild- und Tonträger ebenso. Bildung wird sinnlich begriffen, sonst rauscht sie durch. Intelligenz ist an die – zugegeben knappen – Sinne eines menschlichen Körpers gekoppelt, insofern gibt es keine künstliche. Psychonautik bietet eine Möglichkeit der Erweiterung bzw. Kanalisierung der menschlichen Sinne, ist jedoch illegal. Das muß man sich mal kommen lassen: Es ist durch staatliche Organe verboten, bestimmte Pflanzen zu nutzen. Als Reaktion darauf bleibt mir keine andere Möglichkeit, als der Regierung Deutschlands samt Schranzen und Bütteln zu verbieten, die z. Z. noch kostenlose Luft in Berlin-Mitte und der Uckermark zu atmen, woran bisher noch niemand erstickt ist, dem nicht noch zusätzlich ein Windrad auf den Kopf gefallen wäre.

Produktwerbung gehört leider auch irgendwo ins Internet, aber in eine Sektion, die sich dezidiert „Werbung“ nennt, in der kommenden Übergangszeit noch für besonders Verwirrte relevant, später für Historiker, die sich wundern werden, wie viel kreative Energie für diesen Schund verschlissen wurde. Der eigentliche Handel wird über „Angebot“ (einschließlich „Produktbeschreibung“) und „Bedarf“ organisiert. Niemand – außer Betrügern wie BlackRock und Blackstone – braucht den Finanzkapitalismus einer Börse. Vertrauen in Währung ist unangebracht; seit 5.000 Jahren wird diesseits geklagt, andererseits gelacht. Im Zuge der immer wieder hinausgezögerten Emanzipation bzw. Gleichwerdung der Menschen wird nach und nach zwar weniger übers Ohr gehauen, aber immer mehr. Das ist kein neoliberalistischer Widerspruch, sondern allseits akzeptierte Gesetzmäßigkeit. Zins stinkt –erst recht mit Gewähr.

Warum überhaupt glauben Menschen an die Institution Eigentum und Erbrecht? Und Geld? Und Patent und Copyright? – Eigentum entstand im Zuge des neolithischen Wandels durch Ackerbau und Viehzucht und die damit verbundene Seßhaftigkeit, das Priestertum schrieb es fest. Zahlen und Schriftzeichen wurden erfunden, um Schuldscheine auszustellen. Das ist die Ursünde der Literatur, die wir heute noch sühnen – zum Anscheißen reicht das geschriebene Wort meist. Wer gehorcht, dem gehört ein „Verdienst“ für Unterwerfung. Aus korrupten Schamanen wurden Priester, aus dem Priesterkönigtum entstand der asoziale Erbadel; nach der Großen Französischen Revolution der „Großen Nation“ übernahmen bourgeoise „Eliten“ – der politische und wirtschaftliche Abhub des Auswurfs eines Abschaums der werktätigen Klasse, der rechnen konnte – sog. „Führungspositionen“; bis heute werden sie von Normopathen hofiert … das ist der Stand der Dinge im Sommer 2020.

Noch nie sind „Völker“ ihren „Eliten“ dermaßen in den Arsch gekrochen … vorauseilender Gehorsam hinterläßt Schleifspuren in den Schlieren der Verlustangst, abgesondert von den hochgerüsteten Verteidigern der „alternativlosen Marktwirtschaft“. Lang leben die planlosen „Weißhelme“, die „bewaffnete Opposition“, die „gemäßigte Rebellengruppen“ und das „prodemokratische Lager“ der Blockwarte und Staatskriecher! Jetzt hab ich doch prompt in den Sabberlatz gerotzt, hatte gerade keinen Ellenbogen zur Hand … das wird sich rächen. In totale Quarantäne mit der „illegalen Partyszene“, den „linksextremen Randalierern“ und ihren „Sympathisantenkreisen“! Sonst fangen die doch glatt an, auf dem Eise des Eigentums zu tanzen und am Erbrecht zu rütteln.

Jedem nach Bedarf und Bedürfnissen! Nieder mit der Meritokratie, wie mit jeder Kratie und Archie! Faulheit, Schlendrian und Sabotage reduzieren neoliberales Wachstum und mörderische Betriebsunfälle. Gesellschaft – also „Unsereins“ – entsteht in Gütergemeinschaft und Haufenwirtschaft. Wie das geht? Ganz einfach: Wahlboykott, Mietstoppiv, Jeneralstreik, Aufstand, Börsenschluß, Volksbewaffnung, Vergesellschaftung. [Konfuser Zwischenruf, irgendwas mit „Anarchie und Chaos“ und „Mord und Totschlag“.] Gewalt, Gewalt, ich kann mich nicht um jeden Scheiß kümmern … [Passage unverständlich.] … Gegengewalt auf Augenhöhe mit Staatsgewalt bedarf einiger Vorbereitung [„Hört, hört!“] … Machen wir uns keine Illusionen: Gegen waffenstarrende Systeme wie den globalisierten Neoliberalismus hilft kein ziviler Ungehorsam, kaum noch militanter Widerstand, [„Sondern bewaffneter Kampf!“] wobei … [„Miez-miez, Miliz!“] Nee, det Klopapier hab ick wegjeschmissen, war nich mehr jut.

Sämtliche Rüstung ist Schrott … [Fernstaub verläßt die Bühne, geht auf die Schreihälse der Kietzmiliz zu, kurzes Handgemenge, Gezänk und Möbelrücken im Biergarten vor dem Lokal, Geklirr und Gekreisch.] Sämtliche Fernwaffen sind Werkzeuge der Feigheit … [„Soll ick Bullen mit Stullen verprügeln?“] Nee, Büttel mit Knüppel … [Die Kontrahenten tuscheln miteinander. Fernstaub kommt wieder rein und schlängelt sich durch die brechende Gülle.] Geld heißt Schuld, und Schulden führen Krieg. [Fernstaub zurück auf der Bühne. Unruhe im Lokal. War das Handgemenge eine Inszenierung?] Alle bisher für die Waffenproduktion genutzte technologische Innovation dient künftig der kosmischen Exploration, bis dahin … Erbrecht euch und tümelt eigen vor euch hin: Alles für Alle. Aber wird es noch für die Reichen reichen?

Tugend, Bedarf und Gebrauch; Neigung, Lösung und Nießbrauch

„Wozu taugt ein Reicher?“ –
„Reich ihn weiter; vielleicht
findet sich eine Alchemistin,
die ihn dringend braucht –
und in die Pfanne haut.“

„Reicht ein Armer weiter?“ –
„Ja, unsere Extremitäten neigen
zuweilen zu radikalen Lösungen;
wer die Fresse groß aufreißt,
sollte wissen, wo er hinlangt.“

[Rigoroser Rückzug von Fernstaub. Vereinzelter Beifall.]

*

Aus: Bert Papenfuß (Hrsg.). SŸSTEMRELEVANZ. Schriften aus dem Vorlaß von Sepp Fernstaub, Bd. 1. Erscheint im Herbst im Berliner Quiqueg-Verlag.

Erläuterungen

Sepp Fernstaub * Mitte des 18. Jahrhunderts v. u. Z.; Pseudonym eines engen Vertrauten von Bert Papenfuß, der vorerst – wegen seiner Machenschaften und seines fortgeschrittenen Alters – anonym verbleibt.

Bert Papenfuß * 1956; Untergrundschriftsteller im Vorruhestand, lebt noch in Berlin.

i „Indem Proudhon aber die Gesamtheit dieser ökonomischen Verhältnisse in die allgemeine juristische Vorstellung ‚das Eigentum‘, ‚la propriété‘, verflocht, konnte er auch nicht über die Antwort hinauskommen, die Brissot mit denselben Worten in einer ähnlichen Schrift schon vor 1789 gegeben hatte: ‚La propriete c’est le vol.‘ (‚Eigentum ist Diebstahl‘) Im besten Fall kommt dabei nur heraus, daß die bürgerlich-juristischen Vorstellungen von ‚Diebstahl‘ auch auf des Bürgers eignen ‚redlichen‘ Erwerb passen. Andererseits verwickelte sich Proudhon, da der ‚Diebstahl‘ als gewaltsame Verletzung des Eigentums das Eigentum voraussetzt, in allerlei ihm selbst unklare Hirngespinste über das wahre bürgerliche Eigentum.“ – Aus: Karl Marx. Über P. J. Proudhon (Brief an J. B. v. Schweitzer), 1865.

ii Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949; Art. 14: „(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.“ – Grober selbstzerstörerischer Unfug; dieses Gesetz „gewährleistet“ lediglich Unterdrückung, Ausbeutung und grassierende Ungleichheit.

iii So geschehen am 16. Juni 2020.

iv „Miete ist Tribut an das Privateigentum von Grund und Boden. Zulässig sind lediglich Rücklagen für Renovierungen, wenn gewollt. Man kann auch in Ruinen schön hausen, die häßliche Alleen zieren.“ – Ergänzung von Fernstaub in späterem Gespräch.