Nummer 29 Hanna Mittelstädt Das Wortmonopol

Die Logik der Strategie ist die Logik der Verknüpfung des Heterogenen
und nicht die Logik der Homogenisierung des Widersprüchlichen.
Unsichtbares Komitee

Sind wir nicht gegen jedes Monopol? Das der Macht, der Vorstellungen, des Eigentums, der Räume, der Sprache … Oder doch eher vorsichtshalber für einige Monopole: von Gewalt und Wortbedeutung?

Die Worte als Insignien von Herrschaft: das bezeichnete Pierre Bourdieu als “Wortmonopol”. Wem gehören die Worte, und wer darf sie benutzen?

Dagegen setzte er, und selbstverständlich nicht nur er, die “Politik der Wahrheit”, das Streben nach Autonomie, welches den Fortbestand von Herrschaftsstrukturen demontieren will.

Und die Situationisten setzten mit dem Begriff des Spektakels nach: “Das Spektakel ist die ununterbrochene Rede, die die gegenwärtige Ordnung über sich selbst hält, ihr preisender Monolog.” (Guy Debord, Die Gesellschaft des Spektakels)

In dieser ununterbrochenen Rede befinden wir uns seit langem, und zwar fortwährend weiter höher schneller auf “turbo” gestellt. Und im genauso heiß laufenden Zustand der Verteidigung des Wortmonopols. Denn: wer hält dagegen? Wer darf dagegen halten?

Einst gab es Blockbildungen, parlamentarisch gesprochen diejenigen, die links, und diejenigen, die rechts von der Mitte saßen. Und die Mitte, was immer das war. Die Blöcke haben sich aufgelöst, nachdem sie ihrer Inhalte verlustig gingen. Kein Kommunistischer Block mehr, spätestens seit Auflösung der Sowjetunion. Und ein “demokratischer Block”, die “westliche Wertegemeinschaft”, die alles zu sein beansprucht, selbsterklärt alternativlos, sinnentleert. Und die Rechten, ein schwer von Staatsdiensten infiltrierter Block, rückwärtsgewandt, ressentimental, gut als Aufreger einsetzbar.

Ich habe immer vertreten, dass die Auflösung von politischen Hegemonien produktiv und sinnvoll ist: sie führt zu einer Zerstörung nicht nur des Monopols, sondern sogar des Anspruchs auf das Monopol. So ermöglicht, erfordert und fördert die “Zersplitterung der Macht” (Raul Zibechi) den Gegenentwurf autonomer Kräfte. Im Plural.

Eins der wesentlichen Mittel zur Erlangung autonomer Positionen, Haltungen, Traditionen, Praxen ist die Entwendung von Herrschaftsmitteln: Sabotage, Besetzung, Aneignung und, von den Situationisten besonders propagiert: die Zweckentfremdung.

“Zweckentfremdung ist eine Propagandamethode, die die Abnutzung und den Bedeutungsverlust der Künste aufzeigt. Sie benutzt ästhetische Fertigteile” (Situationistische Internationale). Übrigens auch: “Das Plagiat ist notwendig. Der Fortschritt schließt es mit ein”, ein Zitat von Lautréamont. Die Situationisten entwickelten in den 1960er Jahren die “politische Praxis” als soziale Praxis, die alles einschließt: Politik, Kunst und Alltagsleben. Das führte zur Demontage des Avantgardebegriffs, zur Auflösung von Spezialisierungen. Zu einer großen Vielheit von Autonomien. Und zu neuen Aktionsformen sowie Bedeutungen: “Die Worte arbeiten für die herrschende Organisation des Lebens. Ermöglichen wir die Dienstverweigerung der Worte, ihre Flucht und ihren offenen Widerstand.”

Nachdem die globalen Bewegungen sich in den letzten fünfzig Jahren in Worten und Taten aus den hegemoniellen Vorstellungen davon, was Widerstand sei, gelöst hatten und einen kreativen Reichtum entwickelten, hat sich offenbar bei einigen ein neuer Besitzstand entwickelt. Nicht alle dürfen hier und jetzt von Widerstand sprechen, insbesondere nicht, wenn sie Corona-Maßnahmen-Kritiker*innen sind und sich nur schwer als “rechtsradikal” labeln lassen.

Nein, in der Demokratie der westlichen Wertegemeinschaft und ihrer eingeübten Opposition gibt es Regeln, die von allen einzuhalten sind: ein “Spaziergang” beispielsweise ist eine Tätigkeit der Muße, keine Verabredung zum Protest. Einen Protest so zu bezeichnen, ist eine “diskursive Intervention”, unzulässig, urteilt das Wortmonopol.

Das zersplitterte Wortmonopol geißelt es merkwürdig einheitlich, dass sich offenbar “unpolitische” Menschen seiner Begriffe bedienen, sie quasi besetzen und in neue Bedeutungszusammenhänge stellen. Sie “mit sachfremden Inhalten” auffüllen. Sagt auch die linke Seite des Wortmonopols. Sie bezeichnet die “assoziative Lockerung” der Proteste, sofern sie nicht unter ihrer Flagge laufen, als “Denkstörung”. Spricht von Parallelwelt, weil die Menschen “nur scheinbar” dem Traditionsmuster folgen, welches eigentlich ihnen gehört. Statt dessen: falsche Spaziergänge, unreine Demonstrationen, “verschwurbelte” Forderungen nach basisdemokratischen Runden Tischen für die Diskussion auf Augenhöhe … Was soll man da reden, wenn der Diskurs neu formuliert werden muss? Wenn man sich tatsächlich vorurteilsfrei zuhören muss, mit Neugierde, statt Be- oder Verurteilung? Tatsächlich, so lautet ein Urteil, führen diese Proteste nur “inhaltsleere Bündnisse” auf, die “die operative Handlungsebene” verlassen, denn diese ist für die Aktionen des anerkannten Widerstands reserviert.

Der eher konservative Teil des Wortmonopols sieht “Begriffsmasken” am Werk: so Lothar Müller in der Süddeutschen Zeitung vom 5./6.1.2022. Verächtlich urteilt er, die “Begriffsmaske Spaziergang” habe nie gut gesessen, weil ja zu durchscheinend ist, was sie maskieren soll. Es handelt sich um eine Demonstration, und noch dazu eine unangemeldete. Warum? Weil die angemeldete verboten wurde. Spaziergang sei hingegen: Lustwandeln, Vergnügen, nicht-zielgerichtetes Umherschlendern, Flanieren, Wiederaneignung des urbanen Raumes, “Entriegelung des Blicks und Schule der Wahrnehmung”, Reflexion, Begünstigung aller Regungen der Einbildungskraft…

Dies sind haargenau die Zutaten zum Er-Finden eines neuen Aktionsfeldes und neuer Aktionsformen, wenn die alten erstarrt sind oder wenn sich Menschen äußern, die diese Art öffentlichen Protests bisher nicht praktiziert haben. Es beginnt mit der “Entriegelung des Blicks” und der Reflexion über die eigenen Anliegen und Handlungen.

Was dieser Teil der Gesellschaft nicht braucht, ist die Beurteilung aus dem Mund des diversen Wortmonopols: hier seien “Delegitimierer” am Werk, “Selbstverwalter”, “Staatsfeinde” (all die revolutionären Insignien), die sich in ihrer “egozentrischen Unzufriedenheit” unrechtmäßig an den Möglichkeiten der Demokratie bedienen.

“Wir konnten nichts von dem erwarten, was wir nicht selbst verändert haben würden”, formulierten damals die Situationisten. Und man muss es auch dieser Bewegung überlassen, die da jetzt jenseits des “linken Blocks” und in Auseinandersetzung mit dem rechten auf die Straße geht, ihre Erfahrungen und Traditionslinien auszuprobieren. Dass es ihre Absicht ist, den Staat im Ausnahmezustand erscheinen zu lassen, und dass das eine originär “rechtsradikale Obsession” ist, wie Lothar Müller behauptet, darf als verriegelter Blick bezeichnet werden.

Den Infragestellenden wurde immer unterstellt, sie wollten den Staat als Gewaltverhältnis “demaskieren”, dabei ist ja eins durch die Geschichte erwiesen: der Staat ist ein Gewaltverhältnis. Der Staat in jeder Form übrigens.

Wie weit die Entriegelung bei diesen Spaziergängen gehen wird, wie weit aus der Zweckentfremdung von Begriffen und Aktionsformen etwas Neues entstehen wird, etwas, das gegen die Blockbildung, gegen die Rechthaberei, gegen Monopole jeder Art etwas Autonomes entwickelt, das sich selbstbewusst gegen Vereinnahmungen wehrt, das bleibt abzuwarten.

Wie weit das Wortmonopol sich durch die neu formulierte Pluralität erschüttern lässt, wie weit die partikularen Erfahrungen ein gemeinschaftliches Tun ermöglichen und neue Traditionen partizipativer Handlungen und Reflexionen schaffen, wer weiß das schon? Aber die Schaffung von Handlungsräumen durch Labelung geläufiger Einordnung, Denunziation und Ausgrenzung von vornherein verhindern zu wollen, das ist sicher keine Haltung, die als reif bezeichnet werden kann.

“Da alles zusammenhing, musste alles verändert werden…”, das war vor 1968 so und gilt auch heute noch …