Nummer 48 Initiativgruppe Sozialismus oder Barbarei

Die derzeitigen Kriege – Russland gegen die Ukraine, im Nahen und Mittleren Osten (Gaza, Westbank, Südlibanon, Jemen, Syrien, Irak, Israel gegen Iran) und in Afrika (Sudan, Sahelzone) – sind zugespitzte Konstellationen eines imperialistischen Kampfs um die Neuaufteilung der Welt, der nach der Weltwirtschafts- und Finanzkrise von 2008/2009 eingesetzt hat. Die Ära des globalen Marktradikalismus, der das Weltsystem vierzig Jahre lang beherrschte, neigt sich ihrem Ende zu. Eine neue Epoche des Protektionismus und der Staatsintervention hat begonnen.

Bei allen Großmächten entstehen zentrale Planungssysteme zur Steigerung ihres ökonomischen und militärischen Machtpotenzials. Sie treten an die Stelle der marktregulierten weltwirtschaftlichen Verflechtungen und eröffnen eine neue Epoche der Kapitalreproduktion.

Auch die ohnedies mehr als halbherzigen Programme zur Bekämpfung der rasant fortschreitenden ökologischen Katastrophe werden zugunsten des neuen kriegsökonomischen Bellizismus heruntergefahren.

Eine wesentliche Triebkraft dieser Entwicklung waren die globalen Kämpfe der arbeitenden Klassen und der sozialen Bewegungen gegen die Umweltzerstörung. Sie haben den marktradikalen Dogmatismus in den vergangenen Jahrzehnten in die Schranken gewiesen und die weitere Intensivierung der Ausbeutung des Arbeitsvermögens und der Natur blockiert. Nun sollen sie in das Prokrustesbett von Staatsintervention und Hochrüstung gezwängt und auf den Schlachtfeldern der kommenden Kriege gegeneinandergehetzt werden. Gleichzeitig wächst die Bedrohung der nachwachsenden Generationen durch die wieder beschleunigte Zerstörung der natürlichen Ressourcen und der Umwelt.

Die Hauptakteure des neu aufgelebten Konflikts um Rohstoffe, Märkte, technologische Vorherrschaft, Einflusssphären und kulturelle Hegemonie sind die absteigende imperialistische Hegemonialmacht USA, die aufsteigende imperialistische Hegemonialmacht China und die mit ihnen assoziierten Großmächte EU, Japan, Großbritannien-Australien, Israel und Saudi-Arabien auf der einen Seite und Russland, Belarus, Iran und Nordkorea auf der anderen. Die übrigen Großmächte des Globalen Südens – Indien, Brasilien, Indonesiern und Südafrika – haben sich noch auf keine weiterreichende Assoziation mit einer der Hegemonialmächte festgelegt, tendieren aber teilweise zugunsten des chinesisch dominierten Machtblocks.

Es manifestieren sich deutliche Zeichen einer globalen Blockbildung unter der Führung der rivalisierenden imperialistischen Hegemonialmächte. Dabei steht das Wettrüsten im Zentrum, das inzwischen auch nachrangige Regime erfasst hat. Im Gegensatz zum Kalten Krieg ist nicht mehr die Abschreckung des feindlichen Lagers das Hauptziel, sondern die Fähigkeit, innerhalb von fünf bis zehn Jahren „kriegsfähig“ zu werden. Danach soll im Fall weiterer Zuspitzungen das akkumulierte militärische Potenzial in Großkriegen eingesetzt und unter der Inkaufnahme hoher Verluste an Soldaten und Zivilpersonen verbraucht werden, um den feindlichen Mächten die eigenen Kriegsziele aufzuzwingen.

Dieser unverkennbar gewordenen Tendenz zur imperialistischen Blockbildung steht die noch immer weit reichende ökonomische Verflechtung der führenden Nationalökonomien in transkontinentalen Produktions- und Lieferketten, sowie in einem global operierenden Finanzsektor entgegen, der nach wie vor durch den US-Dollar als Weltwährung dominiert wird. Solange die absteigende Hegemonialmacht ihren aufstrebenden Gegenspieler nicht vollständig aus dem globalen Finanz- und Handelssystem verdrängt, wird China wahrscheinlich nicht darangehen, seine in der jüngsten Zeit intensivierten Wirtschaftsbeziehungen zu Russland, Zentralasien, dem Iran, Afrika und Lateinamerika zum Aufbau eines eigenständigen Wirtschafts-, Finanz- und Währungsblocks zu nutzen. Erst dann wäre die Blockbildung der imperialistischen Großmächte Wirklichkeit. Und dann wäre der Weg in den dritten Weltkrieg geebnet.

Zum jetzigen Zeitpunkt verfügt der von den USA kontrollierte Machtblock noch über eine deutliche militärische Überlegenheit, die sich jedoch von Jahr zu Jahr abschwächt. Es besteht deshalb die Gefahr, dass er sich in der noch verfügbaren Zeitspanne zu einem Präventivkrieg gegen den rivalisierenden Machtblock entscheidet.

Die sich innerhalb aller imperialistischen Regime herausbildenden kriegswirtschaftlichen Strukturen haben gravierende politische Folgen. Die jeweiligen politischen Herrschaftssysteme (diktatorisch, autoritär, präsidialdemokratisch, repräsentativ-parlamentarisch usw.) nähern sich weltweit einander an. In allen Kontinenten und Ländern gerät die zur Ware deformierte öffentliche Meinung immer stärker unter die Kontrolle der politischen Regime. Dabei kommt es zu einer strategischen Arbeitsteilung zwischen Medienkapital, Regierungen und politischen Klassen. Das gemeinsame Ziel ist, den gesellschaftlichen Diskurs zu formieren und gleichzuschalten. Er soll auf ihre aggressiv-imperialistischen Zielsetzungen ausgerichtet werden. Für die Niederhaltung oppositioneller Strömungen sind die inneren Sicherheitsapparate zuständig. Sie werden zu Instrumenten eines inneren Belagerungszustands ausgebaut.

Der Widerstand gegen Formierung und Gleichschaltung ist jedoch beträchtlich. Er wird in der nächsten Zeit weiter zunehmen, sobald immer mehr Menschen erkennen, dass sie durch die innen- und außenpolitischen Entwicklungen unmittelbar bedroht sind.

Insgesamt ist davon auszugehen, dass die widerstreitenden Tendenzen zwischen imperialistischer Kriegsvorbereitung und Globalökonomie den Kampf um die Neuaufteilung der Welt verlangsamen, sodass sich der durch das Wettrüsten für eine globale militärische Konfrontation vorgegebene Zeitrahmen verlängert. Zusätzlich spielen Zufälle – so etwa die unbeabsichtigte Eskalation regionaler Konflikte, Erfolge oder Misserfolge der Präventivkriegsbefürworter bei den politischen Entscheidungszentren, die Zuspitzung humanitärer Katastrophen, der Kontrolle der rivalisierenden Großmächte entgleitende Bürgerkriege, ökonomische Krisen, Umweltkatastrophen, nationalistische und rassistische Kampagnen usw. – eine gewichtige Rolle. Sie können die Gesamtentwicklung beschleunigen oder verlangsamen.

Aus diesen inneren Widersprüchen ergeben sich strategische Zeitfenster und konkrete Handlungsmöglichkeiten für eine Gegenperspektive von unten. Sie sollten unter dem wieder hochaktuell gewordenen Motto stehen, das auf Rosa Luxemburg zurückgeht: Sozialismus oder Barbarei.

Ausgehend von dieser Parole wäre eine Assoziation der vielfältig zersplitterten globalen Sozialbewegungen anzustreben, die von folgenden Prämissen ausgehen könnte:

– Der soziale Widerstand richtet sich in einer gemeinsamen Anstrengung gegen alle imperialistischen Großmächte gleichermaßen. Er wird nirgends und zu keinem Zeitpunkt für irgendeine der rivalisierenden Großmächte Partei ergreifen oder ihr zuarbeiten. Der Hauptgegner einer jeden Sozialbewegung ist zuallererst das eigene imperialistische Regime und der militärisch-industrielle Komplex im eigenen Land. Dies ist eine unabdingbare Voraussetzung für den Aufbau einer kontinentalen und weltweiten Verflechtung.

– Nicht immer wird es leicht sein, in den komplexen Gemengelagen regionaler Konflikte an diesen Prinzipien festzuhalten. Darauf müssen wir jedoch bestehen. Im Gaza-Krieg stehen sich beispielsweise der von der reaktionär-islamistischen Hamas dominierte palästinensische Widerstand und der Militär-, Apartheid- und Siedlerstaat Israel gegenüber. Beide Seiten haben schreckliche Kriegsverbrechen begangen. Auch hier können wir für keine der beiden Seiten Partei ergreifen.

Den Ausgangspunkt des gemeinsamen Handelns bildet eine kompromisslos antimilitaristische Perspektive:

– Der Kampf gegen Rüstungsprogramme, Kriegsökonomie, Mobilmachungssysteme und militaristische Propaganda auf allen Ebenen der Analyse, der Gegeninformation, der politischen Praxis und des konkreten Handelns (Desertionskampagnen, Blockade von Rüstungsunternehmen, Rüstungstransporten und Armeestandorten usw.)

– In diese gemeinsamen Handlungsperspektiven sollten die sozialen Kämpfe in allen ihren Facetten einbezogen werden. Ihre praktischen Schnittmengen finden sie im gemeinsamen Kampf gegen die Militär- und Zwangsdienste, sowie in der Verweigerung von destruktiver Rüstungsarbeit und Kriegsforschung. Ihre gemeinsame konzeptionelle Grundlage bildet der sozialistische Gegenentwurf einer friedlichen, egalitären, basisdemokratisch verfassten und selbstorganisierten Gesellschaft jenseits von Kapitalismus, patriarchalen Hierarchien, Rassismus und Nationalstaatlichkeit.

Diese Gegenperspektive benötigt ein empirisch, historisch und theoretisch ausgewiesenes Fundament. Es sollten Arbeitskreise gegründet werden, die sich das Ziel setzen, die Stärken und Schwächen der Geschichtsschreibung über die Vorgeschichte der Weltkriege und der bis heute erarbeiteten Theorien über den Imperialismus zu untersuchen. Davon ausgehend könnte eine Diskussion über langfristige Gegenperspektiven in Gang gebracht werden. Ihre Ergebnisse sollten als Grundlage genutzt werden, um die Entwicklung des sozialen Widerstands weltweit voranzutreiben und ihn zu homogenisieren. Sie wären als Plattform des sich global assoziierenden Widerstands immer wieder kritisch zu hinterfragen und zu überarbeiten. Dadurch wäre gesichert, dass die sich einstellenden Lernprozesse laufend reflektiert und in das praktische Handeln rückübersetzt werden.

Die Weltgesellschaft und der Planet treiben auf eine Doppelkatastrophe zu: Auf eine neue Ära verheerender Großkriege, die möglicherweise mit Atomwaffen geführt werden, und auf eine genauso bedrohliche Umweltkatastrophe. Angesichts dieser Entwicklung ist es zur Überlebensfrage der Linken geworden, gerade jetzt das Undenkbare zu versuchen. Ihre Aufgabe besteht darin, sich wieder global zu assoziieren und eine weltweit wirksame Gegenmacht aufzubauen, die dem Amoklauf der imperialistischen Großmächte und der Naturzerstörung ein Ende setzt.

Wagen wir einen neuen antiimperialistischen Anlauf.

Wenn es gelingt, ihn mit den Kämpfen der arbeitenden Klassen und den sozialen Bewegungen gegen die Umweltzerstörung zu verbinden, hat der neue Aufbruch eine Chance.

Nutzen wir sie!