Nummer 17 Rudolph Bauer Apokalyptisch

Das Geschäft mit der Gesundheit endet mit dem Tod. Diesen gilt es deshalb so weit wie möglich hinauszuzögern. Die Angst vor ihm begründet Denkverbote und ermöglicht den „Reset“.

„Jede neue Idee ist für dich eine Seuche
So lebst Du in ewiger Furcht vor Schnupfen und Masern
Dabei hast du Krebs, du willst es nur nicht wissen.“
Friedrich Dürrenmatt (1921-1990)

Corona, Krisen & Kontrollen.

Friedrich Dürrenmatts Verszeilen – lange vor Corona niedergeschrieben im „Schweizerpsalm III“ – sprechen von einer unheilvollen Bedrohung. Bedrohungen lösen Ängste aus. Ängste begründen Denkverbote. Denkverbote erschweren die Erkenntnis – etwa die Erkenntnis, dass der gesamten Menschheit gegenwärtig weltweit eine apokalyptische Entwicklung droht. Davon wollen die allermeisten Menschen freilich nichts wissen. Denn die Schrecken, die dadurch ausgelöst werden, sind kognitiv und emotional kaum auszuhalten.

Die Rede ist von der Corona-Pandemie, den demokratiefeindlichen und wirtschaftsschädlichen Maßnahmen dagegen, sowie den absehbaren Folgen. Die globale Pandemie ist eingebettet in eine Weltwirtschaftskrise sondergleichen, die auf nationale Besonderheiten und auf die Eigenschaften des jeweiligen politischen Systems keine Rücksicht nimmt. Unter der Oberfläche der „Seuche“ wuchert die Notwendigkeit einer grundlegenden Umwälzung der kapitalistischen Produktionsweise.

Die Regierungen nahezu aller Länder und jeder Couleur sind der „Schock-Strategie“ des „Katastrophen-Kapitalismus“ (Naomi Klein 2007) erlegen und reagieren, ausgehend von der Annahme einer globalen Pandemie, in konzertierter Aktion. Dabei machte es keinen Unterschied, ob die betreffenden Länder autokratisch beherrscht oder parlamentarisch-demokratisch regiert werden.

In großer Einmütigkeit befolgen die Regierenden die Weisungen einer Reihe von demokratisch nicht legitimierten Super-Organisationen, Think Tanks und Zusammenkünften von Multimilliardären, etwa der World Health Organisation WHO, des Weltwirtschaftsforum WWF, des Johns Hopkins Center for Health Security JHCHS, sowie diverser Stiftungen, darunter die Rockefeller und die Melinda and Bill Gates Foundation. In der Bundesrepublik stützen sich die Regierungen von Bund und Ländern auf das Robert-Koch-Institut und die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina.

Krisen von Wirtschaft und Banken

Unterfüttert ist die Corona-Pandemie von einer ökonomischen, wirtschafts-, finanz- und handelspolitischen Weltkrise. Diese ist schon seit Längerem als realwirtschaftliche Rezession im Gang und wird durch eine Spekulationskrise verschärft. Die Realwirtschaft ist „in den größten Crash seit 90 Jahren geraten“ (Elsner 2021: 10). Einer der Gründe ist der tendenziellen Fall der Profitrate (siehe Krüger 2019). Er erschüttert im Weltmaßstab das kapitalistische System.

Die Geldwirtschaft des imperialistischen Kapitalismus verlangt in der Krise entweder kriegerische Zerstörung im Außen, d. h. die territoriale Eroberung von Ressourcen und Märkten, sowie Wiederaufbaumaßnahmen im Gefolge der Zerstörungen. In diesem Zusammenhang werden Russland und China von der imperialistischen Nato zu Feindbildern stilisiert.

Oder/und das kapitalistische System erzwingt im Inneren eine grundlegende Umwälzung der Produktionsweise. Ziel ist es, die Produktivkräfte im Sinn der industriellen Revolution des „Great Reset“ (Schwab/Malleret 2020) grundlegend umzuschichten und von oben nach unten neu auszutarieren. In diesem Kontext wiederum gilt die Staatsordnung der VR China den westlichen Eliten als Vorbild.

Der Entwicklung und Durchsetzung neuer Methoden der Mehrwertproduktion geht eine „schöpferische Zerstörung“ (Joseph Schumpeter 2005) voraus. Teile der bisherigen Güter und Produktionsverfahren sowie die bestehenden Märkte und ihre Akteure werden ruiniert, wie das gegenwärtig beim Mittelstand und im Verkehrsbereich der Fall ist, bei den kleinen und mittleren Betrieben und Geschäften, beim Kulturangebot, den Sport- und Freizeitvereinen, sowie den sog. Soloselbständigen.

Andererseits erfordert die ökonomische Umwälzung neue Technologien, Produkte, Dienstleistungen, Methoden und Geschäftsmodelle. Online-Bestellungen und Lieferdienste haben deshalb Konjunktur. Das Lernen auf Distanz per Laptop, Zoom-Konferenzen und Home Office nisten sich flächendeckend ein. Ordnungs- und Gesundheitsverwaltungen werden digital aufgerüstet.

„ … die Dinge viel, viel besser machen …“

Eric Schmidt, der ehemalige Executive Chairman von Google und Alphabet Inc. kündigte am 6. Mai 2020 bei einer Pressekonferenz in New York an: „Die ersten Prioritäten unserer Bemühungen konzentrieren sich auf Telemedizin, Fernunterricht und Breitband. Wir können diese furchtbare Katastrophe bewältigen und all dies auf eine Weise beschleunigen, die die Dinge viel, viel besser machen wird. (…) Ich selbst bin der Meinung, dass diese Zeit eine Chance ist, Dinge, denen nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt wird, wieder aufzugreifen.“ (Zitiert nach Telepolis)

Die Elemente der neuen Produktionsweise breiten sich aus und wuchern wie ein Karzinom. Diese Krebserkrankung zeigt sich dergestalt, dass die Produzenten ‚reell‘ unter die Oberherrschaft des Kapitals eingegliedert, d. h. im wortwörtlichen Sinne auf ruinöse Weise einverleibt werden. Die Produzierenden werden in ihrer leiblich-biologischen Verfasstheit als körperliches, psychisches und geistig-intelligentes Wesen integraler Bestandteil der Maschinenwelt. Emotionen sind überflüssig, außer um Konsumbedürfnisse zu steigern.

Die Werktätigen sind nicht mehr, wie der herkömmliche Industriearbeiter an der Maschine oder am Fließband, auf dem Bau oder im Büro, ‚formell‘ subsumiert: d. h. per Arbeitsvertrag, diszipliniert und zugerichtet. Das „Internet der Dinge“ vereinnahmt sie „reell“, greift zu auf ihr wirkliches Leben.

Als Hebel, um diese Umwälzung zu bewerkstelligen, erweisen sich – apokalyptischen Reitern vergleichbar – zwei ‚revolutionäre‘ Methoden der Produktivkraftentwicklung. Sie umfassen sämtliche vitalen und mentalen Lebensbereiche, indem sie diese unter ihre Kontrolle bringen. Es handelt sich zum einen um die Digitalisierung und andererseits um die Biopolitik. Letztere steht nachfolgend im Mittelpunkt.

Biopolitik als „positiver Rassismus“

Die Biopolitik wurde als Theorem von Michel Foucault konzipiert (siehe Foucault 1984 und 1992). Als politisch-ökonomische Praxis steht sie einerseits in der Eugenik-Tradition sowohl des rassistischen NS-Faschismus und seines „politischen Zwangssystems“ (Neumann 1977: 16) als auch der Eugeniker in den USA (siehe Kühl 1998; Lombardo 2002; Saaman 2013).

Andererseits weist sie darüber hinaus und unterscheidet sich auf diese Weise vom eliminierenden Charakter der arischen Rassenhygiene. Ihr „positiver Rassismus“ (Philipp Sarasin 2003) zielt nicht in erster Linie auf die Sozialhygiene des „Volkskörpers“ ab. Dieser sollte nach Maßgabe der NS- und US-Eugenik „gesäubert“ werden von angeblich degenerierten und degenerierenden, das Volkskollektiv von Innen bedrohenden Kräften. Die „Reinigung von defekten Individuen“ durch „die eugenischen Projekte der selektiven Reproduktion, Sterilisation, Inhaftierung“ war bei den faschistischen Rassehygienikern ein wesentlicher Bestandteil ihrer „Sorge für das Leben“ (Rose 2014: 423).

Scheinbar harmlos hingegen gaukelt der biopolitische Rassismus unserer Tage vor, nur das Beste für die Menschen als einzelnes Individuum zu wollen. „Die Norm individueller Gesundheit ersetzte die der Bevölkerungsqualität“ (Rose 2014: 444) – wobei der Gesundheitsbegriff so konzipiert ist, dass er medizinische Kontrollen und Eingriffe legitimiert.

In erster Linie bezweckt Biopolitik, das genetische Material der Individuen zu manipulieren (im Neusprech: zu „verbessern“), um im Rahmen der Fortpflanzung und ihrer Überwachung Fehlbildungen zu vermindern oder sie überhaupt zu vermeiden. Die Auswirkungen der toxischen Belastungen von Umwelt, Luft und Nahrungsmitteln, aber auch durch Medikamente und Antibiotika spielen dabei keine Rolle. Es vollzieht sich die „Medikalisierung der Gesellschaft“ (Geulen 2005: 96): “Es geht darum, das Leben zu erfassen, die biologischen Prozesse der Spezies Mensch.“ (Foucault 1992: 34)

Medikalisierung und Marketing

Am Beispiel des Umgangs mit der viralen Corona-Infektion zeigt sich die biologistisch – genauer: virologisch – verkürzte Ignoranz ebenfalls (siehe Mayer 2021). Aus „Experten“-Sicht völlig verkannt – und geleugnet! – wird die schon vor mehr als hundert Jahren, etwa von Emilie Duclaux (1902), vertretene Einsicht, „dass die Verbreitung, Heftigkeit und Dauer übertragbarer Krankheiten nicht nur die Infektionsquellen umfasste, sondern auch viele andere Faktoren wie Ernährung, Arbeits- und Lebensbedingungen, Ausbildung und Einkommen“ (Rosen 1975: 109).

Längst überschreiten sowohl die medizinischen Eingriffe als auch die Selbstmedikation bei weitem die Grenzen der genetischen Korrektur. Als Beispiele zu nennen sind u. a.: Geschlechtsumwandlung, Schönheitsoperationen, Glückspillen, künstliche Befruchtung, Designer-Babys, Leihmutterschaft, Viagra zur Stärkung der männlichen Sexualität.

Wie die „Gemeinschaftsfremden“ in der NS-Terminologie unterschieden wurden von den „arischen Volksgenossen“ als den „guten, sozialen, gesunden und glücklichen Menschen“ (Dörner 2002: 80), so orientiert sich das biopolitische Leit- und Menschenbild an der Marketing-Vision von Ästhetik und biologischer (Schein-)Perfektion einerseits und der Gender-Diversität von Lebensentwürfen andererseits.

Überwachung bildet die Voraussetzung für biopolitische ‚Verbesserungen‘ und ‚Gefahrenabwehr‘. Die Kontrolle erfolgt vielschichtig: durch ‚Experten‘, durch amtliche und polizeiliche Kontrollagenten, durch digitale Inspektion und nicht zuletzt auch in Form der Selbstkontrolle. Kontrollinstrumente sind Tests und symbolische Zeichen, wie z. B. das Tragen einer Mund-Nasen-Maske, ferner Tracing Apps sowie künftig beispielsweise Impfbescheinigungen und Plastikgeld.

Kontrolle durch Biomacht

Bedeutsam ist, dass die biopolitischen „Kontrollgesellschaften“ (Deleuze 2015) bei den historisch vorausgegangenen Disziplinargesellschaften aufsatteln. Sie zeigen sich daher nicht immer in Reinform. In Deutschland – aber nicht nur hier – ist das Kontrollregime ‚infiziert‘ und durchsetzt mit obrigkeitsstaatlichen, autoritären und faschistoiden Spurenelementen des Wilhelminismus, des Militarismus und des Totalitarismus.

Angesichts der biopolitischen Kontroll-Maßnahmen sind diese Spuren vor allem erkennbar im Rahmen der Überwachung. Diese erfolgt sowohl im internationalen Maßstab als auch national und regional. Letzteres durch Polizei, Militärangehörige, die Mitarbeiter der Ordnungs- und Gesundheitsämter sowie in Gestalt der staatlich verordneten Maßnahmen zur Beschneidung der Grund- und Freiheitsrechte mittels Quarantäne, Einschränkungen der Berufsausübung, Versammlungs- und Demonstrationsverboten, Besuchsreglementierungen, Maskenpflicht usw. (siehe Gössner 2020a, 2020b).

Im Zusammenhang des Kontroll-Dispositivs der Biomacht ist ferner auf die nicht hinterfragte, weitestgehend affirmative Wiedergabe hoheitlicher Erklärungen durch die ‚eingebetteten‘ Medien hinzuweisen bzw. auf die Verhinderung und Löschung von kritischen Gegenmeinungen im Internet und bei den sozialen Medien.

Nicht zuletzt wird Kontrolle auch ausgeübt in Form von Denunziation und durch die gesellschaftliche Ausgrenzung oppositioneller Meinungen und Organisationen. Ferner durch die herabsetzende Diffamierung ihrer Anhänger, auch im zwischenmenschlichen Bereich: unter Kollegen, Nachbarn und ehemaligen Freunden. Wer sich nicht widerspruchslos dem Kontrollschema unterwirft und sich nicht anpasst, wird sozial geächtet.

Technologie der Lebensbewirtschaftung

Biopolitik hat nicht nur eine gesellschaftliche und staatliche, sondern auch eine ökonomische und technologische Seite. Letztere war zunächst „das Ergebnis einer ganzen Reihe von gesetzgeberischen und regulatorischen Maßnahmen, die dazu bestimmt waren, die Wirtschaftsproduktion auf die generische, mikrobielle und zelluläre Ebene zu verlagern, so dass das Leben dem kapitalistischen Akkumulationsprozess wortwörtlich einverleibt wird“ (Cooper 2014: 473).

Dies gilt sowohl für die USA, auf die sich das Zitat bezieht, gleicherweise aber auch für Deutschland, das seit den Weltkriegen mit dem lebenswissenschaftlichen, bio- und neurochemischen, pharmakologischen und biotechnologischen Zweig der nordamerikanischen Wirtschaft eng verbunden ist (siehe Borkin 1986).

Seit den 1980er Jahren wird die staatliche Förderung universitärer und privatwirtschaftlicher Forschung im Bereich der Lebenswissenschaften und der „Lebensbewirtschaftung“ (Hartmann 2002: 129) verstärkt. Zur gleichen Zeit erfolgte die Deregulierung des Bankwesens und der Finanzmärkte. Dies alles hatte einen Boom der biotechnologischen und pharmazeutischen Forschung zur Folge.

Für die moderne Biotechnologie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren vor allem neue Formen der biologischen Reproduktion von Bedeutung. Während des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts befasste die Biotechnologie sich dann „vornehmlich mit der Reproduktion standardisierter Lebensformen in industriellem Maßstab“, ausgehend „von der Pflanzenselektion und -hybridisierung bis zur Reproduktionsmedizin bei Tieren“ (Cooper 2014: 494).

Die Verbindung von Forschung im Labor und Produktion in der Fabrik lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die Biotechnologie-Industrie wurde zu einem wichtigen Faktor für die Klonforschung. „Die Pharma-Industrie war zentral für die Forschung im Bereich der Neurochemie, … Gentechnikfirmen (wurden bedeutsam) für die Sequenzierung des menschlichen Genoms“ (Rose 2014: 448).

Biopolitik ist Klassenpolitik

Dabei ist im klassengesellschaftlichen Kontext zu bedenken: „Auf der molekularen Ebene ist das Leben nur mittels komplizierter und teurer Apparaturen zu erkennen: (durch) Elektronenmikroskope, Ultrazentrifugen, Elektrophorese, Spektroskopie, Röntgenbeugung, Isotopen- und Szintillationszählung in Verbindung mit den Möglichkeiten der Computer zur Datenverarbeitung und jetzt der Kapazität des Internets zur Informationsverarbeitung.“ (Ebd.)

Daraus folgt, dass „die Politik der Lebenswissenschaften – die Politik des Lebens selbst – von denjenigen geprägt (wird), die die menschlichen, technischen und finanziellen Ressourcen kontrollieren, die notwendig sind, um solche Unternehmungen zu finanzieren“ (ebd.).

Die Interessen dieser relativ Wenigen unterliegen keinen demokratischen Meinungs- und Willensbildungsprozessen. Entscheidungen über das Leben der Vielen – über deren Existenz! – werden getroffen, ohne sie an den Entscheidungsprozessen teilhaben zu lassen. Biopolitik ist Klassenpolitik von oben.

Digitaler Kontrollkapitalismus

Der Hinweis auf die Relevanz digitalen Daten- und Informationsverarbeitung im Kontext der Biopolitik unterstreicht, dass es sich bei der Digitalisierung (siehe Bruder u. a. 2020) um ein weiteres zentrales Instrument der Entwicklung der Produktivkräfte „in der gegenwärtigen Offensive kapitalistischer Reorganisation“ (Hartmann 2020: 161) handelt.

Die Funktion dieses zweiten apokalyptischen Reiters soll hier nur angedeutet und zumindest erwähnt werden. Die IT-Industrien gelten, ebenso wie die Biotechnologie, als geeignet, die weltweite Wirtschaftskrise zu bewältigen und dem Fall der Profitrate zu begegnen – allerdings, wie schon im BioTech-Bereich zu beobachten, gleichfalls im Klasseninteresse derer, welche die Kontrolle ausüben über das Knowhow, die technischen Voraussetzungen und die finanziellen Mittel.

Genau genommen „handelt (es) sich um einen vielschichtigen Komplex von Interessen, die in ihrem Zusammenspiel eine eigene Dynamik entstehen ließen“ (Hirsch 2020: 147). Ermöglicht durch die Corona-Krise kommen die Unternehmen der Digitalindustrie – die „Internet-Kapitalisten: Google, Facebook, Amazon & Co“ (Rügemer 2018) – weltweit in den Genuss der Ausweitung ihrer Märkte und zu einer Unzahl neuer Aufträge und Profitmöglichkeiten.

Künstliche Intelligenz und der Ausbau des Mobilfunks durch 5G-Sendeanlagen (Gutbier/Hensinger 2019) erweitern enorm die bisherigen Geschäfts- und Risikobereiche im Rahmen des „Überwachungskapitalismus“ (Zuboff 2018). Sie erschließen aber auch zusätzliche Geschäftsbereiche, welche mit gesundheitlich riskanten Folgen belastet sind.

Die Tabuisierung des Todes und das Leben als Geschäft

Die gesundheitlich riskanten Folgen haben ihrerseits wieder biopolitische, insbesondere pharmazeutische Forschungen zur Folge und ebenso medizinische, zum Teil operative Eingriffe. Der Kreislauf der Profitsteigerung zwischen Bioökonomie und Digitalwirtschaft erweist sich als endlos.

Diesen Kreislauf ergänzt der Zirkel, der sich zwischen dem Gesundheitswesen und der Pharmaindustrie eingespielt hat: Viele ärztlich verschriebene Medikamente haben Nebenwirkungen mit Krankheitsfolgen, die ihrerseits einer Diagnose in der ärztlichen Praxis und in den medizinischen Laboren bedürfen, um dann wieder medikamentös therapiert zu werden.

Das Geschäft mit der Gesundheit endet mit dem Tod. Diesen gilt es deshalb so weit wie möglich hinaus zu zögern. Siehe u. a.: Covid-19 und die politischen sowie intensivmedizinischen Gegenmaßnahmen. Als Tabu gilt daher die Selbstverständlichkeit des Satzes, „wo Leben ist, da ist auch Tod“ (Burnet 1971: 32).

Durch den unbeschränkten Zugriff auf persönliche Daten generieren die Internetwirtschaft und die gesamte Digitalbranche Gewinne und Machtzuwächse. Zusätzlich erhält die Digitalbranche von Seiten der Regierungen Subventionen in Milliardenhöhe. Im Interesse der Bevölkerungskontrolle und der Konsumsteigerung ist sowohl dem Staat als auch den Unternehmen an der reibungslosen Kooperation mit dem expandierenden Digitalsektor gelegen.

Die Internetwirtschaft liefert den staatlichen Organen Know-how, Daten, Informationen und „Technologien politischer Kontrolle“ (Arndt 2005). Allein in der Bundesrepublik wird deshalb der weitere Ausbau der bereits vorhandenen digitalen Infrastruktur in Höhe von knapp vier Milliarden Euro finanziert. Für die Entwicklung und Einrichtung neuer digitaler Technologien werden weitere elf Milliarden Euro zur Verfügung gestellt.

Mit einer Gesamtsumme von zusätzlich knapp 34 Milliarden Euro wird die Digitalisierung in sog. „gesamtgesellschaftlich relevanten Bereichen“ staatlich gefördert: in der Wirtschaft, der Kultur, der Politik und Verwaltung, dem Schul- und Gesundheitswesen sowie beim Militär.

Transhumanismus – ein Fremdwort für Linke

In der gegenwärtigen Corona-Krise bekommen Digitalisierung und Biopolitik ein Ausmaß und eine Bedeutung mit Folgen. Insbesondere die biopolitischen Konsequenzen übertreffen jene der rassistischen Eugenik faschistischer und US-amerikanischer Provenienz bei weitem (stehen aber wohlgemerkt in deren Tradition). Erst recht übertreffen die Konsequenzen der Digitalisierung die Auswirkungen der Spitzel- und Überwachungssysteme der Disziplinar-, Kontroll- und Eliminierungsgesellschaften in der jüngsten Geschichte.

Historische Parallelen allein vermögen daher die Intensität und das Ausmaß der apokalyptischen Bedrohung durch Biopolitik und Digitalisierung nicht zu erfassen. Die freiheitsbeschränkenden Maßnahmen des Corona-Regimes vermitteln zunächst nur eine viel zu harmlose Ahnung davon. Obendrein sind die absehbaren Schrecken, wie eingangs erwähnt, kognitiv und emotional kaum auszuhalten. Sie werden verdrängt oder zu einem futuristischen Mythos stilisiert.

Wenn die neue industrielle „Reset“-Revolution im Rahmen der Biopolitik und der Digitalökonomie nicht die endgültige Versklavung der Menschheit auf neuer, transhumanistischer Stufe (siehe Loh 2018) zur Folge haben soll, ist es Zeit für den sozialrevolutionären Widerstand. Das „Engagement zur Verteidigung einmal erkämpfter Rechte als kleinbürgerlich abzutun … (ist) geschichtslos“ (Frankl/Roth/Weißert 2020: 97).

Hier allerdings versagen derzeit die linken Parteien, Printmedien und Organisationen. Ja, sie machen sich sogar zum Fürsprecher der undemokratischen und polizeistaatlichen „neuen Normalität“; beispielsweise bekämpfen Gruppen der Antifa – vollmundig „gegen rechts“ – Kundgebungen und Demonstrationen für die Rückkehr zum Rechtsstaat und zu den Kernanliegen des Grundgesetzes (siehe Gössner 2020a). Den Mangel an demokratischer Solidarität nutzen die Herrschenden zur Proklamation einer Ergebenheits-Solidarisierung der Bevölkerung mit jenen Politikern, die „im Bürger mehr Untertan als Souverän sehen“ (Gujer 2021).

Umso wichtiger ist es, dass sich an der gesellschaftlichen Basis neue Kräfte zusammenschließen, die mehr wissen wollen: Über die politisch-ökonomischen Krebs-Wucherungen der Geldwirtschaft des imperialistischen Kapitalismus in der Krise, statt – wie Dürrenmatt es formuliert hat – im übertragenen Sinne zu leben „in ewiger Furcht vor Schnupfen und Masern“.

Zitierte und erwähnte Literatur

  • Arndt, Olaf (2005): TROIA. Technologien politischer Kontrolle. Materialband zum Kultur2000-Projekt. München
  • Berenbaum, Michael / Peck, Abraham J. (1998): The Holocaust and History. The Known, the Unknown, the Disputed and the Reexamined. Bloomington and Indianapolis
  • Borkin, Joseph (1979, 1986): Die unheilige Allianz der I. G. Farben. Eine Interessengemeinschaft im Dritten Reich. Frankfurt/Main
  • Bruder, Klaus Jürgen / Bialluch, Christoph / Günther, Jürgen / Nielsen, Bernd / Zimmering, Raina: „Digitalisierung“ – Sirenengesänge oder Schlachtruf einer kannibalistischen Weltordnung. Frankfurt am Main
  • Burnet, F. Macfarlane (1971): Naturgeschichte der Infektionskrankheiten des Menschen. Frankfurt am Main
  • Cooper, Melinda (2014): Leben jenseits der Grenzen. Die Erfindung der Bioökonomie. In: Folkers/Lemke: 468-524
  • Deleuze, Gilles (2014): Postskriptum über die Kontrollgesellschaften. In: Folkerts/Lemke: 127-133
  • Deppe, Hans-Ulrich / Regus, Michael (1975): Seminar: Medizin, Gesellschaft, Geschichte. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Medizinsoziologie . Frankfurt am Main
  • Dörner, Klaus (2002): Tödliches Mitleid. Zur Sozialen Frage der Unerträglichkeit des Lebens. Neumünster
  • Duclaux, Emile (1902): L’hygiène sociale. Paris
  • Elsner, Wolfram: Zeitenwende. Die Corona-Pandemie und die Umbrüche in den internationalen Verhältnissen. In: Unsere Zeit, 8. Januar 2021
  • Folkers, Andreas / Lemke, Thomas (2014): Biopolitik. Ein Reader. Frankfurt am Main
  • Foucault, Michel (1984): Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks. München
  • Foucault, Michael (1992): Leben machen und sterben lassen. Die Geburt des Rassismus. In: Reinfeld/Schwarz 1992
  • Frankl, Reinhard / Roth, Rainer / Weißert, Tobias (2020): Lockdown – Nicht nochmal! Eine Streitschrift zur Sache. Frankfurt am Main
  • Geulen, Eva (2005): Giorgio Agamben zur Einführung. Hamburg
  • Gössner, Rolf (2020a): Menschenrechte und Demokratie im Ausnahmezustand. Gedanken und Thesen zum Corona-Lockdown, zu „neuer Normalität“ und den Folgen. Dähre
  • Gössner, Rolf (2020b): Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat in Zeiten der Pandemie. In: Hofbauer/Kraft 2020: 165-178
  • Gujer, Eric (2021): Die Politik liebt den Lockdown. Manche Politiker können sich ein Leben ohne Bevormundung der Bürger offenbar nicht mehr vorstellen. Sie möchten den Ausnahmezustand künstlich verlängern. In: Neue Zürcher Zeitung, Internationale Ausgabe vom 9. Januar: 1
  • Gutbier, Jörn / Hensinger, Peter (2019): Mobilfunk, 5G-Risiken, Alternativen. Einführung in die Auseinandersetzungen um eine strahlende Technologie. Basel
  • Hartmann, Detlef (2020): Die Rolle der IT-Industrien in der gegenwärtigen Offensive kapitalistischer Reorganisation und die Perspektiven von Widerstand und sozialer Revolution. In: Bruder u. a. 2020: 161-176
  • Hartmann, Detlef (2002): „Empire“. Linkes Ticket für die Reise nach rechts. Umbrüche der Philosophiepolitik. Berlin, Hamburg, Göttingen
  • Hirsch, Joachim (2020): Sicherheitsstaat 4.0. In: Hofbauer/Kraft 2020: 143-153
  • Hofbauer, Hannes / Kraft. Stefan (2020): Lockdown 2020 Wie ein Virus dazu benutzt wird, die Gesellschaft zu verändern. Wien
  • Klein, Naomi (2007): Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus. Frankfurt am Main
  • Krüger, Stephan (2019):Profitraten und Kapitalakkumulation in der Weltwirtschaft. Arbeits- und Betriebsweisen seit dem 19. Jahrhundert und der bevorstehende Epochenwechsel. Hamburg
  • Kühl, Stefan (1998): The Cooperation of Geman Racial Hygienists and American Eugenicists before and after 1933. In: Berenbaum/Peck 1998: 134-151
  • Loh, Janina (2018): Trans- und Posthumanismus zur Einführung. Hamburg
  • Lombardo, Paul A. (2002); „The American Breed“. Nazi Eugenics and the Origins of the Pioneer Fund. In: Albany Law Review,Vol 65, no. 2: 745-825
  • Mayer, Peter F. (2021): Die Corona-Falle. Oder: Politiker und Virologen bellen den falschen Baum an. Bergkamen
  • Neumann, Franz (1977): Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944. Köln, Frankfurt am Main
  • Reinfeld, Sebastian / Schwarz, Richard (1992): Biomacht. Duisburg
  • Rose, Nikolas (2014): Die Politik des Lebens selbst. In: Folkers/Lemke 2014: 420-467
  • Rosen, George (1975): Die Entwicklung der sozialen Medizin. In: Deppe/Regus: 74-131
  • Rügemer, Werner (2018): Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts. Köln
  • Samaan, A. E. (2013): Harvard and the Holocaust. Erstveröffentlicht in: From a ‚Race of Masters‘ to a ‚Master Race‘; digital unter www.RaceOfMasters.com
  • Sarasin, Philipp (2003): Zweierlei Rassismus? Die Selektion des Fremden als Problem in Michel Foucaults Verbindung von Biopolitik und Rassismus. In: Stingelin, 55-79
  • Schumpeter. Joseph A. (2005): Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. Stuttgart
  • Schwab, Klaus / Malleret, Thierry (2020): Covid-19. Der große Umbruch. Genf
  • Stingelin, Martin (2003): Biopolitik und Rassismus. Frankfurt am Main
  • Zuboff, Shoshana (2018): Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus. Frankfurt am Main, New York

5 Antworten auf „Nummer 17 Rudolph Bauer Apokalyptisch“

  1. Lieber Rudolf,
    wo sind die von Dir geforderten Gruppen, die den nötigen Widerstand leisten? Ich würde mich gern anschließen.
    Grüße: Doris

    1. Lieber Rudolf, herzlichen Dank und Gratulation. Diesen wunderbaren sehr umfangreichen Artikel werde ich verbreiten. Wer damit nichts anfangen kann und ihn negativ beurteilt hat selber schuld.
      Lieben Gruß
      Gisela

  2. Moin.
    1. Was soll das heißen, „Digitalisierung und Biopolitik [der corona-Krise]… übertreffen jene der rassistischen Eugenik faschistischer und US-amerikanischer Provenienz bei weitem“.
    Sollen hier sechs Millionen tote Jüd:innen gegen das Versagen der Weltgemeinschaft in der Pandemie aufgerechnet werden?
    2. Geschlechtsumwandlungen haben sicherlich eine biopolitische Dimension, aber sie auf die gleiche Ebene wie Schönheitsoperationen zu stellen, schließt die Augen vor aktuellen Kämpfen der Geschlechterordnungen. Denn auch Geschlecht ist eine Strukturkategorie – nicht nur Klasse.
    Beste Grüße, Jutta Weber

    1. An Jutta Weber
      Ad 1.) Klare Antwort: Nein. Eugenik und Judenmord sind nicht dasselbe. Das antijüdisch-rassistische Massenmorden ist zu unterscheiden von der „rassenhygienischen“ Eugenik als einer sozial-, bevölkerungs- und gesundheitspolitischem Konzeption. Ihre allgemeine Zielorientierung besteht darin, mittels der Erforschung der erbbiologischen Gesetzmäßigkeiten sowie der Kontrolle und Manipulation der Fortpflanzungsprozesse sog. Degenerations-oder Entartungserscheinungen „auszumerzen“ [„negative Eugenik“] und darüber hinaus durch „erbpflegerische“ Maßnahmen zu einer „Höherentwicklung“ und „Aufartung“ der Gesellschaft zu gelangen [„positive Eugenik“].
      Ad 2.) Die Differenzierung, was Geschlechtsumwandlung einerseits und Schönheitsoperationen andererseits betrifft, ist zutreffend. Der Eindruck einer Gleichsetzung entsteht dadurch, dass ich an dieser Stelle – wie auch an anderen – nicht ins Detail zu gehen vermochte. Dazu fehlte einfach der Platz. Deshalb vielen Dank für Ihren zuteffenden Einwand, der mir qua Kommentar erlaubt, die von Ihnen vorgenommene Differenzierung im Interesse der strukturkategorischen Sichtweise besondes herauszustreichen.
      Mit herzlichem Gruß, Rudolph Bauer

  3. Liebe Jutta, lieber Rudolph, bevor diese Debatte noch auf falsche Gleise gerät, möchte ich kurz etwas einwenden: Rudolph hat in seinem Beitrag, den ich veröffentlicht habe, weil ich ihn als deutliches Wort in einer oft verschwommenen Debatte sehr schätze, m.E. an keiner Stelle gesagt, dass er eugenische Prinzipien gutheisst. Ganz im Gegenteil versucht er, deutlich zu machen, an welchem Punkt gesundheitspolitische und ideologische Projekte des „verdachtsfreien“ Kapitalismus Eigenschaften eugenischer Natur annehmen. Ob das übertrieben wahrgenommen ist oder nicht, stelle ich zur Debatte.
    Ich verstehe, er bezieht sich dabei auf Foucault, der den Charakter von Eugenik, Rassenhygiene und Bevölkerungspolitik als neue Machttechnik betonte, die Foucault als Biopolitik bezeichnete. Diese Terminlogie greift Rudolph auf. Siehe hierzu: https://de.wikipedia.org/wiki/Eugenik . Dort heisst es: „Die Anfangsgründe dieser neuen Machttechnik sah Foucault bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit dem Aufkommen des Bürgertums und dessen intensiver Beschäftigung mit der Sexualität, die zunehmend staatlichen Regelungen unterworfen wird.“
    Ich möchte betonen, dass bei flächendeckenden Eingriffen in die Privatsphäre wie derzeit, die seit Gründung der Bundesrepublik beispiellos sind, es einen erheblichen Diskussions- und Verständigungsbedarf gibt, der in den letzten zehn Monaten – z.B. durch Isolierung der Gesprächspartner – weitestgehend unterbunden wurde. Deswegen schätze ich Juttas präzise Nachfrage sehr – sie trägt zur Klärung unscharfer Passagen bei und führt in die richtige Richtung. Ich sehe mich als Herausgeber aber zudem verpflichtet, die Debatte auf einen fruchtvollen Weg zu bringen. Dieser ist immer in Gefahr, wenn Vergleiche mit dem III. Reich benutzt werden. herzlich Olaf

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