Paul Alfred Kleinert berichtet über die Arbeit des Netzwerkes „200 Häuser“ Berlin und den Kampf gegen den „asozialen Strom“. Doch zunächst einige Worte zum Autor und zur Situation, auf die sich sein Text bezieht.
Alle starren auf ein Virus – und im Hintergrund geht der Ausverkauf von Wohnraum weiter: fast unbemerkt, gäbe es nicht einige hoch engagierte Netzwerke, die darum kämpfen, dass unsere Städte nicht einer „Londonisierung“ anheim fallen.
Eine dieser Gruppen, 200 Häuser, die 100.000 Menschen vertritt, hat kürzlich die Liste Ihrer Forderungen publiziert, die lesenwert ist.
Nachfolgend aus Anlass dieser Publikation von #200Häuser ein einführender Text von Paul Alfred Kleinert. Kleinert ist Schriftsteller und Gründungsmitglied des Internationalen Franz Fühmann Freundeskreises.
Kleinert, selbst engagiert im Netzwerk 200 Häuser, setzt in der Tiefe der deutschen Mietengeschichte an, dort, wo vor 50 Jahren die Weichen falsch gestellt wurden.
An welchem Punkt aber dies unerträglich wurde, so dass bald nur noch Mitglieder der sogenannten Elite und des internationalen Finanzkapitals in der Innenstadt leben können und die Diener dieser Klasse per public transport aus den Speckgürteln anreisen müssen, das stellen der Text von Kleinert und die im consensus-Verfahren verabschiedeten Forderungen des Netzwerks noch mal deutlich heraus.
Auch wird fühlbar, dass die Praktiken der Entmietung eine Form von Körperverletzung sind.
Allein durch die politische Legitimierung von >share deals<, durch das Fehlen geeigneter Instrumente, die gesetzlich längst festgeschriebenen Eigentumsverpflichtungen oder Milieuschutzauflagen auch durchzusetzen, konnte so ein Zustand entstehen.
Kleinerts Einführung stellt klar, dass es sich um leicht zu ändernde Verhältnisse handelt – wenn der Wille dazu vorhanden wäre!
Denn die Situation ist von Menschen gemacht, kein wirtschaftliches Naturgesetz.
Dass Aktivisten und einige wenige Politiker jetzt versuchen, für aufgeteilte, aber noch nicht verkaufte Häuser Auffanggesellschaften zu erfinden oder durch Senatsankäufe zu retten, was noch nicht ganz verloren ist, ist zwar nett, befestigt aber eigentlich nur die falschen, weil spekulativen Wohnraum-Preise.
Der Schnitt durch das Geschäft mit der existenziellen Grundlage „Wohnen“ könnte und müsste viel radikaler ausfallen.
Paul Alfred Kleinert: Wohnen als Ware
Seit Mitte der 1970er Jahre ist die zunehmende Erstarkung eines verantwortungslos betriebenen Neoliberalismus zu beobachten, der nach und nach freiheitliche Grundrechte in den jeweiligen Staatsgebilden aushöhlt, beseitigt und politische wie wirtschaftliche Korruption in wachsendem Maße fördert. Auch das Wohnen verkam und verkommt so zur Ware, die einhergehende organisierte Verantwortungslosigkeit macht sich gerade im Wohnsektor deutlich bemerkbar.
Asozialisierung des Staatswesens
Nur ein Beispiel dafür sind die Hausverkäufe aus den sozialen Segmenten in den europäischen Großstädten durch die jeweils politisch Verantwortlichen – wobei Parteizugehörigkeit keine Rolle spiel(t)e; unter jeder Couleur funktioniert(e) das prächtig. Waren bedürftige Häuser aus den benannten Segmenten mit Steuergeldern zunächst aufwendig rekonstruiert und restauriert worden, so wurden sie hernach zu einem Spottpreis an freie Investoren verschleudert. Die entsprechenden Mietsteigerungen ließen nicht auf sich warten. Eine Verdrängung der angestammten Mieterschaft in bisher nicht gekanntem Maße war die Folge – und das nicht nur in den Innenstädten. Ebenso ging die über Jahrzehnte in den Kiezen gewachsene Infrastruktur vor die Hunde. Verdrängung kleiner Gewerbetreibender und Händler, Ausdünnung öffentlicher Dienstleistungen (etwa die zunehmende Einsparung der einstmals staatlichen Poststellen) und dergleichen mehr sind weitere Indizien dieser zunehmenden Asozialisierung des hiesigen Staatswesens.
Verhaltene Gegensteuerungen einer sich noch für das Gemeinwohl verantwortlich wissenden Minderheit in politischen Ämtern, wie die Einrichtung von Milieuschutzgebieten, die eines Mietspiegels oder der Versuch der „Mietbremse“, erwiesen sich als entweder zu spät kommend, nicht greifend oder gesetzlich nicht durchsetzbar; hier kam mehr der gute Wille Einzelner als ein wirklich greifendes rechtlich-politisches Konzept zum Tragen.
Spekulation
Die Mietsteigerungen erreich(t)en im Laufe der Zeit ein unerträgliches Maß, Wohnraum wurde und wird zum Spekulationsobjekt, die darin befindlichen Subjekte aus ihren angestammten Bezügen mit allen, z.T. kriminellen, Mitteln entfernt. Die Gesetzgebung schwieg und schweigt weitgehend dazu – wie zu anderen Prozessen im Lande auch.
In die so ‚gewonnenen‘ Wohnräume werden Billigmöbel gestellt. Dieselben, angepriesen als „Wunderflats“ und entsprechend preisgeboten, finden (bei der allgemeinen Wohnraumknappheit) reißenden Absatz. Dass die so möblierten Wohnungen aus avisierten Mietpreisbindungen herausfallen, versteht sich dann von selbst. Mietsteigerungen von 300%- 500% sind keine Seltenheit mehr. Ein sichtbares Entgegenwirken einer wie auch immer gearteten Politik oder gar staatliches Eingreifen sind nicht zu bemerken. Das voraufgegangene sei als nur ein Beispiel findiger Investoren und den Prozess begleitender botmäßiger Politiker benannt.
Bleibt es den Betroffenen, sich zu organisieren und den Versuch zu wagen, diesem asozialen Strom entgegenzuwirken.