Manifest der Fischberührer

Politisch engagiert?!
Das waren die Jusos!
Wir waren Revolutionäre!

Lutz Schulenburg im Interview mit Jan Bandel, 2007, s.o.

Heute erscheint als Nummer 39 unserer Rubrik „Es lebe die Freiheit!“ der Text „Bombardiert die Vororte des Schlafs“ von Hanna Mittelstädt. Es ist ein Auszug, den die Redaktion von DIE AKTION aus der „Verlagsbiografie“ von Edition Nautilus mit dem programmatischen Titel „Arbeitet nie!“ zusammengestellt hat.

Das 360 Seiten starke Buch widmet sich der „Erfindung eines anderen Lebens“ am Beispiel der über vierzig Jahre sich erstreckenden verlegerischen Zusammenarbeit von Lutz Schulenburg, Pierre Gallisaires und der Autorin.

Die Suche nach einem anderen Leben ist heute umso wichtiger, als wir alle in der Klemme der Arbeit stecken: ob nun in einer 996-Arbeitskultur (9 Uhr morgens bis 9 Uhr abends, 6 Tage die Woche), wie sie heute in China üblich ist oder in der vom Staat aufoktroyierten Verlängerung des Arbeitslebens, die gerade Millionen in Frankreich auf die Straße treibt und zu wütenden bürgerkriegsähnlichen Szenarien führt.
Der Kampf ist der gleiche: die Ausbeutung von Lebenszeit durch ein kapitalistisches Repressionssystem steht der „flachliegenden Verweigerung“ (auf chinesisch: Tangping) gegenüber.

So ist auch der Text von Mittelstädt nicht einfach eine Chronik, sondern die konzentrierte Vermittlung von Ideen und Praxen, die helfen dem Druck zu entschlüpfen: „Fische anfassen“ nennen das die Tanpingisten.

Im Untergrundblättle, für das auch Mittelstädt schreibt, heisst es dazu genauer:
Wie Tangping ist auch dies ein neuer Begriff, der von der chinesischen Jugend als Reaktion auf eine bedrückende Kultur der Überarbeitung geprägt wurde. Der Begriff selbst ist eine Anspielung auf das Sprichwort „Schlammige Gewässer machen es leicht, Fische zu fangen“, und die Idee ist, die Covid-Krise auszunutzen, die die Aufmerksamkeit der Führungskräfte von der Überwachung ihrer Mitarbeiter ablenkt. Auch sie scheint sich von einem Hashtag zu einer Philosophie zu entwickeln, so dass wir vielleicht bald ein Manifest für Fischberührer sehen werden.

Die titelgebende Parole „Arbeitet nie!“ ist angesichts der chinesischen Bewegung Tangping brandaktuell, aber in den politischen Kreisen, in denen die Autoren sozialisiert wurde, nicht wirklich neu. Das macht sie allerdings kein bisschen weniger radikal.
Sie steht im Kontext der seit nahezu 150 Jahre anhaltenden Kämpfe der Arbeiter für ein menschenwürdiges Leben.

Wie der Schwiegersohn von Karl Marx, Paul Lafargue, bereits 1883 in seiner Schrift „Das Recht auf Faulheit“( le droit à la paresse) unmissverständlich klar formulierte:
„Wenn die Arbeiterklasse sich das Laster, welches sie beherrscht und in Natur herabwürdigt, gründlich aus dem Kopf schlagen und sich in ihrer furchtbaren Kraft erheben wird, nicht um die famosen Menschenrechte zu verlangen, die nur die Rechte der kapitalistischen Ausbeutung sind, nicht um das Recht auf Arbeit zu proklamieren, das nur das Recht auf Elend ist, sondern um ein eher neues Gesetz zu schmieden, das jedermann verbietet, mehr als drei Stunden pro Tag zu arbeiten, so wird die alte Erde, zitternd vor Wonne, in ihrem Innern eine neue Welt sich regen fühlen…“

Mittelstädts fulminanten Werk angemessen, startet nun eine eindrucksvoll umfangreiche Lesereise, deren Termine hier zu finden sind.

Eine Antwort auf „Manifest der Fischberührer“

  1. Seit meinem 24. Lebensjahr bin ich nicht mehr „arbeiten gegangen“, tat nur was mir Freude machte, bis heute mit 71 Jahren. Zwar arteten der eigene Garten und die Hausrenovierung des Eigentums manchmal in Arbeit aus, doch die erfolgte freiwillig. Nichts darüber gelesen, einfach mir selbst vertraut und Geld war trotzdem immer ausreichend vorhanden. Freude zieht alles an, Leid wirkt abstoßend. Eher getreu dem Zitat „seid frei wie die Vögel des Himmels, sie säen nicht, sie ernten nicht, und der Herr nährt sie doch“. Ohne Gottvertrauen ging es also auch nicht, und der sorgt schon für die Seinen. Eine Portion Liebe für seine Mitmenschen gehört aber noch dazu. Waagerecht steht man senkrecht? Interessant, das neue Aussteigen heißt ja auch „ich will mich nur noch hinlegen…..“. Und manchmal ist es sowieso besser nichts zu tun als irgendwo zerstörerisch mitzuwirken. Beispiele gibt es heute genug was mit der Umwelt passiert, durch einige, die arbeiten.
    Zwar las ich nie was von Hanna Mittelstädt, aber sie geht damit wohl ähnlich um. Gefällt mir.

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