1. Auf flachen Pfützen und staubtrockenen Äckern
Aus der höchst anregenden Diskussion um meinen Artikel „Schockwellenreiter“ veröffentliche ich heute einige spannende, für eine größere Leserschaft bestimmte Kommentare.
185 Kommentare sind online verfügbar – doch viele nachdenkenswerte Zeilen erreichten mich auch per Email – darunter eine kritische Anmerkung unseres Freundes Holger Kenn und eine schöne wütende Notiz unserer Freundin Evelyna.
Ich starte mit der ein wenig wehmütig klingenden, doch sehr präzisen Analyse unseres Freundes Jürgen, dem sich der Eindruck aufdrängt, „dass es im individuellen (auch massenpsychologischen) Agieren nur minimale Nuancen gewohnten Handelns gibt. Sowohl in der Konformität, als auch in der vermeintlich oppositionellen Empörung. Es passiert also eigentlich fast gar nichts. Das Schockwellenreiten findet folglich auf flachen Pfützen oder staubtrockenen Äckern statt… Diese Aussage würde ich auch auf das staatliche Handeln beziehen, wenn man von den ökonomischen Einbrüchen und dem diesbzüglichem Gegensteuern absieht. Die ökonomischen Folgen dieser Monate werden erst dann sichtbar und spürbar werden, wenn die Aufmerksamkeits-Ökonomie schon wieder etwas Neues entdeckt haben wird.“
2. Überforderung und fehlende Weitsicht?
Holger Kenn schrieb mir, er sähe es als problematisch an, dass ich die „fehlerhafte Einschätzung (z.B. RKI-Empfehlung zu Obduktionen, aber auch z.B. die ganze Maskendiskussion) mit verunglückter Kommunikation (Drosten, aber auch Söder)“ als „aktiven, um nicht zu sagen: bösartigem Irrsinn“ deuten würde, „insbesondere wenn es dabei um unterschiedliche Akteure und unterschiedliche Zeitpunkte geht. Hier implizierst Du eine Strategie oder doch zumindest eine Grundhaltung, wo man mit etwas gutem Willen auch einfach nur Überforderung und fehlende Weitsicht sehen könnte.
Auch wenn man sich natürlich wünschen würde, das sich gerade eine gewählte Regierung mit einer Naturwissenschaftlerin an der Spitze vorher genau überlegt, welche Worte sie wählt, war z.B. die Nummer mit der Disziplin wohl ehr ein Griff in die Mottenkiste, als ein gezielter Apell an den preussischen Obrigkeitsstaat.“
Soweit Holger.
Hier meine Antwort an ihn: „1995 sind die sog. Referenzzentren in Deutschland neu organisiert worden, mit viel Aufwand und Budget und durchgehender Besoldung, nehme ich an. Seit etwa 2008 gibt es verschiedene Arbeitsgruppen rund um das Wuhan-„Risiko“, das darin besteht (was auch viele Leute bemerkt hatten), dass mittelständische Pharma-Firmen mit einem vermutlich eher geringen Sicherheitsstandard aus Risikokapital Genscheren kaufen und mit (Corona)Viren als Vektoren arbeiten. 2009 gab es die sog. Schweinegrippe. Ein Testfall vor 11 Jahren.
An was haben die RKIler seit 25 Jahren gearbeitet, dass sie jetzt, wie das ZDF sie so schön zitiert, „auf offener Bühne“ (wohl analog zu “am offenen Herzen“) lernen?
Man darf da m.E. mehr erwarten. Die Forscher vom RKI haben vom Staat ihre Rolle erhalten, weil es eine Expertengruppe geben sollte, die sich genau für so einen Fall bestmöglich präpariert – und wir haben sie nur dafür aus Steuermitteln alimentiert, oder?“
Diesen luxoriösen Apparat zur Risikoabwendung haben wir ein viertel Jahrhundert „vorgehalten“, damit der Staat eben nicht auf mittelalterliche Methoden der Infektionsvermeidung zurückgreifen muss.
3. Ich bin wütend!
Meine Freundin Evelyna schrieb mir kürzlich etwas, das hierzu als Antwort gut passt:
“Ich habe gerade recherchiert, wie man mit einfachen Hausmitteln Angebranntes reinigen kann, oder die Kerzenleuchter vom Wachsresten befreit.Sie wirken noch, die guten mittelalterlichen Methoden. Wie beruhigend! Und wie beunruhigend, dass man noch im 21. Jahrhundert in der Epidemiebekämpfung ebenso mittelalterliche Methoden anwendet. „Einsperren! Einsperren!“… hört man die Rufe und „Verbrennen!“ Kein Kontakt! Häretikern werden online die Zungen abgeschnitten.
Wo sind die innovativen, intelligenten Problemlösungen?
Wozu haben wir uns diese wohlgenährte, top-frisierte, irrsinnig teuer aus- und weitergebildete politische Elite geleistet? Ich dachte immer, das machen wir, damit wir eine Avantgarde vorne oder oben oder wo auch immer in der Gesellschaft parat hätten für Tage wie diese.Vorausschauend, analytisch, human – sollte man doch für das ganze Geld, das unsere Gesellschaft in ihre Elite investiert hat, erwarten dürfen, oder? Ich bin wütend!“
Soweit Evelyna.
Wo ist sie? Unsere angeblich weltweit führende Hi-Tech Nation? Hat sie wirklich nur selbstgenähte Gesichtsläppchen und die Polizei zu bieten, die ihr Tragen kontrolliert?
4. Versagen auf der ganzen Linie?
Besonders zum Nachdenken anregend, aber leider auch tief in den Eingeweiden der Kommentar-„threads“ verborgen, ist ein längerer Text des Forums-Mitgliedes „Naturzucker“, dessen wahre Identität ich nicht kenne, den ich aber hier dennoch gern zitieren möchte.
„16.05.2020 09:21 Es gibt bei Corona eigentlich nur 3(4) relevante Fragen
Hat die Bundesregierung ausreichend Vorsorge für den Fall einer Pandemie getroffen?
Welche Lehren wurden aus Schweinegrippe, Sars und der Risikostudie des RKI aus dem Jahr 2012 getroffen?
Schutzkleidung wurde nicht bevorratet, Testkapazitäten abgebaut, Produktion lebensnotwendiger Medikamente ins Ausland verlagert. Und wäre Corona 5 Jahre später aufgetreten, hätte die Politik mit Schützenhilfe und ideologischer Begleitung von Bertelsmann und der Leopoldina die deutsche Krankenhauslandschaft in gleichem Maß rasiert wie es in Spanien oder Italien bereits heute der Fall ist
Antwort: Versagen auf der ganzen Linie.
Hat die Bundesregierung rechtzeitig reagiert?
Auch, wenn Spahn & Co noch im Januar eifrigst damit beschäftigt waren, sich mit Hilfe des Zwangsgebührenfunks über besorgte Bürger und Verschwörungstheoretiker im Internet lustig zu machen, die damals davor warnten, Corona sei gefährlicher als SARS, auch wenn in Bayern noch Kommunalwahlen angehalten wurden und bundesweit Karneval und Starkbierfeste gefeiert wurden, Fußballspiele mit Publikum stattfanden, offenbar hat Deutschland noch gerade rechtzeitig die Kurve gekriegt. Anders als Italien und Spanien, die es besonders hart getroffen hat.
Man wird aber bei der Aufbereitung der Vorgänge (i)m Januar 2020 sehen, dass die Bundesregierung Corona mindestens um 4 Wochen verschlafen hat. 4 Wochen, die am Ende gefehlt haben, um das in den Vorjahren versäumte nun nachzuholen.
Antwort: die Bundesregierung hat erst spät reagiert und dann sehr drastische Maßnahmen getroffen. Ob und in welchem Umfang die Maßnahmen der Bundesregierung angemessen waren, dies ist die dritte Frage.
Waren die Maßnahmen angemessen und richtig?
Man könnte sagen, das Ergebnis gibt der Regierung recht. Es ist nicht zu der ganz großen Katastrophe wie in einigen anderen Ländern gekommen. Und das, obwohl hier in nicht allen Bundesländern das öffentliche Leben so eingeschränkt wurde wie in Italien oder Spanien. Und auch die Einschränkungen für die Wirtschaft waren nicht ganz so drastisch wie in Italien.
Aber hier fehlt immer noch der Beweis, dass die Maßnahmen tatsächlich die Ursache für die Eindämmung des Virus waren und ob man mit weniger harten Einschnitten nicht praktisch zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen wäre. Und eine Bewertung der Kollateralschäden steht bis heute aus und es steht zu befürchten, dass sie sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Maßnahmen gegen Corona am Ende schlimmere Folgen haben als eine weitere Verbreitung von Corona gehabt hätte.
Bilanz wird immer am Ende gezogen. Und da stehen auf der Haben-Seite Menschen, welche nun erst später an Corona erkranken werden oder vielleicht auch nie, weil sie vorher sterben. Auf der Soll-Seite stehen wirtschaftliche Schäden im oberen dreistelligen Milliardenbereich, Steuerausfälle im dreistelligen Milliardenbereich. Die Vernichtung wirtschaftlicher Existenzen und damit von Familien.
Es heisst ja immer, Corona würde Arme und sozial benachteiligte Menschen besonders hart treffen. Da ist es nicht besonders schlau, mit den Maßnahmen gegen Corona mehr Menschen in Armut und soziale Benachteiligung zu stürzen.
Antwort: hier wird man genau analysieren müssen, welche Maßnahmen richtig und welche völlig überzogen waren.
Insbesondere aber wird man sich fragen müssen, ob man mit einer rechtzeitigen Vorsorge für den Fall einer Pandemie uns den Lock-Down hätte ersparen können.
Kommen wir zu Frage 4, die Zusatzfrage:
Wie steht es um die Kommunikation, die Einhaltung demokratischer Standards, den Umgang mit Kritik?
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass insbesondere die letzten 10 Wochen wie folgt geprägt waren:
– Durchregieren - ständig wechselnde Standards zur Bewertung der Verbreitung - Mangelwirtschaft in der Bewältigung der Krise - fehlende Beteiligung bzw. völlige Abwesenheit einer Opposition - Abkanzelung und Diffamierung von Kritikern statt sachlicher Auseinandersetzung - Abwesenheit von Evidenz und Fakten zur Begründung der Maßnahmen (keine Obduktionen, keine repräsentativen Tests) - Quasi-Installation einer Notregierung unter weitgehender Ausschaltung des Parlaments und öffentlicher Debatte
Kurzum, in der Corona Krise hat sich gezeigt, dass unsere Demokratie das Papier nicht Wert ist, auf dem das Grundgesetz geschrieben steht.
Ausgerechnet der Föderalismus, der von den Medien in den letzten Wochen gerne für seine uneinheitliche Reaktion auf Corona scharf angegriffen wurde, hat aber am Ende dafür gesorgt, dass wenigstens regional angemessen auf Corona reagiert werden konnte, wenn die Landesregierung denn dies wollte.
Eigentlich aber hätte man noch viel kleinteiliger anstatt zentralistischer reagieren können und müssen. Warum soll ein Bürger von Meck-Pom nicht an den Strand dürfen, wenn dieser praktisch leer ist? Die Ansteckungsgefahr dürfte am Ostseestrand um Faktor 1000 niedriger liegen als in einer mäßig gefüllten S-Bahn.
Statt einer Politik der ruhigen Hand haben wir in den letzten Wochen einen aufgeregten Hühnerstall erlebt, der hauptsächlich damit beschäftigt war, Bürger mit immer neuen Horrorszenarien und Geldbußen-Katalogen gefügig zu machen.
Antwort: Versagen auf der ganzen Linie“
Soweit der Kommentar von „Naturzucker“. Das Gespräch kann auf diesem Blog gern fortgesetzt werden.