Mordbrenner

Was wäre, wenn unsere Gesellschaft ein Spiegelbild dieses seltsamen Sommers wäre: unberechenbar, launisch, bipolar?
Vincent Poussan
Freidenker, Freitrinker, Freiesser und Landflüchtling im Languedoc

In „Notlage“ haben wir uns auf die Suche nach den „wahren Schuldigen“ an der herrschenden Lage gemacht. Mit „herrschender Lage“ meine ich: Zustand der Erde, Zustand der Natur, geistiger Allgemeinzustand der Bewohner, die um uns herum leben. Insbesondere: Die Verknüpfung jener Zustände.

Es ging also um die Suche nach den Schuldigen für das „brutale Drama der Naturzerstörung“ und die Frage, ob „wir als CO2-schuldige Bevölkerung reglementiert und stranguliert (werden) – während die Zerstörung der Natur (Böden, Luft, Gewässer; Pflanzen und Tiere; Menschenleben und unsere Gesundheit) ungehindert fortschreitet.“ (beide Zitate: Kommentar Paulo H. Bruder)

Die Rede von den „wahren Schuldigen“ habe ich bei Vincent Pousson geborgt, einem Weinbauern aus dem Corbières, der im Auge jenes Feuersturms lebt und wirtschaftet, der kürzlich seinen Lebensraum verwüstet hat. Poussans wütender Text, in französisch auf Instagram erschienen, ist Teil 2 dieses Beitrages.

Wir, Janneke und ich, haben ihn mit Hilfe von Stéphane Janin, der ebenfalls im Corbières lebt, übersetzt, so gut wie es eben geht, wenn man einen derart anspielungsreichen Text ins Deutsche überträgt.

„Krankheit ist der Beitrag unseres Jahrhunderts zu den positiven Aspekten der Zivilisation.“ heisst es gleich eingangs in Brian W. Aldiss´ Landwirtschaftsdystopie „Tod im Staub“ (Earthworks, 1965). Aldiss lässt in seinem Buch die politischen und ökologischen Weltverhältnisse kopfüber gehen – in guter britischer Tradition niemals deprimierend, sondern voller sarkastischem Humor und bestimmt von vitalem gesellschaftlichem Engagement und somit direkter Vorläufer von John Brunners sieben Jahre später erschienenem Meisterwerk „Schafe blicken auf“ .

England ist im Roman eine vollständig verödete Anbaufläche, die wegen ihrer landesweit ausgedehnten Monokultur so derart vergiftet ist mit Pestiziden, Insektiziden und Düngemitteln, dass man sich einen Schutzanzug anlegen muss, wenn man aus den auf hohen Beinen stehenden „Plattform-Städten“ in das hinausgehen möchte, was einmal Natur war.

Der „Farmer“, der dieses Gelände auf der Hälfte der Fläche Englands bewirtschaftet, ist gar kein Landwirt, sondern selber ein Politiker, der das Weltgleichgewicht zu seinen Gunsten beeinflusst. Sein „ideologischer Apparat“ umfasst dabei die KZ-ähnliche Haltung von vollständig entrechteten Landarbeitern (der Protagonist dieser Gruppe, ein widerständiges Waisenkind, heisst nicht zufällig Knowles Noland – der „Wissende ohne Land“), ebenso wie die Planung eines Präsidentenmordes, mit dem der Verlust der Privilegien des „Farmers“ verhindert werden soll.

Im Staub des Aldiss´schen Ackers haben wir ein klare Vision der von Prof. Schellnhuber im vorherigen Beitrag diagnostizierten „planetaren Notlage“. Schellnhuber hat damit viel Widerspruch bei meinen Lesern ausgelöst. Insbesondere ging es um die Frage, ob das Klima und seine Krise „menschengemacht“ seien.

Weiterhin – und noch wichtiger – ging es um die Zuschreibung an uns, als fehlerbehaftete Menschen, als mehrheitlich falsch Lebende, falsch nach den von Menschen/Wissenschaftlern errechneten Gesetzen zur Vermeidung von CO2-Ausstoss.

Ganz anders als Schellnhuber mit seinen kakotopischen Analysen stellt Aldiss der erschreckenden eine hoffnungsvolle Zukunft entgegen, indem er aufzeigt, dass der Wille, das Falsche zu bekämpfen, weit über die im Roman vorgeführte massive Sabotage an den Gütern der Elite hinausgehen muss, wenn sie zu einer wünschenswerten Gesellschaftsordnung führen soll.

Wie kann uns die Lektüre solcher Romane heute nützlich sein?
Das aktuelle Geschehen ist rund um uns herum: um uns herum wird industrielle Landwirtschaft betrieben, um uns herum wird – wie in dem Roman – der Boden vergiftet, um uns herum in den Nachbarländern Europas brennt es und zwar in einem Ausmaß, wie es noch nie zuvor da gewesen ist.

Die betroffenen Bauern sagen einhellig, der Grund dafür sei jahrzehntelang Misswirtschaft und Monokultur – sie sagen es, obwohl sie, die Bauern, die Monokultur betrieben haben. Angeblich war ein anderes Wirtschaften mit dieser heutigen (vor allem: EU-)Politik nicht machbar. Ein Widerspruch, der noch aufzuklären wäre.

Es mag zynisch klingen: aber auch Politiker sind Menschen, solche allerdings, die etwas mehr davon auf den Weg bringen, das das Drama der Naturzerstörung vorantreibt, sogar deutlich stärker als jeder einzelne Konsument der industriell erzeugten Nahrung.

Insofern ist das Drama tatsächlich „menschengemacht“: von Lobbyisten der großen Düngemittel- und Pesitzid-Hersteller, von Vertretern der Konzerne und den sie hoffierenden Berufsparlamentariern.

Tatsächlich ist die Situation, wie sie jetzt gerade liegt, nicht oder nur geringfügig durch unser individuelles Verhalten zu verändern. Das liegt nicht an den voraussagbaren, theoretisch modellierbaren „Kipp-Punkten“, sondern am herrschenden Wirtschaftssystem, das die Naturzerstörung bis über die vermeintlichen Kipp-Punkte hinausgejagt hat.

Aber aus was genau besteht das Wirtschaftssystem? Es besteht natürlich aus einer Vielzahl von individuellem Verhalten.

Das zu begreifen ist notwendig, wenn man verstehen will, warum so viele Menschen um uns herum „das Schädliche“ tun, selbst wenn es sie selbst am Ende schädigt. Das hilft zu verstehen, warum um uns herum so viele Psychoprobleme bestehen, Leute so aggressiv reagieren, Kritiker mit brutaler struktureller Gewalt züchtigen wollen und immer mehr Leute unwirsch und ekelhaft reagieren auf die kleinsten Herausforderungen. Das hat doch wohl mit Zukunftsangst zu tun. Mit der Angst vor dem jenseits der Kipp-Punkte unaufhaltsamen, unumkehrbaren Drama der Natur- und Gesellschaftszerstörung.

Oder gibt es gar keine Kipp-Punkte? Sind sie ein bloße Erfindung der wahren Schuldigen – zu unserer Disziplinierung? Zur Ablenkung von den wahren Gründen der Zerstörung?

Am meisten Psychodramatik und somit am meisten Handlungsunfähigkeit, Unfähigkeit zum Widerstand gegen das sichtbar Falsche erzeugt die Verwirrung, die letztlich aus der Unentscheidbarkeit resultiert, welche der vielen immer wieder „offiziell“ benannten Ursachen wirklich ursächlich ist für unsere jetzige Lage. Aus der Unentscheidbarkeit resultiert Ohnmacht. Ohnmacht ist für den mündigen Menschen am allerschwersten zu ertragen. Wer sich ohnmächtig fühlt, verliert bald seinen „ethischen Kompass“, gibt schließlich jeden Widerstand auf.

Leicht durchschaubar allerdings sind die Motivationen und Gründe für die Auswege, die uns seit Jahrzehnten vom herrschenden Wirtschaftssystem gewiesen werden: Klima retten mit Energiesparbirne. Welt retten mit Elektroautos. Den Planeten sichern mit Erdwärmeheizung. Hier geht es um „grüne Karrieren“, um die Notwendigkeit ewiger Erneuerung der Einkunftsquellen in unserem auf bleibendes Wachstum gepolten Finanz- und Wirtschaftssystem. Einem gestörten, „bipolaren“ (Poussan) System.

Lauter Teufelskreise, angesichts derer man permanent hoch aufmerksam bleiben und viel selber denken muss.

Nach dem verheerenden Flächen-Brand Anfang August 2025 schreibt Vincent Poussan: „Sicher, na klar: im Tunnel, der die Bergdörfer Ribaute und Lagrasse verbindet, wird man, wenn man nur intensiv genug hinschaut, einen Schuldigen dafür finden, dass es auf beiden Seiten des Berges gebrannt hat. Man wird den Idioten finden, der seine Kippe aus dem Fenster seiner Karre wirft, den Bekloppten, der einen Wettbewerb im Holzkohlegrillen veranstaltet: bei Sturm, den Dummkopf, der mitten in der Trockenzeit mit der Klinge seiner Motorsense Funken schlägt und man wird sogar einen Pyromanen finden, der den Pinienwald in Brand setzt, weil es ihm nicht gelingt, das Feuer in seiner Unterhose zu löschen.

Abgesehen von diesen Sündenböcken – die dazu verdammt sein sollten, in alle Ewigkeit Bäume zu pflanzen – sprechen wir über die wahren Schuldigen, die Kriminellen, die Drahtzieher dieser Katastrophe.

Diejenigen, die es zugelassen haben, dass „Big One”, das Riesenfeuer das Herz des Corbières zerstören konnte. Es hat dabei auch mein Herz zerstört, aber das ist hier nebensächlich.

Sprechen wir über all die Waschlappen, die Opportunisten, all diese Pseudo-Erfinder einer neuen Welt, voller Chemie, dafür aber billiger.

Sprechen wir über unsere Ministerin Florence Évin, die mit ihrem Stolz auf ihre „Lösungen“ die Liebe zum Wein zerstört.

Sprechen wir vor allem über ihren obskuren Berater Jérôme Cahuzac – der (verurteilt wegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche) zusammen mit dem „Weinberater“ Jacques Berthomeau für das Landwirtschaftsministerium jenen umstrittenen, für den französischen Weinbau jedoch tödlichen Bericht verfasst hat und mit den Pharma-Dealern unter einer Decke steckt. Nicht gerade die Guten…

Sprechen wir über all diese Mordbrenner, die sich darüber freuen, wenn wieder Rebstöcke, diese „Satanspflanzen“, ausgerissen werden.

Auf dass sie ruiniert werden. Auf dass es ein Sieg wird. Allenfalls eine Rache der Landbesitzer.

Armselige ex-Lehrer haben es sich in den Kantinen der Parlamente bequem gemacht, manchmal sind es auch Söhne von Winzern, und sie alle stimmen für dieses beschissene Gesetz.

Sprechen wir über ihren Verrat.

Sprechen wir über die Zeitungsvolontäre, die uns vom Segen des „alkoholfreien Januar“ überzeugen wollen und vom „immensen Erfolg des alkoholfreien Weins”, dessen Jahresumsatz in Frankreich nicht einmal den einer einzigen Genossenschaft aus dem Corbières erreicht.

Sprechen wir über all diejenigen, die jede Verteidigung der Bauern als eine Form von „Faschismus” bezeichnen.

Sprechen wir über die Ökos, denen das aktuelle ökologische Drama so wichtig ist wie ihre erste Schüssel Quinoa.

Sprechen wir über Sandrine, die ihrem Namensvetter Rousseau ins Gesicht pisst.

Ja, lasst uns endlich sprechen!

Entgegen den „Anschuldigungen“ von Médiapart gibt es endlich Beweise für die Unschuld von Premier François Bayrou (der mit seinem „Augenblick der Wahrheit“ gerade die Republik zum Einsturz bringt) in der Kindesmißbrauchs-Affäre im katholischen Bétharram-Institut.

Offensichtlich ist Bayrou, der mit beunruhigender Selbstverständlichkeit den Narren spielt und nicht einmal im Meer Wasser finden könnte, völlig unempfindlich gegenüber offensichtlichen Tatsachen… na, was also…?

Ja, wenn dieser „Unschuldige“ (aus reiner Güte übersetzen wir „unschuldig“ mit „Dummkopf” oder „großer Trottel”) sich, nachdem er die Corbières durchquert hat, öffentlich Gedanken darüber macht, welche Anbaukulturen in einem mediterranen Gebiet in Frage kommen, das gerade von trocken zu wüstenartig übergeht und dabei die beachtliche Funktion der Weinfelder als Brandschutzstreifen außer Acht lässt, würde man ihm doch empfehlen, sich ein bisschen besser unterrichten zu lassen von seinen Beratern. Und warum sollte er seine Kenntnisse nicht vertiefen, wo er sich doch für Geschichte begeistert und sich in die lateinische Literatur über die Region Narbonne versenkt; offensichtlich aber war Plinius der Ältere in agrarwissenschaftlichen Fragen schon bewanderter als unsere Absolventen der Eliteschule ENA.

Denn natürlich müssen neue Reben gepflanzt, natürlich muss der Weinbau gefördert und natürlich muss – wie bei unseren spanischen und italienischen Nachbarn –das kulturelle und gastronomische Erbe des Weinbaus unterstützt, statt verteufelt werden.

Seit Jahrtausenden ist bekannt, dass nur wenige Nutzpflanzen in diesem schwierigen Boden überleben können. Zwar liefert der Olivenbaum (allerdings mit mehr Wasser) gute Ergebnisse, aber wie wir kürzlich im vom Feuer verschlungenen Tal von Cascadais gesehen haben, ist er leicht entflammbar. Was den Anbau von Mandeln und Pistazien anbelangt, so ist er aufgrund der Arbeitskosten in Frankreich noch mehr als der Anbau von Oliven zum Scheitern verurteilt.

Kämpfen wir also gegen die planmässige Stilllegung des Weinanbaus. Kämpfen wir auf intelligente Weise.

Lasst uns kämpfen, indem wir uns auf echtes landwirtschaftliches Wissen stützen und die Prinzipien einer praktischen Ökologie anwenden, die rein gar nichts zu tun hat mit den Wahnvorstellungen dieser grün-roten Khmer.

Lasst uns kämpfen, um Wasser besser finden, verwalten und bewahren zu können. Wie der narbonnaisische Unternehmer und Groß-Winzer Gérard Bertrand betont, werden dafür beträchtliche Mittel erforderlich sein.

Denn das herrliche Corbières, das viel zu lange von den Flüssen des Kapital abgeschnitten und zu oft von der öffentlichen Intelligenz vergessen wurde, hat es verdient.

Unmöglich ist laut Napoleon kein französisches Wort.

Um es mit den Worten der Präsidentin von Millésime Bio, Jeanne Fabre, zu sagen: Lassen wir uns vom Elan von Notre-Dame-de-Paris (abgebrannt und wiederaufgebaut) inspirieren, wo ich hingegangen bin, um intensiv an die Winzer der Corbières zu denken.

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