Der Schriftsteller, Schauspieler und Künstler Christof Wackernagel hat sich mit seinem neuen Text, der heute als deutsche Erstveröffentlichung in „Die Aktion“ erscheint, für ein schwieriges Experiment entschieden.
Um mit einem Werkzeug von hinreichender Schärfe die Weltlage zu sezieren, weitet er einen bestehenden Begriff auf: Nationalsozialismus.
Nationalsozialismus ist die Selbstbezeichnung einer Partei, die damit ihren zutiefst rassistischen, faschistischen, rechtsradikalen Charakter verstecken, ihn als „sozialistisch“ tarnen wollte.
Vergleiche haben es meist schwer. Man behauptet, sie hinken. Insbesondere, wenn die Art der Vergleiche einem nicht ins Weltbild passt. Mit einer Fortbewegungseinschränkung aber kommt man in der Regel nur sehr langsam, mit Mühsal zum Ziel. Der Hinweis auf den hinkenden Vergleich will sagen: „Gib auf! Wir wollen das nicht hören.“
„Es gibt viele Möglichkeiten, der Wahrheit den Rücken zu kehren.“, konstatiert der Schriftsteller Robert Merle in seinem Buch über den Kommandanten des Vernichtungslagers Auschwitz, Rudolf Höß (1952). Wenige Zeilen weiter heisst es: „Die wirksamsten Tabus sind jene, die ihren Namen verschweigen.“
Worte, Sprache, Benennung sind ein äußerst wirksame Mittel der Herrschaft. Wer die Definitionsmacht besitzt, regiert.
Wie aber könnte jemand forsch, im flotten Schritt auf das Neue, noch Unbekannte, das uns derzeit widerfährt, zugehen, wie dessen außerordentliche Dimension klar machen – ohne jeden Vergleich? Woher hätte er Begriffe, ein ganzes neues Vokabular nehmen sollen, um zu beschreiben, was jüngst mit unserer Gesellschaft passiert?
Wackernagel beruft sich deswegen auf eine Terminologie, die er über mehr als vier Jahrzehnte, eine Lebenszeit entwickelt hat. Nichts liegt ihm ferner, als das, was er den „Führerfaschismus“ nennt, durch einen Vergleich mit der Gegenwart zu verharmlosen. Doch er verschweigt auch nicht, dass er die „Unsichtbarkeit des neuen Faschismus“, dessen weltweite Ausdehnung unter der „Diktatur des Profits“ für genauso bedrohlich, wenn nicht für „noch monströser“ hält (Brief an die Herausgeber).
Die Neologismen, mit denen uns die Regierungen seit zwei Jahren versorgen, taugen zu wenig mehr als zur Bemäntelung. Ihren wahren Kern verhüllen sie. Deswegen greift Wackernagel sie an: als Irreführung.
Er versteht die von den Regierungen verkündeten Maßnahmen ganz im Stil des zuvor erwähnten Begriffs Nationalsozialismus, den er mit einem vorgeschalteten „Inter-„ zu einem globalen Phänomen erklärt.
Aufklärung, die den Namen verdient, funktioniert nicht mit Propagandamitteln, die ihr eigentliches Ziel, die Herstellung von Zustimmung, die Erzeugung von Fügsamkeit, offen erkennen lassen.
Aufklärung will Widerspruch erzeugen, will zum Abwägen und Überlegen einladen, zu einer menschlichen Entscheidung führen, nicht zu einer wirtschaftlichen. Man kann, man muss streiten, ob „Diktatur des Profits“ eine Übertreibung ist, ob nicht „Diktat“ gereicht hätte. Genau in diesem Sinn ist der Text von Wackernagel, der sich auf den ersten Blick als pure Provokation gibt, Aufklärung im besten Sinn: als kraftvolle, mit der notwendigen Portion Zorn verfasste und Widerspruch auslösende Anregung zur Auseinandersetzung.
Für Wackernagel ist – schon aus biografischen Gründen, als „Mitglied“ der RAF – das Jahr 1977 mit der Verfolgung und Ermordung von Hanns Martin Schleyer das Jahr der Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik.
Der Corps-Student, SS-Mann und “Wirtschaftsführer” (Wackernagel) der Nachkriegsrepublik Schleyer war das Symbol der moralisch diskreditierten Elterngeneration, die ihre Mitschuld an den nationalsozialistischen Verbrechen leugnete.
Erst nach dem historischen Einschnitt 1977 wurden allmählich Begriffe wie Volk, Nation und Identität wieder salonfähig.
Diese Termini hatten, wie Wackernagel in „Und Ödipus tötete Kain“, einem Text über das „Gründungsverbrechen der Bundesrepublik Deutschland“ 1998 schrieb, „in der Schmuddelecke des Rechtsextremismus überwintert.“ Er konzediert, in verblüffender Parallelität zur Gegenwart: Einordnungen wie »links« und »rechts« seien „auf den Müllhaufen der Geschichte gelandet“ und „ein gesellschaftliches Klima von Angst, Denunziation und Distanzierung“ entstanden. Die Überwindung der Nazizeit war gründlich schief gegangen: nun gab es, spätestens seit 1989, „anstatt Weltbürgertum Deutschtum, anstatt Befreiung Regression, anstatt Bewusstsein Bewusstlosigkeit.“
Aus dieser Sicht der Dinge heraus erklärt sich Wackernagels im August 2022 verfasstes Pamphlet.
Der AKTION-Autor, Sozial- und Politikwissenschaftler Rudolph Bauer versteht es als „überzeugenden Versuch“, „aufzuzeigen, dass es sich beim inter-nationalsozialistischen Biofaschismus um eine veränderte Form des klassischen Führerfaschismus handelt – um einen Krypto-Faschismus, der seinen wahren Kern tarnt, indem er sich gegen den überlieferten und verkommenen Retrofaschismus positioniert und dabei den Eindruck erweckt, demokratisch und antifaschistisch zu sein.
Indem er sich – wie schon Umberto Eco mahnend prophezeite – internationalistisch, multikulturell, ökologisch, individualistisch, hygienisch und divers verkleidet, ist der wahre Kern des Biofaschismus für die meisten Menschen nur schwer erkenn- und durchschaubar.“
Was genau ist das Problem mit dem selbständigen Denken? Warum erkennen und durchschauen wir an sich klar erkennbare Zusammenhänge plötzlich nur noch mit so großer Mühe? Was hat uns derart gelähmt, dass wir auf Zuspitzung, die wir früher diskursanregend fanden, heute so empfindlich, derart gereizt, vorbeugend abwehrend und grundsätzlich intolerant reagieren?
Das von Wackernagel benutzte Stilmittel der Hyperbel dient selbstredend nicht als Instrument der Analyse von sattsam bekannten Zuständen, sondern der Katalyse des kritischen Denkens, das durch die konzertierte Indoktrination über zwei Jahre, vom verbalen Bombardement mit Denkverboten und schwer auflösbaren Widersprüchen, arg angeschossen ist.
Wackernagel hilft uns, vom “Müllhaufen der Geschichte” wieder herunterzuklettern und die Schäden zu kartieren – mit einem einzigem Ziel: sie zu beheben.
Der Müllhaufen der Geschichte ist nicht verbrannt worden, sondern modert wie ein Komposthaufen jahrelang dahin. Daraus entstand neues Material, das wieder unter die frische Erde gekommen ist und weiter keimt zu neuen Blüten.
Abhilfe schafft nur, sich vom verstandesmäßigen Denken zu verabschieden und statt dessen ein Herzdenken zu setzen.