Warum wir keinen Mut mehr schöpfen sollen
Seit einigen Wochen kleben an den Zufahrten zu deutschen Supermärkten Billboards des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, die uns anraten, gezielt zu preppern. Nach dem Rat, mit dem Waschlappen zu arbeiten, statt zu duschen oder die Heizung herunterzudrehen, damit der Krieg in der Ukraine nicht diplomatisch beendet werden muss, nun noch ein neuer Tipp?
Durch das „Notfallthema Bevorratung“ soll das deutsche Volk begreifen, dass die Lage ernst ist – und dass es „das richtige Handeln in der Notsituation“ sei, sich selbst zu helfen.
Will der Staat uns im Stich lassen? Oder befinden wir uns bereits in Phase 2 der konzertierten Einschüchterung? Erst alle krank. Jetzt nichts mehr zu fressen? Mehr kann man kaum auf die Tube drücken.
Will die Regierung uns weiß machen, wir seien gründlich ruiniert? Damit wir endgültig die Klappe halten?
Mit Teil 3 der Aasgeier-Reihe folgt auf die „Vergeudung“ ein Lehrstück über das anti-emanzipatorische Projekt der grünroten Politik.
Sicherheitsrisiko
Im September 2022 mussten wir – neben Tonnen anderer Dinge aus drei Jahrzehnten – die Projekt-Bibliothek im Atelier unserer Künstlergruppe einpacken, weil die Stadt Hannover mit ihrer Räumungsklage vom Landgericht bestätigt wurde und wir folglich Insolvenz anzumelden hatten. Die Lage war alternativlos.
Wir zahlten unsere Miete an die Stadt über 23 Jahre stets pünktlich. Doch laut Kündigung stellten wir nach all der Zeit ein „Sicherheitsrisiko“ dar. Welches genau, wurde uns nie mitgeteilt.
Der Stil der Kommunikation, eine Mischung aus bewusster Täuschung und juristischer Rigorosität, sollte uns den Ernst der Lage bewusst machen, ohne dass die Beteiligten sich trauen mussten, uns die Wahrheit offen ins Gesicht zu sagen. Am Widerspruch zwischen den beiden Verhaltensmodi sollten wir erkennen, dass unsere einzige Chance sei aufzugeben.
Die Wahrheit war: es gab keinen Kündigungsgrund. Es war die Strafe für ein Versäumnis, das wir nicht verschuldet hatten. Die Stadt war in einem Verwaltungskonflikt mit dem Land unter Druck geraten und gab ihn ans schwächste Glied der Kette weiter: an uns Mieter.
Die Beamten hatten von der Bundesregierung gelernt: mit dem Sicherheitsrisiko als Totschlagargument bewaffnet, würde man ohne Widerspruch durchkommen.
Dabei war der grüne Bürgermeister Belit Onay erst 2019 mit dem Wahlkampfversprechen angetreten, die prekäre freie Musik- und Kunstszene Hannovers, insbesondere die kleinkulturellen Nachbarschaften des ehemaligen Arbeiterviertels Linden zu retten – ein Konzept, mit dem sich die Stadt um die Ausrichtung der Kulturhauptstadt beworben hatte, siehe „Meine Ziele“ , Stichpunkt: „Kultur hält eine Stadt zusammen“.
Nun vernichtete er nonchalant eine grosse Charge genau jener fragilen Partie von Existenzen, die er vor seinem Wahlsieg zu stützen gelobt hatte.
Nach dem Sieg war das sich-Kümmern um die Schwachen nicht mehr opportun. Er saß nun fest im Sattel und konnte frei durchregieren. Wie seit kurzem üblich bei den Grünen: ohne Rücksicht auf die Wähler.
Wir waren nach dem Scheitern der imageträchtigen Bewerbung der Stadt noch überflüssiger als ein Kropf. Lästige Zecken im Pelz, taugten wir allein dazu, abserviert zu werden.
Mit der Kündigung unseres fraglos riesigen Ateliers haben dreissig Musiker und Künstler aus Linden ihren Arbeitsplatz verloren. Wir selbst haben unsere Existenzgrundlage eingebüsst. Wenn ich unser Ende so lakonisch berichte, will ich kein Mitleid erheischen. Mich interessieren die Bedingungen für strukturelle Gewalt. Am eigenen Leib konnte ich sie wie im Labor beobachten.
Corona reichte Onay nicht. Er musste uns noch gründlicher ruinieren. Noch nachhaltiger:
In seiner Antwort auf unseren Bittbrief sprach er die Empfehlung an seine Amtskollegen aus, mit unerbittlicher Härte gegen uns durchzugreifen.
Solche erbarmungslosen Empfehlungen versendet ein farbenwendischer Grüner, der zuvor Mitglied der SPD und des CDU-Jugendbundes RCDS war und dessen vorgeblich höchstes Ziel es ist, „eine Stadt (zu schaffen), die zusammenhält und denen unter die Arme greift, die in Not geraten sind.“
Zeitgleich mit unserer Kündigung wurde von der Stadt Hannover, ebenfalls bereits unter Onays Ägide, ein Modellprojekt zur Unterbringung obdachloser Menschen trotz des bevorstehenden Winters und der COVID-19-Pandemie beendet.
Man versteht sofort, was so ein Politiker mit „Hilfe für in Not geratene Menschen“ meint. Von Gewissen keine Spur: eine unabdingbare Kondition, um als Politiker „handlungsfähig“ zu bleiben.
Der eigentliche Zweck der Übung
Beim Aufräumen der Bibliothek im gekündigten Atelier fand ich ein lange vergessenes Buch von Herbert Gruhl. Und in einer unscheinbaren Kiste im untersten Fach ein paar leicht angerostete Rollschuhe zum Unterschnallen.
Am 25. November 1973, ich war gerade zwölf Jahre alt geworden, ging ich das erste Mal auf der Autobahn spazieren. Ein guter Geist von Anarchie umwehte mich. Etwas Illegaleres, Subversiveres als dort zu laufen, wo sonst nur Autos fahren durften, war mir Knirps kaum vorstellbar. Und doch war der Marsch auf dem Asphalt von der Bundesregierung angeordnet: es war der erste autofreie Sonntag, eine Reaktion auf die mißverständlich „Ölkrise“ genannte Ölpreiskrise.
Stolz, aber noch ein wenig ungelenk schurrte ich auf den vier klobigen, paarig stehenden Rädern meiner nagelneuen Rollschuhe Richtung Kiesteiche und schaute von auf der Brücke zu den im Wasser stehenden Pfeilern hinunter, in deren Schatten ich im Sommer Flusskrebse fing.
Wozu diente der verordnete Spaziergang?
Helmut Schmidt hat uns das erklärt: „Damit das deutsche Volk begreifen sollte, was passiert war, haben wir damals diese autofreien Sonntage auf der Autobahn verordnet. Nicht um Öl zu sparen, das war ein Nebeneffekt. Der eigentliche Zweck dieser Übung war, den Menschen klar zu machen: Dies ist eine ernste Situation.„
Mein Blick von der Brücke und zurück auf die leere Piste, über die nur ein paar Nachbarn pilgerten, klärte mich schlagartig über das Ende einer Ära auf, über deren innere Antriebskräfte ich mir bis dahin keine Gedanken gemacht hatte.
Dass die Ölknappheit das Ergebnis von politischen (damals auch: kriegsbedingten) Entscheidungen war (Jom Kippur Krieg), begriff ich erst zwei Jahre später, als bei uns zu Haus Herbert Gruhls „Ein Planet wird geplündert“ auf dem Tisch lag.
Schmidt münzte seine eigene politische Entscheidung zu einer ernsten Situation für Millionen Menschen um. Ob „das deutsche Volk“ begriffen hatte, wer wirklich der Verursacher der Preissteigerung war, bleibt fraglich. Aber die Debatte um das Ende der Ressourcen war eröffnet. Der europäische Industriekapitalismus hing an einer dünnen Ader – vom Durchmesser eine Ölpipeline.
Die Plünderung
Mein Vater hatte das Buch wahrlich nicht aus Sympathie für Gruhl erworben, der damals noch für die CDU im Bundestag sass – auch wenn bei der Kaufentscheidung sicher eine Rolle spielte, dass Gruhl damals in Barsinghausen am Deister lebte, wo der mütterliche Zweig meiner väterlichen Familie herstammte.
Mein Vater liegäugelte mit den Ideen der kommunistischen Partei, die damals schon DKP hieß. Insbesondere zog ihn deren Widerstand gegen die Wiedereinführung der Bundeswehr an. Aber er war Beamter und die Staatsräson, hauptsächlich repräsentiert durch das hauswirtschaftliche Regiment meiner Mutter, hielten seine linksextremen Vorlieben im Schach. Diese Geschichte habe ich ausführlich in „Kaisergabel“ erzählt, so dass ich sie hier kurz halten kann: ganz auf ihren umweltschützerischen Aspekt hin getrimmt.
Es wurde in meiner Familie niemals ein Hehl daraus gemacht, dass Gruhl wertkonservativ war, zwar kein „strammer Rechter“, aber wahrscheinlich doch ein Antikommunist.
Aber was heisst schon wertkonservativ? Wer könnte denn Umwelt schützen und zugleich den Wert der Natur relativ sehen, als ein billiges Gut für hemmungslosen Extraktivismus?
Gruhls Einsichten in die Notwendigkeit einer „planetarischen Wende“ waren für einen führerscheinlosen Radfahrer, Subsistenzgärtner mit Kochkiste und 250 Einweckgläsern wie meinen Vater ein vollständig einleuchtender Gedanke.
Zudem war Gruhl sicher unter den Ersten in der Politik, die Wirtschaft von ihren Grenzen her zu denken wagten. Die nicht fragten: was wollen wir erreichen? Sondern: was dürfen wir noch hoffen zu können, damit alle noch etwas abkriegen? Das war meinem Vater äußerst sympathisch. Denn gegen die korrupten, bereicherungsgeilen Wirtschaftskapitäne der Wiederaufbauzeit führte mein Vater stets den Geist des Gemeinwohls an. Obwohl ihm mehr als klar war, dass er persönlich dabei schlechter abschnitt.
Doch seine Überzeugung war: es ginge nicht um ihn, sondern um das Auskommen aller.
Zweifel über den Erfolg solcher Ansichten schwangen immer mit, wenn er wütend darauf zu sprechen kam, was „in der Wirtschaft“, mit der er täglichen beruflichen Kontakt pflegte, wirklich los war. Die Firmen, mit denen er von Amts wegen gezwungen war zu arbeiten, weil sie eine Ausschreibung gewonnen hatten, verklappten nach Feierabend fröhlich Giftmüll in ihren Kiesgruben und strichen am Ende des Tages Mutterboden über die Fläche, die sie wenig später jungen Familien als Bauland anboten.
Solche „Ungezogenheiten“ brachten ihn derart in Rage, dass ihm die Säure aufstieg.
Wenn einmal jemand bei dem frevelhaften Treiben erwischt wurde, ging der Lastwagenfahrer in den Knast, nicht der Unternehmer. Das hatte man vorher finanziell geregelt. Und die Politik stimmte zu, indem sie die Strafen mäßig hielt.
Seit Anschaffung des Gruhl-Textes, der meinen Vater in seinem gerechten Zorn tausendfach bestätigte, frühstückte er Magentabletten.
Denn Georg Picht, den das Geleitwort zitiert, hatte sich schwer getäuscht, als er schrieb: „Politik kann heute nur noch als die Kunst verstanden werden, die Existenz der Menschen in einer gefährdeten Welt zu sichern.“
Der eigentliche Zweck der Übung war es, Asche zu machen und auf die Natur zu kacken.
Schreckensbilanz
Mit effektvoller Brachialität hatte der Gestalter Gunter Rambow das Buchcover von Gruhls Plünderungs-Text auf unser aller Ende hin collagiert. Aus dem rot bemalten Schnitt troff das Blut des siechen Planeten. Flächendeckend in seine Oberfläche gepflanzte Atomreaktoren, diese Leuchtürme des menschlichen Fortschritts, ließen alle Wälder verdorren. Die Botschaft war klar: Das Spiel ist aus. Und: die Schuldigen sind bekannt.
„Der Wettlauf der Systeme ist ein Wettlauf zum Abgrund. Es ist ein blindwütiger Krieg gegen die Erde und die natürliche Umwelt.“ Rambow hat diesen Satz auf den Umschlag gepackt – zwischen zwei Baumleichen. Man verstand sofort: Unsere Wirtschaft und der Kalte Krieg gegen Russland haben uns gründlich ruiniert.
Das ist wie gesagt fünfzig Jahre her. Gruhl hatte in seiner „Schreckensbilanz unserer Politik“ 1975 das Jahr 2020 für den Untergang festgelegt (S. 220): dann wäre dank der „Wachstumsfanatiker“, die seit dem zweiten Weltkrieg herrschten, die ganze Welt endlich dort angekommen, „wo Hitler 1945 endete.“
Was passierte noch gleich Anfang 2020?
Fast drei Jahre hat Gruhl für sein opus magnum geforscht, an ihm ohne Unterlass weiter geschrieben und dabei eine geradezu erdrückende Beweislast zusammengetragen.
Er betrachtete die ökologische Weltlage aus der Perspektive eines Politikers, der sich in einer schizophrenen Situation befindet.
„Von neun bis fünf kämpft er für Wachstum, Ausbreitung, Rationalisierung, Einsparung von Arbeitskräften und vieles andere mehr. Alles mit dem Zweck und in der Erwartung, damit Wohlstand, Behagen und Glück zu fördern. Nach Feierabend jedoch wird er mit dringenden Prophezeiungen bestürmt, die ihn vor dem Zusammenbruch der Zivilisation, vor Umweltkatastrophen, Erschöpfung der Bodenschätze und ähnlichen Gefahren warnen. Von neun bis fünf verfolgt er jede nur denkbare Methode, um den Gang der Entwicklung zu beschleunigen, während er abends kaum vermeiden kann, … einer allgemeinen Verlangsamung zu begegnen.“(E.F. Schuhmacher, 1972 zit. n. Gruhl)
Gruhl spricht aus der Sicht eines Politikers, der nicht nur persönlich mit der Widersprüchlichkeit seines Handelns konfrontiert ist, sondern einem Bürger gegenübersteht, der angesichts der erschlagenden Beweise für die Unausweichlichkeit des Untergangs der Welt wie wir sie bisher kannten schon aus Selbstschutzgründen abschaltet, anzweifelt, verweigert, insbesondere weil jedes erfolgreiche Tätigwerden gegen solche Übermacht aussichtslos scheint.
Gruhl macht klar, dass es ganz und gar nicht aussichtslos ist, weil der Feind nicht eine übermächtige Natur ist und ihr Schaden von Menschenhand gemacht – mithin politisch „reparabel“ sein müsste.
Seine simple Botschaft lautet: Wir waren es selber und wir können es ändern.
Wenn wir nur wollen.
Aber wir erkennen nun 50 Jahre später: wir wollten nicht.
Anspritzbegrünung
Trotz der bis hierhin schon erschlagenden Deutlichkeit der Parallelen zur gegenwärtigen Situation möchte ich noch ein paar Worte zu Gruhls politischer Karriere und vor allem zu seiner Ächtung sagen.
Der erfolgreiche CDU-Politiker gründete am 20. Juli 1975 zusammen mit 21 Umweltschützern den BUND „Bund Natur und Umweltschutz Deutschland e. V.“
Unter den Mitgründern befanden sich so illustre Namen wie Horst Stern, Bernhard Grzimek oder Georg Enoch Robert Prosper Philipp Franz Karl Theodor Maria Heinrich Johannes Luitpold Hartmann Gundeloh Buhl-Freiherr von und zu Guttenberg: mehrheitlich sicher keine Linken.
So trug Grzimek als Referent im Reichsnährstand die NSDAP-Mitgliedsnummer 5.919.786 und wirkte als Veterinär in der Wehrmacht, geriet aber dennoch mit der Gestapo in Konflikt, weil er versteckte Juden mit Lebensmitteln versorgt hatte. So voller Widersprüche war „unsere“ Geschichte. Im übrigen hat sich die Linke noch nie im Naturschutz hervorgetan.
Gruhl jedenfalls war Vorsitzender des BUND bis 1977. Er blieb fraglos konservativ, wohin sein Engagement für die Umwelt ihn auch verschlug in den folgenden Jahren.
1978 trat er wegen unauflösbarer Differenzen in Fragen der Umweltpolitik aus der CDU aus und gründete tags drauf mit der Grüne Aktion Zukunft (GAZ), die erste Ökopartei Deutschlands. 1980 war die GAZ Mitgründerin der Grünen. Mit Gruhl und der international renommierten Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsaktivistin Petra Kelly als Spitzenkandidaten erreichten die Grünen 1979 mit immerhin 3,2% einen sogenannten „Achtungserfolg“ in der Europawahl.
Auch Ex-Maoisten wie Ralf Fücks, spiritus rector des staatsalimentierten Think Tanks Zentrum Liberale Moderne, begrünten die junge Parteilandschaft. Man versteht unmittelbar, die holzschnitthafte links/rechts Aufteilung taugte schon länger nicht mehr.
Von den Grünen wurden nicht nur „Schwerter zu Pflugscharen“ umgeschmiedet. Sie verwandelten zwar Generalmajore in Friedensaktivisten , aber auch autonome Strassenkämpfer in Freunde des Investmentbanking und kehrten bei Anthroposophen das autoritäre Führerprinzip hervor. Die meisten von ihnen haben begleitend zum Gesinnungswandel puffig dicke Gesichter bekommen.
Das alles hat weniger mit der Farbe Grün zu tun, als allgemein mit dem Beruf des Politikers. Chancen, die sich bieten, ergreift man gern, die Diäten sind einkömmlich und Überzeugungen können sich ändern, wenn man in der Verantwortung steht.
Für die Grünen entwickelte Gruhl den – wie wir heute wissen – goldrichtigen Slogan „Weder links, noch rechts, sondern vorn“. Ebenso goldrichtig befand Gruhl bereits 1980 und unter Zitierung von Erich Fromm, der jüngste Kurs der Grünen sei „bestimmt […] vom Modus des Habens“.
Damals ahnten erst wenige, welch adipöse Formen dies annehmen sollte.
In ihrer „Karawane der Blinden“ wollten die Grünen keinen wertkonservativen Einäugigen mitführen. So blieb Gruhl nichts anderes übrig, als 1981 – immerhin zusammen mit einem Drittel der Mitglieder – aus einer Partei auszutreten, die er als schwarzen Felsen mit Anspritzbegrünung empfand.
Die Liaison mit den Grünen war schnell beendet, das Ergebnis einer ersten Säuberung durch den „linken Flügel“. Doch sie war nicht ganz erfolgreich: Als die Grünen 1983 in den Bundestag einzogen, wäre normalerweise der Parteigenosse Werner Vogel Alterpräsident geworden. Der trat jedoch sein Mandat wegen Pädophilievorwürfen und – nicht zuletzt – wegen seiner früheren Mitgliedschaften in NSDAP und SA nicht an.
Rechtsoffen?
Die Ur-Grünen: ein „rechtsoffener“ Sumpf, bevölkert von den „Querdenkern“ der 80er. Die heutige Hetzjagd: ein Fall von Selbsthass?
Wer solche Entstehungsgeschichte erinnert, den wundert nicht, dass unsere Aussenministerin dazu aufruft, Russland zu ruinieren und zwar so gründlich, dass es volkswirtschaftlich jahrelang nicht wieder auf die Beine kommt.
Es würde uns nicht verwundern, wenn die grüne Schlachtministerin, im Rahmen ihrer radebrechenden Reden Ernst Jünger zitierte. Sie nimmt offenbar keinen Anstoß daran, dass sie mit solchem Rachewunsch, wenn er denn wahr würde, Leben und Landschaft vieler Millionen Russen verwüstet – alles nur, um die Lobbyarbeit ihres Ehegatten in der Ukraine zu befördern?
Es ist unausweichlich, an dieser Stelle mit Martin Kippenberger laut auszurufen: „Ich kann beim besten Willen keinen Interessenskonflikt entdecken.“
Ihre ganz und gar unverhohlene Vettelnwirtschaft bezeichnet sie – auf perverse Weise schlussrichtig – als „feministisch ausgerichtete Aussenpolitik„.
Denn feministische Außenpolitik bedeute letztlich, alle Menschen auf dem Schirm zu haben – egal ob Kinder, ältere Menschen oder auch Frauen, die sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind. Womit sie letztlich klar stellt, dass sie Russen nicht für (schützenswerte) Menschen hält.
Der Waschlappen
Solch bodenlose Perfidie lässt Winfried Kretschmanns legendären Waschlappen geradezu als sarrazinsches Gurkenwitzchen erscheinen.
Wenn schon bei Schmidt Energieersparnis nicht der Zweck der Übung war, was will uns dann der Rat mit dem Waschlappen sagen? Dass nichts dumm genug ist, wenn es um Phase 2 der Einübung bedingsloser Unterwerfung geht?
Wie abartig auch immer die kreuzblöden Vorschläge dieser Leute sind, die in ihrer Besserverdienenden-Blase jeden Bodenkontakt verloren haben – ich schulde noch einen letzten Kommentar zu Gruhl: den über seine Ächtung.
Doch der Zorn über die grüne Impertinenz hat mich beim Schreiben übermannt. Ich bitte es mir nachzusehen. Eigentlich interessiert mich Politik nur hinsichtlich der Ergebnisse, nicht hinsichtlich einzelner Personen.
Gruhls Ächtung begann mit dem Erfolg seines Buches. Seine Kandidatur hatte nicht unwesentlich zum Ergebnis der CDU in der Bundestagswahl 1976 beigetragen (CDU/CSU 48,9 %), indem er in geradezu historischer Dimension überdurchschnittlich viele Stimmen in seinem niedersächsischen Wahlkreis hinzugewinnen konnte. Dennoch entzog die Partei ihm die Aufgaben des Sprechers für Umweltfragen in Fraktion und Partei. Einen Kritiker der Kernenergie konnte die CDU als Partei der Wirtschaft in ihren Reihen nicht dulden. Gruhl trat aus der CDU aus, begründete dies aber nicht mit seiner Entflichtung, sondern unter anderem damit, dass die CDU eine „Ehrenerklärung“ für Filbingers Aktivitäten während des Faschismus abgegeben hatte und sich für die Entwicklung einer Neutronenwaffe einsetzte. Auch war Gruhl kein großer Freund der strafbaren Spendenaktivitäten von Helmut Kohl.
Aber bei den Grünen erging es ihm kaum besser. Die folgende Hetzjagd auf ihn kristallisiert in den Folgejahren an dem Konflikt um den Grundsatzbeschluß zur Abgrenzung seiner neuen Partei ödp von den Rechtsparteien (damals NPD, DVU und Republikaner). Gruhl befürchtete eine Zersplitterung der Naturschutzbewegung. Der Zusamenhalt unter der Idee der Rettung war für ihn – in dem einzig wesentlichen planetarischen Maßstab gedacht – zu existenziell, um sich ständig mit der „Suche von Differenzpunkten unter uns“ zu befassen. Denn während der gesamten Zeit solchen Geplänkels lief nach Gruhls Verständnis die Uhr ab und der Planet wurde von der Politik weiter geplündert.
Gruhl driftete am Ende seiner Karriere immer weiter in merkwürdige Richtungen ab, wurde Eurogegner, weil er das „künstliche Einheitsgeld“ für eine Währungs-Attrappe hielt, aber die ökologischen Tatsachen, die er benannt hatte, waren fürderhin „nicht mehr völlig aus dem politischen Gesichtsfeld zu schielen.„
Bei allem, was man Gruhl an falscher Gesinnung andichten oder nachsagen kann – und das wird nicht viel sein, wenn er gegen Filbinger und Kohl eingestellt war – so muss man ihm doch wissenschaftlich genaues Arbeiten attestieren beim Versuch, uns allen klar zu machen, wo wir ökologisch stehen. Dabei befand er sich fraglos am anderen Ende der Skala, wenn wir uns in Erinnerung rufen, dass die gegenwärtigen Kühlerfiguren der deutschen Ökologiebewegung Studienabbrecher sind oder sich mal zur Promotion angemeldet haben wollen, sich dann aber doch lieber für ein Leben als Politikerin entschieden haben.
„Dick und Doof“ waren früher einmal zwei Personen. Heute sind es Hunderte.
Sicher hielte bis heute jedes Faktum seines Hauptwerkes dem Faktencheck statt. An Einsichten wie der, dass Kernenergie auch bei friedlicher Nutzung „für jede Art von Leben vernichtend“ sei, ist ebensowenig auszusetzen, wie jener, dass den Menschen gerade von ihren „Erfolgen“ die größte Gefahr drohe: „Der totale Sieg endet in der totalen Selbstvernichtung.“ (S. 218).
Selbst wer nun Gruhl eine gewisse goebbelsche Freude am Begriff des Totalen unterstellt, kann kaum bestreiten, dass der Gedanke schlüssig ist, denn im „Totalen“ ist schon wortgeschichtlich die Ruinierung inbegriffen.
Doch die Grünen in ihrem seit 40 Jahre immer feister anschwellenden Habens-Modus studieren die Schriften ihrer eigenen Gründungsväter nicht – und das, obwohl sie das Umweltminsterium inzwischen mit einem ausgeschlafenen „Philosophen“ und „Schriftsteller“ besetzt haben.
Ich kann mir nicht verkneifen zu bemerken, dass das Wiener Schnitzel in der „Kantine der Republik“, Borchardt Berlin, wirklich exzellent ist und wir an der täglichen Entwicklung des Speckhalses sehen können, wie sich unser oberster Klimaschützer auf den kalten Winter vorbereitet.
Wir werden wieder einmal – wie schon 1973 – wegen einer politisch gewollten („kriegsbedingten“) Energiepreiskrise zum Sparen angehalten, während Das Land in ihm das Kalbfleisch ausschwitzt, das unser Klima gründlich runiert.
Statt zu hamstern, sollten wir, mit einem kalten Waschlappen bewaffnet, hingehen und ihm einen besseren Weg in den Sommer weisen.
Die Flußkrebse
Im frühen September 2022 haben wir unsere Zelte, selbst die allerletzten Zeltstangen, in der Heimat der Flusskrebse abgebrochen, die in meinen ersten zwölf Jahren den Ablauf der Jahreszeiten bestimmten.
Ich habe sie unter der Stadtring-Brücke, auf der ich meinen ersten autofreien Sonntag verbrachte, gefangen, in einem Terrarium beobachtet und gefüttert und am Ende des Jahres – gesund und fett – wieder freigelassen, wenn der winterliche Frost drohte, mein improvisiertes Biosphärenreservat im Garten zu vernichten.
Da ich in Taxonomie damals vollständig unbewandert war, nehme ich nach heutiger Recherche an, dass es sich entweder um Edelkrebse oder um Steinkrebse gehandelt haben muss, eine besonders empfindliche Art, die stark unter organischer Belastung und kommunalen Abwässern leidet und heftig auf chemische Verschmutzung reagiert, besonders auf Insektizide und andere Schwemmstoffe, wenn angrenzende landwirtschaftlich genutzte Flächen diese ins Wasser spülen. Die europäischen Krebse sind also eine Art Umweltspäher, die gesundheitsschädigende Einträge melden: leider durch ihrem Tod.
Auf der letzten Rückfahrt haben wir kurz unter der Brücke gestoppt. Um Abschied zu nehmen.
Dort, wo früher Seerosen, Froschbissgewächse (die sogenannte Kanadische Wasserpest und das bestachelte Nixenkraut), die niederliegend wuchernde, kriechend sich ausbreitende Sumpfquendel, eine unterseeische Verwandte des Blutweiderich, üppig gediehen, dümpeln heute über das Geländer geworfene Burgerking-Tüten in gräulichem Gewässer.
Der von mir geliebte Krebs ist durch die naturfernen Maßnahmen der Politik und die wirtschaftlich induzierte Schadstoffbelastung in Niedersachsen mehr als erheblich zurückgedrängt. Die stärkste Bedrohung stellt jedoch die Krebspest dar. Die Krebspest wurde durch die Ansiedlung amerikanischer Flusskrebsarten eingeschleppt. Diese Krebsarten sind Wirte für den Erreger. Im Gegensatz zum Europäischen Edelkrebs sterben die Amerikaner jedoch nur in Ausnahmefällen daran.
Die Konkurrenzüberlegenheit dieser neuen Arten hat die Situation zusätzlich verschärft und den Edelkrebs in fast allen europäischen Ländern so extrem dezimiert, dass er in Mitteleuropa nur noch in wenigen Inselbiotopen zu finden ist.
Die Gefährdungssituation wird in den Roten Listen gefährdeter Tierarten ausgewiesen. Die Weltnaturschutzorganisation IUCN stellt den Edelkrebs in Europa als „vulnerable Gruppe“ (sic!) dar.
In Deutschland wird der Edelkrebs in der nationalen Roten Liste als vom Aussterben bedroht (Kat. 1) beurteilt.
Ich muss kaum anfügen, das wir niemanden unter Wasser im Rückwärtsgang unterwegs sehen konnten. Nirgends, solange wir auch starrten, war der freundliche „Kollege“ meiner Jugend zu entdecken, der blitzschnell mit dem Schwanz voran ins Dunkel schoss und dabei Staub aufwirbelte, so wie ich es bis heute klar vor meinem inneren Auge habe.
Der Abschied fiel mir somit leicht, aber er stimmte mich existenziell traurig.
Das „alternative Luftschloß“ (Gruhls Bonmot über die Grünen) ist eine eine zweifache Ruine.
Die Herbert Gruhl Gesellschaft wird inzwischen von AfD-Politikern weitergeführt, die das „Selbstbestimmungsrecht der Deutschen“ diskutieren und damit sicher nicht die Überfremdung durch den amerikanischen Flusskrebs meinen.
Das ist bitter, aber nicht zu ändern.
Denn es sind die fatalen Folgen der verlogenen Selbstreinigung der Grünen. Die AfD kostet die Vorzüge der Opposition aus und beackert immer mehr Felder, die von den Grünen aufgegeben wurden.
Zum 100. Geburtstag von Gruhl hat 2021 ein unbekannter Bewunderer – wer weiß, vielleicht sogar mit Billigung oder sogar mit den Mitteln der „Alternative“? – eine Todesanzeige in der Süddeutschen Zeitung geschaltet , die die Unterzeile trägt:
Die von Gruhl mitgegründeten Grünen sind heute exakt jener Typ von Vereinigung, wie sie das „Konspirationistische Manifest“ beschreibt: „Gruppen sind nur dazu gut, das zu verraten, wofür sie gebildet wurden.“
Der Irrtum
Der Drang zum Feisten bestimmt ihr Handeln – nicht nur der Grünen, sondern aller Parteien, die so neoliberal denken wie sie. Die zugunsten ihrer persönlichen Privilegien denken und entscheiden. Denen das Wohlergehen nicht ein salus publica bedeutet, sondern für die es eine Frage des Gemeinwohl-Managements ist, die letztlich egoistisch entschieden wird.
Atmen wir dieselbe Luft wie sie?
Ja. Aber wer arm ist, stirbt früher.
Der eigentliche Zweck der Übung ist, genau das zu begreifen. Und genau dann eine Entscheidung für sein Leben zu treffen. Angesichts der Lage.
In voller Anerkenntnis des Irrtums, die Welt sei unendlich,
des Irrtums, unsere Wirtschaft beruhe auf Kapital allein,
des Irrtums, über allem menschlichen Wirtschaften walte eine „unsichtbare Hand“,
des Irrtums, die größere Zahl und Menge sei stets besser als die kleinere,
des Irrtums, materieller Wohlstand mache die Menschen glücklich,
des Irrtums, der Mensch verfüge über unbegrenzte Möglichkeiten,
des Irrtums, Wissenschaft und Technik dienten immer dem Fortschritt,
des Irrtums, die Nahrungsproduktion könne immer weiter gesteigert werden,
des Irrtums, die Freiheit nehme unaufhörlich zu.
(alle aus „Planet“, S. 14)
Wäre ich Herbert Gruhl, würde ich jetzt noch aus Jüngers „Marmorklippen“ zitieren:
„Es ließen sich noch viele Zeichen nennen, in denen der Niedergang sich äußerte. Sie glichen dem Ausschlag, der erscheint, verschwindet und wieder kehrt. Dazwischen waren auch heitere Tage eingesprengt, in denen alles wie früher schien.“
Aber ich bin nicht Gruhl und Jünger bleibt für mich unerträglicher Schwulst, ein Denken auf tönernen Füßen, von denen er uns weismachen will, sie seien die Säulen, auf denen das Abendland ruht. Trotzdem schließt das nicht aus, dass auch ein „Rechter“ mal recht hat.
Unerschütterlich fest steht jedoch: Es gibt ein Denken jenseits der jüngerschen Kriegerlogik, und sicher, ganz sicher auch ein Denken jenseits von McKinsey & Black Rock.
Doch die Frage des Weiterlebens, etwas, das weit jenseits des Rechthabens liegt, entscheidet sich an anderen Kriterien – und an unserer Kraft, uns von der eigenen Regierung zu emanzipieren.
Das sehen die Politiker natürlich als die größte Gefahr.
Deswegen setzen sie bei ihren fortlaufenden Einschüchterungskampagnen auf den Erfolg einer ausgeklügelten Strategie der bewussten Täuschung.
Die Strategie dient zunächst der Verschleierung der Ursachen der Krise.
Wir sollen nicht begreifen, dass der Notfall hausgemacht ist.
Dass er Teil eines letzten Aufbäumens eines totkranken Systems ist, das sich überfressen hat, zuviel Energie braucht und uns allen inzwischen mehr schadet als nutzt. Da es sich bewusst gegen die Ökologie stellt, vernichtet das System, wie Gruhl vor 50 Jahren messerscharf nachgewiesen hat, unsere Lebensgrundlage. Es sind die Erfolge unserer Wirtschaft, die uns töten.
Die Strategie der bewussten Täuschung hat viele Gründe, aber vor allem ein Ziel: zu verhindern, dass wir alle Mut fassen und die Sache selber in die Hand nehmen, die die Politiker so gründlich verdorben haben. Denn dann gäbe es nur ein vorstellbares Ergebnis: nämlich dass dieser Wahnsinn ein Ende haben muss.
Der Text ist überwältigend gut: mit Witz geschrieben, scharf gewürzt, großartig belegt (z. B. Gruhl; z.B. Fücks und Hahabeck; z.B. Borchardt und das Holstein-Schnitzel), von gnadenloser Klarheit, überwiegend aussichtslos … und viel zu lang (nicht dass ich mittendrin zu lesen aufgegeben hätte).
Diese Beoachtungen und Betrachtungen in anderhalbseitige Kolumnen verpackt und täglich oder dreitäglich versendet, das würde den Kreis der sich darauf freuenden Lesenden riesig erweitern. Schätz ich mal so. So wäre jeder Tag (oder jeder dritte) ein Lustgewinn in diesen verlustreichen und ruinösen Zeiten.
Die Passage über die grünen Dumpfbacken und Speckhälse, oder auch die über Edelkrebse etwa oder über den hannoveraner Hinauswurf Kulturschaffender … das ist doch alles Edelschreibe, die so geballt vorgesetzt zu bekommen leicht überfordert: eine Weißwurst zu genießen oder zwei, ist ein Genuss, aber zehn hintereinander kann Folgen haben.
Glückwunsch zu Teil 3 der Aasgeier-Reihe!
Wieder mal sehr spitz, treffend und durchaus aufmunternd darnieder geschrieben!!!!!!
Gebe dem ersten Kommentar recht, würde über wöchentliche Denkteilhabe erfreut sein….
Manu
Dieser sprachliche Ausdruck gepaart mit Wissen, Durchblick, Witz und hintergründigem Humor fasziniert mich immer wieder. Inhaltlich ist allerdings für mich nicht viel Substanz zu finden, eher Zergliederung und Aufspaltung in noch so kleine Stückchen. Was bleibt als Kernaussage? Wo ist der Ausweg?
Die uns bekannte Welt wird 2040 untergehen aus Mangel an Ressourcen, wie viele Experten errechnet haben. Dann beginnt der Kampf um den letzten Tropfen Wasser, und man wird endlich feststellen: Geld ist nicht essbar.
Aber nein! Die Frauen werden uns retten, weltweit. Nicht die jetzigen Karrierefrauen sondern, diejenigen, die ihr Frausein nicht geopfert haben. In 2 Jahren geht der Pluto in den Wassermann und dann ist es vorbei mit der Vorherrschaft des Mannes. Ihre völlige Gleichberechtigung ist nicht mehr aufzuhalten und es kommen endlich die bewahrenden und rettenden und liebenden Impulse dazu. (siehe jetzt im Iran, die Saudis haben es schon kapiert) Sie werden sich auch nicht in das Patriarchat pressen lassen durch eine „Frauenquote“. Sie werden es besser machen und das System grundlegend verändern. Leben findet immer einen Weg zum Überleben.