In ihrem Beitrag vom 5. Mai 2020 über „Women‘s lib in der Krise“ zeigt Heidrun Friese, wie durch die Pandemie patriarchale Strukturen, die längst als überwunden galten, wieder erstarken. Friese beschreibt, wie Frauen aus dem Bürgertum COVID-19 mit Wucht nutzen, um ihre Privilegien zu sichern. Sie geht dabei der Frage nach: Was passiert mit den Frauen aus ärmeren Schichten? Nimmt der Umgang mit dem Virus die Befreiung der Frauen zurück?
Gesellschaft im „l’après-confinement“
Ein Kurz-Kommentar zu „Fetisch Mutter“ von Heidrun Friese
Immer noch starrt die Welt gebannt auf das Virus und unseren Umgang damit. Wenn die Franzosen „lockdown“ mit dem Wort “confinement“, das außer Quarantäne zu deutsch auch „Haftanstalt“ oder „Stallpflicht“ heißen kann, bringen sie mit einem einzigen assoziationsreichen Wort unverblümt zum Ausdruck, was wir alle fühlen und womit wir uns beschäftigen sollen: wie wir ganz persönlich mit den Auflagen zurecht kommen, und nicht damit, wie wir als Gesellschaft damit umgehen sollten.
Insofern fördert das Paket der Maßnahmen den ohnehin schon durch unser Wirtschaftssystem eintrainierten Egoismus und die Vereinzelung der Akteure, ihre Isolierung. Dies neutralisiert die Kräfte der Emanzipation genau in dem Moment, in dem sie am nötigsten sind.
Doch nicht alle fühlen die Härte staatlicher Zwangs-Maßnahmen gleich. Heidrun Friese zeigt in ihrem Artikel, wie die Pandemie soziale Ungleichheit zwischen den Geschlechtern etabliert, ein Gefälle zwischen Männern und Frauen und zwischen Frauen verschiedener Schichten baut, von dem wir dachten, dass es durch die Kämpfe um die Frauenbefreiung bereits überwunden wäre.
Durch unsere Fixierung auf das vermeintlich wichtigere Gesundheitsproblem haben sich so unbemerkt gesellschaftliche Veränderungen eingestellt, die aller Wahrscheinlichkeit nach schwer reversibel sind, wenn wir nicht schnell handeln.
Bernd Scherer, Intendant des „Haus der Kulturen der Welt“ Berlin, nimmt in der FAZ von heute das Bild vom „geöffneten Fenster“ aus dem „Brunner Affekt“ auf und fordert:
„Angesichts des Coronavirus hat sich in unseren Gesellschaften ein kleines Fenster geöffnet, um Handlungsspielräume zu gewinnen. Dieses Fenster gilt es ein Stück weit offen zu halten. … Wir sollten … die Zeit nutzen, um die Frage zu beantworten, welche Welt wir wollen.“