Unvertrauen

Im Kreis unserer Freunde sind wir jüngst des öfteren mit einer nachdenklich stimmenden, psychologisch sogar nachvollziehbaren, dennoch höchst verstörenden Form von Grundvertrauen konfrontiert.

In der Biosoziologie, wie in der Psychoanalyse ist damit das tiefste und letzte Vertrauen-Können des Menschen gemeint, eine als besonders unerschütterlich geltende Einstellung, genauer: „Einwilligung, sich zum Überwinden eines Risikos oder einer Unsicherheit einer haltgebenden Instanz zu überlassen.

Das Grundvertrauen unserer Freunde bezieht sich auf die Berechtigung, annehmen zu dürfen, dass der Staat nichts entscheidet, was seine Bürger schädigt.

Wenn er also Impfstoff weitgehend ungeprüft ausgibt und sogar die Fortsetzung des sozialen Lebens von seiner Injektion abhängig macht, so meinen unsere geimpften Freunde, könne das nur – nach genauer Abwägung der Vorteile und möglichen Schäden durch staatlich bestallte Experten – zu unserem Vorteil geschehen sein.

Alles andere sei unvorstellbar. Sie gehen davon aus, dass nun vermehrt an die Öffentlichkeit kommende und somit auch ins Bewusstsein der generell unbelehrbaren Befürworter gelangende Komplikationen einer Massenimpfung mit neuen Wirkstoffen zum Zeitpunkt, als die vom Staat eingesetzten Institutionen sich für ihren Einsatz entschieden, nicht absehbar gewesen sein können.

Zweifel sind dabei grundsätzlich ausgeschlossen. Insofern kann das Grundvertrauen als eine Festung gegen die Angst vor dem inneren Zwiespalt betrachtet werden. Der Grad der Unerschütterlichkeit – dies wird in unseren Gesprächen sehr deutlich – hängt allerdings eng mit der Herkunft der Gesprächspartner aus Ost- oder Westdeutschland zusammen. Vierzig Jahre DDR und vierzig Jahre relativ unverblümter ideologischer Behauptungen, verbunden mit einer permanenten Demaskierung kapitalistischer Entscheidungsprinzipien hat die Staatsskepsis der Ostdeutschen auf ein völlig anderes Niveau gebracht, als bei den Westlern. Dieser Umstand erweist sich derzeit als einerseits geradezu utopisch – andererseits leider auch als Ursache der Bereitschaft, identitären Versprechen zu glauben.

Nach unseren Erfahrungen ganz unstrittig ist die Einstellung radikal unterschiedlich, wenn es um eine Einschätzung der Gründe und Folgen der staatlich verordneten Impfkampagne geht. Der ostdeutsche Bürger hat gelernt, dass man dem vereinigten Staat nichts glauben muss, weil er letztlich eine Interessenvertretung der Wirtschaft ist. Das allerdings hätte man auch im Westen wissen können.

Der moderne Medizinbetrieb“,  so der in Wien geborene Bremer Philosoph Ivan Illich in seinem Buch Die Nemesis der Medizin (1977),  „stützt eine morbide Gesellschaft, in der die soziale Kontrolle der Bevölkerung durch das medizinische System eine der wichtigsten ökonomischen Aktivitäten ist … Menschen, die durch ihre industrielle Arbeit und Freizeit verstört, krankgemacht und invalidisiert werden, bleibt nur die Flucht in ein Leben unter ärztlicher Aufsicht, das sie zum Stillhalten verführt und vom politischen Kampf um eine gesündere Welt ausschließt.

Wer einer solchen Struktur dennoch vertraut, sie als „Halt-gebende“ Struktur empfindet, gerät unweigerlich in einen schizophrenen Zustand. Deswegen ist er auch nur denjenigen Argumenten zugänglich, die sein Vertrauen (oft zu Unrecht) bestätigen. Defizienzgefühle, Unsicherheit, Verschlossenheit und Hass auf Andersdenkende sind so gesehen Verteidigungsreaktionen eines tief innen vorbeschädigten Gefühls.

Wenn wir unsere Freunde mit Fragen zum Verhältnis von Verantwortung und Verdienst konfrontieren, hören wir Ausflüchte, wahlweise sind wir Angriffen ausgesetzt: die Loyalität, mithin Integrität unserer Einstellung zum Staat wird pauschal unter Verdacht gestellt.

Contergan ist in den Augen derer, die so denken, eine Tragödie, von der niemand profitiert hat. Doch hier ist ebenfalls ein system-bezogener Unterschied erkennbar: Auch in der DDR interessierte man sich für die Herstellung des Mittels. Doch nach Prüfung durch den Zentralen Gutachterausschuss für den Arzneimittelverkehr, unter Vorsitz des Pharmakologen Friedrich Jung, wurde die Herstellung abgelehnt. Der schwedische Biochemiker Robert Nilsson wurde damals bei einem Besuch in der DDR von einem Mitglied des Arzneimittelausschusses gefragt, ob Contergan als Derivat der Glutaminsäure nicht die normale Entwicklung des Fötus schädigen könne, weil es als Antivitamin wirke.

Es ist hier nicht der Ort, nachzuvollziehen, wie das Hypnotikum im Westen ohne ausreichende Prüfung in Umlauf gekommen sein kann – andere haben vor mir dazu hervorragende Untersuchungen angestellt, allen voran der Film von Adolf Winkelmann.

Doch es lohnt den Hinweis, dass die umfangreiche Anpassung des Zulassungsrechtes für Arzneimittel, die dem Contergan-Skandal folgte, https://de.wikipedia.org/wiki/Contergan-Skandal#Nachwirkungen hätte bewirken müssen, viele der Probleme, mit denen wir heute nach dem Einsatz von Covid19-mRNA-Impfstoffen konfrontiert sind, zu vermeiden.

Doch zu dem Zeitpunkt hatte Frau von der Leyen schon zu viele bindende Bestellungen per SMS versendet. Die Umsatzaussicht hatte mal wieder über die Sorge um die Gesundheit gesiegt.

Interessant – und für die Ankündigung des Essays Nummer 49, Drohnenschwärme, Atomkraftwerke und atomare Zwischenlager von Jutta Weber, der heute in DIE AKTION erscheint, höchst zielführend – scheint mir jedoch der Hinweis darauf, dass in der Phase des Rätselns über den Ursprung der Missbildungen nicht das Schlafmittel für Schwangere, sondern Kernwaffentests vermutet wurden.

Bereits 1958 brachte der FDP-Politiker Mende eine Anfrage im Bundestag ein, ob vermehrt auftretende Missbildungen mit Strahlung durch Atomtests zusammen hängen könnten und wurde abschlägig beschieden: Die Bundesregierung wies in ihrer Antwort die Annahme mit Hinweis auf statistische Daten als abwegig zurück und stritt jeden Zusammenhang mit Kernwaffen ab.

Irrtum? Fahrlässigkeit? Ignoranz? Vergessen? Nagasaki und Hiroshima lagen zu dem Zeitpunkt ja schon lange 13 Jahre zurück … Missbildung ist vor diesem Hintergrund ein Wort, das man zweimal lesen kann.

Die Geschichte lief weiter: Atomenergie wurde nun zur „beherrschbaren“ Technologie erklärt. Die Folgen der Bomben brachten zu wenige Menschen in den Entscheiderpositionen in gedanklichen Zusammenhang mit der „zivilen Nutzung“ in den Kraftwerken. Vor den Toren deutscher Großstädte war die Strahlung „unter Kontrolle“. Deutsche Ingenieure können das.

Grundvertrauen?

Staatliche Fördermittel – 203,7 Milliarden Euro für den Zeitraum von 1950 bis 2010, also 4,3ct per Kilowattstunde – konnten per se nicht in fatale Technologien fließen. Es wurde ja alles geprüft.

Ausserdem sollte Deutschland „den Anschluss nicht verlieren„. Selbst die weitgehende Haftungsbefreiung für Energiekonzerne machte kaum jemanden stutzig. Die Volkswirtschaftler Peter Hennicke und Paul J. J. Welfens sahen darin zwar einen „absurde(n) Investitionsanreiz, (der) den Wettbewerb in der Strom- bzw. Energiewirtschaft grotesk verzerrt und völlig unnötige Risiken für Milliarden Menschen befördert“.

Dass die ominösen „Risiken“ Krebs zur Volkskrankheit machten, sagt der Satz, ohne Krebs konkret zu benennen.

Doch wer es wissen wollte, konnte es wissen. Denn es gab nicht nur das erfolgreiche Buch „Krebswelt – Krankheit als Industrieprodukt“ des Biochemikers und investigativen Journalisten Egmont Koch. Auch Robert Jungks Bücher erreichten Rekordauflagen.

Geändert hat es wenig.

Um die Jahrtausendwende und mit den deutlichen Zeichen des deutschen Atomausstiegs stellte sich die „Enlager-Frage“ erneut. Inzwischen gehörte es zur Allgemeinbildung, dass der staatlich sanktionierte Sondermüll eine Million Jahre weiterstrahlt. Aber immer, wenn wir Besuchern unserer in Sichtweite des Zwischenlagers liegenden Wohnstätte erzählen, dass 400 Behälter in Gorleben oberirdisch in einer Art Tennishalle stehen und über die vierzig Jahre, die die ältesten Behälter schon dort sind, ihre eigenen Schutzhüllen aus massivem Gußeisen zu Strahlungsprojektoren aufgeladen haben oder dass es bis heute aller Forschung zum Trotz keine Lösung gibt, wie sie dort von der Erdoberfläche eines Tages verschwinden könnten, weil die Schutzbehälter nicht in den Milliarden-teuren Fahrstuhl passen, mit dem wir sie einst vor der Wende unter das Staatsgebiet der DDR unter der Elbe durchschieben wollten, denn niemand weiß, wie er die Polluxe mit den Brennstäben aus ihrer Castorhülle herausbekommen soll, wenn wir solche durch einen kleinen Ausflug ins Wendland nachprüfbaren Dinge erzählen, dann werden wir ungläubig angeguckt. Antietatistische Verschwörungsgläubige seien wir. In unserem Staat könne so etwas nicht vorkommen.

Den Menschen hilft eine Stigmatisierung gegen den Schock der Wahrheit. Ein paar Spinner und ihre Behauptungen sind das kleinere Übel als ein politisches Konstrukt, das systematisch Katastrophen produziert. Wie schon Sudelbuch-Autor G.W. Lichtenberg 1779 wusste, ist es schier unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch das Gedränge zu tragen, ohne den Leuten den Bart anzusengen.

Bärte aber sind heute mehr denn je weit verbreitet – und absolut sakrosankt.

2014 wurden gar Pläne der Kernkraftwerksbetreiber E.on, EnBW und RWE publik, ihre Kernkraftwerke in eine neu zu gründende und in Staatsbesitz befindliche Stiftung abgeben zu wollen. Diese soll die Kernkraftwerke bis zu ihrem Laufzeitende betreiben und anschließend als sog. Bad Bank fungieren und für den Rückbau, die Endlagerung und „alle sonstigen Risiken“ aufkommen. Bad Bank – so lösen Konzerne Probleme – eine abstraktere Form der Vernichtung.

Langsam, sollte man denken, stellt sich – statt Urvertrauen – nun Unvertrauen ein.

Die „soziokulturelle Geburt“  durch die atomkritische Forschung stellt die Menschen in der modernen Industriegesellschaft vor das täglich zu lösende Problem, dass man eben nicht allen Situationen und Menschen vertrauen kann.

Genau das aber ist eine solche Überforderung, dass ihr die meisten Zeitgenossen mit Verdrängung begegnen. Es überrascht uns nicht, dass die eingangs erwähnten Freunde, befragt zu Quellen ihres unerschütterlichen Staatsvertrauens, sich beim Thema „Atomenergie“ mit grotesken Konstruktionen wie „grüne Energie“ oder „Kohle ist auch keine Lösung“ behelfen, um ihr Staatsvertrauen zu bewahren.

Die Autorin unseres 49. AKTION-Beitrages war nun Anfang des Jahres vom TÜV Hamburg zu einem Vortrag geladen worden, in dem es – ganz typisch für einen technischen Überwachungsverein – um Sicherheit von Atomkraftwerken und Zwischenlagern angesichts autonomer Kriegstechnologien wie Drohnenschwärme – besonders vor dem Hintergrund eines denkbaren strategischen Angriffs auf strahlende Ziele – gehen sollte. Offenkundig glaubte die versammelte Expertenrunde, einen Vortrag bestellt zu haben, der sie in ihrer Hoffnung bestätigt, dass kein Problem bestünde (weil es sonst unlösbar wäre – wenn die beiden Technologien unvereinbar wären: Atom/Müll und die Revolution der Luftwaffe). Webers Erkenntnisse und Bedenken führten daher verständlicherweise zu vehementen Protesten, von denen traurigerweise nicht wenige frauenfeindlichen Charakter hatten. Eine „Notwehrreaktion“ des bartbewehrten Patriarchats angesichts schlagender Beweise für die Berechtigung zu massivem Unvertrauen in den Staat und seine Wirtschaftskonzepte?

Derweil fliegen die Starfighterpiloten (Beitragsfoto oben: Bundeswehr-Kampfflugzeug beim Überflug über das wendländische Zwischenlager Mai 2024) mit grenzenlosem Technikvertrauen weiter ihre täglichen Runden und wenden genau über der Gorlebener Tennishalle am anderen Elbeufer, in dem die vierhundert Altlast-Bomben schlummern.

Anmerkungen:

Der im Titel von Weber verwendete Begriff „Zwischenlager“ bezeichnet einen Ort, an den „abgebrannte“ Brennstäbe aus Kernenergieanlagen und andere radioaktive Abfälle verbracht werden, um dort ihre „Nachzerfallswärme“ abzugeben, bevor sie planmässig in Endlager hätten verbracht werden sollen.

Die Nachzerfallswärme kommt dadurch zustande, dass die vorhandenen, kurzlebigen Spaltprodukte radioaktiv zerfallen.

Ein weiterer erklärungsbedürftiger Begriff ist „der Staat“ – also eine organisatorische Struktur, die stellvertretend für und teilweise über die Interessen ihrer Bürger hinweg entscheidet. Der Begriff Staat meint in diesem Text die politische Ordnung mit  bestimmten Gruppen in priviligierter Stellung, nicht das Land mit seiner Bevölkerung.

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