Die emotionelle Pest

Im vorliegenden zweiten Teil gehen wir den möglichen Ursachen einer „Wirklichkeitsspaltung“ auf den Grund. Leiden wir massenhaft an einem psychischen Defekt, der „emotionellen Pest“: einer schweren Charakterdeformation, die sich seit COVID19 entwickelt hat und als Krankheit noch gar nicht erkannt wurde?

Auskämmen
Manchmal – ach! Was sage ich? – meistens kommt alles auf einmal. Die Zeit, in der es vergleichsweise ruhig schien – ohne ständige Einschläge – fühlt sich rückblickend an wie die Phase, in der das Böse seine Kräfte sammelt, um konzertiert loszuschlagen.

Durch den Himmel über Deutschland donnern wechselweise unsere Air Defender (siehe IMI-Analyse hier) und Vernichtungsgewitter, so dass ich mich dabei ertappe, dass ich der Armee und den ihr zuarbeitenden Spitzenforschungsgesellschaften mit ihren Waffenwetter-Instituten, Wetterdrohnen und Hagelkanonen, zutraue, bei der negativen Beeinflussung des Klimas erfolgreich kooperiert zu haben. Wenig scheint mir in der aktuellen politischen Lage undenkbar. In jedem Fall bietet die Rumpfdemokratie an der Spree keinerlei Schutz vor solchen Übergriffen. Im Gegenteil: unverhohlen zeigt sie sich als treibende Kraft.

Auch der digitale Gott der kleinen Dinge spielt verrückt. Die Meteo-App prophezeit Ende Juni: „Hohe Gefahr für Leben und Besitz“. Vor lauter Sorge um sich selbst soll uns der Mund offen stehen bleiben, oder woran arbeiten diese Widgets, die von hauptberuflichen Risikofetischisten trainierten Helferlein? Mit ihnen wird das Leben schnell zur Qual.
Die (neoliberale/postdemokratische/antirepublikanische) Verhängung der „Sorge um sich selbst“ führt zu einer vollständigen Entpolitisierung. Man ist vollauf damit beschäftigt, sein nacktes Leben zu sichern.

Gleichzeitig passiert der Kilo-Preis für frische Paprika die zweistellige Eurogrenze und lässt mich vor dem Gemüseregal erstarren beim Gedanken daran, dass neben mir shoppende Mitmenschen sich ein 800 PS starkes Sport- und Boden-Defender-Vehikel gegönnt haben, für dessen dreissig-Liter-Verbrauch sie ohne zu Zucken selbst 5,00 €/Liter Benzinpreis berappen würden, nur um ihr schweres Laptop-Gepäck mit infernalischen Gedröhn der Sidepipe zum Ort des nächsten Geschäftsabschlusses zu propellieren und dabei nicht davor zurückschrecken, über den Fußweg zu brettern, wenn ihnen die Klimakleber die Kreuzung blockieren.
Aus welcher dunklen Quelle auch immer das hierfür nötige Finanz-Polster stammen mag – es bietet ihnen ganz sicher die Rechtfertigung für ihr sozialschädliches Handeln.

Lebe ich eigentlich noch im gleichen Realitätssystem wie diese Leute?

Na gut, auf Paprika kann ich verzichten.

Wenn nur nicht gleichzeitig mein Pass abgelaufen wäre. Die Neubeantragung dauert derzeit acht Monate. Ich hätte ja früher auf das Ablaufdatum achten können. Aber ich wache ja immer erst auf, wenn es zu spät ist und und bilde mir ein, die Verwaltung sei dazu geschaffen, auf mein Fingerschnippen zu springen.

Nein, die Verwaltung hat durchaus andere Dinge zu tun. Wichtigere. Zum Beispiel ist sie damit befasst, gegen einen verstorbenen Verwandten, der die letzten fünf Jahre mit Krebs und seitlichem Darmausgang liegend verbracht hat, eine Zwangsvollstreckung zu verhängen, weil er seine Steuer nicht bezahlt hat. Dabei ist ohne Belang, dass die Steuerschulden zu 50% aus Schätzungen des Gläubigers bestehen. Die andere Hälfte sind Säumniszuschläge. Ganz unbeachtlich für das Finanzamt ist dabei die gesetzliche Regelung, dass gegen einen Toten nicht vollstreckt werden – ja, was soll man sagen: – kann? oder darf?
Die Eintragung der Vollstreckung ins Grundbuch kann jedenfalls nicht zurückgenommen werden. Die Schätzungen sind rechtskräftig geworden, weil die Widerspruchsfrist versäumt wurde und dies ganz unabhängig von der Tatsache, dass der tote Verwandte die fraglichen Jahre über ALG2-Empfänger und damit von der Zahlung der Einkommenssteuer befreit war. Viel triftiger aber ist: Unterbesetzung im Grundbuchamt. Die Bearbeitungszeit liegt jenseits der Lebenserwartung der Hinterbliebenen.

Ich muss unwillkürlich an das bei H.G. Adler („Der verwaltete Mensch“) dokumentierte „Schreibmaschinenauskämmprogramm“ (S. 611 ff) denken. Schreibmaschinen waren 1941/42 „kriegswichtig“. Der „Beauftragte des Reichskommissars für die Verwertung von Judenmöbeln“ (sic!) war gehalten, solches Eigentum regelmässig einzuziehen. Schreibmaschinen wurden zuerst konfisziert. Dagegen konnte ein Antrag eingereicht werden. Der Antrag musste maschinengeschrieben sein.

Wer jetzt denkt, das sei die berüchtigte Ekstase der Verwaltung, von der Hannah Arendt berichtet, täuscht sich. Es ist auch kein „Faschismusvergleich“, der hinkt. Ich berichte vom ganz normalen Alltag 2023.

Wem es unter diesen Bedingungen gut geht, der muss krank sein.

Adler fasst mit der für ihn typischen Lakonie zusammen (Kap.: „Die Verwaltung als Spiegelung“, S. 963):
„Streng genommen sagt die Verwaltung nichts, sie schreibt. Was sie schreibt, ist ein Spiegel der Wirklichkeit, oder genauer: ein Spiegel der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Die Verwaltung betrifft den Menschen, der jeweilige Verwaltungsakt spiegelt unter den verschiedensten Perspektiven etwas den Menschen Betreffendes.
… sie betrifft ihn nicht in der Person… sondern betrifft… nur die Person. Das ist keine Wortklauberei, sondern eine wesentliche Dezision, von der die Freiheit des Menschen, seine unangetastete Würde abhängt.“

Und weiter auf Seite 965:“Die Verwaltung ist wirklich, sagen wir, nur müssen wir uns über den Charakter ihrer Wirklichkeit im klaren sein.“

Kurzum: jede Gesellschaft hat die Verwaltung, die sie verdient.

Schädigen
Aus einem Fragebogen zu Symptomen des posttraumatischen Belastungsstresses erfahre ich, dass Migräne, Wutausbrüche, Ängste, Schlafstörungen, Alpträume, Desorientierung, Schwindel, Zittern, Bauchschmerzen, Herzflimmern, wiederholt auftretender Durchfall, das Gefühl, man sei abgetrennt von der umliegenden Wirklichkeit und alles finde entweder rasend schnell oder in Zeitlupe statt, mit anderen Worten: alles, womit sich die Hälfte der Menschheit im Alltag so herumschlägt, zum „Trauma-Inventar“ gehören, soweit sie einem „schlimmen Ereignis“ folgen und entsprechend „Folgestörungen“ auslösen können.

Den Fragebogen muss ich ausfüllen, weil in dem Prozess, den ich seit acht Jahren gegen die Versicherung eines Mannes führe, der in seinem Auto betrunken mit 120 km/h frontal gegen mich prallte und dabei starb, der Rechtsbeistand der Beklagten mit Nichtwissen bestreitet, dass ich geschädigt wurde. Ein solcher Verkehrsunfall ist eine heftige Gewalterfahrung. Gewalt löst Trauma aus.

Traumatisch wirkt sich bei mir neben den permanenten Flashbacks des auslösenden Ereignis insbesondere dessen gerichtliche Behandlung aus: das spurlose Verschwinden von mehr als 400 Seiten Akten und Beweisen auf dem Weg von Landgericht zum Oberlandesgericht; der Kraftakt, nach zu diesem Zeitpunkt bereits vier Jahre alte Belege wieder zu beschaffen; das mehr als zweijährige Schweigen des gerichtlich bestellten Gutachters, der erst nach Verhängung einer Ordnungsstrafe zum letztmöglichen Termin vor seiner Entpflichtung ein Gutachten fertigte, das der Versicherung einen Freibrief ausstellt, nichts zu bezahlen; der Zwang, sich wöchentlich wieder in den Fall einzuarbeiten und den frechen Behauptungen des Anwaltes der Autoversicherung zu widersprechen, der rein alles für unsachlich, unangemessen und nicht nachvollziehbar hält, was ich vortrage.
Hätte ich anfangs nicht meinen zwischenzeitlich abgelaufenen Pass vorgelegt, hätte er sicher das Klagebegehren zurückgewiesen mit dem Hinweis, meine Existenz sei strittig, bzw. ich hätte keinen ausreichenden Lebendnachweis erbracht.

Die Erfahrung der eigenen Ohnmacht ist ein Erlebnis von Gewalt.

Mit den Worten Adlers gesagt, spiegelt sich im Rechtsverständnis der Versicherung, deren einziges Ziel die Verweigerung einer (finanziellen) Leistungserbringung ist, und im Umgang der Gerichte mit den fatalen Strategien der (Versicherungs-)Konzerne unser bestimmendes Verständnis von Gesellschaft.

Wir nehmen die Auslösung und Verstärkung von Trauma durch verwaltungs- oder prozessrechtliche Strukturen ebenso als gegeben oder zumindest unvermeidbar hin, wie wir den Anspruch des Einzelnen auf eine (ohnehin in jedem Fall unangemessene, weil bloß geldliche) Kompensation in Frage stellen. Daran darf niemals jemand rütteln, weil sonst die Wirklichkeit aus dem Gefüge gerät.
Für unsere Gesellschaft „systemrelevant“ ist ein ungeschädigter und geschützter Wirtschaftsbetrieb. Das Befinden des Einzelnen ist vergleichsweise gleichgültig.
Mancher mag diesen Zusammenhang für verdeckte Gewalt halten. Gewalt löst Trauma aus, ob sie nun direkt oder versteckt wirkt. In jedem Fall richtet „der Staat“ eine Art Bannmeile oder Tabuzone um genau jene Merkmale herum ein, die für seine Version der Wirklichkeit konstituierend sind. Die Säure des Zweifels darf seine Säulen nicht angreifen. Nicht aufgearbeitete, verdrängte Gewalt dringt tief ein.

Deformieren
Ich möchte ein letztes Beispiel geben, bevor ich versuche, jenen pathologischen Charakter näher zu bestimmen, der solche Formen der Wirklichkeit erzeugt.

Vergangene Woche haben wir uns mit einigen Freunden zusammen gesetzt, um ein Resümee der vergangenen drei Jahre zu ziehen und zu überlegen, wohin es von hier aus weiter gehen könnte. Denn die Befürchtung machte die Runde, dass die unter COVID erprobten Beschränkungen bloß ein Testlauf, sozusagen das Vorspiel seien für noch kommende, viel drastischere Veränderungen.

Unsere Freunde erzählten: warum sie ihren Job verloren haben (nach 22 Jahre in der gleichen Firma), nachdem sie sich nicht hatten rechtzeitig impfen lassen; wie sie davon psychisch krank wurden und wie sie wieder aus dem Elend eines deprimierten Zustandes heraus gefunden haben; warum sich ihre Freunde nicht mehr gemeinsam an den Tisch setzen wollten, weil Geimpfte und Umgeimpfte angeblich nicht zusammen passen; sie erzählten, mit welchen Tricks sie versucht haben, diese Spaltung zu überwinden; ein iranischer Freund erzählte, dass er mit Verblüffung beobachte, wie sich alle über „Maske ja oder nein“ entzweit hatten, aber niemand mehr darüber sprach, dass Menschen auf Booten im Mittelmeer sterben, die ganze Natur vertrocknet und dass viele Zeitgenossen unsere falsche Energiepolitik und die immer unübersehbarere autoritäre Deformation des Alltags einfach über diesen lächerlichen Streit vergessen hätten; eine Freundin, die lange in Mittelamerika gelebt hat, erzählte, dass die Deutschen immer besonders folgsam, besonders obrigkeitshörig, besonders stumm sind, wenn himmelschreiend beschissene Dinge passieren. Aber warum? Immer wieder wurde festgestellt in der Runde, dass die Leute, unabhängig von ihrer angeblichen politischen Ausrichtung, nicht bereit sind, im Alltag auch nur auf das Geringste zu verzichten. Das werfe ein Licht auf die Möglichkeit, mit ihnen Gesellschaft zu verändern.

Freunde, die im äußersten Zipfel Brandenburgs an der Grenze zu Mecklenburg leben, berichten, dass sie von der Polizei während der zur Corona-Eindämmung verhängten Reisebeschränkungen auf dem Weg zum nächst gelegenen Lebensmittelgeschäft 1 km vor dem Ziel von der Polizei gestoppt und zum 19 km entfernt gelegenen Supermarkt in Brandenburg geschickt wurden, dies mit der Begründung, dass ihnen die Einreise verboten sei, wohingegen Mecklenburger frei nach Brandenburg einreisen durften, da dort keinerlei vergleichbare Eindämmungsmaßnahmen bestünden. Auf die Sinnwidrigkeit hingewiesen, erklärten die Polizisten, dies zu ändern, liege nicht in ihrer Macht. Es handele sich um eine Anordnung „von oben“, deren korrekte Einhaltung sie zu überwachen hätten.

Kündigung, das Erdulden von restriktiven Maßnahmen und polizeilichen Schikanen und der Verlust von Freunden können durchaus Ereignisse sein, die traumatische Folgen haben. Aber nicht immer ist sicher, dass der Auslöser erkannt und die Störung somit beseitigt werden kann. Oft finden, schon als Teil der traumatypischen Vermeidung, falsche Zuschreibungen statt und verschütten den Täter-Opfer-Zusammenhang.

Ein weiterer Freund erzählte von seiner kürzlich Reise zu einer Demo in den Alpen, wo Aktivisten aus vielen europäischen Ländern gegen ein – wie sie finden – sinnloses und naturzerstörendes Tunnel-Großprojekt demonstriert haben: die Franzosen besprechen, wie sie während der Demo vorgehen wollen; die Italiener streiten wie verrückt und können sich nicht einigen, weder untereinander, noch mit den anderen Aktivisten; die Deutschen stehen schweigend, skeptisch und wenn sie mal reden, dann nur über ihren persönlichen Schutz (Gasmasken etc.).

Ähnlich frappiert waren wir angesichts des nächsten Gesprächsthemas, in dem es um die „Antiverschwurbelte Front“ ging, eine Antifa(?)–Subgruppe, die gegen Umgeimpfte „kämpft“ und bis heute „ZeroCovid“ fordert: was ist los mit den Deutschen? Grassiert jetzt im Nachgang zur Pandemie eine schleichende Krankheit, die wir alle noch gar nicht als Krankheit erkannt haben? Es können doch nicht alle gekauft sein!?

Ohne uns für besonders paranoid zu halten, konnte doch niemand in der Runde gänzlich ausschließen, dass es sich bei diesem Phänomen womöglich um die „amtliche“ Eingemeindung der kapitalismuskritischen Splittergruppen zur Amplifizierung der Regierungsstrategien handele.

Eine Freundin erzählte, dass ihr eine besondere Intoleranz angesichts maßnahmekritischen Fragen und ein außerordentlicher Erfüllungsdruck gegenüber verhängten Vorschriften überraschenderweise im Bereich von LGBTQ-Gruppen aufgefallen wäre.
Ist das Teil eines gouvernementalen Tricks, vorgeblich Schutz für bedrohte Minderheiten zu bieten, um diese gleichzeitig als Verstärker der autoritären Politik zu missbrauchen?

Zur Erinnerung Foucaults Definition aus „Analytik der Macht“, S. 148 ff: „Unter Gouvernementalität verstehe ich die Gesamtheit, gebildet aus den Institutionen, den Verfahren, Analysen und Reflexionen, den Berechnungen und den Taktiken, die es gestatten, diese recht spezifische und doch komplexe Form der Macht auszuüben, die als Hauptzielscheibe die Bevölkerung…hat.“
Etwas dergleichen muss wohl passiert sein seit 2020. Oder doch schon seit 1920, wie im „Konspirationistischen Manifest“ vermutet wird: die Korrektur der Einstellung der Bevölkerung als Hauptarbeitsgebiet regierungsdienstlicher Agenturen?

Der Gedanke führt zu der Frage, wie die (geistige) Eingemeindung im Einzelnen ins Werk gesetzt wurde und auf welcher psychischen Disposition sie beruht. Die Eingemeindung ist schließlich kein voraussetzungsloses Verfahren.
Welche Art von mentalitätsmässiger Voraussetzung, um nicht zu sagen: Deformation muss vorliegen, damit solche Desaster möglich sind, wie wir sie in den vergangenen drei Jahren zuhauf erlebt haben und die in Zukunft nicht weniger werden, wenn wir sie nicht aktiv verhindern?

Ausbrüten
Um diese Frage oder zumindest ihre massenpsychologische Facette zu beantworten, zitiere ich aus meiner Auseinandersetzung mit der Forschung von Andreas Peglau, den ich im Beitrag „Wirklichkeitsspaltung“ bereits als Analytiker mit großem Interesse an jüngster deutscher Geschichte und Herausgeber von Wilhelm Reich vorgestellt habe.

Der für unsere Frage hier maßgebliche Essay aus Reichs Werk, „Die emotionelle Pest“, erschien erstmals 1945 in dem Band „Charakteranalyse“ und wurde 1949 als neuer Abschnitt in die amerikanische Ausgabe der „Massenpsychologie des Faschismus“ eingefügt.

Um die Sache kurz zu halten, zitiere ich hier Reichs eigene Aufzählung der Charakteristika, die schnell klar macht, um was es ihm geht (S. 252 ff):
„Der Ausdruck emotionelle Pest ist keine diffamierende Bezeichnung … Würden wir die emotionelle Pest nicht als eine Krankheit im strengen Sinne des Wortes betrachten, dann gerieten wir in Gefahr, den Polizeiknüppel statt Medizin und Erziehung gegen sie zu mobilisieren. Es ist ein Wesenszug der Pest, dass sie den Polizeiknüppel notwendig macht und derart sich selbst reproduziert. Trotz der Bedrohung des Lebens, die sie darstellt, wird sie niemals mit dem Polizeiknüppel bewältigt werden.

(Es sind) gerade die wichtigsten Lebensgebiete, auf denen sich die Pest betätigt:… passive und aktive Autoritätsucht; Moralismus;… parteiliches Politikantentum; familiäre Pest, die ich als Familitis bezeichnet habe; sadistische Erziehungsmethoden, masochistische Duldung solcher Erziehungsmethoden…; Tratsch und Diffamierung; autoritärer Bürokratismus; imperialistische Kriegsideologie; kriminelle Antisozialität;… Rassenhass.
Wir sehen, das Gebiet der emotionellen Pest deckt sich ungefähr mit dem weiten Gebiet der sozialen Übel… Mit einiger Ungenauigkeit könnte man das Gebiet der emotionellen Pest … mit dem Prinzip der Politik überhaupt gleichsetzen.“

Kriminalität, Sadismus, Masochismus, familärer Druck und aggressiv ausagierte Autorität, Krieg und Hass sind sämtlich destruktiv. Formen der Anwendung von Gewalt. Wirken, wenn sie massenhaft, im gesamtgesellschaftlichen Maßstab auftreten, wie ein kollektiver Verkehrsunfall mit Todesfolge für die sozialen Bindekräfte. Die Mehrheit der Betroffenen ist dann traumatisiert – und kaum einer merkt es, weil alle ähnlich schlecht dran sind. Die seelisch Verletzung scheint „normal“, wenn alle aus der gleichen Wunde bluten.

Wohl gemerkt, Wilhelm Reich spricht hier von einer schweren Charakterstörung, einer sogenannten Biopathie. Er konstatiert: die „emotionelle Pest“ sei höchst ansteckend. Periodisch komme es zu „Massendurchbrüchen“. Dann sind fast alle Mitbürger von der Charakterdeformation des „Politikantentum(s)“ infiziert. Alle können plötzlich nur noch destruktiv handeln, denn ihr „biologischer Kern“ (das potentiell Gute in uns allen, der uns befähigt, »ein unter günstigen sozialen Umständen ehrliches, arbeitsames, kooperatives, liebendes, oder, wenn begründet, rational hassendes Tier« zu sein) ist tief verschüttet.

Die Idee der Pest wird Reich fortan begleiten. Eindrucksvoll beschrieben hat er sie in seiner »Rede an den kleinen Mann« (1946).
Er bemerkt, er habe »zunächst mit Naivität, dann mit Staunen und schließlich mit Entsetzen« erlebt, »was der kleine Mann aus dem Volke sich selbst antut; wie er leidet, rebelliert, seine Feinde verehrt und seine Freunde mordet; wie er, wo immer er als ›Volksvertreter‹ Macht in seine Hände bekommt, sie missbraucht und grausamer gestaltet als die Macht, die er seitens einzelner Sadisten der oberen Klassen zu erleiden hatte«.

Und schließlich: „Man kann den faschistischen Amokläufer nicht unschädlich machen, … wenn man ihn nicht in sich selbst aufspürt, wenn man nicht die sozialen Institutionen kennt, die ihn täglich ausbrüten.«

Hinter jeder Verwaltungsentscheidung, Regierungsverlautbarung, Handlungsanweisung, die das Verhalten der Bürger lenken und korrigieren soll, steht ein Mensch.
Nichts davon ist anonym geschehen. Jeder dieser Menschen hätte – rein fiktiv – auch anders entscheiden können.

Jeder: vom Reichskommissar, der von den „Judenmöbeln“ zuerst diejenigen „auskämmt“, mit denen die Eigentümer ihre Ohnmacht hätten überwinden und sich im Rahmen der Verwaltungsvorgaben zur Wehr setzen und ihre Würde wahren können, bis hin zu den aktuellen Gesundheitsministern und Ideologen im Auswärtigen Amt, die unsere Feinde bestimmen.

Doch jeder dieser Menschen ist nicht nur Täter. Auch er ist schwer deformiert, Opfer jener Charakterstörung, die sich, wie es in Wilhelm Reichs Wortbild schon angelegt ist, gleich der Pest ausbreitet und niemanden schont.

Unsere Einschätzungen, Gefühle, unsere innere Bewegtheit, die bewusste oder unbewusste Wahrnehmung der Lage, in der wir uns gesellschaftlich und persönlich befinden, all das, was im Begriff der „Emotion“ zusammengefasst ist, sind angeschlagen. Wir müssen daran arbeiten. Wieder zusammenfinden, unser Herz im richtigen Rhythmus schlagen hören, gemeinsam atmen.

Eine große Aufgabe liegt vor uns.

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