Gefährliche Gadgets?

Das Wort Daten stammt bekanntlich vom lateinischen Wort „dare“ (geben) ab. Schon im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm (1852) heisst es diesbezüglich:

„ähnlich ist (geben) im rechtsleben das recht (zu) geben und (zu) nemen oder umgekehrt, (eine) zusammenfassende bezeichnung des rechtsverfahrens in seiner zweiseitigkeit oder unparteiischen allseitigkeit.“ oder, so ein weiteres Zitat bei Grimm „bis zum urtheilsspruche, wo das recht gleichsam vertheilt wird, die parteien durch geben und nehmen nach rechtsweisung so zu sagen wieder ins gleiche kommen.“

Die Frage, die wir hier diskutieren mit Bezug auf ubiquitär verbreitete Technologien, ist im Kern die Frage nach dem, was bei Grimm „ins Gleiche kommen“ heisst: herrscht ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Geben und Nehmen? Besteht ausreichender Schutz zu verhindern, dass es zur Schieflage kommt?

Insofern ist mit Bezug auf das Stammwort „geben“ die zentrale Frage, ob die Daten freiwillig oder unfreiwillig, also mit oder ohne Kenntnis oder Zustimmung des Datengebers erhoben wurden, also letzlich, ob der Datengeber, der in diesem Kontext besser Dateneigentümer heißen sollte, sich dessen bewusst war oder die Datenübergabe heimlich stattfand?

Unabhängig von einer politischen Bewertung der Zwecke der Datenerhebung ist ein entscheidendes Kriterium zur Bewertung der gedruckten RFIDs, ob mit diesem technischen Verfahren das Potenzial des heimlichen Abzapfens erhöht und damit die Verletzung der Integrität des Persönlichen erleichtert wird?

Die für den Laien gegebene Erkennbarkeit des Erhebens oder Abzapfens von Daten ist dabei kein trivialer Vorgang.

Denn wenn wir bewerten wollen, ob der derzeit durch rechtliche Bestimmungen, also durch Grundgesetz und DSGVO gegebene Schutz, hinreichend ist, um einem solchen technologischen Schritt, wie ihn printable RFID bedeuten, um bestehende Schutzbedürfnisse im Binnenverhältnis Konsument-Konzern oder Bürger-Anwender abzudecken, müssen wir zunächst verstehen, dass und wie aus der potentiell epidemischen Verbreitung durch radikale Vereinfachung und Senkung des Herstellungspreises sich zwangsläufig, man möchte fast sagen „automatisch“ unsere Umwelt verändert.

Denn eines ist sicher: mit oder ohne hinreichenden Daten-Schutz werden wir allein durch diese technologische Innovation recht bald in einem smart room, einer smart city and am Ende in einer smart world leben, in der alles und jeder überall jederzeit track- und trace-bar ist.

Damit langen wir wieder beim „Sonnenstaat des Horst Herold“ an, jener 70er Jahre Idee der Totalüberwachung durch automatisiertes Erkennen.

Im Kontext der Verfolgung der RAF hatte der spätere BKA-Präsident Herold die sogenannte negative Rasterfahndung erfunden, also ein Verfahren, die gesamte Bevölkerung, den ganzen von ihr produzierten Datenbestand anonym zu lesen, um am Ende einige wenige Auffälligkeiten wiederum mit Identifikatoren zu verbinden, die dann in einer Verhaftung der verdächtigen Datenproduzenten mündeten: eine Art digitales Aussieben.

Für die technische Möblierung der BRD als Sonnenstaat änderte der Gesetzgeber schon vor 50 Jahren das Notwendige passend ab, damit das Verketten von personenbezogenen Daten aus bisher streng getrennten Quellen künftig legal sei.

Schon damals bewirkte die Inszenierung einer angeblich ins Mark der Demokratie treffenden Bedrohung jene nachhaltige Veränderung der Gesetze: das Recht ist also ein flexibler Mantel für den staatlichen Willen, von Institutionen „gegeben“ und nicht natürlich geboren.

Wir gelangen mit der smart world am Ende auch notwendig in das Verfahren der ubiquitären Kontrolle von Konformität und Wohlverhalten, wie es der chinesischen Staat bereits mit seinem Sozialpunktesystem installiert hat. Das Vorhandensein von ausreichend Technologie für Totalüberwachung ist die einzige Voraussetzung und – wie wir am Beispiel China sehen – folgen Mentalität und Gesetz den technologischen Möglichkeiten dann schnell nach.

Wir stehen hier letztlich vor der Frage, ob in einer zunehmend komplexen Welt voller intrikater Systeme, die unseren Alltag regeln, Gesetze dazu verdammt sind, den Innovationen „hinterher“ zu regulieren und ihnen den Rahmen zu bieten für ihre Anwendung?

Freiwillige Selbstkontrolle, beziehungsweise die geschickte Verführung dazu stellt uns vor eine rechtliche Problematik, mit der ich mich bereits vor exakt 20 Jahren intensiv beschäftigt habe: siehe mein Sachbuch „Demonen“ und den Artikel über die Unterhaut-Injektion von RFID aus meiner Reihe für die Süddeutsche Zeitung, Spür den Peer in Dir .

Was passiert, wenn die Kontrolltechnologien zum Gadget, zum begehrenswerten Körperschmuck werden, den die Menschen freiwillig oder im Namen vermeintlicher Freiheit oder beispielsweise zum Gesundheitsschutz anlegen?

Ich gebe ein Beispiel: 2004 wurde ein sechstklassiger Schauspieler und Mitwirkender in der spanischen Big Brother Serie „Gran Hermano“ über Nacht berühmt, weil er sich einen RFID implantieren ließ.

Der jüngst verstorbene Conrad Chase hatte eine gute Geschäftsidee: er zeigte der Welt, wie Party-Gäste halbnackt in seinem Club tanzen und wenn sie sich dem Tresen nähern, um ein Erfrischungsgetränk zu bestellen, sie keine VISA-Karte aus der Badehose fummeln müssen: der Körper des Kunden selbst, also eigentlich das Implantat in seinem Oberarm, wird gescannt und der Preis des Getränks von seinem Konto abgebucht.

Die Idee vom „intelligenten Reiskorn unter der Haut“ machte Furore: Clubgänger meldeten sich in Heerscharen, um sich das 1,2 mm dicke und 12 mm lange Röhrchen mit dem gerollten RFID spritzen zu lassen.

„Any privacy issues?“ wurde Chase gefragt? Er könne keine erkennen, man habe volle Kontrolle über seine ID.

Das preiswerte und weitgehend schmerzfreie Verfahren, das rund um 2004 nur in Hundeohren ausprobiert worden war, verbreitete sich rasant: Krankenkassen träumten schon von einer Komplettverchippung aller Versicherten, die damit täglich ihre Gesundheitswerte an den Versicherer melden sollten, auf dass der Beitrag „dynamisch“ der Gesundheit angepasst werde. In Mexiko, dem Land der Entführungen und Lösegelderpressungen, chippte die Regierung hohe Beamte und reiche Leute ihre Kinder. Es gab dann auch gleich die Reaktion der Gegenseite: die Entführer schnitten den Entführten erst einmal prophylaktisch den Oberarm auf, um sicher zu gehen, dass sie nicht verfolgt würden.

Seit Conrad Chase und seinen body modifications sind zwei Jahrzehnte vergangen. Alle technischen Devices sind kleiner, billiger, leistungsfähiger und mehr geworden. Insofern ist der druckbare RFID keine Überraschung. Jedenfalls nicht technologisch, nicht quantitativ, auch nicht wirtschaftlich.

Was sich jedoch radikal geändert hat, das ist das gesellschaftliche Klima, von dem solche Gadgets aufgenommen und verbreitet werden. Der qualitative Wandel hat fraglos mit der Corona-Pandemie eingesetzt. Das einmal in Bewegung gesetzte Rad dreht niemand mehr zurück. Praktisch Jedermann ist heute daran gewöhnt, vornehmlich aus egoistischen Motiven, zu seinem eigenen Schutz, alle möglichen Tracking-Tools auf seinem Handy aktiv zu schalten und andere, die für ihn eine Gefahr darstellen könnten, entsprechend derselben Sicherheitsversprechen als vermeintliche Gefährder zu verfolgen.

Tracking und Tracing hat fraglos bereits auf kurzer Strecke nachhaltig unser Verhalten verändert. Zu Zeiten, als ich „Demonen“ schrieb, nannte man das „mood management„. Heute heißt es „grammar of action“, die Alltagsdeformation des Verhaltens, die im Dreisprung dem „thread & response“ als „societal shift“ folgt, so wie wir ihn 2009 in dem bis heute bahnbrechenden Buch zur Ausstellung „embedded art“ präzise beschreiben haben.

Insoweit ist in unserer Tik-Tok-Welt beim täglichen Gerangel um die peinlichste Selbstentblößung die Chance gering, dass mit dem Verweis auf Intimssphäre, Privatleben, Integrität und Würde heutzutage irgendjemand etwas unternehmen oder ein wirksames Gesetz auf den Weg bringen würde gegen die Einführung eines preiswerten und effizienten Werkzeugs zur Massenkontrolle.

Was also nützt das beste Gesetz, wenn die Konsumenten es freiwillig unterlaufen, weil sie die von ihm reglementierte Technik für sexy oder sinnvoll halten?

Wir bewegen uns mit der Technologie RFID im Feld von Erkennen und finden – merken oder vergessen. Rechtliche Rahmenwerke können maximal regeln, ob und wie lange gemerkt, und wie nachhaltig vergessen wird. Wenn Mißbrauch für den Mißbrauchten schwer oder gar nicht mehr nachweisbar ist, sind gesetzliche Regelungen hinfällig. Überhaupt gilt: Wo dem Menschen per Gesetz erst einmal ein Recht zuerkannt werden muss, hat er es an sich schon weitgehend verloren.

Gedruckte RFID-Token gehören somit zwar zu den prinzipiell sozialschädlichen und umweltbelastenden Produkten, da sie bei hoher globaler Verbreitung durch die Maschen aller Regelwerke schlüpfen und gigantische Mengen Sondermüll produzieren. Sie sind Produkte der Wegwerfkultur, überflüssig nach dem Auslesen. Doch es ist nicht die Verschmutzung von Luft, Boden und Wasser, die uns die größte Sorge bereitet.

Viel größer ist die Gefahr, die von ihrem erkennungsdienstlichen Nutzen ausgeht, dem Potential, überall und jedem schnell angeheftet und quasi durch die Wand erkannt zu werden – wie eine chiplose Wanze. Damit solche Arten der Anwendung Erfolge erzielen, müssen Anwender zunächst notwendigerweise das rechtliche Rahmenwerk erodieren.

Denn eingeschränkte Totalüberwachung gibt es nicht.

Tracking und Tracing sind so gesehen die Muttermilch des Totalitarismus, mit der immer neue Angstobjekte groß gefüttert werden. Die Angstobjekte, das sind letztlich wir alle, weiche Ziele in einem harten technischen Visier.

Ziele sind – im militärisch-technischen Weltverständnis, das täglich zunehmend alle anderen Möglichkeiten von Weltverständnis verdrängt – Ziele sind dazu da, getroffen zu werden. Die kürzeste und genaueste Formulierung hierfür hat uns der Drohnenkrieg geliefert, jene Inkarnation von Tracking und Tracing im globalen Maßstab. Die 3F des Drohnenkriegs, find, fix and finish, sind das letzte höchste und vielleicht einzige Ziel aller Markierungs- und Verfolgungstechnologien. Solches Vorgehen – übrigens im Namen einer völlig frei erfunden Sicherheit, für die man nicht Orwell gelesen haben muss, um sie als Unsicherheit zu identifizieren – solches Vorgehen sollen wir nicht nur hinnehmbar, sondern wünschenswert finden: darauf stimmen uns all die Chips, Tags und Tokens ein, zu denen auch die gedruckten und massiv verbreiteten RFID gehören. Auf eine bestimmte Art ist die Schlacht ohnehin längst verloren, denn wir alle tragen freiwillig bereits Massen von RFIDs permanent in unseren Hosentaschen durch die Gegend: ein qualitativer Sprung ist durch druckbare Technologie kaum noch zu erwarten. Aber das Raster wird beständig dichter.

Es ist leider eine Frage der Logik, dass kein Dekret, kein Gesetz der Welt, so wasserdicht es auch formuliert sein mag, in der Lage sein kann, die fundamentale gesellschaftliche Störung zu heilen, die sich an solcher Technik zeigt. Denn die Logik, die das Problem erzeugt hat, kann es nicht wieder aus der Welt schaffen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert