Die Säuberung der Schädelkammern

Eine klinische Behandlung ist für eine begrenzte Anzahl von Personen denkbar.
Aber wie behandelt man EIN krankes Land?

Edward Hunter, Brainwashing – The Story of the Men who Defied it, 1956, S. 262
(“Gehirnwäsche – Die Geschichte der Männer die ihr trotzten“)

Schlacht der Begriffe

1950 kehrte die OMGUS-Regierung aus dem besiegten Deutschland zurück. An Bord 3200 laufende Meter Akten, verteilt auf (symbolische?) 18 Schiffsladungen.

Aus der gewaltigen Menge Papier ließ sich – wie aus einem zu lauen Braten, der keine kräftige Soße ergibt – nur ein einziger, brauchbarer Begriff reduzieren: „re-orientation“.

Die demokratischen Bündnispartner der USA setzten – anders als die Sowjetunion und China, deren Bildungsarbeit nach dem Krieg in pejorativer Weise von den Amerikanern als „Umerziehung“ (re-education) bezeichnet wurde – auf eine „Neuorientierung“.

Was genau sollte jene Neuorientierung beinhalten?

Am 24. September des selben Jahres hatte der Journalist Edward Hunter eine der erfolgreichsten politischen Propagandaideen des 20. Jahrhunderts. Er übersetze das chinesische Wort “xinao” mit “brainwashing”.
Gehirnwäsche, das war Kalter Krieg gegen einzelne Köpfe. Aber es war noch viel mehr als das.

Hunter, der Vertragstätigkeiten für das CIA ausführte, entwickelte in zahllosen Zeitungsartikeln und in seinem 1956 erschienenen gleichnamigen Buch die Vision einer “Gehirnwäsche”, die schlagartig und nachhaltig ganze Bevölkerungen in ihren grundlegenden politischen Einstellungen verändert.

Hunter stellte seine angeblich wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse in den Dienst einer ideologischen Kampagne, die unverkennbar an das Muster politischer Schuldzuweisung im III. Reichs anschloss. Stigmatisierung funktioniert besonders gut, wenn sie sich auf bestehende Vorurteile gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen oder Hautfarben stützt – und dafür werbewirksame Schlagworte erfindet.

Gelbe Gefahr

Bereits fünfzig Jahre zuvor war die Rede von der „gelben Gefahr“ etabliert worden – ein Begriff, ähnlich flau wie „Neuorientierung“, aber immerhin gewürzt mit einer deftigen Prise von kolonialem Rassismus. Doch dem Antikommunismus der McCarthy-Ära fehlte noch der wirklich starke, neue Kampfbegriff.

Nur fünf Jahre zuvor war der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen. Er hatte den Begriff “Nazi” als Synonym für die größte vorstellbare verabscheuenswürdige Einstellung etabliert.
Das Wort Nazi war gleichbedeutend mit einer Bedrohung der gesamten Welt durch die faschistische Ideologie.

Die Nazi-Ideologie galt als erfolgreich überwunden – wenn auch die OMGUS-Regierung im aufgeteilten Deutschland gleich heerscharenweise die Verwaltungsexperten des III. Reichs wieder in den Dienst nahm für eine föderal organisierte bundesdeutsche Republik.
Im Gegensatz zum Faschismus, so die Behauptung der US-amerikanischen Indoktrinatoren, sei der Kommunismus erst noch im Kommen.

Den chinesischen Maoisten, ebenso wie den Koreanern und Vietnamesen, mit denen die USA schon im Krieg standen oder bald stehen würden, mochte man zwar vorwerfen, dass sie in totalitären Strukturen dachten, lebten und handelten.
Doch der westlichen Propaganda gelang es nicht, ihnen die Legitimation ihres Handelns entziehen, indem sie sie vor der „freien Welt“ als “Nazis” hinstellte. Zu streng geschieden waren die Bekenntnissysteme von Kommunisten und Faschisten, um sie umstandslos, rein der Ächtung halber, in einen Topf zu werfen. Vor siebzig Jahren war es noch nicht denkbar, einen Linken zum „Nazi“ zu stempeln. Die US-Agitatoren mussten also etwas anderes erfinden, das in seiner Perfidie dem Faschismus gleich kam – aber speziell kommunistisch war.

Dass Menschen die – in den Augen der US-Ideologen – ganz unvorstellbar menschenverachtende Regierungspraxis des Kommunismus lieben und verteidigen können, musste mit einer radikalen, um nicht zu sagen: widernatürlichen Veränderung ihrer Einstellung einhergehen.

Wie aber war diese Einstellungsveränderung bewerkstelligt worden?

Das Geniale an Hunters propagandistischer Tat war, dass er diese höchst komplexe Frage mit einem einzigen Wort beantworten konnte: Gehirnwäsche.

Mentizid

Den Kommunismus konnte nur jemand befürworten, dessen Gehirn zuvor stark manipuliert, im Bezug auf seine Menschlichkeit zerstört worden war. Gesäubert von allen „gesunden“ Meinungen. Eine Art „geistiger Selbstmord“. Angesichts der Massen von russischen und asiatischen Kommunisten lag auf der Hand, dass die Technik der Gehirnwäsche geeignet war, Millionen von Köpfen in einem überschaubar kurzen Zeitraum umzuprogrammieren.

Mit der Etablierung dieses Gedankens hatte sich die Paranoia als staatstragend etabliert. Sie hat uns bis heute nicht verlassen. Paranoia leitet bis ins 21. Jahrhundert hinein staatliches Handeln.

Natürlich ist damit nicht die Paranoia gemeint, die der Westen in Stalins Handeln entdeckt haben wollte: als Ausdruck einer individuellen Krankheit. Mit Paranoia in diesem Kontext ist eine gezielt angewandte Methode gemeint, mit der ganze Bevölkerungen neurotisiert werden. Genau diesen Punkt hat Hunter zum Hauptthema seines Pseudo-Sachbuchs gemacht.

“Wenn die Gehirnwäsche ein einzelnes Individuum neurotisch machen kann, was ist dann mit den Bewohnern eines Dorfes oder einer Stadt oder sogar eines Landes, wenn sie dem gleichen Druck ausgesetzt sind? Es gibt keinen Zweifel mehr daran, dass diese Art des Angriffs auf den Verstand gegen ganze Bevölkerungen geführt wird.”
Und, indem er einen obskuren Experten für “kortikoviszerale Psychiatrie” namens Dr. Leon Freedom zitiert, fügt er hinzu:
“Alle oder die meisten der Techniken, die therapeutisch von Psychiatern zur Rehabilitation psychisch kranker Patienten verwendet werden, werden von der kommunistischen Hierarchie eingesetzt, um hysterische und zwanghafte Wahnzustände in der Bevölkerung unter ihrer Herrschaft zu erzeugen.” (S. 258, alle Zitate eigene Übersetzung)

Wäsche

Anders als der Begriff der Wäsche zunächst impliziert, handelt es sich nicht um einen Prozess der Entfernung (unliebsamer Gedanken) durch „Säuberung“, sondern um eine Hinzufügung (die Unliebsames sukzessive ersetzt). Beim „Mentizid“ (so der wiss. Ausdruck) wird nicht so sehr Altes getilgt, sondern etwas Neues (der sprichwörtliche „Floh ins Ohr“) gesetzt: der Betroffene hört nur noch, was zu dem passt, was der Floh flüstert.

Doch was Hunter als gefährliche Technik zur Zerstörung von Gehirnen auf der feindlich-asiatischen Seite entdeckt haben wollte, war in Wirklichkeit seine eigene Strategie.

Analog zur von den Faschisten geschürten Angst vor dem Untergang der weißen Rasse durch Vermischung, war hier die These auf dem Tisch, dass wenn erst einmal alle Gehirne anständig gewaschen (und die sauberen Stellen neu beschriftet) worden wären, niemand mehr den Siegeszug des Kommunismus aufhalten könnte. Dann wäre die Welt rot.

Dies wollte Hunter durch seine Aufklärungsarbeit verhindern: „Die Perversion therapeutischer Techniken durch die politischen Autoritäten totalitärer Länder ist ein Phänomen von so ungeheurer Bedeutung, dass es eine erschöpfende Untersuchung erfordert, um ihr entgegenzuwirken und sie zu besiegen.“ (S. 263).

Insofern kann sein Buch als die Geburtsstunde der Verschwörungstheorie gelten – Verschwörungstheorie als Mittel einer Regierung, die im Kampf um die Vorherrschaft ihres politischen Systems gesundes logisches Denken durch krankhafte Wahnvorstellungen ersetzt.

Marktsprache

Gleich eingangs, im zweiten Kapitel seines Romans “Die Pest” (ab Seite 48), beschreibt Albert Camus, wie die zwischenmenschliche Kommunikation das erste Opfer der “Verbannung” (sein Wort für “Bundesnotbremse”) wird.

Die Bewohner von Oran sind eingeschlossen. Von ihren Kindern, Verwandten, Geliebten, Ehepartnern getrennt, wenn diese zufällig zum Zeitpunkt der Schließung nicht in der Stadt waren.
“In dieser äußersten Einsamkeit konnte niemand auf die Hilfe des Nachbarn zählen und jeder blieb mit seinen Gedanken allein. Wenn einer von uns zufällig versuchte, aus sich herauszugehen und etwas von seinen Gefühlen zu verraten, so war die Antwort, die er erhielt, fast stets verletzend, gleichgültig, wie immer sie ausfiel. Er merkte dann, dass sie aneinander vorbei redeten.

Die Antwort mochte wohlwollend oder feindselig ausfallen, sie traf immer daneben, man musste darauf verzichten. Die aber das Schweigen nicht ertrugen, fügten sich wenigstens darein, die Marktsprache zu gebrauchen, da die anderen die wahre Sprache des Herzens nicht fanden, und nun verwendeten auch sie die herkömmlichen Redensarten, die Sprache der einfachen Berichterstattung und der vermischten Nachrichten, der täglichen Chronik gewissermaßen.”

Dadurch, so beschreibt Camus eindrucksvoll, wird die Schwermut der Eingeschlossenen schablonenhaft.

Das zweite Opfer der Seuche im Roman ist die Statistik. Wie sollen Menschen über ihre Hoffnungen, ihre Perspektiven, ihr Leiden, ihre Schmerzen sprechen in Zahlen, deren Sinn ganz offenkundig nur darin besteht, die Schließung der Stadttore zu rechtfertigen?
Wer sich dem aber nicht fügt und am Tor rüttelt, freie Bewegung fordert, so sagt es das Zitat, muss mit Feindseligkeit und Verletzung durch seine Mitbürger rechnen.

Um es denen, die sich fügen wollen, leichter zu machen, wird heute beständig jene “Marktsprache” ausgebaut.

In Marktsprache lässt sich gefahrlos sagen, was ohnehin zum staatlicherseits beschlossenen Kanon der Reglementierung gehört. So verfällt man wenigstens nicht in Sprachlosigkeit und Schweigen – jedoch ohne irgendetwas zu sagen, wenn man spricht. Mit dem Gebrauch der Marktsprache tauscht man die Hoffnung auf ein baldiges Ende der Einschränkung ein gegen ein Verharren im Jetzt, ein Absehen von der Formulierung, wie es morgen sein könnte.
Hoffnung ist der ärgste Feind der Marktsprache. Hoffnung darf es in keinem Winkel eines zur Benutzung freigegebenen Begriffes geben. Hoffnung limitiert die Geduld. Hoffnungen, die sich nicht einlösen wollen, erzeugen Widerstand.

Täterschaft

Ist erst einmal die Sprache gründlich geregelt, findet sich in ihr nur noch Platz für ein Denken und Fühlen in der von der Regierung gewünschten Form. Marktsprache kaschiert erfolgreich die Ratlosigkeit der Regierenden, von der durchweg auch Camus´ Roman handelt: vom ratlosen Beobachten der Ärzte, wie sich die Krankheit entwickelt und ihr fachliches Zutun nichts daran ändert, bis hin zum ratlosen Warten auf ein weiteres Serum.

Schuld und unabwendbare Täterschaft sind hingegen das Thema des zentralen Dialogs im Roman (S.144 ff), gesprochen in dem Moment, als mitten in der Nacht die zwei Ärzte Rieux und Tarrou der Marktsprache eine letzte (existenzialistische) Absage erteilen und auf ihre wie einen Schwur erklärte Freundschaft hin offen sprechen:

„Da habe ich erkannt, dass ich all diese langen Jahre nicht aufgehört hatte, verpestet zu sein, während ich doch mit aller Kraft gerade gegen die Pest zu kämpfen glaubte. Ich habe gelernt, dass ich mittelbar das Todesurteil von Tausenden von Menschen unterschrieben hatte, dass ich diesen Tod sogar verursachte, in dem ich Taten und Grundsätze guthieß, die ihn unwiderruflich nach sich zogen.”

Es lässt sich leicht verstehen, dass Gedanken, wie sie auf diesen Seiten des Romans formuliert sind, Gedanken zur „Existenz“, die jener philosophischen Richtung, der der Autor angehörte, den Namen gab, sich nicht in den Metaphern einer “Kanzlerschalte”, einer “Bundesnotbremse” oder in Vokabeln wie Impfpriorisierung, Impfneid oder Inzidenz ausdrücken lassen.
Durch solche marktsprachlichen Regelungen ist man vom Ausdruck (seiner Gefühle zum gegenwärtigen Leben) abgekoppelt, kann sein Leben nur noch in Ausdruckslosigkeit führen – also eigentlich nicht führen.

Reinigung der Gedanken

Genau das aber ist das Ziel emblematischer Begriffe. Man soll sich keine eigenen Gedanken machen. Es genügt, die verbalen Emblemata der Regierung zu wiederholen.
Wer diese aber hinterfragt, ist ein Nazi. Ein feindlicher Angreifer, der die beste aller momentan möglichen Ordnungen zerstören will.

In der emblematischen Ordnung der Kommunikation zur Pandemie ist die zunehmende Zahl von Begriffen, die vorn mit “Bundes-” beginnen, nicht nur auffällig, sondern besonders ehrfurchtgebietend, weil sie das Höchste einsetzen, um “Abweichendes” zum Schweigen zu bringen. „Bundes“-Begriffe sind das zentrale Werkzeug einer mentalen Vergatterung, die sich auch im zweiten Begriff, der „Kanzlerschalte“ spiegelt, denn das Schalten ist nicht nur der technische Vorgang des akustischen Zusammenbringens. Er hat auch einen „Geschmäckle“ von Gleichschaltung.
“Abweichendes (Verhalten)“ ist nicht umsonst ein Begriff der Kriminologie, die soziologische Beschreibung einer Form von bürgerlicher Devianz, die in Staatszerstörung mündet.
“Bundes-” Begriffe sind Ausdruck des Willens, das republikanisch-föderale Prinzip außer Kraft zu setzen und der Autorität der Begriffe-Präger uneingeschränkt Raum zu geben. In diesem Raum soll der Bürger nur noch in einer einzigen Erscheinungsform vorkommen: als duldsamer Zustimmer, dessen Gedanken gründlich gereinigt sind.

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