In ewiger Furcht?

Heute erscheint in DIE AKTION der Text “Apokalyptisch” des Soziologen und Künstlers Rudolph Bauer. Nähere Informationen zum vielfältigen Werk des Autors finden sich auf seiner Website.

Das Dürrematt-Zitat am Anfang des Textes hat mich an John McMurtrys Buch “The Cancer Stage of Capitalism. From Crisis to Cure.” (Neuauflage 2013, siehe hier Besprechung von Giorgio Baruchello) erinnert.

McMurtry schrieb mir – kurz nach der Neuauflage des um 100 Seiten angewachsenen visionären Buches, dessen Grundstein 1999 gelegt wurde, im November 2013:

“Ich möchte vorausschicken, dass es bei der zweiten Auflage um die globale Finanzkrise geht, die sich in der EU noch im Zustand der Metastasenbildung befindet. Das Buch widmet sich der Heilung dieser Krankheit.”

Über das, was McMurtry “One-Way Eco-Genocidal Trends” nannte und dem nach seiner Auffassung ein “Zusammenbruch des sozialen Immunsystems” folgte, haben wir dann im dialogischen Verfahren einen Text erarbeitet, der in unserem Sammelband “Supramarkt” (2015) erschien.

Sechs Jahre später stehen wir genau an dem Punkt des Zusammenbruchs des sozialen Immunsystems, den McMurtry nur scheinbar als Metapher prognostiziert hat. Ich sage “nur scheinbar als Metapher”, weil dem kanadischen Philosophen wichtig ist, dass es sich um eine präzise Beschreibung einer ökonomischen Krankheit handelt, die seiner Meinung nach erfolgreich behandelt werden könnte.

Rudolph Bauer setzt genau an diesem Punkt an. Bauers Quellen zeigen, dass die Anamnese längst durchgeführt ist. Die nun vorgeschlagene Behandlung allerdings führt zum Tod der bisherigen Gesellschaft – bei gleichzeitigem Überleben ihrer Mitglieder. Es drängt sich das Wort vom “zombie-state” auf – wobei man Zombie als “ewig Lebend-ein wandelnder Toter” und “state” sowohl als “Staat” wie als “Zustand” lesen mag.

Was lernen wir aus dieser Erkenntnis? Dass wir bald in einem B-Movie leben?

Ich möchte – statt die Frage selbst zu beantworten – noch einmal aus McMurtrys Email an mich vom November 2013 zitieren: “Ich bin überzeugt, dass ein zweites, weniger dystopisches Panorama vorstellbar ist. Ein Panorama des Erkennens, des Widerstands und der Überwindung ist möglich – wir können die sich ausbreitende Krankheit stoppen durch öffentlich kontrollierte Banken, Steuergeld-Rückeroberung und produktive Investitionen in universelle Lebensgüter. … Der Krebs des Geldsystems kann besiegt werden. Dies ist die Evolution, die wir intuitiv erahnen, aber uns noch nicht konkret vorstellen können.”

Heute tritt das Bild der Bedrohung wesentlich klarer, weil persönlicher vor uns und bestimmt unseren Alltag. Das Geldsystem erscheint in seiner Gestalt als (konzernmässig organisierte) Gesundheit, Ernährung, Energie. Seine Gestalt ist antidemokratisch, naturvernichtend und autoritär. Es ist für Superorganismen geschaffen und nicht für Individuen.

Wenn ich Bauers Text richtig verstanden habe, gibt es auch gar keine Alternative. Da wir nicht in “ewiger Furcht” leben wollen und dies gar nicht könnten, müssen wir die Krankheit des Systems gemeinsam überwinden – durch Solidarität.

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