Der Hasenbraten, Fortsetzung

Gestern habe ich Ihnen den äußeren Wickel der Fleischrolle präsentiert, den gesellschaftlichen Bratenschlauch, in dem unser Hasenbraten ruht. Lesen Sie bitte, falls Sie hier zuerst landen, in der Ehrenerklärung noch einmal nach, unter welchen Umständen ich in den Genuß gekommen bin, den ich heute detailliert schildere.

Das ist dann noch nicht alles: denn morgen kommt das dicke Ende.

II. Friss oder stirb!

Beschreibung eines Abendessens unter Distanzbedingungen.

Langres, Geburtsstadt von Diderot, Lichtgestalt der französischen Aufklärung, Vater der Enzyklopädie

28.1.2021

Nach dem Einchecken die große Frage: “Brauchen Sie eine Mahlzeit?” Das Wort “Mahlzeit” und die Wahl des Verbums lassen Befürchtungen keimen. Unsere Antwort lautet: “Ja, gern.” Über den Tresen wird ein Zettel geschoben, der das Ritual erklärt. Da wir kein Feld zum Unterzeichnen, bei unserer Ehre, finden können, fragen wir kurz zurück, wie “das geht” mit dem Essen unter Distanz-Bedingungen.

Das ist ganz einfach, aber doch ganz anders, als wir es in unserem Leben bislang kennengelernt haben. Obwohl wir mitten in Europa sind, ist alles fremd. Und alle sind fröhlich dabei!

Zuerst müssen wir eine Art Ankreuz-Test an der Rezeption ausfüllen. Er ersetzt die Speisekarte. Schon beim Ankreuzen dämmert uns, dass nichts von dem, was wir wählen, auch nur in irgendeiner Form einer Art von Essen entspricht, das wir jetzt gerne essen möchten. Das geben die Bedingungen absehbar nicht her. Aber die Alternativen sind gering. Weil ich das Risiko suche, wähle ich statt eines wenig Freude versprechenden Hacksteaks “rôti de lapin”, den vermeintlichen Hasenrollbraten.

Ich möchte folgendes an dieser Stelle noch einmal klar und deutlich festhalten: wir sprechen von einem Essen in einem Land, das für sich in Anspruch nimmt, die beste Küche Europas zu haben. Ich spreche von einer Stelle Frankreichs, die zwischen den beiden Hochgenuss-Regionen Burgund und Champagne gelegen ist. Es ist kaum eine Region in Europa vorstellbar, die für kulinarischen Genuss berühmter wäre. Deswegen scheint mir der Hasenrollbraten kein außerordentliches Wagnis.

Statt wie in den letzten Jahren in einem Restaurant seine Bestellung aufzugeben, kreuzen wir nun recht unklar beschriebene Gerichte auf einem fotokopierten Zettel an. Es ist beispielsweise nichts über Beilagen bekannt. Schlagartig wird klar, dass es um Stoffwechsel geht, um die Befeuerung des Metabolismus mit verbrennbaren Produkten. Aus dieser Ecke stammte zweifelsfrei auch das Wort “brauchen” am Anfang der Frage nach der abendlichen Ofenbefüllung. Wenn der Schornstein morgen qualmen soll, dann schaufel rein!

Vom Zauber der Champagne und des benachbarten Burgund ist jedenfalls schon nach dem Bestellvorgang wenig übrig.

Zwei Stunden später – wir haben den Wecker gestellt, denn der Abhol-Slot schien nach Blick auf die Liste mit den Namen der anderen befeurungshungrigen Verbrennungsmaschinen knapp bemessen – schleichen wir zu einer genau verabredeten Uhrzeit zu einem Verschlag am anderen Ende des Hotel-Parkplatzes. Wir harren der Dinge, draussen, 300 m vor dem Hotel, nachdem wir durch tiefen Schnee gestapft sind und an einer Tür gepocht haben, wo aufgrund der Vielzahl von wiederum fotokopierten Masken-Hinweiszetteln erkennbar ist, dass das Essen ausgegeben wird. Eisiger Wind.

Essensausgabe unter Umschluß-Bedingungen. Welche Mikroroganismen mögen unter dieser Hülle lauern? Welche chemischen Prozeße hat die Mikrowelle in dem transparenten Folien-Erdöl in Gang gesetzt, die unserem Gaumen eine genußvolle Temperatur, dem Körper aber eine schädliche Injektion giftiger Stoffe verschaffen?

Es bleibt nicht aus, dass wir an Luis Bunuels “Der diskrete Charme der Bourgeoisie” denken, diesen absurden, surrealistischen Film, in dem sich alle Protagonisten zum Essen auf eine Toilette zurückziehen.

Dort vor der Essensausgabe stehen wir mit anderen Gestrandeten, die beruflich unterwegs sind in Europa. Wir stehen im Schnee, frieren und warten. Dahinter ein riesiger leerer Ess-Saal mit Notbeleuchtung. Wer sich dabei keine Erkältung holt, muss über ein wahnsinnig resistentes Immunsystem verfügen. Die Franzosen rauchen im stürmischen Wind, um keine Maske tragen zu müssen.

Als wir schließlich dran sind, erhalten wir im Austausch gegen unsere Zimmernummer eine zwiefach in Frischhaltefolie eingewickelte Platte. Mit der Platte wetzen wir schlitternd und taumelnd durchs Schneegestöber zurück zum Hotel.

Im Hotel sitzen die Franzosen an der Bar und trinken ohne Unterlaß, um keine Maske tragen zu müssen. Das Couvre-Feu gilt offenkundig nicht innerhalb von Beherbergungsstätten. Das heisst, Umschluß im gemieteten Zimmer ist noch nicht verfügt. Wäre aber eine schöne Weiterung der Maßnahmen, ganz im schon etablierten militärischen Stil. “Hiermit unterwerfe ich mich der Selbsteinschließung bis zum Ende aller Vervirungen.”

Wir erhalten Besteck und auf besonderen Wunsch einen Schnaps ausgehändigt. So ausgerüstet, stiefeln wir hoch in Bunuels bourgeoises Zimmer und ziehen dem Ganzen unter Verspritzen der Sauce das Tiefziehfolienfell runter. Auf dem Foto mit dem Hasenbraten ist zu sehen, dass die letzte Folie direkt über den Braten gezogen wurde – also ins Essen eingetaucht war.

Burgund! Land unter!

Diese bedauernswerte Karikatur von einem Hasenbraten hat in etwa so viel mit einem veritablen Hasenbraten zu tun, wie eine echt fotografierte Holztapete mit einem Brett.

Mit Hilfe des Schnapses schalten wir den Pförtner zu unserem Magen frei und würgen uns das Zeug rein. Es ist kochend heiß und schmeckt genau so, dass wir morgen, wenn wir nicht gegen die Zeit anfahren müssten (Couvre-Feu!), gerne einen weiteren COVID-Test machen würden. Es ist nämlich vollkommen geschmacksfrei.

Ein in Burgunderwein gebeizter Rollbraten aus feinstem Wild ist das Ergebnis von jahrhundertelang ausgereiften Kulturtechniken. Das lässt sich nicht verlustfrei über die take-away-Schwelle tragen. Hinzu kommt, dass jedermann, der Werner Bootes genialen Film “Plastic Planet” gesehen hat und das Interview mit dem Chemiker erinnert, weiß, dass es keine “lebensmittelechten” Plastprodukte gibt, dass insbesondere unter Hitzeeinwirkung die Phthalate nur so in die Speise sausen und von dort offenbar ohne Umweg in Eierstock und Hode fahren. Das ist kein Scherz. Die Dauernutzer solcher Nahrungsverpackung werden zeugungsunfähig, zeigt Boote in seinem Film.

Das nur als kleine Anmerkung zum Thema Gesundheitsschutz.

Um nicht nocheinmal runter an die Bar zu müssen – jeder Meter ist einem lästig unter solchen Bedingungen – gießen wir den in Luxemburg an der Tankstelle eingekauften Rotwein hinterher – Burgund! Champagne! Wohin seid ihr verschwunden?

Wir befördern den ganzen Sperrmüllbeutel mit dem eingesuppten Plastik, den Tiefziehbehältern, Aluminium-Folien und Speiseresten mangels anderer Optionen in den Papierkorb und stellen ihn vor die Tür, damit das Zimmer, das nur von einem Umluftföhn über der Tür beheizt wird, nicht zu arg nach Gulaschgewürz riecht.

Licht aus. Übernachten in der Bratenröhre – zum Glück nach dem Abschalten.

Ungesunde Menge Abraum nach einem zum Gesundheitsschutz verordneten Essen. Die Weltmeere wimmern, die Luft färbt sich dunkel, weil so viel Erdölprodukte nach so kurzer Nutzzeit in die Tonne wandern.

Intermezzo

Jetzt kommt ihr: “Ihr hättet ja nicht reisen müsen!” Doch mussten wir. Es gab einen Brandschaden zu begutachten. Deswegen auch das ganze Werkzeug im Auto. Danke. Weiter: “Ihr wusstet ja, was euch erwartet.” Ja, irgendwie schon, aber bei dem anstehenden 5-Jahresplan der Bundesregierung (für solange ist die COVID-Kommunikation der Bundesregierung ja bereits bezahlt) wäre unser Versicherungsanspruch bei der nächsten “offiziellen” Reisemöglichkeit bereits verfallen gewesen.

Auch komisch, dass wir denken, alles, was wir jetzt tun, sei “inoffiziell” oder nur halb legal. Wir selbst: jederzeit suspekt.

Ausserdem hatte ich Hoffnungen. Die sterben bekanntlich zuletzt.

Ich gestehe es ein: ich bin ein unbelehrbarer Optimist.

Ich denke immer, dass das Essen lecker, das Wetter gut und die Menschen, dort, wo ich hinfahre, nett sein werden. Ich glaube auch, dass unsere Regierung das Richtige will.

Umso tiefer die Enttäuschung, wenn die Realität zutage tritt. Und das, noch bevor auf Pandoras Büchse der Deckel wieder drauf ist.

Na gut. Noch Fragen?

Ob ich an Gesundbeterei glaube? Impfgegner sei? Die Maske für den neuen Judenstern halte? Spinner? Esoteriker? Milleniarist? Reichsbürger? Oder einfach nur total verantwortungslos unterwegs?

Ich bitte Sie: Contenance bewahren!

(Zweiter) WARNHINWEIS!

Das war immer noch nicht alles. Morgen geht es weiter mit “Die Selbstunterwerfung“, dem Filet vom Hasenbraten. Immer dran bleiben!

2 Antworten auf „Der Hasenbraten, Fortsetzung“

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