Der Hasenbraten, Schluß und Ende

Auf den Genuß folgt die Verdauung. Vorgestern und gestern konnten Sie hier lesen, wie es zu den Magen-Schmerzen kam, unter denen wir, die geschäftlich Reisenden in Europa, jetzt leiden. Inzwischen sind ja sogar die Grenzen mal wieder dicht – wie damals im Jahr 1 der Coronazeitrechnung, als wir zum ersten Mal probierten, ein Minicroissant mit Vinylhandschuhen zu essen. Sind wir seither mit dieser neuen Kulturtechnik weiter gekommen? Lesen Sie Teil 3 unseres Schauermärchens:

Die Selbstunterwerfung

Nichts liegt mir ferner, als den Untergang des Abendlandes heraufzubeschwören, nur weil ich einmal schlecht essen musste – und das zugegebenermaßen unter für alle Beteiligten schwierigen Bedingungen, die nichts mit der Gastronomie Frankreichs zu tun haben.

Doch halten wir fest: es ist eine politische Entscheidung, mit der Krankheit so umzugehen, dass die Mehrzahl der Mitbürger im Alltag auf Jahre hinaus durch die Verordnung wissenschaftlich durchaus fragwürdiger Maßnahmen mehr leiden, als sie unter der Gefährdung ihrer Gesundheit durch ein Virus leiden müssten.

Dass sich jedoch fast alle relativ klaglos mit der Vielzahl von erniedrigenden Regeln abfinden und sich – bei lächerlich geringer Strafandrohung – derart reduzieren lassen, ohne je aufzumucken, das ist wirklich schockierend.

Die Selbstunterwerfung drückt sich vor allem in Körperhaltungen und Gesten aus. Aufrecht an einem Tisch einander gegenüber sitzen, von Porzellantellern essen, aus Gläsern Wein trinken und dabei kommunizieren ist eine über enorme Zeiträume verfeinerte Kulturtechnik, die nicht ohne Verluste den Entzug von Tisch, Stuhl und Glas überdauert.

Erst dadurch, dass wir die Mundwerkzeuge in einem Jahrtausende währenden, mühevollen Prozeß von der Arbeit des Reissens und Schlingen entbunden und uns vom Boden aufgerichtet haben, wurde der Weg frei für eine differenzierte Sprache – und damit zum Austausch der Früchte eigener geistiger Tätigkeit. André Leroi-Gourhan hat darüber ein höchst lesenswertes Buch, “Hand und Wort. Die Evolution von Technik, Sprache und Kunst”, verfasst.

Tiervergleiche “gehen” zwar gar nicht. Doch wenn ich rundrückig vor der schmalen Schminkablage im Hotelzimmer hocke – ein Tisch war “ante Corona” = in der Bauzeit des Hotels im Zimmer nicht vorgesehen – meinen Braten aus der Umschlingung durch das Metzgerwurstband befreie und ihn mit dem ungeschliffenen Hotelmesser zerstückele, komme ich mir vor wie ein kulturfernes Viech, das sich in einer Herde deprimierter Genossen versteckt hat und brav wartet, bis der Schäfer bereit ist, es wieder auf die leckere Weide nebenan zu lassen.

Das ist wohl die Art von Beobachtung, die unsere sogenannten systemstützenden Medien als „wohlstandsbockig“ bezeichnen würden. Wenn es ein Wörtberbuch der Corona-induzierten Totschlag-Argumente gäbe, hätte Wohlstandsbockigkeit darin eine Ehrenseite – gleich neben der vermaledeiten “Meinungsmüdigkeit“. In der Summe ergeben solche Unworte das Bild einer völlig abgefütterten Gesellschaft, in der jeder politische Widerspruch aufgelöst scheint. Probleme? Ja, mit meinem Internetzugang. Ich finde auch scheiße, dass der Barbershop dicht ist.

Apropos Bärte: Grimms Wörterbuch sagt, bockig kann nur die Ziege sein. Also gehen Tiervergleiche doch?

Ich gebe es zu: ich bin schon länger höchst verärgert. Der Grund dafür liegt allerdings weder in (kindischer) Bockigkeit, noch in einer Einschränkungen meines Wohlstands. Mir fehlt es ja an nichts. Ich kann überall essen.

Mir ist bewusst, dass Zehntausende im Mittelmeer ersaufen müssen, weil die Politik es so will, Millionen nichts zu essen haben, weil die Wirtschaft einträglicher arbeitet, wenn es starkes Gefälle gibt. Ich habe darüber mehr als 30 Jahre am Theater, im Museum, im Radio und in Büchern gearbeitet. Genau deswegen hinterlässt die Vorstellung mehr als einen faden Nachgeschmack, sich dem Ergebnis der erfolgreichen Lobbyarbeit von Pharmakonzernen auszuliefern und von ratlosen Regierungen gängeln zu lassen und bei bestehenden Alternativen und trotz anderslautender wissenschaftlicher Erkenntnisse zu kuschen, nur um der schlechtesten aller Möglichkeiten zu genügen.

Die Deutschen haben einfach ein dickes Problem mit Anordnungen. Sie scheinen mir mehrheitlich geborene Hörige. Lieber folgen sie einem geschäftelhuberischen Gesundheitsminister, der sich mitten in der Krise ein tolle Villa kauft, aus Versehen mal im Speiselokal die Gäste am Nachbartisch infiziert und vor Elon Musk die Maske runter reisst. Staatsklugheit scheint ebenso ein Fremdwort wie Führungsstil.

Während wir Epsilons Ehrenerklärungen abgeben müssen, die sich in ihrer Form noch auf das tradierte Konzept des bürgerlichen “code d´honneur” beziehen, schwebt ein “business angel” und Pharma-Lobbyagentur-Gründer wie unser nebentätigkeitsversessener Alpha-Minister vollständig frei über jedem Ehrenkodex. Einige Tiere sind eben gleicher als andere.

Keiner muckt auf, wenn die “Brut- und Normzentrale Berlin-Friedrichstadtpalast” (der Amtssitz des Gesundheitsministeriums) übergriffig wird. Viele nehmen billigend in Kauf, dass die Ratlosigkeit – oder die Auslieferung an reiche Ratgeber? – mit immer mehr Regeln kaschiert wird.

Moment! Jetzt bin ich aber doch zu bitter geworden. Ich möchte deswegen an dieser Stelle wenigstens herausstellen, dass es mir bei meinem Lamento nicht um eine egoistische Klage über mangelndes persönliches Wohlbefinden oder Einbußen an Komfort für meine Person geht.

Sondern dass das Resultat einer an sich schon ausreichend bedrohlichen Krankheit verschärft wird durch relativ beliebige Eingriffe in den Alltag von Millionen von Menschen, die gesund sind, aber durch diese Eingriffe nicht gesund bleiben werden.

Das ist keine hausgemachte Spekulation. Der Deutschlandfunk befasste sich am 24. Januar 2021 mit dem neuobiologischen Befund, dass unterdrückte Bedürfnisse das Gehirn von Kindern in kürzester Zeit verändern.

Nicht umsonst warnt der Hirnforscher Gerald Hüther in der Sendung vor “dramatischen Konsequenzen der Corona-Schutzmaßnahmen für die soziale und neurobiologische Entwicklung”. Bald wird es vielen von uns so gehen wie Charlton Heston in der Rolle des Polizisten Thorn in dem Film “Jahr 2022 … die überleben wollen“: wir erinnern keinen Geschmack, der zu dem Wort “Hasenbraten” passt.

Wo aber sehen wir Schutzmaßnahmen, die solche Erkenntnisse berücksichtigen?

Hat irgend jemand seit der Stunde Null der Coronazeitrechnung jemals eine neue Regel entstehen sehen, die die Art, wie wir bislang wirtschaften, Nahrungsmittel anbauen oder unsere Umwelt versauen, verbietet? Was wäre einzuwenden gegen ein ewiges Couvre-Feu für die Wurzeln unserer Krankeit?

Leben wir denn nicht in einer mit Intelligenz überversorgten, smarten Hochtechnologiekultur, die jetzt mit billigen Staubschutzmasken und stinkenden Desinfektionsgels gegen gegen luftverbreitete Viren vorgeht? Und damit dennoch ziemlich effizient die bedingungslose Disziplin für sinnlose Ideen erwirkt?

Das Deprimierende daran sind nicht die sinnlosen Ideen, sondern die scheinbar willenlose Bereitschaft fast aller, daran mitzuwirken.

Über Jahrzehnte bin ich in meinem großzügigen, bildungsversessenen, gerechten Geburtsland trainiert worden, meinen eigenen Verstand zu gebrauchen. Ausgebildet, aufgrund seines Gebrauchs zu einer vernünftigen Lösung zu gelangen. Nun bin ich von dieser grundlegenden existenziellen Technik der Entscheidung durch wirre, wöchentlich wechselnde, vollständig inkonsistente Weisungen entbunden. Haben wir denn all die Wissenschaftler und Politiker bestallt, damit sie jetzt “auf offener Bühne lernen” (Lothar Wieler)?

Der Gebrauch des eigenen Verstandes hat nur einen entscheidenden Nachteil: die Einsperrung lässt sich schlechter ertragen. Der Gebrauch des eigenen Verstandes vergrößert die seelischen Störungen, die aus dem Widerspruch zwischen eigener Auffassung und amtlicher Verfügung entstehen. Er macht die Ausweglosigkeit drastisch deutlich. Hinzu kommt Lagerkoller. Sich Reduzieren kostet Kraft.

Kein Wunder, dass Angebote für “psychologische Coronahilfe” Seiten der Suchmaschinen füllen. Die steigende Zahl der Konsultationen – hier spielt offenbar Großbritannien mit dem psychoaktiven Doppelproblem Brexit/Covid eine negativ führende Rolle – und der enorme Anstieg von Selbstmorden in Japan gegen Jahresende 2020 – hier scheinen kulturelle Faktoren entscheidend: Jobverlust=Gesichtsverlust – zeigen eine Tendenz, die weltweit gilt und von selbstverletzender Aggression bestimmt ist.

Diese psychischen Spannungen verarbeiten zu müssen, empfinde ich als höchst unangenehm. Viel bedrohlicher als eine Virus-Erkrankung, die ich persönlich zum Glück gut überstanden habe.

Zumal ja nach über einem Jahr die Frage hinzukommt: wie viel weiter wird es gehen? Wie lange wird es noch dauern? An was werden wir uns noch gewöhnen müssen?

Die Zeitgenossen sind schon jetzt im Namen der Gesundheit derart weichgekocht, dass sie sich umstandslos damit abfinden, in der U-Bahn zu schweigen, weil Sprechen angeblich gefährlicher als Husten ist.

Es wird immer wieder betont, die Empfehlungen der Regierenden, den Gesundheitsschutz betreffend, seien keine Verbote und ihre Einhaltung finde auf eigene Verantwortung statt.

Wer von uns hat eigentlich sein Leben bislang nicht auf eigene Verantwortung geführt? Jedem von uns ist es doch in seine private Initiative gestellt zu rauchen oder nicht, Früherkennung von Krebs zu betreiben oder nicht, eine Altersvorsorge abzuschließen. Wer aber den Lockdown kritisiert, wird politisch stigmatisiert. Das Unerfreulichste am Lockdown ist ohnehin die obrikeitshörige Reaktion der Bevölkerung, die gern allein im Auto Maske trägt. Ein Prise Masochismus würzt den Alltag.

Finden wir uns künftig mit jedem Fraß ab, der uns aufgetischt wird?

Auf dem letzten Foto seht ihr den Beweis dafür, dass wir wirklich in Langres waren, denn der gelbe Käse ist der Käse, der den Namen der Stadt trägt, aus der besagter Diderot stammt, der die Enzyklopädie herausgegeben hat. Die Enzyklopädie steht sinnbildlich für die mögliche Größe menschlicher Kultur.

Dieser Käse wäre, unter anderen Bedingungen eingenommen, eine der größten Köstlichkeiten des benachbarten Landes. Unter viralen Kriegsbedingungen serviert, schmeckt er etwa so, als wenn ich ein zähes Stück alten Kaugummis noch einmal zerkauen müsste.

Wo stehen wir nun mit unserer Einsicht, dass das Virus und die Veränderungen im Alltag eine enge Verwandtschaft besitzen: zuerst merkt man sie kaum, doch sie sind äußerst gefährlich? Denn wir verändern uns gerade schnell und nachhaltig. Für ein Kind in der Grundschule fühlt sich ein Jahr so lang an, wie zehn Jahre für den älteren Menschen. Nach einem gefühlten Jahrzehnt aber ist alles anders.

B.F. Skinner hat 1948 unter dem unverkennbaren Eindruck des Faschismus in “Walden2” beschrieben, wie zügig die Zurichtung des Menschen vonstatten gehen kann. Er hat dies als Möglichkeit gemeint, die Weltbevölkerung Faschismus-fest zu imprägnieren. Skinners Thoreau-Aufguss ist in Deutsch unter dem Titel “Futurum Zwei” erschienen. Mich dünkt, die Namensähnlichkeit mit der Besserwisser-Postille der TAZ ist kein reiner Zufall. Es gibt doch rechte Heerscharen von Hochgebildeten, die uns gern zu unserem eigenen Besten eine kleine Umerziehung verpassen würden.

An die Lektüre des Skinner-Buches erinnere ich mich dieser Tage immer wieder – ungern. Es ist die grauenvollste Dystopie einer Menschenfabrikation durch Erziehung, die ich je gelesen habe.

Auf den ersten Blick stehen ganz normale, neutrale Techniken und medizinische Notwendigkeiten hinter dem, was der Ökonom Michel Chossudovsky “Angstkampagne” nennt: “Mood Management” und algorithmenbasierte Persönlichkeitssteuerung sind ja das Kerngeschäft der hochgelobten und schlagartig allpräsenten Distanztechnik namens “Digitalisierung”. Jutta Weber hat dazu kürzlich am Beispiel von “Zoom” einen aufrüttelnden Text verfasst: “Zoom-Boom“. Meinungssteuerung gibts gratis als “Covid-creep” im Huckepack des “tele-everything“. Es ist unübersehbar nicht nur die Qualität unseres Essens betroffen.

Was haben wir schon verloren? Was werden wir noch verlieren? Was davon, das uns wichtig ist, werden wir jemals wieder zurück erringen können, wenn dieser “ganze Rummel” (Drosten) frühestens 2025 (?) vorüber ist?

3 Antworten auf „Der Hasenbraten, Schluß und Ende“

  1. lieber olaf,
    vielen dank für deinen aufschlussreichen reisebericht und deinen mut (um den ich dich beneide!) und deinen großartigen, unerschütterlichen optimismus, der hoffentlich kein ende findet!
    du hast so recht mit all dem, was du schreibst – ich danke dir!

    wie sagt herr pfaller es so schön: “wenn man alles tut, um die menschen nur vor corona zu schützen, gefährdet man damit auch ihre gesundheit”.

    ich schließe mich dir / euch an!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert