Heute veröffentlichen wir in „DIE AKTION“ ein ätzendes Rezept-Buch von Gerald Grüneklee: seine zynische Anleitung für die erfolgreiche Installation faschistischer Strukturen in fünfzehn Schritten.
Doch Vorsicht! Gemäß des Lehrsatzes, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile, verstärken sich die fünfzehn einzelnen Rezepte gegenseitig und ergeben ein Super-Menü, das Qualitäten besitzt, um innerhalb weniger Monate ein ganzes Land zu vergiften.
Ich sage es lieber gleich eingangs: ich bin prinzipiell kein großer Freund der allfälligen Faschismusvergleiche, insbesondere nicht mit Bezug auf die Pandemie. Als ehemaliger Punk, dem jedermann, der ihm nicht passte, ein Faschoarschloch war, fürchte ich heute die Verwässerung eines potenten Begriffs durch unreflektierten Gebrauch.
Ich gebe trotzdem zu, dass die gegenwärtige politische Situation in gewisser Weise dazu einlädt. Ich lache auch herzlich über jeden Führer-Bart, der mit Edding dem Kanzler oder Gesundheitsminister unter die Nase gemalt wird. Die Gesichter haben mit Bart plötzlich etwas Charaktervolles, Durchsetzungsstarkes, grundsätzlich Einleuchtendes.
Aber ich bin zutiefst überzeugt, dass wir uns, um zu verstehen, was eigentlich stattfindet, erst einmal eingestehen müssen, dass wir eine – ach, was sage ich: viele – Spiralwindung(en) höher angekommen sind als in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Damit will ich nicht mutmaßen, dass Altonaer Blutsonntag oder die Kristallnacht Erscheinungen sind, die nie wieder vorkommen können.
Aber sind wir wirklich schon auf dem Dackel-Weg in den Untergang? Ist die Demokratie wirklich faktisch schon komplett ausgehebelt wie 1933, inklusive all ihrer Organe und Rechtssicherheiten? Hat nicht jene Nazi-Propaganda, die in den dreißiger Jahren des verflossenen Jahrhunderts eine enorme Wirkungsmacht entfaltete, eine grundsätzlich von der jetzigen deutlich verschiedene Qualität?
Zugegeben, 100 Millarden Euro für die militärische Aufrüstung: da streikt mein Online-Inflations-Rechner. Gefühlt, also rein geschätzt könnte das Budget der Bundesregierung für die Bundeswehr Hitlers Start-Investment in die Weltkriegstauglichkeit ebenbürtig sein.
Vielleicht ist die Entscheidung hierüber auch nur eine Frage des wording. Vielleicht sind Hollerithmaschinen und Hochleistungsrechner dasselbe in Bezug auf ihre soziodestruktive Wirkung einer totalen Erfassung. Ich bin unsicher.
Wenn heute Framing-Experten und hoch dotierte Agenturen einen vollständig herbeifantasierten Zusammenhang zwischen Impfverhalten und angeblichem politischen Bekenntnis herstellen und medienpotent verbreiten, dann kann man mit Grüneklee nur festhalten, dass diese Agenturen und Experten daran arbeiten, den rechten Bewegungen Publikum in die Arme zu treiben.
Ob und in welcher Weise es für die Parteien der sogenannten Mitte wirtschaftich profitabel und und wählerstimmenmässig wirkungsvoll ist, ein solches Feindbild zu konstruieren, mag zunächst dahinstehen.
Deutlich sichtbar ist allerdings die Tendenz der gegenwärtigen Regierungspolitik, sich der Strategien militärischer Propaganda und geheimdienstlicher Aktivität zu bedienen bei der vorsätzlichen Veränderung der Einstellungen der eigenen Zivilbevölkerung. Dass alle diese Strategien „dual use“, also integraler Bestandteil kapitalistischer Wertschöpfung sind, darf dabei nicht unterschätzt werden.
Es stellt keine Kritik an den fünfzehn Thesen von Grüneklee dar, wenn ich an dieser Stelle deutlich auf die herausragende Bedeutung des Egoismus verweise, den unsere Wirtschaftsordnung wie nicht zweites fördert.
Häufig zu hörende Sätze unserer Zeitgenossen wie „das habe ich mir verdient„, „ich denke mir steht zu, dass ich …“ oder „ich genehmige mir mal eine kleine Ausnahme von der Regel, weil ich es ja nicht ständig mache, nur ausnahmsweise“ hören sich wie zeitgemäße Fassungen von „jetzt aber erst recht“ an. Sie reklamieren ein Recht auf bevorzugte Begünstigung – quasi als sei es verbrieft. Es entspringt einem Denken, das auf der Setzung fusst, es gäbe geboren Höherwertige und natürlicherweise als unmündiger Ausschuß anzusehende Andere.
Grüneklee hat darauf in der Passage über die Superyachten hingewiesen. Ich halte es dringend für notwendig, hier zu ergänzen: dies gilt genau so für ganz normal verdienende Leute, die sich einen zweimotorigen Tesla, eine Wochenendflugreise nach Lissabon oder einen 24-€-Espresso aus Katzschenscheißebohnen gönnen. All das ist m.E. eine Frage der Mentalität, und nicht so sehr des Einkommens.
Wer also den Irrglauben verbreitet, faschistische Gedanken seien eine Art magmatischer Eruption aus den Untiefen einiger weniger schwer deformierter Seelen und das stelle für die gesunde Mitte unserer Gesellschaft keine ernsthafte Bedrohung dar, macht sich mitschuldig am Wiedererstarken solcher Ideologie.
Die Lava faschistoider Bekenntnisse, die sich derzeit unter dem doppelten Kriegsdruck und einer von der Regierung forcierten allgemeinen Verunsicherung über die Zukunft von Klima und Wohnen über Deutschland ergießt, stammt aus den wahrscheinlich nur mühselig unterdrückten, rechten Strukturen im Herzen unserer Gesellschaft, wo sie schon immer hauste, wie Wolfgang Kraushaar in einem brillianten Essay über den „Extremismus der Mitte“ nachgewiesen hat.
Gerald Grüneklee sagt in seinen fünfzehn Thesen nichts, was nicht andernorts schon mit anderen Worten behandelt worden wäre. Er stellt keine unerhörten, keine unhaltbaren Spekulationen auf. Er konfrontiert uns nur ziemlich massiv mit vielen solchen Zeichen und Merkmalen des Rechtsrucks gleichzeitig – und rechnet solche dazu, die die meisten von uns nicht in diesem Kontext stellen, bzw. als faschistische Gedanken verstehen wollen.
Grüneklee wird dafür nicht geliebt werden. Denn wie schon Georg Christoph Lichtenberg vor knapp drei Jahrhunderten feststellte, ist es praktisch unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch die Menge zu tragen, ohne den Leute die Bärte zu versengen: eine Einsicht, die sich angesichts der zunehmenden Masse stark bebärteter Protagonisten mit großem Ego sehr zeitgerecht liest.
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