Kollaps

Heute erscheint in DIE AKTION der zweite von insgesamt vier Teilen des Textes „Resigniert massenhaft!“. Teil 1 findet sich hier.

Teil 2 handelt von der Notwendigkeit, gemeinsam den Kollaps des aktuellen Systems zu beschleunigen, damit wir wieder zu einer lebenswerten Gemeinschaft zurückfinden können.

Nach Erscheinen des ersten Teils haben einige Leser mir geschrieben, es handele sich um eine „gute Bestandsaufnahme“. Der Text enthalte zwar radikale, aber „interessante, durchaus gangbare Perspektiven.“ Andere wiederum haben scharfe Kritik geübt – Berardi sei Pessimist, geradezu nihilistisch, die Lektüre deprimierend.

Ich möchte darauf zweierlei antworten.

Wer angesichts der aktuellen Lage voller Optimismus ist, muss naiv sein. Aber das legitimiert natürlich noch keinen negativen Verstärker.
Berardi jedoch propagiert keine Weltsicht des Nichts. Er benutzt lediglich eine höchst präzise, geist- und humorvolle Technik der Demaskierung unserer gesellschaftlichen Antriebskräfte. Er hält dem allgemein als alternativlos bezeichneten Handeln unserer Wirtschaft solange den Spiegel vor, bis sie sich als das entblößt, was sie sonst geflissentlich verbirgt: als natur- und menschenverachtend. Offenbar können wir erst dann, wenn jemand so erbarmungslos bis zum Ende durchformuliert, erkennen, dass wir ein totes Pferd reiten, von dem wir absteigen sollten, bevor es uns beim Sturz erschlägt.
Das möchten aber die Wenigsten gerne und suchen daher im Überbringer der schlechten Botschaft den Schuldigen.

Ohne sich dem Verdacht auszusetzen, Apokalyptiker zu sein, lässt sich festhalten, dass diverse Szenarien (Klima, Energie, Ernährung) in den letzten 200 Jahren gründlich so eingestellt wurden, dass es kein Zurück mehr gibt.

Das Wasser wird steigen.

Berardi bleibt – schon aus philosophischer Verantwortung gegenüber den Mitmenschen – nicht viel anderes übrig, als das mehr als deutlich festzustellen. Denn er will es abwenden. Nicht umsonst schlägt er eine „eine autonome Gemeinschaft für das Überleben“ vor.
Nihilisten würden das nicht tun.

Aber es ist auch klar: wir weißen Westler können nicht auf Dauer am Rand der Klippe leben und wenn sie abgängig ist, ein Mittel hervorzaubern, das alles wieder befestigt, auf das es immer so weitergehen kann wie schon zuvor.
Der Booster-Junkie ist kein role model für den Menschen der Zukunft. Noch rettet uns das Boostern vor der nächsten Pandemie, weil es deren Gründe nicht heilt. Denn, wie die Ökofeministin Starhawk in ihrem hellsichtigen Roman „Das Fünfte Geheimnis“ schon 1993 schrieb, ist Booster eine „stark süchtig machende Droge“, die uns gegen die viralen Kollateralschäden der Konzernkriege schützen soll.
Halten wir fest: Selbst wenn unser Wunsch sehr stark ist, noch ein wenig im Sattel zu bleiben, wird der tote Gaul nicht mehr weiter galoppieren.

Der zweite Hinweis, wie man Berardi als durchaus aufbauend lesen könnte, hat mit Sozialisation und Jugendkultur zu tun. Der Ton, den viele ältere oder wesentlich jüngere Leser für pessimistisch halten mögen, ist in Wahrheit nur Provokation – eine methodisch angewandte Konfliktzuspitzung. Oder vielmehr eine Herausforderung der Wahrheit.

Wer – wie ich in den 80er Jahren als Punk – mit dem Idiom der Zukunftslosigkeit liebäugelte, versteht unmittelbar, welche befreiende Wirkung es hat, nicht mehr an das Morgen zu glauben, das nur eine Verlängerung der Qualen des Heute bedeutet.
Gegen die Beschwerden hilft die donnernde Musik, das laute gemeinsame Heraus-Schreien, übertriebener Lärm, um das falsche Alte zu vertreiben.

Wir waren damals hauptsächlich deswegen „no future“, um einer überversorgenden, auf ewiges Wachstum und Sicherheit getrimmten Kultur ins Gesicht zu spucken, deren natürliches Ende jedem nicht vollständig ignoranten Menschen schon lange sichtbar war: 1973 erste weltweite „Ölkrise“ und dann noch einmal 1979/1980, 1986 Reaktorexplosion in Tschernobyl mit fall-out rund um den Globus; nicht zu vergessen die nukleare Wettrüsten mit Stationierung von Pershingraketen in Deutschland Mitte der 70er.
Jeder, der das einmal durchdacht und durchlebt hat, dem ist klar, warum Berardi immer wieder mit musikalischen Metaphern arbeitet und seine Texte wie Songs komponiert. Es geht dabei nicht nur um eine Variation des Bonmot, man müsse den Verhältnissen solange ihre Musik vorspielen, bis sie ins Tanzen kommen.
Es ist vor allem die Lust am gemeinsamen Singen, die Berardi anzutreiben scheint, als einem einfachen Akt, der Gemeinsamkeit schafft, kraftvoll ist, uns motiviert. Punk als gesellschaftliche Befreiungsbewegung war deswegen gut, weil das gemeinsam Singen funktionierte, selbst wenn nicht jeder im Chor die Fähigkeit zum Solisten hatte.
So steckt in den Musik-Metaphern die wesentliche Kraft, die wir heute wieder erringen müssen: die der Solidarität.

Franco Berardi setzt tatsächlich seine Worte wie Noten. Er komponiert sie in unerwarteter Weise zur einer Symphonie des Endes (siehe „Phänomenologie des Endes“)
Er verfügt über eine große Kraft des zu Ende Denkens. Ich bin versucht, ein Wort des Soziologen Immanuel Wallerstein zu variieren: Berardi denkt das herrschende Wirtschaftssystem kaputt.

Seine Liebe zur kollektiv erzeugter Musik hört man schon im ersten Satz des zweiten Teils von „Resigniert massenhaft“:
Wie ein Schlachtgesang klingt es, wenn er sagt: „Es ist an der Zeit, den Kollaps zu beschleunigen, mit unseren Instrumenten mitzuspielen im Orchester des Chaos. Denn Widerstand kann die Katastrophe zwar verlangsamen, sie aber nicht aufhalten.“

Das ist kein Belcanto, zu dem wir hier geladen sind. Es ist eher die Oper der Operaisten, vom Charakter her eher eine aggressive Rockproduktion.

Ich möchte hier auf den von Berardis Verlag zusammengestellten Omicron-Megamix hinweisen, jenen aktuellen Soundtrack zum Untergang.

Dabei denke ich an das in der Einleitung für Teil 1 benutzte Bild vom Gong. Damit klar ist, welche Art Gong ich meine: ich denke nicht an asiatische Mönche oder meditative akustische Rufe – eher an John Cage („Construction in Metal“ aus dem ersten Weltkriegsjahr 1939) oder an FM Einheit, der mit dem Fäustel auf der Bühne eine Blechplatte bearbeitet.

Auch Berardi beherrscht virtuos die Technik, das Objekt seiner Betrachtung so lange verbal anzuschlagen, bis es zum Instrument wird, das durch den Ton seiner Eigenschwingung, mit dem es auf den Impuls des Schlegels antwortet, sich selbst entäußert und über die elementaren Kräfte und nackten Materialien spricht, aus denen es gefertigt ist.
Das ist kurz gesagt die Technik einer poetischen Wissenschaft, die Gewalt in Worte fassen kann und sie dadurch fühlbar und erfahrbar werden lässt.

Das mag aufgeblasen und pompös kling, doch was ich sagen möchte, ist ganz einfach: Nur Autoren, die ausreichend Humor, poetische Begabung und unkonventionelle Intelligenz besitzen, verfügen über die Fähigkeit, vor unserem inneren Auge die Zukunft wie einen Film ablaufen zu lassen.

Wer die Augen vor dem Offenkundigen nicht verschließt, weiß, wo wir stehen.
Die Fakten sind hinlänglich bekannt, „die Messen gesungen“, wie es in Teil 1 schon hieß.

Jetzt sind es wir alle, die aus der gegenwärtigen „mechantery“ (Boshaftigkeit gegen das Leben) etwas machen müssen.

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