Konvoi der Konspirateure

Zwei kluge Beiträge zu einer Theorie der Inanität

Seit Tagen verfolgen mich die Bilder des kanadischen Konvois. Was sehen wir dort? Ist es die Erhebung der seit zwei Jahren Entmündigten und Beleidigten, an den Rand der Existenzvernichtung Gebrachten, mit der sie auf die Unerträglichkeit und Zumutung reagieren, auf krankhafte Phantasmen darüber, wie man eine Pandmie einfängt, auf die grotesken, doch tief einschneidenden Reglementierungen von Arbeit, Leben, Alltag? Oder sehen wir verbohrte, rückwärtsgewandte Holzköpfe – so wie eine gut geschmierte (Verleumdungs-?)Kampagne uns glauben machen will? Wie vielfältig im Kopf sind die Menschen, die sich hier – vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben – aus Protest auf die Straße begeben und sich zuvor über ihre eigene politische Linie keine (ausreichenden) Gedanken gemacht haben und dies womöglich zu Recht, denn es geht ja um etwas viel Tiefgreifenderes, Grundsätzlichers als die Selbstverortung in einer klischee-isierten politischen Landschaft: es geht um die Bedrohung unserer demokratischen Lebensordnung durch wildgewordene, freidrehende Politiker, die die Profilierungschance ihres Lebens riechen, um Wirtschaftsförderung für Konzerne, um Plattform-Kapitalisten und ihre eigennützigen, rein profitorientierten Weltentwürfe. Oder ist das etwa konspirativer Irrsinn, den ich hier wiedergebe? Völlig ausgeschlossen? Geht es etwa bei den Milliarden verspritzer Dosen eines nicht wirklich zugelassenen Schutzmittels um unser aller Gesundheit und wäre es daher asozial, die Goldgrube zu sehen?

Können wir aus all den Widersprüchen und Fragen noch Sinn erzeugen? Oder leben wir in einer Kultur des immer Sinnloseren?

Mit welcher Schablone im Kopf vermessen wir die Motive der Akteure? Ist es die Schablone „Wem soll es gut gehen?“ Sehen wir Widersprüche, wenn wir darauf gleichzeitig „der Wirtschaft“ und „den Menschen“ antworten? Sehen wir bevorzugte Kandidaten und aus dem Betrieb ausgeschiedene, überflüssige Protagonisten? Zur Belanglosigkeit, Nichtigkeit, zur Marginalität Bestimmte? Steht der Inanität dieser Menschen die Bonität der Wenigen gegenüber und was macht das aus uns? Sehen wir ihr zahlenmäßiges Verhältnis und was fühlen wir dabei? Wie viel von dem, was wir für unsere Gefühle halten, sind von den bevorzugten Kandidaten gestanzte Worthülsen?

Ich frage mich das in erster Linie, um besser einschätzen zu können, auf welche Art Zukunft ich mich einzustellen habe, Seite an Seite mit Menschen, deren Motive zum Handeln, deren Denken, deren (vermeintliche) Argumente mir immer schwerer zugänglich werden.

Ich frage mich dies auch im Bezug auf die schützenswerteste Gruppe der Mitmenschen: die heute ganz jungen Leute. Was von unseren zivilisatorischen, von unseren gesellschaftlichen Errungenschaften wird augenblicklich im Vorbeigehen demoliert und wie lange werden wir benötigen, um uns davon zu erholen?

Können wir sicher sagen: nichts! ? Alles im grünen Bereich?

Sehen wir – mit anderen Worten – einen “Konvoi der Freiheit” (wie ihn einige nennen) oder sehen wir eine dumpfe Horde von “Sozialschmarotzern”, die sich aus mangelnder Solidarität mit den vulnerablen Gruppen oder sonstigen mittelalterlichen Gründen nicht impfen lassen wollen – wie uns dies in Deutschland zumindest Grün, Rot und “Links” unisono einbläuen? Sehen wir mithin eine von den Maßnahmen schwer geschädigte, oft diffamierte Gruppe, die zu den letzten gehört, die noch nicht bedingungslos auf Linie sind? Oder sehen wir deviante Irre?

Die negative Ethik des bewusst Schädlichen

Um die Frage beantworten zu können, möchte ich auf zwei Texte verweisen: ein höchst emotionales, anonym verfasstes Manifest aus dem weiteren Umfeld der französischen Gelbwesten. Und einen soziologisch-analytischen Essay, in dem der Autor, der regelmässig bei Rethinking Marxism und Roar-Magazine veröffentlicht, der Frage nachgeht, ob die “Coronvirus-Dekade ein postkapitalistischer Alptraum” sei oder das Erwachen eines neuen Sozialismus ankündige?

Zunächst zu letzterem Text, der zu Beginn der Pandemie veröffentlicht wurde. Der neuseeländische Theoretiker Neil Vallelly fragt in ihm bereits im Mai 2020: Wie sieht unsere Welt eigentlich in zehn Jahren aus, wenn das so weiter geht?

“Im Kielwasser der Pandemie navigieren uns Tech-Giganten in die nächste Dystopie. Sozialismus bietet eine hoffnungsvolle Alternative. Welche post-kapitalistische Welt wird sich herausbilden? …
Wenn die gegenwärtigen Machtstrukturen so bleiben, wie sie sind, oder sich sogar noch weiter in Richtung Konzerne und Tech-Giganten entwickeln, wird der Postkapitalismus in noch mehr Ausbeutung und Verelendung münden. …
Wenn wir das Jahr 2030 unversehrt und hoffnungsvoll erreichen wollen, dann ist es die Entfesselung eines erneuerten sozialen Bewusstseins, des Internationalismus, der Arbeiterbewegung, der ökologischen Nachhaltigkeit und des Klassenbewusstseins des Prekariats durch die Pandemie, die uns dorthin bringen kann, und nicht weiter fortschreitende Automatisierung, noch Informationsaustausch und Datensammlung.
Mit anderen Worten: Ein massenhaftes sozialistisches Erwachen ist das Einzige, was uns vor einem postkapitalistischen Albtraum bewahren kann.”

Inzwischen hat Vallelly der Frage eine ganze Theorie des vorsätzlich Vergeblichen nachgeliefert: des Neoliberalismus als Wirtschaftsform des sozial Schädlichen, Nichtigen, Zwecklosen, dabei sinnlos Aufwändigen. Er nennt das – in Anlehnung an den UtilitarismusFutilitarismus (von engl. futility). Es geht Vallelly bei der “Produktion des Überflüssigen” (so der Untertitel seines gleichnamigen Buches) “um die subjektiven Auswirkungen unseres Wirtschaftssystems.” (zit. Gespräch mit dem Autor)

Soweit die soziologische Perspektivierung unserer aktuellen Weltlage.

Wie betrifft dies den Konvoi?
Die Menschen an den Lenkrädern der Fahrzeuge haben die fragilen Lieferketten bislang selbst unter stärkstem Druck aufrechterhalten, aber die rote Linie war offenbar der Eingriff in ihren eigenen Körper.

Auch wenn die FahrerInnen sicher wenig Zugang zu postkapitalistischer Theoriebildung haben, so ist ihnen ganz offenbar der eklatante Widersinn bewusst, der sich aus einer negativen Ethik des bewusst Schädlichen ergibt, derzufolge ohne Rücksicht auf die Integrität der Angestellten mit Gewalt in die Selbstbestimmung über den intimsten Bereich (das eigene Innere) hineinregiert wird, nur um einen Konsum in voller Bandbreite aufrechtzuerhalten, der ohnehin zu großen Teilen einem ökologisch ruinösen und daher zynischen Prinzip der Verschwendung gehorcht.

Protestpraxis des verhassten Objekts

Nun kommen die Bilder des Konvois in Europa an. Mitten in Paris sind sie zu sehen. Und wiederum sofort verbunden mit der Frage: wen sehen wir hier?

Ich zitiere ein längeres Stück einer Einschätzung eines anonym in der online-Zeitschrift “Entêtement” (zu deutsch: Eigensinn) publizierten Textes aus dem Umfeld der Konspirationisten, Gelbwesten und der Parti Imaginaire/Tiqqun:

In den letzten Tagen (Anfang Februar 2022, Anm. d. Hrsg.) hat sich eine Trendwende abgezeichnet. Das Auto, Symbol der kapitalistischen Moderne, in dem der Körper mit der Maschine verschmilzt und das den Körper isoliert und in die Warensphäre integriert, findet endlich eine revolutionäre Verwendung! Es verkehrt seine Funktion im kapitalistischen Apparat ins Gegenteil, um ihn besser zu lähmen. Die Spannung zwischen dem Auto als Sinnbild kontrollierter Mobilität und dem Auto als Bild der Freiheit scheint nun ihre dialektischen Auflösung zu finden im Wiederaufflammen einer Protestpraxis des verhassten Objekts.

Von Kanada ausgehend, überschreitet diese Protestform nun Grenzen und gelangt in einer Zeit erlahmender gouvernementaler und medialer Feinsteuerung auch nach Frankreich.

Im Auto kommt alles Entwürdigende zusammen: der überteuerte umweltschädliche Treibstoff; der obligatorische, täglich zu fahrende immergleiche Weg zum versklavenden Job und später dann zum Einkaufen in den Abgrund hässlicher Gewerbegebiete; das Auto steht für (auf der franz. Mautautobahn; Anm. d. Hrsg.) nicht vorhandene Wahlmöglichkeiten in den Kanälen der von Leitplanken begrenzten Autobahnen, aus denen es kein Ausbrechen und Entdecken gibt.

Diesem alles erstickenden Automobil müssen wir die Freude am gemeinsamen Reisen entgegensetzen; ein Rausch der Stärke, politisch zu handeln unter Nutzung der Effizienz von Technologie ; das Glück, das Unbekannte und Ungewisse zu entdecken. Umherschweifend müssen wir wieder nomadische Erfahrungen machen!

Frankreichs Straßen werden jüngst von einer unbekannten „sozialen Nicht-Bewegung“ bevölkert, die sofort weithin verpönt ist. Dieser Nicht-Bewegung wohnt das Antipolitische inne, so wie einer gewissen anderen Nicht-Bewegung von 2018. Das Erscheinen von Antipolitik mitten im Präsidentschaftswahlkampf zeigt den Wunsch, ohne die professionellen Pfuscher der Politik leben zu wollen.

Schon vor dem letztem Freitag wurden die ersten kritischen Stimmen gegen den Konvoi der Freiheit laut. Die extreme Linke schimpft herum und empört sich auf ihren Smartphones und bestreitet einmal mehr die Einzigartigkeit des Geschehens auf den Straßen. Sie verunglimpfen die Nicht-Bewegung und finden es offenkundig passend, sie als Faschisten, „ungeimpfte Eugeniker“ und Verschwörungstheoretiker zu beschimpfen.

Ja! Es stimmt, es gibt dort rechtsextreme Gruppen. Aber sie bleiben ziemlich isoliert von den anderen Menschen dieser Nicht-Bewegung. Und nein! Es stimmt nicht, dass sich diese neue kraftvolle Bewegung gegen die Idee einer vielfältigen Gemeinschaft richtet. Im Gegenteil, die Nicht-Bewegung verbreitet eine ungeheure Freude am Zusammenleben, daran, eine gemeinsame Welt zu schaffen, aus der Isolation des Alltags auszubrechen, um das Erlebte zu teilen. All diese Bilder des Jubels bei der Durchfahrt der Konvois an den Rastplätzen, die gegenseitige Hilfe unter den Menschen charakterisieren den Tonfall einer neu errungenen Stärke, einer Gemeinschaft, die pulsiert. Man muss sich die metaphysische Leere des hässlichen Stadtrandgebiete Frankreichs vergegenwärtigen, um das Gefühl der Erleichterung zu verstehen, das mit diesem Ausbruch einhergeht. Den Wutschnaubenden, die permanent über die verlorene Reinheit (gemeint vermutlich: in den Reihen der linken Ideologie; Anm. d. Hrsg) plärren, raten wir, Linien in das Nichts ihrer erbärmlichen Existenz zu ziehen.

Das wagemutige Ziel, das sich der Freiheitskonvoi steckt, lautet Brüssel mit Hilfe anderer europäischer Konvois lahmzulegen. Dies erinnert an einen kinematographischen Konvoi, in dem sich Kris Kristofferson (durch Zusammenschluß mit anderen Truckern, Anm. d. Hrsg.) polizeilicher Verfolgung entzieht.

Zuvor war es jedoch notwendig, das Symbol der Verachtung, die „Metropole“ anzugreifen, auf Paris loszugehen. Wenn auch der kühne Versuch des Freiheitskonvois, Paris und seine Ringautobahn zu blockieren, eine hoch komplexe Schlacht bedeutete, so war die Eroberung der Champs-Élysees für mehr als acht Stunden doch ein voller Erfolg. Es war eine Riesenfreude, auf dieses berühmte Feld (im Orig.: champs, Wortspiel mit Schlachtfeld/champs de bataille und dem Strassennamen, Anm. d. Hrsg.) zurückzukehren; diese verkörperte Warenwelt wieder einmal zu blockieren; sich an die Geschichte der Kämpfe zu erinnern, die hier stattfanden; wieder einmal zu spüren, in welchem Ausmaß die Polizei überhaupt niemanden mag, und insbesondere das Gefühl von Gemeinschaft hasst. Der Polizei gelang es mit ihren Einschüchterungen und ihren Waffen nicht, den gemeinsamen Willen zur Blockade des Champs zu zerstören. Was man auch sagen mag, es war ein ethischer Sieg, nach Paris zu gehen und eines seiner Symbole zu besetzen. Der Weg ist zwar noch lang. Doch es wird künftig noch ausreichend Gelegenheit geben, der Macht Tiefschläge zu verpassen. Es gibt eine Vielzahl von Zielen und Abläufen, die es zu stören lohnt. Nicht nur institutionelle, auch industrielle.

Denn eines hat der Konvoi gemeinsam mit den “Gelbwesten” klar gezeigt: dass unsere Welt auf Logistik fußt.

Es steht nun aus, bei diesem Konvoi der Freiheit geknüpfte Verbindungen zu vertiefen, sich weiter zu organisieren, um noch eindrucksvoller einzugreifen. Denn wie wir am Samstagabend an den Wänden der Häuser am Champs-Élysees lesen konnten: „Die Konspirateure werden triumphieren“!

(Text aus dem Französischen übertragen von Gianfranco Pipistrello / twitter @desertions_)

Nicht alle können so beherzt formulieren, so mutig denken und agieren wie die Autoren des Manifestes zur Eroberung der Champs-Élysees durch den Konvoi der Freiheit. In Deutschland bestimmen – neben einer erstaunlich breiten Zustimmung zu den Maßnahmen der Regierung – Resignation, stummes Entsetzen und Rückzug das Klima – selbst unter solchen Menschen, die wir sonst als Aktivisten sehen.

Wenn wir uns all den eingangs gestellten Fragen nicht mehr stellen mögen, uns zurückziehen, dann sind wir weder dumm noch feige. Sondern – wahrscheinlich – von der Dimension notwendigen Umdenkens überfordert. Verdrängung, Diskursverweigerung und sich nicht mehr dem Zwängen aussetzen kann eine effiziente Strategie sein, das falsche System zum Abdanken zu zwingen: so hat es Franco “Bifo” Berardi jüngst in seinen Texten zur methodischen resignation (erschienen Teil 1 hier, Teil 2 hier und Teil 3 hier) beschrieben.

Dadurch, dass wir nur über Sprache und feste Begriffe Gedanken entwickeln und Welt verstehen können (und wenig Anderes gelernt haben), fehlt uns jetzt das „Handwerkszeug”, um zu sortieren, zu verstehen und zu reagieren – angesichts dieser wahnwitzigen Verdrehung aller Worte in ihr genaues Gegenteil, durch diese massive, handwerklich fast perfekt gemachte Gehirnwäsche-artige Kommunikationskampagne (man kann es kaum anders nennen: diese nachhaltige Zerstörung jeder Glaubwürdigkeit von Aussagen und Zahlen, diese nun wahrhaft mittelalterliche, quasi Kirchen-hafte Austreibung unerwünschter Gedanken, das freiwillige inquisitorische Mitwirken großer Teile der Bevölkerung hieran).

Aber das wird nicht immer so bleiben.

Es beginnt offenbar schon etwas anderes. Der Konvoi (als Idee der gesellschaftlichen Antwort auf das Unerträgliche) scheint mir ein Vorzeichen zu sein. Wir können die Apparate unserer Gängelung zu Werkzeugen der Erkenntnis machen. Wir werden den Sinn zurück erobern.

4 Antworten auf „Konvoi der Konspirateure“

  1. Eine gute Frage! In jungen Jahren besteht noch Anpassungszwang: aus Ängsten und Unerfahrenheit. So lassen sich viele in Gruppen erfassen, die sich anscheinend gleichen. Je mehr sich eine Wesenheit entwickelt, wird sie sich ihrer einzigartigen Individualität bewusst, die sich von anderen unterscheidet. Eine Anerkennung von veränderlichen staatlichen Gesetzen weicht dann immer mehr einer Anerkennung der kosmisch-geistigen Gesetze. Nach diesen lässt sich Hilfe nur für eine einzelne Individualität bringen, wenn sie aufbauen soll. Spenden an soziale Gruppen bleiben möglich. Bei all dem bleiben die kleinen Freuden erhalten: ein Lächeln gegenüber, ein Blumenstrauß, ein freundlicher Brief.
    Und Freiheit? Gibt es nur durch Erfüllung der Notwendigkeit und bleibt trotzdem gebunden an die Entscheidung, irdisch verändern zu wollen oder dem insgesamt eine Absage erteilen zu ewigen Werten und damit im allgemeinen: nicht handeln oder eingreifen. Die Erkenntnis: alles was einen Anfang hat findet auch ein Ende.

  2. Wie weiter?
    Gute Analyse, nur was kommt nach dem Protest? Welche konkreten Forderungen werden gestellt und ist zu erwarten, dass diese von den vorhandenen Repräsentanten zu erfüllen sind oder wieder getrickst wird? Und selbst wenn es zu einem Politikwechsel kommt, wer soll übernehmen? Vernetzung ja, aber auf welcher Plattform und unter welche Agenda? In der Schweiz haben die Plebiszide bisher auch nicht viel bewirkt …
    Die Stakeholder enteignen und in Genossenschaften transformieren?

  3. Du fragst zu Recht: Wer steht am Horizont, der übernehmen sollte oder könnte? Man ist versucht zu sagen: niemand, der bereit wäre, sich auf das bestehende System einzulassen. Denn die (parlamentarische) Opposition ist während der Pandemie verschwunden und die letzten paar Kritiker der aktuellen Entwicklung ordne ich eher dem Außerparlamentarischen Bereich zu, zähle sie jedenfalls eher nicht zu den Reform-Bereiten. Überhaupt “denken” die Berufspolitiker und Parteisoldaten alle nur “in die eigene Tasche”. Reformieren lässt sich daher ohnehin nichts mehr, denn wenn uns die Pandemie eins gelehrt hat, dann dass die Gesellschaft künftig nicht mehr optimiert wird von widerstrebenden Kräften, sondern das sie nachhaltig in verfeindete Lager geteilt wurde. Das Prinzip der Spaltung aber hilft nur den jetzt Herrschenden und sie werden sich hüten, ihre Strategie deswegen zu überdenken. Denn wie schon Audre Lorde sagte: “Die Werkzeuge der Herrschenden werden das Haus der Herrschenden niemals einreißen.”
    Schau Dir doch mal die drei Beiträge von Bifo Berardi hier auf dem Blog unter DIE AKTION an: dort ist eine der wenigen wichtigen Schwachstellen des Systems aufgezeigt, das uns mit aller macht und “schnell schnell” in Richtung “pass sanitaire”/Sozialpunktesystem /digitales Grundeinkommen, dies eng verknüpft mit digitalem Führungszeugnis (“nur wer kuscht kann kaufen”) etc. drängen will, eine Schwachstelle, an der man ansetzen könnte zur Verbesserung unserer Lage. Dieses System lebt von unserer Einwilligung, mitzuziehen. Es braucht unsere Daten (Gesundheit, Identität, Loyalität, Kaufverhalten). Ohne die Daten steht es still. Die Beschaffung der Daten aber hängt an unserer Bereitschaft, sie zu liefern. Das hat Jaron Lanier beispielsweise schon 2018 in “Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst” mehr als deutlich herausgearbeitet (ich weiß, JL arbeitet für Microsoft, aber dumm ist sein Gedanke trotzdem nicht und wer sollte die Berechtigung haben, das Internet in dieser Form zu kritisieren als Versklavungs- und Ausbeutungs- und Entrechtungswerkzeug, wenn nicht er, der die Grundlage dafür programmiert hat?).
    Zurück zu Deinem Kommentar: Nicht Enteignung wird das Falsche aus dieser plattformkapitalistischen Struktur schlußendlich entfernen. Denn Enteignung ist ein “Werkzeug der Herrschenden”. Aber massenhafte Verweigerung könnte es schaffen. Verweigerung – das ist unser aller Instrument.
    Wie wir danach die “autonomen selbstversorgenden lebensbejahenden Gemeinschaften” aufbauen können, davon handelt Berardis aktuelle Arbeit, die ich sehr spannend finde, insbesondere angesichts der Frage, wie das mit aktuell 7,95, bald mit 10 Millarden Menschen gehen könnte? Der Berardi-Text ist also ein Anreiz zum Nachdenken darüber, wie radikal ein Wandel ausfallen müsste, damit wir nicht immer wieder in der Sackgasse steckenbleiben, ein System zu Enteignungen aufzufordern angesichts von Katastrophen, die aus willentlichen und bewussten Entscheidungen des Systems resultieren.

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