Der Roadtrip/1

Zurück aus Paris – die Reisetagebücher des “Konvoi für die Freiheit”

Teil 1 eines insgesamt 3-teiligen, vielstimmigen Berichts über ein einzigartiges Protest-Abenteuer im 21. Jahrhundert.

Teil 2 und Teil 3 erscheinen morgen, Mittwoch und übermorgen, Donnerstag: Bleibt dran!

Titelbild: Südwest-Konvoi, auf offenem Feld gestoppt

Intro

Der Konvoi der Konspirateure gehört zu den aktuell meist gelesenen und diskutierten Beiträgen auf diesem Blog. Wir haben uns daher entschieden, hier einen längeren Bericht der Teilnehmer:innen der Fahrt zu veröffentlichen, der am 21. Februar 2022 auf der französischen Webseite Lundimatin erschien.

Einige Freund:innen von lundimatin hatten sich am vergangenen Donnerstag, 17. Februar 2022, spontan dem „Konvoi der Freiheit” angeschlossen, der bis zum 21. Februar dauerte. Dabei haben 3.600 Fahrzeuge aus Protest Frankreich komplett durchquert, um in Paris für ihre Meinung und ihre Rechte einzutreten. Immerhin 700 Autos aus dem Konvoi sind bis auf den Pariser Stadtring gelangt, und haben dort versucht, die Aorta der Metropole zu verstopfen.

Die Polizei griff hart durch, um den Verkehr aufrechtzuerhalten. Es gibt Fotos, auf denen es aussieht, als hätten die neuen Spezial-Einsatzkräfte halb Paris unter Tränengas gesetzt – wobei die Manifestanten und ihre Unterstützer mit ihren Bengalos viel dazu beigetragen haben.

In ihren Reisetagebüchern schildern die Demonstranten ihre Eindrücke der Fahrt von Toulouse nach Brüssel, von Rennes nach Paris. Insgesamt wurden Paris und Brüssel auf fünf Routen sternförmig angesteuert – auf jeder Route gab es jeweils Unterverzweigungen (siehe Karte).

Mit anderen Worten: der Konvoi setzte sich in allen Regionen des Landes in Bewegung.

Übersichtskarte über die einzelnen Routen des “roadtrip” – Konvoi der Freiheit

Der Konvoi knüpfte dabei an die erfolgreichen Strategien der Gelbwesten an: Besetzung des öffentlichen Raumes, praktizierte Solidarität und verblüffende Zielstrebigkeit bei der Durchsetzung der Vorhaben. Der Konvoi richtete sich explizit gegen den Impfpass, gegen die galoppierende Inflation und gegen den Kurs der französischen Regierung im Allgemeinen.

Die Reisetagebücher illustrieren eine ganz erstaunliche Dynamik und Leidenschaft, die sich während der Fahrt entwickelte – einige Teilnehmer glaubten gar, sie könnten ganz Paris mehrere Tage lang blockieren. Die Notizen zeigen gleichzeitig aber auch, wo der Konvoi an seine Grenzen gestoßen ist.

Die Konvoisten – wo stehen sie? (Statement von Lundimatin)

Die Reise nach Paris – und für einige sogar weiter bis Brüssel – erfüllte uns sowohl mit Zweifeln als auch mit Begeisterung. Mehrere intensive Tage auf den Straßen, stundenlange, teils verwirrende Gespräche, Einheimische, die ihre Häuser öffnen – oder ganze Tanzlokale zum Übernachten zur verfügung stellen – und den Konvoi mit einem “Einkaufstüten-Bankett” auf Parkplätzen begrüßen, um schließlich an einem Samstagnachmittag durch die Tränengasschwaden die Champs-Elysées rauf und runter zu fahren und sich am Ende der Reise in Brüssel zu verlieren.

All das erinnert stark an die Anfangszeit der Gelbwesten, doch nach zwei Jahren Pandemie steht die politische Landschaft auf dem Kopf, wie uns diese wenigen Tage bildhaft vor Augen führten.

Eingetaucht in die Notwendigkeit, etwas hoch Komplexes zu organisieren, waren wir nicht nur völlig überfordert. Sondern der Konvoi erschütterte insbesondere auch unsere bisherigen Orientierungspunkte: die vertrauten politischen Schemata von Rechts und Links.

Wir hätten niemals erwartet, dass solche nebulösen Facebook-Gruppen, Influencer und lokalen Kollektive der Anti-COVID-Pass-Bewegung in der Lage wären, innerhalb einer Woche die Mobilisierung, Versorgung und Unterbringung von acht motorisierten Konvois zu organisieren, die versuchen, die Hauptstädte Paris und Brüssel zu stürmen.

Seit dem Spätsommer waren wir nicht mehr auf Demos gegangen, einige aus Überdruss, weil die Manifestationen nichts mehr erreichten, andere aus Unsicherheit und wegen der mehr oder weniger versteckten Präsenz der extremen Rechten.

Wir schlossen uns also teils mit großem Misstrauen einer mehrheitlich weißen Bewegung an, die in Kanada von Trump und Elon Musk unterstützt wird und in einigen Fällen offen faschistische Symbole zeigt. So hielten wir nach feindlichen Symbolen und Bezeichnungen Ausschau.

So hatten die Organisatoren des Konvois die irritierende Entscheidung getroffen , den Namen eines islamfeindlichen kanadischen Kollektivs, La Meute [1], zu übernehmen. Und doch handelt es sich hierbei nicht um eine rechtsextreme “Unterwanderung” [2], sondern vielmehr um eine Neukonfiguration der Koordinaten des politischen Konflikts.

Es gibt ein offensichtlich ein gemeinsames Ziel mit den anderen Beteiligten des Konvois, die Überzeugung, dass im Augenblick etwas Wichtiges passiert – wie jedes Mal, wenn diejenigen, die man mit konzertierter Kommunikation und Schlagstöcken steuert, es schaffen, sich dennoch zu versammeln, um zurückzuschlagen. Es ist leicht zu verstehen, warum wir glücklich darüber waren, müde zu sein und über Kilometer hinweg einfach nur gemeinsam Sandwiches zu essen.

Denn keineswegs dienen die Gesundheitsmaßnahmen vorrangig unserer Gesundheit und ein würdiges Leben beschränkt sich nicht auf eine eindimensionale Kurve. Vielmehr wollen wir die Mächtigen daran hindern, ihre Kontroll- und Ausbeutungsinstrumente im Namen einer Erpressung zur Solidarität, die ihnen scheißegal ist, weiter auszubauen [3].

Doch plötzlich tat sich auch ein Abgrund auf, als jemand vom „geronnenen Blut der Geimpften” sprach und eine andere Person vom „Völkermord”, der im Gange sei.

Unsere Ansichten überschnitten sich nur partiell und manchmal hatten wir das Gefühl mit unserer wirtschaftlichen Analyse der aktuellen Lage noch Teile des 20. Jahrhundert auf unseren Schultern zu tragen, während wir mit Menschen konfrontiert waren, von denen viele in erster Linie nur aus Protest gegen die Impfung da waren.

Es wäre absurd, die Forderungen in gute (antikapitalistische) und in schlechte (verschwörungstheoretische) aufteilen zu wollen, wobei das Fragwürdigste der Glaube dieser Bewegung ist, im Besitz der Wahrheit zu sein, eine Wahrheit, die ebenso „wissenschaftlich” und unbestreitbar zu sein behauptet, wie jene der Regierung.

Hier nun also sechs kurze Berichte über diese beeindruckenden Tage. Die Reise war insgesamt viel verrückter als ihre paar öffentlichen Kristallisationspunkte, ihr medial verwerteten Momente. Aber es tat jedem Teilnehmer sichtbar gut, drei Jahre nach den Gelbwesten wieder einmal zu sehen, wie Fahrer in schrottreifen Kleinwagen die Räumpanzer auf den Champs-Élysées verspotteten.

Wir sind noch nicht am Ende unserer Überlegungen angelangt und behaupten weder, dass wir verstanden hätten, was sich da abspielte, noch dass wir aufgrunddessen irgendeinen Weg bestimmen könnten. Aber es ist erwiesen, dass sich gerade etwas ereignet, und jeder, der wichtig findet, den realen Bewegungen, die auf den Körper einwirken und die Regierenden herausfordern, Aufmerksamkeit zu schenken, sollte dabei sein.

I. DONNERSTAG, RENNES. Die Abreise.

Seit einer Woche beobachte ich, wie die Facebook-Gruppe „Le Convoi de la liberté” zusehends größer wird. Die Beiträge sind berührend und erinnern mich an die besten Zeiten der Gelbwesten. Viele bieten an, die Türen ihrer Häuser zu öffnen, um die Teilnehmer der Konvois zu beherbergen, man grüßt, ermutigt und bedankt sich. Das Gefühl, dass etwas Wichtiges im Gange ist, bestätigt sich, als wir am Donnerstagabend auf die beiden bretonischen Konvois am Sammelpunkt in der Nähe von Rennes treffen. In alle Himmelsrichtungen parken Hunderte von Fahrzeugen und man kann darunter alle möglichen Modelle von Wohnmobilen und verschieden ausgestattete Lastwagen finden. Die Leute sind überwiegend guter Dinge und voll aufrechter Freude darüber, zusammen zu sein und sich wieder zu finden. Das Kommuniqué des Kollektivs „Grand Ouest”, das den Konvoi organisiert, wird am Mikrofon verlesen. Obwohl für uns nicht eindeutig ist, welche Positionen die Verfasser der Bekanntmachung vertreten, werden darin Positionen und Einsichten dargelegt, die wir größtenteils teilen.

Hier ein Auszug:

„(…) Zwei Jahre lang habt ihr gelogen. Ihr, die Politiker, die Medien, die Fernsehstudioärzte, die Pseudo-Experten. Ihr habt ständig und absichtlich gelogen.
Über die Wirksamkeit der Masken habt ihr gelogen.
Über die Gründe der Ausgangsbeschränkungen habt ihr gelogen.
Über die Gefährlichkeit des Virus habt ihr gelogen.
Über den Zustand unserer Krankenhäuser habt ihr gelogen.
Über die Gründe für den Impfpass habt ihr gelogen.
Über die Wirksamkeit des Impfstoffs habt ihr gelogen.
Über seine Nebenwirkungen habt ihr gelogen.
Über die Gründe für die Impfpflicht habt ihr gelogen.
Was die Impfung den Kindern antut, auch darüber habt ihr gelogen.
Worüber habt ihr noch gelogen und worüber werdet ihr zukünftig noch lügen?

Nach zwei Jahren haben wir jetzt Daten, haben wir Zahlen, nicht die von Verschwörungswebseiten, nein, die von euch, die von den offiziellen Seiten. Wir haben Berichte, analysierbare Statistiken. Wir haben jetzt einen Überblick.
Jetzt, nach zwei Jahren, können wir ohne Nachsicht das katastrophale Management sehen, das von unseren sogenannten Eliten stur weiter betrieben wird.
Wir sind uns heute über die außerordentliche Manipulation im Klaren, über die kollektive Hypnose, die ihr gegen uns eingesetzt habt, um eure Irrwege, eure Inkompetenz und eure Bestechlichkeit zu kaschieren.
Jetzt sehen wir, welche Gesellschaft ihr für eure kommende Welt aufbauen wollt.

Wir sind hier, um euch klar zu sagen: NEIN!
Wir wollen eure Neue Welt nicht.
Wir wollen keine ständige Bespitzelung.
Wir wollen kein Krankenhaus, das mit Unterversorgung kämpft.
Wir wollen keinen QR-Code, der unser Leben bestimmt.
Wir wollen keine Welt, in der Pflichten wichtiger sind als die Rechte.
Wir wollen keine Welt, die aus Misstrauen, Argwohn und Hass besteht.
Wir wollen auch nicht zurück zur Welt von vorher, in ebenjene Welt, die all dies ermöglicht hat. (…).”

Wer wäre angesichts der zahlreichen Kursänderungen der Gesundheitspolitik, die wir in den letzten zwei Jahren hinzunehmen hatten, nicht damit einverstanden, den Charakter der Regierung als krankhaft verlogen zu bezeichnen?

Die Gesundheitspolitik ist gekennzeichnet von von einer ultra-affirmativen Übereilung, die sich bis heute dadurch auszeichnet, dass die Regierung Einschränkungen so schnell aufhebt, wie sie sie verhängt. Wir alle teilen das Gefühl der Verunsicherung, das Unbehagen und die Machtlosigkeit, die wir seit zwei Jahren empfinden. Wer hatte sich nicht gewundert, dass die Gelbwesten nicht schon früher wieder aufgetaucht sind – angesichts von dem rasanten Anstieg der Inflation und der Energiepreise? Wenn eine größere Protestbewegung entstehen soll, muss sie zwangsläufig über den engen Rahmen der Proteste gegen den Gesundheitspass hinausgehen. Sie muss vielmehr alle Themen, wie Inflation, sinkende Kaufkraft, steigender Ölpreis, die Einschränkungen der Freiheiten, die Sprache der Regierung, die mit uns redet, als seien wir Babys oder Idioten usw. – all das muss eine neue, breit aufgestellte Bewegung in den Fokus bekommen.

Was die Menschen in den Konvois vereint, ist einerseits ihr Überdruss an der Regierungspolitik – egal ob man für oder gegen den Impfstoff ist – und andererseits der tiefe Wunsch, aus der Isolation auszubrechen. Zwei Jahre Pandemiemanagement haben eine beträchtliche Politisierung zur Folge, die weitgehend durch die sozialen Medien strukturiert wurde. Heute offenbart die Bewegung, dass ihre Verbindungen bei weitem nicht nur virtuell sind.

Natürlich ist es nicht immer leicht zu verstehen, welche Anspielungen in den geäußerten Ansichten stecken und es ist keine leichte Aufgabe, sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

Wenn zum Beispiel einige Leute „Gerechtigkeit für unsere Toten” fordern – welche Toten sind dann gemeint? Sind es die Toten, die am Virus, oder am die, die am Impfstoff gestorben sind oder durch die massive Komorbidität als Folge schlechter Lebensbedingungen und ungesunder Ernährung, verursacht durch den Kapitalismus der letzten 50 Jahren?

Trotz allem, als wir auf diesen Konvoi treffen, beschließen wir, uns auf das Abenteuer einzulassen. Was gibt es Besseres als einen spontanen Roadtrip, um sich auf Augenhöhe zu begegnen? Und was für ein Abenteuer!

(Morgen geht es weiter mit den Reisetagebüchern des Toulouser Konvoi, sowie der BLAUEN ROUTE (WESTLICHER KONVOI). Im dritten teil am Donnerstag lest ihr Szenen-Berichte aus Paris und Brüssel, sowie ein abschließendes Statement der Konvoisten)

Fussnoten

(1) La Meute OBT waren neben Convoy France die Hauptorganisatoren der Bewegung, die die Blockade der Hauptstadt unterstützen. Ihr fragwürdiges Logo (ein in die Höhe springender Wolf in den Farben Frankreichs) hat uns nachdenklich gestimmt, aber sie verteidigen sich auf Telegram gegen jegliche Zugehörigkeit zu kanadischen Rassisten. Es handelt sich dabei um die um Rémi Monde organisierte Gruppe, die beispielsweise eine versuchte Vereinnahmung durch den Berufspolitiker Philippot im Namen ihrer “politischen Neutralität” zurückgewiesen hat.

(2) Wir haben keine Flagge, kein Logo, keine virtuelle oder reale Gruppe gesehen, die sich explizit zu einer identitären Ideologie bekennt (nach unseren Recherchen ist selbst der „Bloc Lorrain”, dem wir in Paris begegnet sind, trotz des unglücklichen Namens in Wirklichkeit eine anarchistische und antikapitalistische Gruppe). Hingegen stießen wir auf eine Vielzahl von Bezugnahmen, Einzelpersonen oder Medien, die der sogenannten „Verschwörungssphäre” angehören, worauf wir zu einem späteren Zeitpunkt noch eingehen werden.

(3) Siehe hierzu die Forderungen im offenen Briefes von Convoy France an Emmanuel Macron, die wir für durchaus sinnvoll, wenn auch nicht für ausreichend halten: Ende des Ausnahmezustands, Ende der berufsspezifischen Impfpflicht und unabhängige Untersuchungen über den Umgang der Regierung mit der Pandemie, Wiederanstellung von Pflegekräften, Aufhebung des “nationalen Sicherheitsgesetzes” und die demokratische Kontrolle der digitalen Identität.

Übersetzung aus dem Französischen von Ginafranco Pipistrello, @desertions_ , Einleitung von Janneke Schönenbach und Olaf Arndt

Bis morgen!

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