Los geht´s!

Aus traurigem Anlaß lest ihr heute einen Gastbeitrag von Mario Mentrup:

Montag 28.8.2023 Edu-Irritainment-Snacks als quasi-Briefe an die Jugend.

Bert Papenfuß hatte eigentlich vor, noch ein wenig länger „auf dem Kotball, auf dem Damenseidenstrümpfe verkauft werden“ (so Walter Serner über das, was die Erde ist, in seinem Handbrevier für Hochstapler: „Letzte Lockerung“) streitlustig und lustig-vorwitzig
als ein in Spelunken vortragender Dichter und als schreibender Chronist regionaler und überregionaler Entwürfe, Auswürfe und Verwerfungen der Insurrektion seitens antiherrschaftlicher Herrschaftszeiten in allerlei Blätterwald und digitalen Spielwiesen
sich zu veräussern und auszuschweifen.
Und das als Piraten-Oma (frei nach Kerstin Cmelka und meinethalben
wurde die späte Erscheinung Papenfuß’ so betitelt).
Der Piraten-Oma-Style: ein unvergänglicher Look (neben Papenfuß wären weitere bekannte stolze Träger dieses Looks zu nennen: die Angelsachsen Hawkwind und Motörhead sowie Julien Cope). Dieser Look wird eigenhändig besorgt und zusammengestellt. Die Karl-Marx- Frisur am Haupt und im mürrischen Gesicht, der wache Blick wird mit einer Lederschiebermütze vertont, um dann den mächtigen Anarchistenbatzen an Körperlichkeit mit Lederjacke, Camouflagehose und festen schwarzen Militärboots zu umgarnen.
Doch es kam anders und seit dem Morgen des 26.Augusts 2023 ist sein Stern AT THE CENTRE OF ALL INFINITY aufgegangen.

Dort wird jetzt unendlich Space Rock durch das Sternengestirn donnern, wie Papenfuß sie von Yuri Gagarin, die ein ganzes Album „At the Centre of Infinity“ betitelten, bis zuletzt liebte und in einem seiner Traktate bewarb. Space Rock wird unendlich im Unendlichen, nebst dem unvermeidlichen Sludge Rock à la Melvins. (Papenfuß hat meiner Erinnerung nach doch irgendwann aufgegeben, alle Erscheinungen dieses Rock Acts um den Herren mit der wahnwitzigen Kräusellockenturmfrisur, die in der Summe der Höhe und
Breite die Turmfrisuren von Little Richard und Esquivel als auch die von Tina Turner und Marc Bolan zusammen vermengt, übertrumpft, zu sammeln.)
Es ist ja nicht so, dass nicht auch Supermax’oder Cerrone’s Discostomper mit in die Sternenhimmel-Partitureinschwenken dürften, denn es war der Rumbalotte-Kulturspelunken-Häuptling Papenfuß vor einer Dekade höchst selbst, der mich beauftragte, auf seiner Hochzeit mit Mareile Fellien, diese Töne anzuwerfen, was sein Mitstreiter Rex Joswig bezeugen wird sowie vielleicht auch die damaligen wildesten Tänzer nebst dem frisch vermählten Paar, die Aktionskünstler Alexander Brener und Barbara Schurz, die zu den Discostompern wie Höhlenbewohner aus der Steinzeit sich körperlich begeisterten.

Mit Papenfuß verbanden mich Bande, Kumpanei, wir liessen aber stets einander privat in Frieden – und das so ziemlich genau seit dem ich in Berlin angekommen war: 1987. Distanz und Nähe bei der Bande waren das Erfolgsrezept dieser langwährenden Kumpelei. Immer wieder gab es Zusammenarbeiten, Zusammenkünfte, Veranstaltungen, Feste, Einladungen von ihm und seiner Mischpoke um Sinn, Unsinn zu verbreiten, Töne zu spucken und zu spielen.
Papenfuß, der die Bühne mochte, sowohl die im Hinterraum vom BAIZ in der Torstrasse, wie die im Kino International in der Karl-Marx-Allee, äusserte sich gern über Theater und Schauspiel abfällig. Ich erinnere mich an ein Essen bei ihm und seiner Ehefrau in
Weissensee. Es war 2017, Papenfuß hatte eine ganze Oper geschrieben, die mit den Liedern der RUMBALOTTE-Gedichte-Reihe versehen war und mittels eines Förderantrags des Veranstaltungsortes DIE WABE sollten Papenfuß als Kapitän und Hauptredner/Akteur, Rex Joswig als Orchesterleiter/Akteur und meinethalben als Spielleiter und Sprecher/Akteur sowie einige weitere Mitstreiterinnen an Bord diese Rockoper real erscheinen lassen.
Es gab die Gelder dann leider hierfür nicht, Papenfuß hatte das auch schon geahnt. Und wie soll ich sagen, so wie der Theaterhase und die Kulturverfilzung läuft, auch mir geht das Theatern inzwischen völlig am Arsch vorbei. Es war ein Herzensprojekt von Papenfuß.
(Es gab zwar eine inszenierte, sehr abgespeckte Lesung später in der WABE, die aber nicht das war, was es hätte sein sollen.)
Aber zurück zu dem erwähnten Essen in Weissensee, wo die Rockoper noch im Schwange war, jedenfalls horchte ich auf, als Bert sein Geschichtswissen über die Anfänge des DADA kurz zum Besten gab und er statuierte, daß DADA massgeblich durch Schweizer Schauspielerinnen verbreitet worden war, ergo eigentlich eher vergessenswert.
Eine Schauspielerin kennt man: Emmy Hennings.

Mit Papenfuß verband mich neben der Franz-Jung-Lektüre und Space Rock von Hawkwind zuallerst der Humor und die Freude am Schabernack und trotzigem Pamphletismus.
Dass er mir immer wieder Max Stirner als Alter Ego und Vorbild zuschob, war so ein trotziger Pamphletismus, denn ausser dass ich das Reclamheft von dem Autoren mal erstand, entstand nichts weiter, nicht mal das Lesen, was ich nach drei Seiten gleich aufgegeben hatte. Aber da Papenfuß nun mal Stirner als favorisierten Autoren
erkoren hatte, liess ich mir das gefallen, es gibt ja weitaus Schlimmeres.
Ach so, ich vergass zu erwähnen, ich habe einen grossen Teil meines Berliner Aufenthalts als Schauspieler gekennzeichnet.
Bert Papenfuß war stets performativ hoch interessiert. In den 1980ern erst noch zaghaft als Vortragender seiner Texte zu von ihm zusammengebauten Bands, wo ich kurz bis circa 1993 auch als Shouter und Gitarrist mit vor den Karren gespannt war, und mich u.a im
Literaturhaus Wannsee einmal neben Robert Lippok und Bernd Jestram zu A.R. Pencks Trommelwirbeln die Gitarre auspeitschen sah. Papenfuß mauserte sich dann in den 2000ern und in der Dekade darauf im Piraten-Oma-Look zu einem versierten Vortragenden mit fester Reibeisen-Stimme.
So stellte man sich die Stimme Störtebekers oder des Räubers Hotzenplotz vor.
Rex Joswig hat noch 2019 zwei Tracks vom Album MUSPILLI RÖKRÖKR MASHUP (Moloko Plus Rec.) auf Soundcloud hochgeladen. „Die Werwölfe von Weissensee“ und „Mit dem Tee ums Karree“ nenne ich hier als Anspieltipps.
Warum denn Theater ihn nicht interessiere, fragte ich ihn mal. „Wozu ein ganzes Stück um eine Bemerkung zum Weltgeschehen zu machen, die man mit einem Satz sagen könne“ antwortete er.
Guter Punkt. Okay. Thesentheater, deutsches Sozialdrama, Berlinale-Auswahlverfahren, alles These, da geh ich mit, so was von.
Dennoch: Das, was am Roman oder einer Erzählung oder an laufenden Bildern im Kino faszinieren kann, ist ja nicht das, sondern das Dazwischen. Und Film und Kino, da gehe ich ganz mit Jean Epstein, ist Voyeurismus, kann Haut, Körper, Sinnlichkeit erfahrbar machen durch Nahaufnahme und Montage und Zeitmanipulation, wie es für das menschliche Auge
ansonsten nicht erfahrbar sein würde. Den Sprechtheater-Aspekt im Tatort-Krimi, das Messianische des Thesenfestivals empfinde ich genauso rückschrittlich wie es einmal Jean Epstein formuliert hätte, dessen Filme und Schriften zum Film und der Unterhaltungsindustrie ich allen hier empfehle, die meinen es gäbe nur Debord, Godard oder James Monaco.

Papenfuß war ja auch ja ein Förderer der Lesebühne und multimedialer Vorführungen, ohne ihn keine Lesebühne von Kaminer und somit auch keine Russendisko im Kaffee Burger. Er war befreundet, Kollege und Förderer von Ann Cotten, die als Poetin gern
auch Happenings erfindet und inszeniert. Papenfuß´ Texte wurden immer länger, ausserdem wurde er zum Chronisten der Subkulturen Berlins. Seine geduldig recherchierten Texte zum britischen Space Rock und Free Rock der 1970er Jahre, zum englischen Protopunk und zu allem was in Julien Copes Kiste gehört, las ich gerne und hätte dem Wissen und den Anekdoten auch gern Platz gegeben in meinen Inszenierungsideen vor einem Jahrzehnt. Mit Julien Cope teilt Papenfuß den Piraten-Oma-Kleidungsstil, wobei ich an dieser Stelle konstatiere, daß Robert Calvert (Frontman und Lyriker der Space Rocker HAWKWIND) diesen Stil prägte.
Auch auf dieser Platform kann man Papenfuß’ Verknüpfungen von Zeitgeschichte, Aktuellem und Seemannsgarn mit Texten und Stories von/über die Anarchopunk-Legenden CRASS nachlesen.

Im Jahr 2010 hatte der Film DER ADLER IST FORT von Volker Sattel und mir auf einem Berliner Filmfestival Premiere. Bei der zweiten Vorführung des 21 minütigen Films im vollbesetzten Saal des Kino International, bestand Papenfuß darauf, weil sein epochales Gedicht „Es gibt keine Freiheit“ neben der Musik von TARWATER zum Hauptstrang unseres psychogeografischen Berlin-Alexander-Platz-Nachtstreifens geworden war, drei Gedichte aus dem RUMBALOTTE-Zirkel vor grossem Publikum vorzutragen – direkt nachdem keine
Licht-Ton-Bespielung mehr an der Wand und im Saal zu erfahren war.
Im Riesenkinosaal.
Papenfuß genoss diese Performance.

DER ADLER IST FORT hat eine zentrale Szene, im Studio von Bernd
Jestram (TARWATER) sieht man den Schauspieler Christoph Bach, der sich damals
auf den Dreh und seine Rolle als Hans Joachim Klein für die Miniserie CARLOS von Olivier Assayas vorbereitete . Hans Joachim Klein war u.a neben Carlos
an der OPEC Geiselnahme in Wien 1975 beteiligt gewesen. Christoph Bach
hatte eine Frisur und einen Schnauzbart wie in den 1970ern sich zugelegt und war ausserdem noch völlig im Modus der Rolle, die ihm den Fernsehschauspielerpreis 2010
eingebracht hatte. Er impersonierte DUTSCHKE im gleichnamigen TV-Film von Stefan Krohmer. Ich hatte Christoph Bach besetzt, um ihn im Tonstudio ungeübt vor laufender Kamera im Beisein des Dichters Bert Papenfuß, dessen inzwischen bekanntesten und meist übersetzten Text „Es gibt keine Freiheit“ vortragen zu lassen.
Daraus entstand eine Szene, die vom Publikum geliebt wird.
Als Christoph Bach im Duktus eines eifrigen Rudi Dutschkes das Gedicht zu intonieren beginnt, unterbricht ihn Papenfuß, der im Film nur in der Spiegelung zu sehen sein wird. Der Schauspieler, den wir hier erst in einer Halbtotalen und dann in einer Naheinstellung sehen, interessiert sich für diese Unterbrechung und bemerkt sofort: „Es ist wie als würde
man auf einer Freilichtbühne sprechen“. Papenfuß sagt ruhig durch das Studiofenster via Studiomikro zu ihm: „Ja genau, darauf wollte ich hinaus. Bitte nicht so, als würdest du 1000 oder 10.000 Leute überzeugen wollen, sondern eher 30 bis 100.“ Der Schauspieler
fügt hinzu: „Kleinerer Raum, keine Großveranstaltung?“ Papenfuß: „Ja genau. Kleiner Raum, keine Grossveranstaltung, aber mit ebenso aller Entschiedenheit.“

Papenfuß, der ein Chronist und Pamphletist der Anarchie war, wenn auch ein absichtlich zurückgezogener, der als Performance-Profi die Performance des Samizdat bevorzugte, suchte auch immer wieder Gemeinsamkeiten zwischen sich als Dichter und Chronist und Verleger und mir, als Schauspieler und Filmemacher. Zuletzt sandte er mir den auf dieser Platform veröffentlichten Text über Biofaschismus von Christoph Wackernagel zu, einem Schauspieler, den ich für seine Jugendrolle in „Die Tätowierung“ (1966) kenne und von dem weiß, dass er mal lange im Knast saß. 1983 hatte er sich dann als Mitglied von der RAF distanziert und wurde nach einem Drittel der verkündeten Haftzeit 1986 entlassen Mehr weiß ich nicht. Wegen seiner Ex-Terroristen-Prominenz wurde er gern von Film und Fernsehen gebucht.
Eine Gesellschaft-des-Spektakels-Karriere wie aus „Die dritte Generation“ von R.W. Fassbinder. Wackernagel ist nunmehr als politischer Autor tätig. Okay, erst mußte ich mir von der Piraten-Oma Stirnerianismus andichten lassen, jetzt auch noch den Wackernagel.

Bert und ich hatten regen e-Mail-Verkehr in den Pandemiejahren 2020 bis 2022, also tue ich meinem Komplizen – mit dessen Tod eine ganze Lebensära verschwindet (jedenfalls fühlt es sich beim Schreiben dieser Zeilen so an) – den Gefallen und gucke noch mal jetzt rein in den Text, den er mir damals im Herbst 2022 zusandte.
Christoph Wackernagel schreibt hier u.a: „Die Vollstrecker der Diktatur des Profits schieben die Verantwortung für ihr politisches Handeln auf die vereinzelten Bürger ab: anstatt keinen Plastikmüll zu produzieren, was der Profitmaximierung um jeden Preis widerspräche, erhält, wer Plastikmüll entsorgt, Punkte auf seiner social credit card. Anstatt car sharing als verbindlich einzuführen, wird der Benzinpreis erhöht. Anstatt der Natur ihren Lauf und dem Menschen seinen freien Willen zu lassen, wird als gesund definiert, wer sich freiwillig
gentechnisch verstümmeln lässt. Allein der selbstbestimmt durch Genbehandlung seiner Empathiefähigkeit beraubte Genkrüppel ist gesund, weil er nicht mehr sensorisch interaktiv kommunizieren kann und dadurch selbst Unbehandelte damit infiziert.

Die Privatisierung der Politik ist in dieser Form ebenfalls eine negative Utopie. Nicht selbstbestimmende Bürger, deren Freiheit immer die Freiheit der anderen ist, organisieren ihre Bedürfnisse und deren Befriedigung selbst und machen damit die Politik überflüssig, sondern Strichmännchen und Strichweibchen führen fremdbestimmte QR-Codes aus, bis die Politik selbst als reine Maske sich offenbart. Da die materiellen und ideellen Voraussetzungen zur Auflösung des Profitdenkens, also zur Schaffung des Himmels auf
Erden, spätestens seit der Jahrtausendwende gegeben sind, ist es für die Diktatur des Profits zwingend geboten, die Hölle auf Erden weltweit und hundertprozentig zu installieren, wenn sie ihr Überleben garantieren will.“
(Den Text findet man auf dieser Plattform, man sollte aber die editorische Notiz des Herausgebers von DIE AKTION 4.0 auch dazu lesen.)

Quasi als Reaktion zu obigen Gedanken, ende ich mit dem Klappentext der Sammelausgabe der RUMBALOTTE-Gedichte 1998 bis 2002 von Bert Papenfuß:
„Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln, Grundeigentum und Geld. Abschaffung der Prostitution und des Trauergottesdienstunwesens. Zinsverbot. Reklameverbot. Hundeverbot in den Städten. Relevanz-und Tiefenschärfenkontrolle der
Massenmedien. Wirtschaftsprüfung der sogenannten Hochtechnologie. Das sollte für den Anfang reichen. Los geht’s.“

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