Scheinheiligkeit

Auf der einen Seite: zwei Staatsoberhäupter mit diversen juristischen Affären von insgesamt Milliarden-Ausmaß, eine bestehendes Recht brechende Präsidentin der EU-Kommission, der reichste Mann der Welt und ihre Geschäfte. Auf der anderen Seite: Zwei Satiriker und ein sich auf zornige Satire verlegender Autor. Die Namen sind aus der täglichen Berichterstattung bekannt. Uns interessiert hier die Struktur.

Denn etwas Größeres als die Einzelfälle läuft gerade vor unseren Augen ab: der „Zerfall der demokratischen Sittlichkeit.

Wie wird der Zerfall ins Werk gesetzt? Natürlich durch Bestrafung der Kritik an der Unsittlichkeit.

Einem der Satiriker wird durch Kündigung ein Teil seiner Lebensgrundlage entzogen, weil seinem Arbeitgeber ein antifaschistischer Witz nicht gefällt. Ein anderer Satiriker erklärt uns, dass die wiedergewählte Präsidentin nicht den Konzernen Geheimhaltung schuldet, sondern der Öffentlichkeit Transparenz. Offenbar können grundlegende Dinge nicht oft genug wiederholt werden, wenn und weil sie missachtet werden. Eine Wiederwahl der rechtsbrechenden Präsidentin hat dies nicht verhindert. Europa will von einer Impfdealerin geführt werden, deren Ehemann noch dazu medizinischer Direktor eines US-amerikanischen biopharmazeutischen Unternehmens ist, das sich auf Zell- und Gentherapie spezialisiert hat.

Waren nicht auch modifizierte Gene im Spiel bei dem jetzt inkriminierten SMS-Deal seiner Gattin über gigantische mRNA-Impfstoff-Kontingente? Wirklich erstaunlich, so ein Zufall.

Zum gerichtlich festgestellten Rechtsbruch ist zu ergänzen, dass Appellation, also ein Rechtsbehelf gegen die Entscheidung möglich ist. Dies insbesondere für reiche Leute wie die Präsidentin. Wir erinnern, dass der Investor und Philanthrop György Schwartz, besser bekannt als George Soros, wegen seines die Volkswirtschaft Frankreichs nicht unerheblich ruinierenden Insider-Deals verurteilt, sich auf sein Menschenrecht und dessen Schädigung durch das Urteil berief.

Ein Sprecher eben jener EU-Kommission, der die Rechtsbrecherin präsidiert, erklärte, allein dadurch, dass eine Firma, die den Ehemann eines hochrangigen Kommissionsmitglieds beschäftigt, EU- und nationale Fördergelder erhält, entstehe „grundsätzlich kein Interessenkonflikt“.

Gleichzeitig verbietet das Innenministerium den Weiterbetrieb einer GmbH, weil ihm die Inhalte der Arbeit der GmbH nicht gefallen: sie sei rechtsextrem.

Der Autor, der sich auf zornige Satire verlegt hat, zaubert in einer Collage dem Gesundheitsminister, den er offenkundig für einen Chaplin-Verschnitt hält, das schwarze Quadrat von Malewitsch unter die Nase und wird dafür vom Verzauberten verfolgt, seine Wohnung im Zuge einer Razzia durchkämmt und eine empfindliche Geldstrafe verhängt.

Welche Art von „Kultur“ steht hinter solchen Vorgängen? Wir meinen: eine Kultur der methodisch angewandten Scheinheiligkeit.

Scheinheilig ist stets mit sozialschädlich verschwistert. Wer unoffen, mit Geheimhaltung, Geschäfte mit öffentlichen Mitteln angeht, beugt das Recht und begeht – wie es in der Kriminologie heißt – Verbrechen mit weißem Kragen. Uns interessieren die erstaunlichen Geschäfte unserer Elite. Mehr noch interessiert uns, wie es möglich ist, dass all dies passieren kann: ohne personelle Konsequenzen, ohne jeden Eingriff in jene Struktur, die eine Schädigung der öffentlichen Belange begünstigt.

Mit der Scheinheiligkeit ist es wie mit dem Scheinholz: es phosphoresciert im Dunkeln. Es scheint zwar schön, doch innerlich ist es hohl, weil verfault. Das anziehende Leuchten ist reine Scheinherrlichkeit. Ihren Glanz erzeugen Worte, die allein zu unserer Täuschung erfunden wurden.

Der inzwischen immerhin 85-jährige, unbeugsame Autor, der collagierte Zornesflammen aussendet, lässt sich trotz seiner Verurteilung weder vom beleidigten Chaplin noch von den erbarmungslosen Amts-RichterInnnen einschüchtern, sondern veröffentlicht ein „Kritisches Wörterbuch des Bunten Totalitarismus„, aus dem wir heute Auszüge in DIE AKTION veröffentlichen. Das Wörterbuch ist eine Dekonstruktion der Sprache der Scheinheiligkeit und die Offenlegung des Ziels, das sich mit der Auftrennung in Schein und Wirklichkeit verbindet.

Die jüngsten Vorgänge rund um das schon länger eingeführte Zynismusverbot, um die Abschaltung jeder Kritik unter Berufung auf ominöse „Werte“ erfordern eine klare Haltung.

Im letzten Beitrag hier auf diesem Blog haben wir uns mit dem neoliberalen Diktum der „Sorge um sich selbst“ befasst, mit dem die Wirtschafts-„Philosophie“ bereits vor 30 Jahren den behütenden, von den Bürgern mitgetragenen und ihnen dienenden Wohlfahrtsstaat verabschiedet hatte. Auch in diesem Beitrag ging es um einen von der wiedergewählten Präsidentin eingefädelten Impfdeal, der angeblich unsere „Lebensgrundlagen“ schützen soll.

Nur wenige Tage nach dem Bekanntwerden des neuen Deals sind wir nun mit den „Werten“ einer kybernetischer Kultur und ihrem 0/1 Denken konfrontiert und verstehen, 0/1 bedeutet, dass wer nicht bedingungslos für das System ist, als Feind behandelt und aus ihm ausgeschieden wird.

Nachdem es in vier Jahren fortgesetzter Furchtkampagnen (kaputt wegen Seuche, kaputt wegen Pleite, kaputt wegen Krieg) gelungen ist, viele, vielleicht sogar die meisten, am Ende glücklicherweise jedoch keineswegs alle synaptischen Reaktionen gegen Null zu reduzieren, probieren die Systemträger derzeit, den letzten Denküberlebenden den zentralnervösen Impuls zum Widerspruch auszutreiben.

Aktuelles Hauptziel ist die Entpolitisierung des Humors. Eine Gesellschaft aber, die Satire unter Strafe stellt, fällt hinter die Frühgeschichte der Monarchie zurück.

Kein westlicher König wagte, den Hofzwerg, der ihm sein Fehlverhalten in grotesker Übertreibung vorspielte, enthaupten zu lassen. Denn was juckt es den König, welche Schweinereien der Zwerg anprangert. Alle wissen von noch viel schlimmeren Vorgängen und billigen sie.

Es ist ein altes Thema: wie bei Hans Christian Andersen spricht niemand – aus Furcht um seine Stellung und seinen Ruf – wider besseren Wissens die offensichtliche Wahrheit aus; vor die Entscheidung „Ansehen und Wohlstand oder Wahrheit“ gestellt, entscheidet man sich letzten Endes gegen die Wahrheit: wie in der scheinheiligen Gesellschaft, die ehrenwert tut, während Verbrechen gegen die Gemeinschaft begangen werden. Der bigotte Straftäter an der Spitze des Staates muss sich furchtbar entrüsten, wenn seine Ehre angezweifelt wird. So billig, wie das in der hohen Politik geht, nähme es kein Publikum den Schauspielern auf dem Theater ab.

Das ist genau der Grund, warum in der Scheinheiligkeit alles „sauber“ scheinen muss und der Schmutz, wenn er in die Öffentlichkeit gerät, von den ehrenwerten Täuschern erbarmungslos verfolgt wird. Es darf kein Zweifel entstehen. Die Bigotterie darf nicht als solche enthüllt werden, nicht einmal im Spaß.

Heute schneiden die Organe der Macht daher den Zwergen die eigenständigen Gedanken an der Zungenwurzel ab und wir Rezipienten finden das allmähliche Verstummen ganz gehörig.

Wir erinnern, dass auch in den 70er Jahren auf dem Höhepunkt der RAF-Hysterie – rückblickend betrachtet, am Anfang des Umbaus unserer lieblichen Kleingarten-Demokratie in ihre autoritäre Variante – die „klammheimliche Freude“ ein Entlassungsgrund war. Hinter den Jägerzäunen herrschte fortan Ruhe. Niemand äußerte mehr, was alle dachten. Das war Karriere-schädlich. Mut wurde immer kleiner geschrieben zugunsten einer geistigen Verbeamtung.

Die nächste Generation entschied sich folgerichtig für „No Future“: Scheiß der Hund drauf ! & Ihr Spießer! Provokation statt Aufbau einer autonomen Lebensweise. Betäubung statt Gegengift.

Keiner wollte mehr Hippie, also Teil eines „radikalen Studentenmob in Satinstiefelchen“ (39 Clocks) sein, weil es in diesen Kreisen schon damals nach Establishment stank.

Die Abwanderung der Klügsten ihrer Generation ging weiter, geht weiter, bis heute.

Kürzlich schrieb uns AKTION-Autor Penny Rimbaud, er habe jetzt jede Identifikation mit dem Anarchismus aufgegeben und ziehe vor, das Label „Whateverist“ (Wasauchimmerer) zu tragen. Denn in der herrschenden Scheinheiligkeit schaut jede ehrliche Regung wie eine Fälschung aus.

Weniger festgelegt heisst besser aufgestellt. Denn der Wasauchimmerer bietet – ohne sein Denken zu korrumpieren – keine Flanke, auf die mit dem Vokabular der Scheinheiligkeit gezielt werden kann.

Eine Freundin aus dem Osten unseres Landes sagte einmal anlässlich einer kleinen Konferenz mit vielen weniger Festgelegten: Ihr seid nicht rechts, ihr seid keine Kommunisten. Was seid ihr dann? Irgendetwas muss man doch sein.

Nein, muss man nicht.

Das sind vielleicht alles etwas primitive Metaphern und die immergleichen Rückverweise in die jüngere Geschichte der Bundesrepublik. Überhaupt hatte ich über all die Jahre meines Lebens stets gehofft, es werde nie nötig, solche Texte zu schreiben.

Doch seit durch die jüngste Form der staatlichen Aneignung der Antifaschismus zum Cacheur für imperiale Kriegspolitik geworden ist und sich „Völkerfreundschaften“ und „bedingungslose“ politische Solidaritäten entlang der Linie von Denunziation und Menschenverachtung entwickeln, ist es unumgänglich geworden, sich alle paar Tage einmal selbst zu versichern, was wir bisher für unverhandelbar gehalten haben – und was nun doch untergegangen ist.

Denn penetrantes, das ganze freie Leben durchdringendes Framing und die Technik der Verdrehung des Wortsinns von allen nur erdenklichen Bezeichnungen darf nicht damit enden, dass wir verstummen.

Die Herrschaft über den Sprachgebrauch, die sogenannte Deutungshoheit (Definitionsmacht) ist – wie das „Wörterbuch des bunten Totalitarismus“ zeigt – wesentlicher Teil einer mehr und mehr unumschränkten Macht, die zuvorderst das Sprechen (können) unter ihren Einfluß bringt. Denn wofür man keine eigenen Worte hat – darüber kann man schlussendlich nicht mehr kritisch nachdenken.

Scheinhilfe

Gehen wir auf dem im vorherigen Beitrag „Lebensgrundlage“ eingeschlagenen Weg noch ein paar Schritte weiter.

Der Rückverwandlung der Sorge um sich selbst in die verlogene angebliche Sorge eines Staates um die „Lebensgrundlage“ und „Werte“ seiner Bürger, in Wahrheit: deren körperliche Umwandlung in Auf- bzw. Abnahmestationen für die Produkte aus den zwischen Staat und supranationalen Konzernen organisierten Deals, kommt notwendigerweise einer totalen Entmündigung gleich. Entmündigung ist unabdingbar, denn individuelle Konsumentscheidungen würden zwangsläufig zu Überhängen, zu „dead stock“ führen, die kontraproduktiv für den Erfolg der Deals wären. Deswegen ist notwendig, dass wir alle angeschafften Drogen restlos auffuttern.

So wird das Verhältnis Staat-Bürger – weit jenseits jeder Vertretung von grundlegenden Interessen – das eines Händlers und des von ihm abhängigen Süchtigen. Die Wahl ist keine politische Entscheidung, sondern Voraussetzung für die Verstetigung der Stofflieferung.

Mit der Sorge um sich selbst hatte der Neoliberalismus erwartet, eine totale Unterwerfung unter seine Prinzipien zu erreichen. Statt wie im autoritären Sozialismus, wo der Staat genau wusste, was für seine Bürger das Beste sei und sich so die Kontrolle über Abweichung erleichtern wollte, hatte die westliche Scheindemokratie erwartet, dass die Komplexität der Aufgabe, sich um alles selbst kümmern zu müssen, zwangsläufig – aufgrund der absehbaren Überforderung mit der Aufgabe – in eine stromlinienförmige Selbstunterwerfung unter den staatlich geförderten Wirtschaftskonformismus münden würde. 

Als dann die nach Ende des Systemwiderspruchs 1990 frei gewordenen kybernetischen Potenziale eine nahezu präzise Konsumentenprofilierung technisch ermöglichten, wurde sukzessive klar, dass noch viel zu viel individueller Spielraum vorhanden war, um die (plattformkapitalistischen) Konzernpotentiale bis ganz unten auszuschöpfen.

Das seit Auslaufen der grossen Pharmapatente aufkommende Gesundheits-Thema war daher die genaue Umkehrung der Sorge um sich selbst: eine veritable Scheinhilfe.

In Wirklichkeit war es natürlich die Sorge um die Sicherung künftiger Pfründe.

Niemand soll sich selbst entscheiden können, was gut für ihn sei. Alle emanzipatorischen Nebeneffekte der Sorge um sich selbst müssen daher bekämpft, alle Selbstermächtigung zu alternativer „Behandlung“ und abweichendem Verhalten als rechts, als staatsdeligitimistisch oder sozialschädlich diskreditiert werden.

Der mit der Sorge um sich selbst verbundene Plan, das Gefühl für das Regiertwerden bis tief ins Intime hinein zu garantieren und sich damit die aufwändige Arbeit des Regierens gegen Widerstand weitgehend zu ersparen, ging nicht auf. Die Aufgabe der Sorge um sich selbst war zunächst zu wenig umfänglich angelegt. Für sich vollständig allein zuständig, auf sich gestellt und von der Wohlfahrt der Institutionen im Stich gelassen zu sein, hatte sogar einen eher emanzipatorischen Effekt. Zumal das Sich-Durchbeißen mit dem falschen Gefühl der Belohnung durch Erfolg verbunden war. Auch kamen die Regierten offenkundig gut damit zurecht, dass bestellbare Leistungen, die von einem leistungsstarken Wirtschaftssystem unaufhörlich geliefert wurden, die Zuwendungen des Staates ersetzen.

Schlussendlich kippte das Ganze erst dadurch, dass die Sorge um sich selbst den Grad der Selbstorganisation so weit erhöhte, dass in der Summe eine Redundanz der Kontrolleinrichtungen spürbar wurde und die Erhöhung des Kontrollgrades Kritik und nicht Einschüchterung hervorrief. 

Die etwas phantasielose, aber höchst effiziente Methode zur Wiederherstellung des vergessenen Gefühls, regiert zu werden, gelang durch das noch tiefere Eindringen ins Körperinnere: nun war nicht mehr „das Verhalten“ und seine Steuerung durch Konsumangebote, sondern die Herstellung der erwünschten Muster im Genstrang selbst der Plan. Das Phantasma, die Gesundheit gehöre in die Zuständigkeit der Regierungsorgane, knackte über Angst und Panik sogar die Schlösser vor dem bislang höchst geschützten innerzellulären und damit dem letzten, vor dem staatlichen Zugriff geschützten Bereich und organisierte – ähnlich wie jahrhundertelang zuvor das göttliche Auge – das Gefühl völligen Fehlens von Rückzugsgebieten, in die die Regierten gegebenfalls hätten abwandern, sich dem System entziehen konnten. Aus sich selbst auswandern aber kann – bislang zumindest – niemand.

Nun lagen wir alle nackt da, beliebigem Zugriff hin bis zur Änderung unseres genetischen Programmes ausgesetzt. Mit mRNA-Technik ist der Staat bis in den Zellkern gelangt. 

Kurz nach Erstveröffentlichung dieses Blog-Beitrags wurde nun auch ein aktueller Fall von verweigertem „Zellgehorsam“ publik, einer modernen Variante des Kadavergehorsams, gegen den eine empfindliche Strafe verhängt wurde.

Das scheint mir der Kern des Gesundheitsthemas. Dem Markt steht nun – mit der genmedizinischen 40-Millionen-Dosen-Option – noch die letzte bislang vor wirtschaftlichem Zugriff geschützte Nische offen.

Von anonymen Orten der Macht, von Brüssel oder Genf (WHO) aus, kann nun – symbolisch über die Bestellung von Millionen Dosen zellverändernder Wirkstoffe – durchregiert werden. Schon die Idee des Widerstands fühlt sich angesichts solcher Übermacht absurd an.

Daran, an der Überwindung dieses Ohnmachtsgefühls, hat jede künftige kritische Strategie, jede Auflehnung gegen die Zumutungen des Marktes, sich zu orientieren. Rudolph Bauers Wörterbuch hilft uns, die Scheinhilfe als solche zu entschlüsseln.

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