Sprachlicher Abrieb

In unserer Reihe mit “Injektionen” zeitgenössischer und klassischer Literatur veröffentlichen wir heute zwei Texte von Kai Pohl. Weitere Arbeiten sind unter dem Stichwort Pappelschnee öffentlich zu besichtigen. Seine Panik-Texte wurden von der Ostberliner Rocklegende Herbst in Peking 2020 vertont, ebenso “Welt der Wunder”.

Pohl lehnt es ab, seine Gedichte als “politisch” zu bezeichnen – auch Texte mit faschistischer Ausrichtung seien “politisch”.

Seine Technik des Schreibens erläutert er so:

Viele meiner Montagen und Cut-ups sind geformt aus Material, das zu einem großen Anteil dem verbalen Reservoir des world wide web entnommen ist und mittels Schnitt, Neukonstruktion und Transformation gefügig gemacht wurde. Die Basis solchen „Schreibens“ ist kein „literarischer Wert“, sondern sprachlicher Abrieb als Ergebnis eines babylonischen Tastenschlages, der den Orkus des Hypertextes speist.

Beim Wiederlesen von biofeedback panikenergie stieß ich auf zwei Zeilen, die sich 19 Jahre nach dem ersten Erscheinen gänzlich anders lesen.

Am Ende des ersten “Städteblocks” heisst es “panik in den käfigen / panik in den oberschenkel gekrallt / panik in ottakring / panik in linz / panik in der erwartung von tests”. Ergänz mna diese Zeilen um das weiter unten stehende “geschäft mit der panik /”, erscheint der Text mehr als hellsichtig. So wundert es nicht, dass im Frühjahr 2020 ein “Neuartiger Shortest Remix” als Postkarte erscheint. Pohl hatte fast zwei Jahrzehnte vor den meisten Mitbürgen verstanden: “die panik des menschen ist unantastbar”.

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