Der Hasenbraten

Mit dem Hasenrollbraten verhält es sich ein wenig wie mit dem Coronavirus. Sein Fleisch stammt meist nicht vom Pangolin, sondern bloß vom schnöden Kaninchen her. Der Hasenrollbraten ist also ein Etikettenschwindler. Aber wird er dadurch so gefährlich wie das Virus, dessen Bekämpfung mich dazu zwang, den betrügerischen Braten zu essen?

Ein dreiteiliges Schauermärchen über das (beruflich bedingte) Reisen unter Pandemiebedingungen, das schnelle Verlernen der guten Sitten, sowie einige Einsichten in eine neue, äußerst effiziente Methode der Massensteuerung durch wöchentlich novellierte Regeln.

Teil 1 Die Ehrenerklärung

Seit Beginn der Pandemie ist es – zumindest in meiner Wahlheimat Frankreich – populär geworden, für alle Alltagslagen eine Ehrenerklärung zu Hand zu haben, die man bei Spaziergängen, Einkäufen und (das neuste) „bodengestützten Fortgewegungsfahrten“ mit sich trägt.

Bevor ich zusammen mit den Lesern auf eine Reise ins benachbarte Frankreich gehe, möchte ich, weil die Meisten mich nicht persönlich kennen, auch meinerseits mit einer Ehrenerklärung beginnen.

Ihr Zweck ist die bessere Einschätzbarkeit der im Text vertretenen Auffassungen.

Ihr Grund: ein Autor wie ich kann heutzutage nicht vorsichtig genug sein angesichts der angespannten, um nicht zusagen: gereizten Verfassung der meisten Mitbürger. Schnell wird er wegen minimaler Abweichungen vom Erwarteten in die Ecke gestellt. Tritt noch mein Sarkasmus hinzu, der gern übersehen wird auf der Suche nach verdammenswerten Ansichten, und mein Hang zur Überspitzung – dann ist der Spaß gleich aus.

Ich erkläre deswegen bei meiner Ehre:

– dass ich stets prekär gelebt habe, so daß ein Burgunderbraten aus echtem Hasenfleisch auch für mich nur in Jahren in Frage kommt, in denen Ostern und Pfingsten zusammen fallen.

– dass ich mein geringes Einkommen in den letzten 25 Jahren in einem beruflichen Feld verdient habe, das seit Beginn der Pandemie – laut der von Jean-Michel Jarre am 26. Januar 2021 vorgestellten Studie „Rebuilding Europe“ – am härtesten von den Beschränkungen im Zusammenhang mit der Pandemiebekämpfung betroffen ist.

– dass mich für meinen schlechten Verdienst die Möglichkeit zu reisen und Kollegen in aller Welt zu treffen, stets hoch entschädigt hat, so dass ich nun doppelt gekniffen bin.

– dass ich das Wort „Freiheit“ niemals im Zusammenhang mit Einkaufen, Beschleunigungsverhalten oder Kurvenlage eines Fahrzeugs oder anderen, nicht im europäischen Wertekodex seit der französischen Revolution fest verankerten Menschenrechten benutzt habe und dies auch für die Zukunft nicht beabsichtige.

– dass ich mich bemühe, bei allem was ich denke, tue, bedauere und bekämpfe, stets im Kopf zu behalten, wie privilegiert ich bin und wie viele Menschen auf unserer trotz allem schönen Welt es viel schwieriger haben als ich.

Ich bekenne zudem, dass ich mich schon im frühen März 2020 mit COVID angesteckt haben muss, wenn das Virus so hoch infektiös ist, wie stets behauptet wird und woran ich auch keinen Zweifel hege. Eine Freundin, mit der ich dama

ls viel Zeit verbracht habe, leidet bis heute unter Geschmacksverlust und hat nachgewiesene Antikörper. Ich selbst war zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens ihrer Infektion bereits in selbstgewählter Quarantäne und musste zum Glück keinen Arzt aufsuchen, da ich außer ein paar typischen Effekten keine bedrohliche Erkrankung verspürte. Ich habe später sehr lange sehr wenig Energie gehabt. Ich weiß also aus eigener Anschauung, wovon ich spreche, wenn ich über das Virus spreche.

In diesem Zusammenhang erkläre ich an Eides statt, dass ich das untrügliche Erkrankungs-Zeichen „Fieber“ nur dann verspürte, wenn ich Kabeljaurückenfilet zu 3,99 € die Packung aus dem ALDI-Nord „Golden Seafood“-Programm zusammen mit dem im Jahr „ante Corona“ aus Barcelona mitgebrachten Ganzdrogen-Safran („safrá en brins“) der fabulösen Gewürzfirma „El Tossal“ zu einer herzhaften Bourride verkocht und gegessen hatte. Tut mir leid, in dieser Hinsicht nicht deutscher zu sein. Denn mein Herz schlägt katalanisch und die Geschmacksknospen folgen.

Aber trotzdem gibt es ein Problem.

Nachdem meine Geschäftspartnerin und ich vor Reiseantritt in der KW 4 des Jahres 2 nach Corona wahrheitsgemäss die von der französischen Botschaft vorbereitete Ehren-Erklärung ausgefüllt haben, die besagt, dass wir keine Kenntnis davon besitzen, dass wir Keuchhusten, Schüttelfrost, „unerwarteten“ Durchfall, Geschmacksverlust oder andere Anzeichen von schwerer Krankheit hätten, sind wir um 6 Uhr morgens losgefahren. Unter Schreibtischlampenbeleuchtung – fixiert von einer gesundheitspolizeilichen Verhörzange – hätten wir die ebenfalls auf dem Ehrentestat gestellten Fragen nach „ungewöhnlichen Müdigkeitserscheinungen“ und „unerklärlichen Kopfschmerzen“ nicht zweifelsfrei verneinen können. Wir sind nämlich beide Spätaufsteher. Durch jahrelange Schonung reagiert unser Biorhythmus äußerst sensibel auf Störungen wie solch für uns Nachtarbeiter zu zeitiges Losfahren. Auch hatten wir vom Einpacken unserer Arbeitsmaterialien und -werkzeuge einen Muskelkater, der den Autoren der Ehrenerklärung ebenfalls als Indiz für Covid19 gilt.

Es half aber alles nichts: wir mussten vor Tagesanbruch los, weil uns geschäftlich Reisenden Macrons Gnade nur ein Zeitfenster bis 18 Uhr gewährte. Nach dem abendlichen Einbruch der Dunkelheit rotten sich die Viren nämlich zusammen und fallen über schutzlos Vagabundierende her, die auf der Suche nach sozialem Kontakt durch die Dörfer streunen und Lichter hinter zugezogenen Gardinen ausspähen. Insbesondere die cleveren Mutanten, aber auch schon das schnöde Standard-Bazill verbreitet sich hemmungslos bei „Aperos“ und anderen frühabendlichen Besäufnissen, wie sie manche gewissenlose Bürger pflegen. Der Franzose kennt sich gut. Tagsüber trinkt er nie und wenn, dann nicht in Gruppen.

Die Ehren-Erklärung wird flankiert von zwei weiteren Dokumenten, dem Attestat, das man sich selbst ausstellen muss, des Inhaltes, dass die Gründe der Fahrt rein beruflicher Natur seien, und der damit verbundenen eidestattlichen Versicherung, dass man die nächtliche Ausgangssperre nur durchbricht, um an sein Ziel zu gelangen. Das Ganze für zwei Personen, also sechs Blatt Papier A4, jeder Bogen unterschrieben.

Auch bei Fahrten in der vierrädrigen, farradayschen Zweimannzelle sind „weniger als 72 Stunden alte“ Schnelltests zwingend erforderlich: mit den langen Wattestäbchen gefühlt bis tief ins Gehirn eindringen, alles nur zum weniger als 50 % sicheren Nachweis der momentanen Infektionsfreiheit. Die Testergebnisse werden „am Boden“ ohnehin nicht kontrolliert. Jetzt habe ich meine Ehre aufs Spiel gesetzt, weil ich das Wort „Freiheit“ in sarkastischer Intention mit der Ansteckung verschwägert habe.

Das Wort, dass die Franzosen für Ausgangssperre verwenden, ist militärischen Ursprungs und erinnert an Luftkrieg und Besatzung: Couvre-Feu. Von 6:00 Uhr abends bis 6:00 Uhr morgens ist das Licht auszuschalten, die Klappe zu halten, und im Zimmer zu bleiben. Allein, versteht sich.

Auf der Durchfahrt durch Lyon lesen wir in riesigen Lettern quer über ein Haus den Kommentar: „balade au soir bientot a parloir“ – Der Abendspaziergang als Stubenrundlauf. Gleich daneben gut 30 Mal über die Wände der umliegenden Häuser verteilt: „peur satu“ – extreme Angst.

Apropos „allein“: in Deutschland ist in diesem Zusammenhang wieder viel von „Haushalten“ die Rede. Damit ist nicht das ebenfalls unter Pandemiebedingungen dringend erforderliche Sparen gemeint. Es geht hier um eine nichtstaatliche Wirtschaftseinheit, gebildet von privaten Konsumenten. Also um eine sehr kleine Gemeinschaft mit einem Vorstand.

Nach Jahrzehnten des Trainings in Co-Working, Co-Living, Patchworkfamilientum und Wohngemeinschaften von Menschen („männl., weibl., divers“) mit gleichen Gesinnungen oder sexuellen Ausrichtungen stehen wir nun vor dem Debakel, dass es die „reinen“ Haushalte aus dem 50er-Jahre Konzept von Familie (zum Glück) gar nicht mehr ausschliesslich gibt, sie aber dennoch in den Infektionskettenunterbindungsregeln eine herausragende Position bekleiden.

Insgesamt fügt sich die Bezeichnung Couvre-Feu nahtlos in die gängige französische Kriegsmetaphorik. Das Virus, dessen Überträger laut Dokumententitel aus den Nachbarländern „eindringen“, ist so eine Art Nazi auf Durchmarsch nach Paris oder eine feindliche britische Mutante. So betrachtet, versteht man auch, was mit „Territoire National Métropolitain“ auf der Ehrenerklärung gemeint ist.

Alles ist seitens der nationalen Staatsmacht so (an)geordnet, als hätte keiner der Regierenden jemals auch nur irgendeine Aufzeichnung über den Verlauf von Pandemien in den letzten 1000 Jahren gelesen, so als gäbe es keinerlei Erkenntnisse darüber, wie viel eine Grenz-Absperrung und ein Ausgehverbot nützen.

Die motorisierte Speiseröhre schafft jedenfalls ungerührt weiter Futter in die Bäuche der Metropolen. Die Autobahn ist knallvoll. LKW an LKW. Keine Spur von drohendem Zusammenbruch der Nahrungsmittelversorgung, von der die Querfront-Magazine menetekeln.

Viel besorgniserregender als das Virus scheint uns auf dieser Strecke der dichte Schneefall.

Mit dem ganzen Stoss Papier bewaffnet, schaffen wir es jedenfalls, ohne einmal angehalten zu werden, bis zum Planziel halbe Strecke: Langres.

WARNHINWEIS!

Teil 2 vom Hasenbraten: „Friss oder Stirb!“ ist die Beschreibung eines Abendessens unter Distanzbedingungen in Langres, Geburtsstadt von Denis Diderot, Lichtgestalt der französischen Aufklärung, Vater der Enzyklopädie, am 28.1.2021.

Teil 2: bitte hier klicken!

Wer dann immer noch nicht satt ist, kann nachschmecken in Teil 3: „Die Selbstunterwerfung“ enthält einige Rezepte zum Umgang mit der aktuellen Lage und die üblichen Übertreibungen und Schmähungen.

Teil 3: bitte hier klicken!

2 Antworten auf „Der Hasenbraten“

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