Wegen COVID ist Witze machen verboten. Deswegen berichte ich euch von einem ganz traurigen Erlebnis gestern Abend. Und einem Schock zum Frühstück heute. ACHTUNG! Beitrag enthält versteckte Wörterbuchartikel zu den Begriffen „Maßnahme“, „Zahlen“ und „Wissenschaft“.
Die Warnung
Früher einmal waren Reaktionen auf veröffentlichte Texte der wahre Lohn des Autors. Seit etwa einem Jahr lauert für uns Schreiber das Ende des guten Ansehens hinter jedem noch so harmlosen Email-Betreff.
Am liebsten würde ich mal eine Youtube-Anleitung zum Umgang mit diesem Problem einsprechen:
„Hallo Leute, heute erkläre ich euch in Rekordzeit, wie ihr mit unaufgefordert zugesendeten Bewertungen und Meinungen eurer Freunde zu euren Texten umgehen könnt. Meine Methode hilft todsicher, weiteren Schaden von euch abzuwenden. Also, ganz einfach. Ihr geht mit dem Cursor auf die fragliche Email, wählt sie aus – ganz wichtig! ohne sie vorher zu öffnen – und dann oben auf das Symbol „Papierkorb“ klicken und Email löschen, dann Papierkorb öffnen und nochmal löschen. Und zum Schluß den Rechner runterfahren und ein Glas Wein trinken. So, schon fertig. Bleibt gesund!“
Teil 2 der Empfehlung habe ich gestern schon mal kräftg beherzigt. Ich habe unter Zuhilfenahme erklecklicher Quantitäten des köstlichen Weins aus Embres-et-Castelmaure versucht, meine offenkundig immer schlechtere Reputation zu vergessen.
Dass mein Ansehen im steilen Sinkflug begriffen ist, wusste ich, weil ich Teil 1 nicht beherzigt hatte. Statt zu löschen hatte ich gelesen. Nun musste ich mit dem Verdacht eines Freundes zurecht kommen, es der AfD nachzutun.
Hier war zweifelsohne die Saat von zwölf Monaten konzertierter Hetze aufgegangen. Jeder Kritiker der Maßnahmen der Regierung ein Nazi.
Der Freund fühlte sich angesichts meines Wörterbuch-Projektes „fatal an eine kürzlich aus der AfD-Ecke gezogene Parallele zu einer Widerstandsgruppe aus der Nazizeit“ erinnert, mit der die AfDler sich „gegen Kritik aus dem rechtschaffenen Politiklager zu wehren“ versuchten.
Die kursive Hervorhebung der Rechtschaffenheit hatte der Autor des Briefes vorsorglich selbst vorgenommen. Er konnte ja – nur zwölf Stunden nach der Veröffentlichung des SPIEGEL-Beitrages über das zwischenparteiliche Feilschen um lukrative Posten – noch nicht ganz sicher davon ausgehen, dass die ehrenrührigen Aktivitäten im fraglichen Politiklager schon gänzlich vergessen wären.
Aber was tun, wenn man wie der legendäre buridanische Esel zwischen zwei gleich großen Haufen Unrat steht? Erstarren? Nein, man muss sich beherzt für einen von beiden entscheiden! Was für ein fataler Irrtum…
Dabei hätte der Name des Weins, La Mauvaise Réputation, der sich auf ein Chanson von George Brassens , bezieht, mir zur Warnung gereichen können.
Denn in der letzten Strophe des Liedes deutet Brassens an, dass er, ohne die Gaben des Propheten Jeremia zu benötigen (der mehrere große Katastrophen vorhersagte), das Schicksal des Protagonisten seines Liedes voraussagen kann: Obwohl sein einziger Fehler darin besteht, dass er nicht dorthin gehen will, wo alle hingehen (zum Nationalfeiertag), und weil er nicht im Marschschritt den Staat bejubeln will, wird er von der Menge gelyncht und „alle werden kommen, um seine Leiche anzusehen“.
Ich habe die Warnung in den Wind geschlagen und auf die AfD-Email tatsächlich geantwortet. Danach war ich reif für die Behandlung mit einem starken Antidepressivum.
Am Ende des gestrigen Abends habe ich mir schließlich höchstpersönlich ein COVID-freies Wochenende verordnet. Aber ich hatte die Rechnung ohne Herrn Rommel vom RKI gemacht.
Das Schuldenkonto
Schon zum Frühstück war es aus mit meinen guten Vorsätzen. Alexander Rommel hatte seine nach dem Ebenbild einer Lotterietrommel gefertigte Rechenmaschine angeschmissen und bestach mit einer solide untermauerten Zahl: „305.641 verlorene Lebensjahre durch Covid-19„
Für alle, die von der Länge der Zahl zu stark erschüttert sind oder gar beim Thema „Hochrechnen“ krankheitsbedingt ganzsemestrig gefehlt haben, die schlüssige Herleitung des gewaltigen Postens in Satz 2: „Rund“ zehn Jahre hätte jeder Verstorbene noch zu leben gehabt.
Mein COVID-freies Wochenende: dahin! Ran an den Taschenrechner.
Auf meinem Smartphone habe ich ein intelligentes Widget installiert, das mir durch einfaches Eintragen von Zahlen in ein leeres Feld und das Drücken verschiedener verwechselungsfrei gekennzeichneter Operationsfelder folgendes Ergebnis liefert:
aus den „verlorenen Lebensjahren“ hätte ein kluger Zeit-Banker 3.638,58333333333333 schöne komplette Leben (zu 84 Jahren Dauer) destillieren können. Ein kapitales Dorf voller lebenslang Gesunder ist uns bloß wegen diesem COVID durch die Lappen gegangen.
Dabei ist noch gar nicht mitgerechnet, dass der kluge Zeit-Banker die verlorenen Lebensjahre
- a) wahrscheinlich billig gekauft hätte (vielleicht für angenommene 23 Tage, denn sie waren ja schließlich schon gebraucht) und
- b) sie gar nicht alle auf einmal wieder rausgehauen hätte.
Vielmehr würde der erfahrene Lebenszeitbankier sie auf einem Lifecoin-Konto mündelsicher anlegen, ein wenig damit spekulieren und die gewonnenen Jahre erst abstossen, sobald sie die Milliardengrenze überschreiten, womit er dem Wertverfall vorbeugt.
Denn es kann wohl als sicher gelten, dass jeder, der kann, eben schnell noch mal 5 bis 10 Jährchen dazu bucht und schon steigt die Nachfrage in 12-stellige Bereiche.
Können Sie mir folgen?
Ja? Das ist beruhigend zu hören. Man wird ja häufig falsch verstanden.
Was sagt Ihnen das noch: “ 305.641 verlorene Lebensjahre“?
Sind die fraglichen 305.641 verlorenen Lebensjahre denn eigentlich schon gegengerechnet gegen die 4,37 Milliarden Jahre, die unsere lieben 7jährigen Kinder bei der Kinderarbeit in den Sweatshops restlos eingebüßt haben? Nur um ein paar billige Fleecepullis herzustellen, die man dann kräftig in Weichspüler badet, dessen Gestank mich persönlich schon 0,00348 Lebensjahre gekostet hat.
Na gut, es sind ja auch bloß „vorsichtig gerechnet“ 4,37 Milliarden Jahre, weil die Kindchen dort im Sweatshop eh keine besonders hohe Lebenserwartung haben.
Das gleiche gilt übrigens für Kindersoldaten (9,8574 Millarden verlorene Lebensjahre) die mit Hilfe von Produkten der deutschen Waffenindustrie die „durchschnittliche Lebenserwartung“ ihrer Ziele um 43 Jahre verkürzt haben (374,41 Milliarden verlorener Lebensjahre). Dagegen müsste doch echt mal einer was unternehmen! Das geht doch so nicht weiter! Sonst haben wir hier bald eine deftige Lebensjahrinflation.
Das Hauptproblem mit den toten Kindern: Wer jung stirbt, verliert vergleichsweise viele Punkte auf dem Lebenszeit-Konto. Aber es spart auch die Kosten für das Altersheim.
Die deutsche Autoindustrie? Hat eben irgendwer „die deutsche Autoindustrie“ gesagt? Sterben nicht jährlich „rund“ 3.275 Menschen auf Deutschlands Straßen? Davon viele junge unerfahrene Fahrer, die noch auf weitere (grob gerechnet) 67 unversehrte Jahre Anspruch gehabt hätten?
Mein Taschenrechner streikt gerade. Aber – Kopfrechnen hält jung! – sagen wir: 219.425 Lebensjahre gehen uns da flöten: mit unser aller Billigung! Wie zynisch von uns! Dabei ist Autofahren ziemlich genau 2/3 so tödlich wie COVID-haben. Diese deutsche Autoindustrie sollte man mal kräftig durchimpfen.
Was das „im Schnitt kostet“, die deutsche Autoindustrie so virulent rumlaufen zu lassen und den Kontakt zwischen hoch beschleunigten Einzelwagen nicht grundsätzlich zu verbieten! Da muss wohl die rechtschaffene SPD mal richtig ran.
Ich bin da ganz zuversichtlich. Das klären die schon. Mein volles Vertrauen.
Ein bis zwei Lebensjahre noch, Momentchen, kurz nachgerechnet, mal 83.190.556 Personen Gesamtbevölkerung, macht im Mittel, also bei 1,5 Jahren = 124.785.834 Bevölkerungswartejahre. In der Zeit lässt sich der übelste Augiasstall ausmisten. Keine Sorge.
Wenn die SPD erst mal die ganzen verantwortungslosen CDU-Leute, die das Waffengeschäft, die Autoindustrie und die Modebranche lebenserwartungszeittechnisch völlig ins Kraut haben schießen lassen, auf ihren Spitzenposten bei BaFin, Deutsche Bahn und im Aufsichtsrat von VW untergebracht haben und sie, die SPD unter dem Gesundheits-Kanzler mit der roten Fliege, dann endlich wieder volle Regierungsverantwortung übernimmt, dann sinkt auch sofort diese gnadenlose Verschwendung von durchschnittlichen Lebensjahren. Davon bin ich fest überzeugt.
Halt! Halt Stop! Wo sind all die Jahre hin? Wo sind sie geblieben? summt es in mir. Verfluchter Ohrwurm. Verlust, Schuld, Schulden…schulfrei. Alles dreht sich in meinem Kopf. Vielleicht war der Wein gestern doch nicht so gut? Oder der Teufel hat beim dritten Glas mitgekeltert … und mir seinen Unterteufel namens Zweifel an den Tisch gesetzt, um mir alles noch mal ganz genau auseinander zu setzen … da muss sich doch irgendwo ein Rechenfehler eingeschlichen haben? Oder nennen wir ihn „Auslegungsfehler“. Kann doch aber gar nicht sein. Beim RKI, da wo der Herr Rommel arbeitet, wird ja ernsthaft daran gearbeitet, wissenschaftlich zu arbeiten.
Die interpretieren ja keine zusammenspintisierten Fremd-Zahlen aus dubiosen Quellen. Die Zahlen vom RKI werden noch richtig mit Hand gemacht. Jedes einzelne Faktum hausgeschlachtet. Beste statistische Feldforschung. Da bleibt kein Toter undurchleuchtet liegen. „Wie lange hätten Sie denn durchschnittlich noch erwartet zu leben?“ „Mindestens noch rund 9,5 Jahre“, stöhnt es aus dem Sarg.
Die Angabe hat er dann sauber extrapoliert, der Herr Rommel, und mit dem Ergebnis unterm Arm ist er zum Herrn Wieler gelaufen und der hat gesagt: „Au weia, wie bring ich das der Merkel bei? Die macht mich doch rund in der Montagsvergatterung. Fast ´ne viertel Million Negative auf dem Konto.“
Da hilft nur noch ein sauberer Schuldenschnitt.
Tres bien! 👍