Mensch und Supermensch

Der Text auf dem Beitragsbild bedeutet: 1. Knopf: „Meine dritte Dosis nehmen“ 2. Knopf „Erkennen, dass man mich für bescheuert hält“; darunter „Aufwachen/nicht aufwachen“

Heute erscheint in DIE AKTION Teil 2 des Textes „Die Entfremder“ von Rudolph Bauer. Seine in Teil 1 bei Karl Marx begonnene Untersuchung der diversen Industriellen Revolutionen der vergangenen knapp zwei Jahrhunderte kommt damit beim Transhumanismus an.

Der Begriff ist seit Kurzem wieder im Schwang, nachdem er bereits Anfang der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts eine Renaissance erlebt hatte.

Er geht auf den britischen Verhaltensforscher, Biologen und Eugeniker Julian Huxley zurück: „Die menschliche Spezies kann, wenn sie es möchte, über sich selbst hinauswachsen – nicht nur sporadisch, ein Einzelner mal so, ein anderer mal so, sondern als Ganzes, als Menschheit.“

Ich muss bekennen, dass ich anfangs, als ich etwa 1995 das erste Mal von dieser neuen „philosophischen“ Richtung Kenntnis erhielt, das Ganze für einen schlechten Science-Fiction-Witz hielt.

Das mag auch daran gelegen haben, dass die technischen Möglichkeiten, die seither entstanden sind, insbesondere die genetische Therapie, damals noch so weit außerhalb des mir vorstellbar Möglichen lagen, dass ich es für reine Spinnerei hielt, für einen feuchten Traum alternder weißer Männer, die sich verewigen wollten.

Ich will das am Beispiel von „Silicon Man“, eines für kurze Zeit recht erfolgreichen Romans von Charles Platt, deutlich machen.
Platt hatte etwas später als Philip K. Dick in den frühen 60er Jahren begonnen, Texte zu veröffentlichen, die sich lasen, als sei Dick auf einem seiner zahllosen, autodestruktiven Drogentrips endgültig hängen geblieben. Platts dystopische Schundliteratur schreckte auch vor Porno nicht zurück. Man bekam den Einruck, ihm sei alles recht, wenn es darum ginge, Tabus zu brechen.
Ich brauchte eine Weile, um zu kapieren, wie ernst Platt all dieses Zeug meinte. Ich hatte bis dato noch nie das Wort „Cryonics“ gehört , nichts von der gemeinnützigen Gesellschaft Alcor Life Extension Foundation oder dem Cryonics Institute. Aber als ich verstand, dass es darum ging, lebende Menschen in Edelstahltuben tiefzukühlen, um sie eines Tages in einer Zukunft, in der Gentherapie möglich sei, wieder aufzutauen und unsterblich zu machen, trug dies nicht gerade dazu bei, den Ersteindruck des schlechten Witzes zu mildern.
Platt ist ein Kryoniker, der mit „Silicon Man“ 1991 eine Art Neues Testament des Transhumanismus verfasste.

Heute, nur drei Jahrzehnte später, hat sich etwa die Hälfte der Menschheit bereits freiwillig einer Gen-Therapie unterzogen. 11,4 Millarden Dosen wurden verspritzt.

Aus der quasireligiösen Idee einer an sich selbst angewendeten Biopolitik mit Life-Extension-Garantie ist jetzt ein weltwirtschaftliches Modell geworden: der pharmakologische Transhumanismus (siehe meinen Text über das zwiegesichtige Pharmakon), der den Umbau der Körper notwendig macht, weil dem Besitz an den Produktionsmitteln (durch Ausbeutung des Körperäusseren der entfremdet Arbeitenden) jetzt die Ausbeutung des Körperinnern nachfolgt, inklusive der Patentrechte an den genetischen Veränderungen im Körper des Kunden. Denn Kunden, willige Klientel für die Investitionen der großen „Entfremder“, sollen wir alle werden.

Wie gesagt: Eine fixe Idee von weißen Elitemenschen für weiße Elitemenschen.

Dieses traurige Kapitel kapitalistischer Selbstverwirklichung ist leider sehr ernst zu nehmen – und geht einher mit einer Verteufelung aller anderen Formen von Leben, Ansichten, Naturbezügen, Heilung.

Selbst das eigentlich zu Neutralität und Objektivität verpflichtete Wikipedia wirbt unverhohlen (und von keinerlei Mediatoren zensiert) für die Deutsche Gesellschaft für Angewandte Biostase und den „Neustart des Lebens“ durch Hochtechnologie, so wie es der (nicht anders als wahnsinnig zu nennende) Vater der „Aussicht auf Unsterblichkeit“, Robert Ettinger, einmal formulierte.

Neustart? Wem kommt das bekannt vor?

Ettinger hat die ganze Angelegenheit auf die kürzeste denkbare Formel gebracht: „Man Into Superman“ (so der Titel seines Buches von 1972)

Wo stehen wir also angesichts solch delirierender Gedanken?

„Am Abgrund“, wie es der Schriftsteller Jaime Semprun in seinem gleichnamigen Buch bereits 1997 befürchtete:
„Um uns zu beruhigen, erklärt man uns, dass der Mensch erst dank der Technologie menschlich geworden ist und dass er mit seinen Kernkraftwerken, seinen Rechnern, seinen genetischen Manipulationen einfach das Projekt seiner Vermenschlichung fortsetzt.“
Der „Diskurs der Apologeten der unendlichen technischen Entwicklung“ (Semprun) treibt uns sukzessive über den Rand hinaus. Alle wesentlichen, das humanistische Projekt kennzeichnenden Trennungen, Ideale und Einsichten werden dabei aufgehoben.

Die anonymen kollektiven Autoren von Sunzibingfa bringen dies auf den Punkt:

„Wenn es ein Wort gibt, das die laufenden technologischen Veränderungen beschreibt, dann ist es zweifellos das Adjektiv dual. Die Unterscheidung zwischen zivil und militärisch ist nicht neu. Neu ist allenfalls die Tatsache, dass sie nun für alles gilt. Die Digital- und Gentechnologien sind in dieser Hinsicht am sinnbildlichsten. Es ist nur allzu gut bekannt, dass jede auf den Markt gebrachte Telematik-Innovation – Internet, virtuelle und erweiterte Realität, GPS, 5G, Drohnen, Quantencomputer, Kryptografie usw. – in Militärlabors geboren und auf Kriegsschauplätzen getestet wurde.

Wenn aber die Wirtschaft, angetrieben von immer größeren und unkontrollierbareren technisch-industriellen Mitteln beginnt, einen Krieg gegen den Menschen als solchen (und gegen alles Lebendige) zu führen, hat ihre totale Mobilisierung zwei Begleiterscheinungen: Immer mehr Menschen werden in den Keller getrieben, und: die ‘unterirdischen Methoden’ dringen an die Oberfläche.
Die gemütliche Stube wird dabei immer wichtiger, nimmt eine immer größere Bedeutung an. Aber je höher der Turm der Übermenschen wächst, desto mehr dehnen sich auch seine Fundamente und Keller aus.
Die Verhältnisse dort oben und hier unten repräsentieren Welten, die nicht einmal zeitgenössisch zu sein scheinen; die oberen Postmenschen der techno-finanziellen Herrschaft, die sich buchstäblich als Teil einer anderen Spezies fühlen, entwickeln aus ihrem Klassenbewusstsein immer allmächtigere Pläne zur Manipulation der Welt, der Natur, der hier unten Lebenden, über die sie herrschen.“

Lesen Sie heute in DIE AKTION, wie Rudolph Bauer diese Ideologie ganz aktuell bei Klaus Schwab und dem WEF wieder findet – und sie mit dem begrifflichen und theoretischen Inventar von Karl Marx analysiert.

Rudolph Bauer präzisiert seinen Marx-Bezug in einer Email zum Erscheinen seines Essays heute noch einmal wie folgt:

„Keine Sorge: Die Wiederentdeckung des „Unvollendeten“ (Jürgen Neffe über Marx) beschränkt sich nicht auf das Abspulen von linkem Vokabular. Sie beinhaltet eine Kritik an überlebten sozialistischen Dogmen. Sie zeigt auf, dass Entfremdung heute im Rahmen der Pandemie-Maßnahmen auf neuer Stufenleiter eingeübt wird und gesamtgesellschaftliche Dimensionen angenommen hat. Sie interpretiert die Gegenwart – einschließlich des Krieges in der Ukraine – als Folge des kapitalistischen Verwertungs- und Krisenzyklus. Sie verbindet den handlungstheoretischen mit dem strukturtheoretischen Erklärungsansatz und zeigt auf, dass es zum angemessenen Verständnis der Verhältnisse keiner verschwörungstheoretischen Interpretationen bedarf. Angesichts der Verschlafenheit der Vermeintlichlinken und der Staatsbesoffenheit Lockdown-süchtiger Zero-Covid-Renegaten reaktiviert der Text Marx als Vordenker eines Weges der Rebellion, als Alternative zum transhumanen Abgrund.“

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