Angstapparat aus Kalkül

In den letzten Tagen zirkulierte erneut ein aufrüttelnder Text des Philosophen Michael Andrick aus dem Mai 2022 im Kreis meiner Freunde. Andrick befasst sich in ihm mit dem sog. „Faktencheck“ und legt dabei in knapper Form die repressive Diskursarchitektur der Republik offen.

Der Faktencheck ist das medienstrategische Analogon zum PCR-Test: so wie wir ohne Drostens „Goldstandard“ zum Nachweis der Infektion keine Pandemie gesehen hätten, würden wir ohne Faktencheck nicht glauben, in einem Land zu leben, das massiv von Neuen Rechten, Querdenkern, Reichsbürgern und Corona-Leugnern bedroht ist. Der Faktencheck ist das zentrale Werkzeug der wohl am perfektesten konzertierten Hetzkampagne seit Radikalenerlaß und Kommunistenhatz: eine Vermummung der wahren Machtverhältnisse, ähnlich wie der PCR-Test die tatsächliche Krankheit verschleiert, die unser Land befallen hat.

In meinem Beitrag „Die Chimären“ habe ich am 15. November 2022 unter dem Stichwort „Konformitätsprüfung“ bereits kurz auf Andricks brillianten Text verwiesen. Der knappe Essay fasziniert durch seine scharfe, demaskierende Begriffsverwendung: eine Klarheit, wie man sie in den letzten drei Jahren selten fand.

Der Stoff fesselte mich schon länger, war ich doch recht früh, sechs Jahre vor Corona anlässlich einer Otto-Brenner-Preis-Verleihung im edlen Pullman Hotel „Schweizerhof“ Berlin auf Correctiv, das Flagschiff der Faktenchecker, gestossen.

Allein das Monster von einem Firmennamen, der die Korrektur des Kollektivs zum Paten hat, mit anderen Worten die „Zurichtung des Menschen“(Stephan L. Chorover) zu seinem Ziel erklärt, machte mich schaudern.

Nicht dass ich der IG Metall größere Sensibilität bei der Auswahl ihrer Medien-Preis-Kandidaten zugetraut hätte. Aber als – ebenso wie Brenner – gebürtiger Hannoveraner, der seinen ersten Musik-Übungsraum 1980 im Keller der Otto-Brenner-Schule an der Lavesallee bezog und Brenners sozialistisches Bekenntnis ebenso teilte, wie seine radikale Einstellung gegen die Wiederbewaffnung, fühlte ich mich rückblickend auf die 2018er Auszeichnung gewissermaßen persönlich betrogen, weil aus Mitteln jener Gewerkschafts-Stiftung eine privatwirtschaftliche Propagandamaschine gefördert worden war. Dass uns „unter Corona“ nun derart unverhohlen ein reiner Vergatterungsapparat als gemeinnützige Aufklärung verkauft wurde, befremdete mich zutiefst. Doch 2014 ahnte ich noch längst nicht, zu was sich dieses verschlagene Konstrukt („Recherchen für die Gesellschaft“) einmal auswachsen könne.

Wir haben hier im Blog ab Maßnahmen-Beginn mehrfach zu dem Thema Auslegung von Statistik, Datenanalyse, Fakten und ihre politische Bewertung publiziert: so im September 2021 mit dem Beitrag „Generation Korrektiv„.

Wir waren gewarnt, denn ein gutes Jahr vor dem Correctiv-Artikel hatte – nach einem halben Jahr Pandemie unter Einschließungs-Bedingungen – am 10. Oktober 2020 Julien Coupat in seinem Text „Wir haben gesehen“ in DIE AKTION geschrieben:

„Wir haben gesehen, wie die Unmöglichkeit, zwischen Wahrheit und Unwahrheit zu unterscheiden, … uns zu einer verfügbaren Masse macht, und wir haben gesehen, wie jede möglicherweise beweisbare Information im Laufe des Tages mit einer anderen, nicht weniger unwahrscheinlichen Information systematisch widerlegt wird, was zeigt, dass es ausreicht, einen gewissen Nebel um alle Fakten herum zu erzeugen, mit Hilfe dessen die Herrschenden ihr Monopol befestigen, um uns den Boden unter den Füßen wegzuziehen.“

Das alles zusammen war mir Grund genug, die Langfassung des Andrick-Textes, der hinter der Bezahlschranke des „Freitag“ verschwunden ist, hier in DIE AKTION als Essay Nummer 37 noch einmal zur Debatte zu stellen.

Bei der Gelegenheit fragte ich Andrick, der derzeit (nach seinem Erfolg „Erfolgsleere„) einen Essay über moralische und politische Entfremdung schreibt, ob er das Thema Faktencheck noch weiter verfolgt habe?

Insbesondere wollte ich wissen, zu welchem höheren Zweck seines Erachtens durch die „Faktenchecker“ und andere Korrekturagenturen wie die frisch politisierten Landesmedienanstalten der „gesellschaftliche Austausch auf den von organisierten Gruppen gewünschten Meinungs- und Faktenkorridor eingeschränkt“ werden solle?

Was ist der innere Antrieb dieses dezentralen Wahrheitsministeriumsnetzwerkes der Faktenchecker?

Mich interessierte das „Warum?“, das im Text zwar ansatzweise für die Profiteure, nicht aber für ihre Handlanger, die zumeist sehr jungen Faktenchecker, beantwortet wird. Welchen langfristigen Sinn hat die „Ruhe“, von der Andrick spricht, wenn er sagt: „Ein pluralistischer Diskurs wird durch strukturelle Einschüchterung sabotiert und so weit möglich unterdrückt. Die Aufklärung soll suspendiert werden, damit die Profiteure des Status Quo ihre Ruhe haben.„?

Andricks Antwort, die ich aus unserer Korrespondenz zitiere, ist naheliegend und einfach:

Wir haben 40 Jahre Einkommens- und Vermögenskonzentration hinter uns, Umverteilung von unten nach oben, zuletzt noch einmal massiv „geboostert“.

Dieses Geld kauft sich alles, um sich noch weiter mehren und konzentrieren zu können. Seine Besitzer streben eine technokratische Diktatur in ihrem Sinne, aber natürlich im Namen des Guten, Rechten, Schönen, Wahren, Nützlichen an. Das gehäufte Geld will „Global Governance“, wie UNO, EU, WEF und ihre „Studenten“ in den Länderregierungen es ausdrücken, keineswegs Demokratie.

Die Besitzer und Sachwalter des Geldes müssen dabei vor allem verhindern, dass die Tatsache, dass es sich alles kauft, benannt wird, und dass die von ihm bereits korrumpierten Institutionen als korrupt entblößt und ihre korrupten Handlungen beim Namen genannt werden. Das ist die Sachlogik einer profitorientierten Ordnung, in diesem Sinne nichts Skandalöses, sondern ganz erwartbar.

Um das ungestörte weitere Voranschreiten der Umverteilung zu sichern, wird von den Faktencheckern nicht nur jede Form von Kritik abgewehrt. Doch ihr Bannstrahl trifft nicht nur die Gedanken. Ihre Urheber werden gleich mit neutralisiert: die Kritiker beargwöhnen sie als „Spinner“ und „Wirrköpfe“. Das Volk soll intensiv fremdeln, wenn es auf abweichende Meinungen trifft. Wer sie äußert, soll als Feind des Systems und unser aller Sicherheit gelten. So entsteht ein Angstapparat aus Kalkül*. Er ist Teil der Sachlogik, die Andrick schlicht auf den Punkt bringt.

Diejenigen, die den Angst(mach)apparat handwerklich umsetzen, kalkulieren offenkundig nicht zu ihren eigenen Gunsten. Das ist ein verblüffender Mechanismus, der aber nicht unbekannt ist: In den USA etwas wählen die am wenigsten Begüterten und am stärksten vom System Gestressten die Republikaner, die Partei der Reichen, die das System betreibt und in immer neue Exzesse der Ungleichheit hinein treibt.

Mit welcher Karriere-Idee, so möchte man fragen, klinkt sich ein junger „Checker“ in dieses System ein? Er selbst scheint ja – über den Lohn für seine Schreiberei hinaus – nicht unmittelbar zu profitieren. Dennoch verrät er mutwillig, geradezu begeistert, noch dazu „für billig“ die Ideale der Aufklärung.

Das scheinbar widersinnige Arbeiten gegen die eigenen Interessen ist für mich, der ich altersbedingt noch von Universitäts-Lehrern der 68er Kultur trainiert wurde, aufmerksam, wenn nicht mit Argwohn das Treiben von Parteien, Lobbygruppen, Funktionären und Berufspolitikern mit Regierungsämtern zu beobachten, immer wieder ein Rätsel.

Müssen wir deswegen vielleicht auf einen dunklen kollektiven Charakterzug schließen, auf eine Form der „Pathologie der Normalität“ (Erich Fromm), ähnlich jener Orwellschen Verkehrung, wie sie im Begriff des Wahrheitsministerium gebündelt ist? Oder ist die Theorie des massenweisen, gedankenlosen Konformismus der Industriegesellschaft, wie Andrick sie in Erfolgsleere darlegt, ein Verständnisschlüssel für dieses Verhalten?

Ist die zwangsweise Unterwerfung unter den kritiklosen Konformismus, die bedingungslose Angepasstheit eine neue Grundhaltung? Müssen wir uns darauf einstellen, dass die offen repressive Diskursarchitektur, die Andrick darstellt, unser Alltag wird oder können wir das Ruder noch herum reißen? Zurück auf die handwerkliche Ebene: können wir den Angstapparat wieder ausschalten oder wird er nun dauerhaft auf Hochtouren laufen, mit wechselnden existenziellen Themen (Krieg, Klima, Gesundheit)?

Andrick hat mit „Die Fakten und ihre Checker“ die Diskussion eröffnet.

Wir danken dem Freitag und dem Autor für die Veröffentlichungserlaubnis.

* Angstapparat aus Kalkül“ ist ein Zitat, entwendet aus „Effi Briest“, das Fassbinder ins Zentrum seiner Fontane-Verfilmung gestellt hat. Der Untertitel des Films lautet ganz passend: „Viele, die eine Ahnung haben von ihren Möglichkeiten und ihren Bedürfnissen und trotzdem das herrschende System in ihrem Kopf akzeptieren durch ihre Taten und es somit festigen und durchaus bestätigen.“

4 Antworten auf „Angstapparat aus Kalkül“

  1. Ich stimme zu. Erwähne aber hier ausdrücklich: Bernhard-Henry Lèvy „Gefährliche Reinheit“, Passagen Verlag (1995) und stelle die Frage: Leben wir in Zeiten des Integrismus?

  2. Der Autor gibt sich jedenfalls viel Mühe Information über Desinformation aufzuzeigen. Aber kann sich darin nicht die auch die schlechte Absicht zu verwirren verbergen? So bleibt es eine relative Tatsache, ich war ja nicht dabei. . War ich bei der Mondlandung dabei? Eines ist aber sicher: wäre ein Deutscher dabei gewesen hätten wir ein “Amt für Mondfragen“.

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