Der Wald brennt. Die Oder stirbt. Die Felder um Berlin stinken. Windhosen legen gesunde Baumriesen nieder. „Klima-depressive“ Experten geben uns fünf, maximal zehn „gute Jahre“. Trotzdem setzt die Bundesregierung ihre ohnehin lächerlichen Klimaziele aus, um Krieg zu führen und den Waffenkonzernen 100 Milliarden € in den Allerwertesten zu blasen: Koks für unsere endgültig übergeschnappte Kultur. Die Aasgeier mit den Teuerungszulagen haben ganz klar gewonnen.
Elf Jahre
Abends, wenn nach Einbruch der Dunkelheit die Hitze langsam unter 30 Grad fällt, gehe ich zum Briefkasten. Hier auf dem Land sind das gute 500 Meter, denn die Kästen stehen nicht am Haus, sondern an der Bundesstrasse. Auf dem Weg durchquere ich das Vogelschutzgebiet, das bis an die Grenze der Wohnbebauung geht.
2011 bin ich ins UNESCO Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe gezogen, weil ich die Großstadt nach über dreissig Jahren im Zentrum von Berlin unerträglich fand. Der Umzug brachte Erleichterung, denn es war hier schön abgeschieden vom Wahnsinn der Metropole, schön ruhig – außer wenn gerade mal wieder ein Starfighter von Rostock her in 50 Meter Höhe über das Vogelschutzgebiet flog, um vor Monatsende das Kerosin zu verballern. Die Piloten, denen wir vom Hof aus ins Gesicht schauen können, wenden dazu ihre Maschinen über den im Kiefernwald auf der anderen Flußseite stehenden Atommüllbehältern von Gorleben und jagen zurück an die Ostseeküste. Zum Glück fallen die Dinger nicht mehr ständig vom Himmel, wie noch zu Franz-Josef Strauß´ Zeiten.
Bei uns am ehemaligen Todesstreifen, hinterm ehemaligen antifaschistischen Schutzwall jedenfalls sieht es oberflächlich betrachtet – derzeit noch – einigermaßen prima aus. Aber wer etwas genauer hinsieht, erkennt: nichts ist in Ordnung.
Traurige Tropen?
Ein Nachbar, aus Ostpreußen 1947 in die fast menschenleere Prignitz gekommen, sagte einmal über die Jahre vor der Wende: „Früher lebten wir am Arsch der Welt. Heute liegen wir im Herzen Europas.“ Es war 2011 kein besonderes Privileg, weitab der Hauptstadt ins äußerste West-Brandenburg zu ziehen, sondern die Entscheidung für den mit Abstand günstigsten Wohnort in Deutschland – vielleicht einmal von einem verschlafenen Tal in Thüringen abgesehen, in dem sich Massen von 88er Spassvögeln an der gleichnamigen (und somit „national befreiten“) Bundesstrasse zusammengerottet und damit heftig zum Preisverfall der Wohnimmobilien beigetragen hatten.
2011 sprangen mir auf dem Weg zum Briefkasten Frösche aller Größen vor den Füßen herum.
Bei einer nachbarschaftlich organisierten Hilfsaktion (Frösche über die Bundesstrasse tragen, damit sie nicht überfahren werden) wurden einmal 14.000 Tiere an einem langen Abend gezählt. Hunderte von schwarzen 10-Liter-Baueimern voll. Es gab hier sogar Laubfrösche, die bellend auf den Bäumen hockten und unser Lachen zu imitieren schienen, wenn wir draußen noch ein Bier tranken.
Zu den Fröschen kamen Teichmolche, Schwärzlinge der Ringelnatter, Kreuzottern. In Sichtweite gab es einen Seeadlerhorst. Überall lag Obst auf der Wiese, sogenanntes Streuobst und Insekten schwirrten, Vögel pickten, Nagetiere schmatzten in der Dämmerung. Der Besitzer von Ostmost, der in unserer Region die Zutaten für seine Säfte erntet, sagte einmal: „Streuobstwiesen sind der deutsche Regenwald“. Kein Wunder, dass sieben Bundesländer entschieden, die bevorzugte Lage zum Nationalen Naturmonument zu erheben, um es auf Generationen zu schützen.
Aber vor wem? Wer würde ernsthaft den nördlichsten Regenwald mit seinem Artenreichtum zerstören wollen?
Dürre
Nach drei feuchten Jahren und einem Jahrhunderthochwasser kam die Dürre. Mit der Dürre kamen Stürme. Zeitgleich oder im Zusammenhang damit – die Natur ist komplex und schwer durchschaubar – Eichenprozessionsspinner. Was nicht kahl gefressen wurde und abstarb, wurde vom Wind umgelegt.
Im Kampf gegen den Eichenprozessionsspinner wurde massiv das Biozid Dipel ES gespritzt, das bedeutet, es wurden toxische Organismen mit dem schönen Namen „Bacillus thuringiensis“, Thüringer Bazillen, in den Kreislauf eingebracht. Da Eichen auch am Deich stehen, wurden die vorgeschriebenen Abstandswerte unterschritten, die zu Gewässern eingehalten werden müssen. Trotz anderslautender Behauptungen in den Broschüren war eindeutig zu sehen: Insekten aller Art verschwanden, Bienenvölker mickerten plötzlich. Die Laubfrösche verschwanden. Sie sind sicher nicht direkt an der thüringer Bazille gestorben, aber ihr Futter war tot. Dürre förderte zudem Pilzerkrankungen. Tödlich für Frösche mit ihrer sensiblen Haut.
An dieser Stelle könnte man zynisch sagen: Etcetera pp. Wir sollten, wir könnten die Geschichte kennen.
Nicht nur kennen. Man kann den Wandel sehen und fühlen. Noch eine Hitzewelle, noch zwei Windhosen wie die in der vergangenen Woche, vielleicht noch fünf – und hier ist alles kahl, öde, staubig, leer.
Es ist die Realität hinter dem, was man oft nur abstrakt und daher noch schwer vorstellbar „Komplexität“ nennt: Folgen des industriellen Eingriffs in die Natur. Auf UNESCO-geschützten Flächen, wo der Naturschutzbehörde auf ihre Anzeige hin richterlich beschieden wird, der Einsatz von Glyphosat, mit dem der Bauer einige Maschinenstunden spart, weil sich toter Acker leichter pflügen lässt, sei „gute landwirtschaftliche Praxis“. Ein entsprechende Prozeß wurde „wegen Nichtigkeit“ niedergeschlagen. Auf UNESCO-geschützten Flächen wird auch mit Neonictinoiden gebeiztes Mais-Saatgut gepflanzt, weil die Forderung der Naturschutzbehörde, keine Gaskanonen zum Vergrämen der Vögel einzusetzen, im Ergebnis dazu führte, dass jetzt alle Mais pflanzen, weil die Vögel da nicht rangehen und weil man es hinterher schön in die Biogasanlage stecken kann, der mit Abstand ineffizientesten Maschine zum Herstellen von Energie.
Gift
Mehrere Tage lang interviewte ich im Jahr 2017 Randolf Menzel, einen der weltweit führenden Experten zum Thema Bienengehirn, denn ich wollte verstehen, woran die Bienen sterben. Auch hier war das Ergebnis: die Broschürenbehauptung, Neonicotinoid töte direkt keine Bienen, ist eingeschränkt richtig. Die Bienen erhalten beim Aufnehmen des Giftstaubes, von dem der Bauer Parkinson bekommt, einen Nervenschaden und finden ihren Weg nicht mehr. Sie sterben nicht an der Vergiftung, sondern verhungern wegen Desorientierung.
Die Parkison-Hirnschaden-Kombi stecken wir uns dann in den Tank, wodurch die Reichweite unserer – zumindest meines Autos um genau 5% abnimmt (E10 zu E5).
Erschreckender jedoch am Menzel-Interview war eine Anekdote, die ich heute, mit Blick auf die Oder-Katastrophe, noch einmal anders höre: als junger Mann hatte Menzel bei BASF hospitiert. Er bekam mit, dass die zuständigen Mitarbeiter der Wassergütemessstelle die „Kollegen“ beim Konzern anriefen, bevor das Boot ausfuhr. Dann wurden die Kanäle, durch die in den Rhein eingeleitet wurde, dicht gemacht. Alles floß in große Auffangbehälter für einige Tage. Die Werte im Fluß waren dann gut – bis das Boot vorbei war.
Menzel war entsetzt, dass alle das wußten, keiner etwas dagegen unternahm.
Zurück zur Dürre. Vor unseren Augen findet der Klimawandel statt. Aber das ist kein „Naturgesetz“.
Die Anzahl von Allee- und Auenwaldbäumen, die vor meiner Tür in den letzten acht Jahren verloren gegangen ist, benötigt ein massives Aufforstungsprogramm und 100 Jahre Zeit, um den Zustand von 2011 wieder zu erreichen. Unnötig zu sagen: ein Aufforstungsprogramm, das es natürlich nicht gibt.
Der Eindruck drängt sich mir auf, dass, je mehr kahlgefegte Flächen entstehen, der Sturm an Heftigkeit zunimmt.
Menzel sagte eine Zahl, die ich mir heute erst plastisch vorstellen kann: seit 1980 haben wir 80% der Biomasse verloren. Wo – um eine fiktive Zahl zu nennen – früher 1000 Kilo Grashüpfer, Hummeln, Schmetterlinge, Käfer, Schwebfliegen, Mücken auf einen Quadratkilometer vorkamen, sind es heute noch 200 Kilo. Das Beispiel mit der verklebten Winschutzscheibe in den 80ern ist bekannt. Heute ist alles schön sauber selbst nach langer Fahrt. Bald wird das Land insektenfrei sein.
Wen kratzt das? Können wir nicht künstlich bestäuben? Honig, wie Jean-Marc Reiser schon in den 80ern in einem seiner legendären Comics vorschlug, aus pürierten Nacktschnecken und Zucker herstellen? Die Kleinen, die keinen echten Honig kennen, schlabbern es weg!
Können sich die Bestände erholen, habe ich Menzel vor fünf Jahren gefragt. Ja, sagte er, das ist theoretisch denkbar, aber nicht für alle Arten. Viele sind zu schwer geschädigt, um wieder eine vitale Population aufbauen zu können. Und wer bitteschön, fragte nun Menzel zurück, würde denn ein sofortiges und vollständiges Verbot für alle Produkte mit Glyphosat- und Neonictonoid-ähnlicher Wirkung durchsetzen? Wollen wir dem Bauern seine Schadinsekten-bedingten Ausfälle bezahlen?
Also nein, keine Erholung möglich? Nein, antwortete Menzel.
Wir haben diese Bestände endgültig verloren.
UFO
Als ich gestern wieder einmal im Dunkeln zum Briefkasten wanderte, war ein UFO gelandet: taghell leuchtete es von der anderen Seite der Bundesstrasse. Mitten im Vogelschutzgebiet ist es gelandet. 200 Meter Kantenlänge, rundum in schneeweiße Folie gekleidet, wohl 10 oder 12 Meter hoch, mitten in der Nacht taghell beleuchtet, so dass man es vom Orbit aus lokalisieren könnte. Das UFO ist der neue Stall des lokalen Energiebauern. Energiebauern pflanzen Energiepflanzen auf Flächen, die besser der Herstellung von Nahrungsmitteln dienen sollten. Energiebauern nennt man Unternehmer, die ihre Kühe im Wesentlichen zum Scheißen benötigen. Um mit dem Kot eine (politisch wie funktional) aufgeblähte Energieanlage zu füttern. Deren Energie zu 60% im Prozeß verloren geht.
60%? Ist das nicht mehr als die Hälfte? Ich muss mal meinen alten Mathematiklehrer anrufen. Der kann noch Kopfrechnen.
Weil das Ganze so wahnsinnig wenig lohnt, schüttet die Regierung dafür Fördermittel in Quantitäten aus und behauptet (wo bleibt der Fakten-Check?), die Sache sei so grün wie die geschwollenen Dächer der Gärbehälter. Dunkelgrün. Die Farbe der Stunde. Fast schon schwarz.
Das UFO zumindest leuchtet schön knallhell. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die mühselig erzeugte Energie, die ohnehin verlustfrei nur ein paar Kilometer weit zu transportieren ist, hier gleich an Ort und Stelle komplett vernichtet wird, bevor sie ganz verloren geht.
Meine Beschreibung hört sich so an, als wäre ich „pro“ Kernenergie. Nein. Aber deswegen ist Maisvergärung trotzdem kein Ausweg aus der Klimakrise. Es ist eben etwas komplexer.
Übrigens: die Störche kommen nicht mehr. Hier, in Deutschlands „Storchenland“ waren sie mal ein bedeutender „Tourismusfaktor“.
Warum kommen die Adebare nicht? Wissen die etwa, dass die Frösche tot sind?
Nein. Auch das ist etwas komplexer.
Der Energiebauer hat – sagen wir – 1000 Tiere im Stall stehen. Sogenannte Großvieheinheiten. Es gibt auch größere Anlagen. Drum herum hat er tausende Hektar Land, die er als Nachweisfläche benötigt gegenüber Ministerium und EU. Tiere dürfen da nicht frei drauf laufen. Sie stehen im UFO. Ein autonomer Roboter schiebt ihre Kacke zusammen. Dann kommt sie entweder in den Gärbehälter oder direkt raus aufs Feld. „Mama es stinkt, wir sind zu Hause“ war mal ein erfolgreicher, viral gehender Film, der diesen Zusammenhang treffend-ironisch erläuterte.
Die Gärreste werden im Feld ausgebracht und untergeackert. Nicht immer sofort, wie es der Gesetzgeber gern sähe. Da ist dem Energiebauern, der übrigens rein aus Kostengründen hauptsächlich Bulgaren beschäftigt, wohl etwas anderes dazwischengekommen. Gärreste stinken besonders stark. Am meisten stinken sie, wenn sie das ganze Wochenende lang in der glühenden Sonne gelegen haben.
Stört das etwa die Störche und bleiben sie deswegen weg? Weil sie sich bei der Futtersuche nicht die Füße schmutzig machen wollen?
Nein, nicht ganz genau. Aber so ähnlich.
Seuchen
1000 Tiere in einem Stall – da gibt es erhebliche Infektionslast. Erhebliche Ansteckungsgefahr. Erhebliche Krankheiten.
Irgendwo hat doch jeder von uns schon mal gelesen, dass in gewissen ländlichen Regionen in den Arztpraxen die Bauern und Bauernkinder in einem von den übrigen Bewohnern getrennten Warteraum sitzen müssen? Oder? Nie gehört? Nie gefragt, warum wohl?
In der Massentierhaltung jedenfalls werden wegen der ganzen Seuchen alle Tiere prophylaktisch medikamentiert. Immer rein mit dem Gift. Wurmkur.
Würmer sind Parasiten und woran sie sterben, sterben auch Insekten.
Wenn ihre Scheiße, die man Gülle nennt, wenn sie mit Wasser versetzt zum Sprühen aufbereitet ist, aufs Feld rausbringt, ist sie pharmakologisch verseucht.
Früher waren große Rinderherden die bevorzugten Verweilplätze für Storche. Wenn die Kuh auf die Wiese kackte, kamen Fliegen und legten ihre Eier, Käfer kamen und zersetzen die Fladen und die Wiese wurde gedüngt und wuchs prächtig und die Storche hatten unendlich viel Futter (Biomasse) für die Aufzucht der Brut. Die „Grützköpfe“ (Jungstörche) essen nämlich zunächst gar keine Frösche.
Heute tötet die Gülle alle Insekten und unter dem Giftbrühe verbrennt das Gras, denn der verdünnte Kot wird nun nicht mehr biologisch abgebaut und erstickt die Wiese.
Wenn ich hier auf dem Land das Wort „Gülle“ öffentlich in den Mund nehme, ruft mich die zuständige Vertreterin der Bauernschaft auf meinem Handy an und sagt mir, ich solle mal die Füsse stillhalten. Sie fragt allen Ernstes, warum wir Städter eigentlich aufs Land ziehen? Um uns zu beschweren, dass es dort stinkt? Die gute Frau scheint den Unterschied zwischen dem Geruch von Mist und Gülle nicht zu kennen.
Im Gegenzug wäre eher zu fragen, warum eigentlich Menschen, die ihr Einkommen aus und mit der Natur verdienen, mit solcher Todesverachtung gegen alles Lebendige vorgehen? Mit solcher Ignoranz. Wer einmal einige Stunden, ja Tage lang Traktoren beoabachtet, die mit Vollgas von der Strasse aus ins Feld brettern und in hohem Bogen Jauche versprühen, der versteht, was ich mit „Haß auf die Scholle“ meine.
Aber vielleicht ist der Energiebauer in der klimatisierten, schallisolierten, vollvernetzten Kabine seines Traktors, die er den ganzen Tag nicht verlässt, dermaßen von seiner Umwelt entkoppelt, dass ihm alles „da draußen“ wie eine Videolandschaft vorkommt, die es einkommensgerecht zu verändern, letztlich zu besiegen gilt. So wäre der bäuerliche Krieg gegen die Natur eine mit Chemiewaffen geführte Folge seiner Depravation, eine Art Kabinen-Koller.
Soll ich noch weitererzählen?
Na gut, einen noch.
Drone
Viel Geld verdient der Bauer mit Flächennachweisen. Mit Subventionen für Flächen. Die Flächen werden von einer staatlichen Drone ausgemessen. Kurz bevor die Drone fliegt und die Zuwendungen errechnet werden, fährt der Bauer mit dem Gestrüppmähbalken und häckselt den ohnehin kärglichen Feldrain-Bewuchs ab. Metzelt alle Vogelnester nieder. Wohlgemerkt: im Vogelschutzgebiet des UNESCO-Biosphärenreservates.
Der Bauer ist ein „rechtlich privelegierter“ Unternehmer, mit Sonderbaurechten in Schutzzonen, Sonderweiderechten und der Erlaubnis, die Wiese mit den Bodenbrütern Ende Mai, also während der Nistzeit, abzusemmeln und hinterher mit einem Riesensauger, der passenderweise „Gama Super Claas Jaguar Feldhäcksler“ heisst, die zerhackten Tierchen zusammen mit der Wiese einzusaugen. Eigentlich darf er erst nach der Lerchenbrutzeit mähen, aber, Sie wissen schon, da ist das Wetter schlechter oder etwas anderes liegt an und wenn einer herginge und sich beschwerte, weil er Lerchenschützer ist, greift wieder die Nichtigkeit.
Überhaupt, fahren Sie in ihrem Auto etwa Sprit, der zu 10% mit Lerchen versetzt ist?
Man muss auch mal die Kirche im Dorf lassen.
Und der Jaguar fährt.
Millionen Tote?
Na gut, einen letzten noch. Aber der hat nichts, rein gar nichts mit Industrieller Landwirtschaft zu tun. Deswegen hat den Zusammenhang seit Simone Weils Zeiten auch niemand untersucht.
Im Jahr Null ante Corona gab es einen kurzzeitig vielbeachteten und heute wahrscheinlich schon wieder vergessenen Artikel, den ich aus diesem Grund gern in Erinnerung rufen möchte.
Der Autor des Artikels heisst Rob Wallace. Es gibt auf deutsch ein höchst interessantes Interview unter dem Titel „Coronavirus: Die Agrarindustrie würde Millionen Tote riskieren.“ In dem Interview stellt Wallace einen Zusammenhang her zwischen industrieller Landwirtschaft, fehlendem Bremseffekt für die Viren-Ausbreitung durch mangelnde Artenvielfalt und rasanter Zunahme von Infekt-Krankheiten. In seinem Buch „Big Farms Make Big Flu: Dispatches on Infectious Disease, Agribusiness, and the Nature of Science“ belegt er umfangreich, wie Epidemien zustandekommen: durch die Art, wie wir unsere Nahrung erzeugen.
All das habe ich schon einmal in „Der Brunner-Affekt“ geschrieben. Immerhin wurde der Text 140 mal kommentiert und mir zum Schluß ein Toast ausgebracht: „Ein desinfizierendes Mittagsschnäpschen auf Sie und Ihren hervorragenden Appell.„
Aber der gute Nachgeschmack verging schnell und so musste ich es heute noch einmal erzählen und zwar:
Angesichts der Oder-Katastrophe.
Angesichts zunehmender Waldbrände.
Angesichts steigender Zahlen von multiplen Infektionkrankheiten.
Angesichts der Diffamierung von Naturschützern als „Extremisten„.
Angesichts der Wiederzulassung von Glyphosat unter anderem Markennamen.
Angesichts der signifikanten Störungen der Darmflora durch viszeralem Botulismus in glyhosatverseuchten Gebieten, sprich überall auf dem Lande, wo sich im Brunnenwasser eine Gülle-induzierte Keimlast von 10 hoch n über dem Grenzwert nachweisen lässt.
Angesichts der Neubestimmung der letalen Dosen für Honigbiene und Mensch.
Weitermachen
Eigentlich müsste – erstmals seit 50 Jahren – ein Dichter wegen unhaltbarer Behauptungen ein Gedicht zurücknehmen. Wenn er noch leben würde, sollte Rolf Dieter Brinkmann zumindest teilweise widerrufen, was er in „Westwärts“ schrieb.
Richtig ist: Die Geschichtenerzähler machen weiter, die Autoindustrie macht weiter, die Arbeiter machen weiter, die Regierungen machen weiter, die Preise machen weiter.
Falsch aber ist Brinkmanns Zeile: die Tiere und Bäume machen weiter.
Sie machen nicht weiter.
Doch die Aasgeier des Kapitals setzen darauf, dass wir nichts unternehmen.
Lieber Olaf! Das ist das beste und zutreffendste, was ich je von Dir gelesen habe, völlig aktuell und nachvollziehbar. Super
Ich hörte mal, gegen die Agrarlobby ist selbst die Autolobby nur ein zahmer Tiger. Nun fehlt noch der positive Ausblick oder hat sich wirklich alles Leben auf Erden bis 2040 erschöpft weil alle Rssourcen verbraucht sind?
Liee Grüße von Winfried.
Ich finde die kompakte Zusammenstellung der einzelnen Fakten so erschreckend, obwohl das meiste ja eigentlich bekannt sein sollte, dass einem die ‚Lust an Zukunft’ eigentlich vergehen könnte! Aber Du hast ja so Recht! Vieles habe ich genauso wie Du erleben können in den letzten Jahren. Wo sind die grünen Frösche, die immer in Mengen auf den roten Rosen saßen, geblieben? Nur ein Beispiel. Und die harten Schwämme, mit denen man schon nach kurzer Autofahrt , vor allem nachts im Sommer , die Windschutzscheibe abkratzen musste, sind aus den Regalen der Tankstellen verschwunden, früher ein absolut notwendiges Utensil.
Ich habe soeben Deinen grandiosen Beitrag gelesen. Sehr sehr gut!!! Ich denke, er wird – ähnlich wie bei Mathias Bröckers, von dem ich in diesen Zeiten der Kriegstreiberei jede Folge seines Blog mit Neugier erwarte – Teil einer größeren Erzählung werden.
Du liebe Güte Olaf, es ist alles so wahr, dass mir übel wird ob der Kompaktheit Deiner Gedanken.
Fragt sich, wie lange halten wir das noch aus in unserer Natur natürlich leben zu wollen…können!
Das war ein richtiger Beitrag zur richtigen Zeit.
Manu
Ein gewaltiger Text.
Mit Dank allein ist er nicht abgegolten.
Dennoch: Erst mal Dank.
Rudolph
Best Olaf, auch für Ausländer ganz gut lesbarer Text! 😉 In D gibt es wenigstens kein Stickstoffproblem.
Die Niederlande werden zurzeit platgelegt durch Terror von den Bauern. Minister werden privat besucht durch die militante ‚Farmers Defence Force‘ und eingeschüchtert, Flughäfen und Autobahnen blockiert, die NL Fahne auf dem Kopf gehängt, Judensterne getragen; man hat ja das recht zu demonstrieren? Antivaccin Gegner sind jetzt alle pro-Bauer.
Obwohl unsere Agrarindustrie verantwortlich ist fuer 60% des Ausstosses an Ammoniak und Nitraat, wollen die mit EU subventionierten Agrarmilionäre nicht umrüsten. Argument: ohne uns hat NL nichts zu essen. Fakt: Neben 3,5 Millionen Kühen haben wir hier auch etwa dreimal so viele Schweine: mehr als 11 Millionen. Die Niederlande sind der größte Fleischexporteur der EU. Das bevölkerungsreichste Land der EU exportiert 3,6 Milliarden Kilo Fleisch, das mehr als 10 Milliarden einbringt. Also etwas von 3 € das Kilo. Hier gibt es auch 100 Millionen Hühner. Plus 850.000 Schafe und 500.000 Ziegen. Endergebnis: biodiversität in NL <15 %
Was machen wir mit der Scheiße und Pisse all dieser Tiere? Wir machen ein Amalgam daraus und dem Dampf davon
stellen wir den Niederländern kostenlos zur Verfügung. Und somit wird NL das Stickstoffreichstes Land der Welt.
Lieber Olaf,
da legst Du den Finger in die Wunde. Sehr gut, sehr anschaulich, kompakt.
Nach Deiner früheren Erzählung zu dem Eichenprozessionsspinner (vor dem an der Bundesstraße immer noch gewarnt wird) fragten wir uns schön länger, ob denn der Laubfrosch wieder kommt.
Umso betrübter bin ich nach Deiner beeindruckend kompakten Bestandsaufnahme, welche sich leider mit unseren eigenen Erfahrungen und Beobachtungen vielerorts deckt.
Maisfelder waren in meiner Kindheit eher selten in diesen Breitengraden. Die Stadt ist oft reicher an Vogelarten als manches Landgebiet.
Das System krankt in allen Bereichen am Versuch zentraler Lösungen ohne Rücksicht auf regionale Besonderheit/Gegebenheit.
Energie, Landwirtschaft, Umweltschutz, Versorgung, Umweltbewegungen funktionieren schlechter je zentraler organisiert wird. Gute und richtige Grundgedanken und Ziele pervertieren ins Gegenteil und bescheren uns derzeit ein wahrlich absurdes Polittheater mit jetzt schon unfassbaren Folgen.
Bin seit zwanzig Jahren klimadepressiv – ich war immer ziemlich sicher, dass wir keine Chance haben, die Naturwelt wieder heil zu kriegen. Habe eine Weile versucht, einen Beitrag dazu zu leisten. Lange her habe ich aber damit aufgegeben. Es hat keinen Sinn mehr. Es ist klar, dass niemand es vor hat irgendwas ernsthaftes zu unternehmen. Danke für deinen Artikel – wunderschön geschrieben, fasst er so viele, gut recherchierten, Fakten zusammen, und bestätigt was ich geglaubt habe (und liefert noch mehr Gründe um die Hoffnung endgültig aufzugeben). Es ist einfach vorbei.
Hagen Graf schreibt: Ein beeindruckender Text!
https://twitter.com/hagengraf/status/1561294936301047808
retweets: https://twitter.com/hagengraf/status/1561294936301047808/retweets/with_comments
Lesertipp: „Time is Up!“ – Mark Benecke im EU-Parlament: sehr eindrucksvoll!
https://www.youtube.com/watch?v=Z_p9yYXZuCI
Ein sehr eindrücklicher und wortgewaltiger Text. Vielen Dank.
Bestätigt im Grunde, was ich von »echten« Umweltschützern zu hören bekomme: Die auf Agribusiness umgesattelte Landwirtschaft quetscht die Natur aus wie eine Zitrone. Die Beschreibung des Landwirtes im Traktor entspricht auch nicht dem idyllischen Ackersmann aus naturpoetischen Schilderungen …
Eine Freundin, die auf einem Bauernhof aufgewachsen ist und den Übergang zur industriellen Landwirtschaft mitbekommen hat (samt Vernichtung der kleinbäuerlichen Lebensgrundlagen), konnte mir auch die Sicht der Bauern schildern: Politik und Wirtschaft haben ihnen vor ca. 50 Jahren den Schritt hin zum Agribusiness als TINA (There is no alternative) hingestellt. Die Produktionsanlagen wurden für viel Geld umgerüstet, was nicht von heute auf morgen zurückgenommen werden kann, ohne die Lebensgrundlage der Bauern zu vernichten.
Die kapitalistische Landwirtschaft erlaubt einerseits keine Missernte, was den Einsatz der entsprechenden Mittel forciert. Andererseits sind die Arbeitskosten so hoch und die Subventionen so schmackhaft, dass ein Umstieg auf verträglichere Anbauformen »sich nicht rechnet« und auch keine Alternative für die Bauern darstellt. Darüber weiter nachzudenken, gibt Ihr Text Anlass genug.
Die Linken, die Ressourcen und die Natur als einen austauschbaren Produktionsfaktor betrachten, sind ebenso blind wie die Grünen, die alles auf CO2 schieben und gleichzeitig den CO2-Ausstoß mit jedem geförderten Panzerbau in schwindelerregende Höhen treiben.
Diejenigen, die kritisch zu den Corona-Maßnahmen stehen, schütten teilweise das Kind mit dem Bade aus, indem sie sämtliche Umweltmodellierer in dieselbe Schublade stecken wie die Infektionsmodellierer und in einem anarcho-libertären Rundumschlag am liebsten alles durchprivatisieren wollen, weil sie den Staat so zu hassen gelernt haben (ich habe mich in einigen schlimmen Momenten auch bei diesem Gedanken ertappt).
Ja, so sieht es wohl aus. Komme gerade aus Frankreich, aus dem Zugfenster nur braungelbe Felder. Und über die Loire könnte man laufen.
Wenn wir nicht wollen, dass unsere Generation auch nur noch der Anfang einer verschwindenden Biomasse ist, muss jeder seinen Fußabdruck halbieren: Komfortverzicht, Konsumverzicht, massive Änderung von Lebensgewohnheiten. Und wie schwer das ist! Aber das ist in der Masse wirksamer, als immer nur auf die Lobbyisten zu schimpfen. Das eigentliche Übel sind die billigen (Junk-) Lebensmittel; die können wir uns nicht mehr leisten.
Im Paradigmenwechsel des Ukrainekrieges setzt die Landwirtschaftspolitik übrigens schnell wieder auf „Lebensmittelsicherheit“, damit niemand Hungern muss – das Totschlagargument Nr. 1 der Agrarlobby, denn so werden im Schein des „globalen Kampfes gegen den Hunger“ fröhlich weiter Boden, Luft und Tier verpestet…
Danke für diesen konkreten Einblick in Vorgänge, die man normalerweise nur in abstrakter Form präsentiert bekommt.
Ich habe 2 Ergänzungen:
Dass die Biogastechnologie Schwachsinn ist, weiss man schon länger. Sie wird u.a. deswegen weiterbetrieben, weil die Regierung den Biobauern langfristige Nutzungsgarantien gegeben hat. Vertraglich abgesicherter Schwachsinn.
Es gibt einen Index, der die verschiedenen Energieerzeugungstechnologien anhand ihres Kollateralschadens auf den Menschen berechnet. Die Masseinheit ist Tote pro Petawatt Energieleistung. Kohlekraftwerke, die die Grünen jetzt zu Kriegszwecken wieder anwerfen, schneiden da ganz schlecht ab, viel schlechter als z.B. Gas. Eine Regierung tötet ihr eigenes Volk. Man sollte mal eine Rechnung aufmachen mit der Gleichung Tote pro Politiker.
Übrigens ist die Energieform, die mit Abstand am wenigsten tödlich ist – ob du’s glaubst oder nicht – die Atomenergie. Und da sind Tschernobyl, Fukushima und Three Miles Island bereits eingerechnet. Die Atomenergie ist auch die Energieform, die uns am schnellsten klimaneutral werden lassen kann. Die meisten Länder haben das begriffen, aber die Ideologie-gesteuerte Politik in Deutschland weigert sich, diese Fakten anzuerkennen.
Danke für den spannenden Kommentar! Hast du für die „Toten per Petawatt“ eine Quelle?
Der genaue Begriff lautet Tote pro Terawattstunde! Ich hatte es aus einem Vlog von Thoughty2. Hier ist ein Link:
https://www.tech-for-future.de/sicherste-energiequelle/
Zusätzlich hätte ich noch Diskussionspunkte, was die angebliche Schwierigkeit betrifft, Standorte für den atomaren Endmüll zu finden. Ich bin nämlich der Meinung, dass es riesige Gebiete auf dem Planeten gibt, wo man Atommüll weitab der Zivilisation unbedenklich dauerhaft lagern könnte, z.B. die endlosen Weiten unbewohnter Gebiete in der russischen Arktis. Ich denke, es sind politische Gründe, die das verhindern. Vielleicht ist es ja mal ein Thema bei dir. Erwähnen muss man in dem Zusammenhang auch, dass moderne Atomkraftwerke per se sicherer sind als die alten Anlagen der ersten Generation. Und es gibt ganz neue Kraftwerktypen, wie z.B. diese Flüssigsalz-Thorium-Reaktoren, die die Chinesen jetzt überall auf der Welt verkaufen wollen.
Tja, traurig zu hören, dass das Paradies in Brandenburg so viele Sündenfälle zu verzeichnen hat.
Fast alle Franzosen, vor allem im Süden, heizen mit Strom, was sie für “ökonomisch” halten. Schon im April 2022 hatte Ralf Streck in Telepolis berichtet, dass Deutschland irre teuren, CO2-intensiv erzeugten Strom im Rahmen der europäischen Nachbarschaftshilfe liefert, weil die Kapazität in den kalten Apriltagen zum Heizen nicht reichte: https://www.heise.de/tp/features/Frankreich-droht-Katastrophe-bei-der-Stromversorgung-6667782.html
Dann kam die Hitzewelle: die Reaktoren mussten heruntergefahren werden, weil sie sich nicht ausreichend kühlen ließen, um die ganzen Klimaanlagen zu befeuern, die bei kaltem Wetter zum Heizen benutzt werden.
Vielleicht haben die Chinesen das goldene Atom-Ei gelegt mit den Flüssigsalz-Thorium-Reaktoren, aber die Franzosen kriegen offenbar nicht mal ihren tollen EPR (European Pressurized Reactor) an den Start. In Flamanville wird seit 2007 gebaut und es wird nicht vor 2024 erwartet, dass der erste Block läuft.
Geplant war 2012.
Herrscht hier eine Anti-Atom-Mafia, die das Klima versauen will?
Es ist alles nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint…