La Mauvaise Réputation

Wegen COVID ist Witze machen verboten. Deswegen berichte ich euch von einem ganz traurigen Erlebnis gestern Abend. Und einem Schock zum Frühstück heute. ACHTUNG! Beitrag enthält versteckte Wörterbuchartikel zu den Begriffen „Maßnahme“, „Zahlen“ und „Wissenschaft“.

Die Warnung

Früher einmal waren Reaktionen auf veröffentlichte Texte der wahre Lohn des Autors. Seit etwa einem Jahr lauert für uns Schreiber das Ende des guten Ansehens hinter jedem noch so harmlosen Email-Betreff.

Am liebsten würde ich mal eine Youtube-Anleitung zum Umgang mit diesem Problem einsprechen:

„Hallo Leute, heute erkläre ich euch in Rekordzeit, wie ihr mit unaufgefordert zugesendeten Bewertungen und Meinungen eurer Freunde zu euren Texten umgehen könnt. Meine Methode hilft todsicher, weiteren Schaden von euch abzuwenden. Also, ganz einfach. Ihr geht mit dem Cursor auf die fragliche Email, wählt sie aus – ganz wichtig! ohne sie vorher zu öffnen – und dann oben auf das Symbol „Papierkorb“ klicken und Email löschen, dann Papierkorb öffnen und nochmal löschen. Und zum Schluß den Rechner runterfahren und ein Glas Wein trinken. So, schon fertig. Bleibt gesund!“

Teil 2 der Empfehlung habe ich gestern schon mal kräftg beherzigt. Ich habe unter Zuhilfenahme erklecklicher Quantitäten des köstlichen Weins aus Embres-et-Castelmaure versucht, meine offenkundig immer schlechtere Reputation zu vergessen.

Dass mein Ansehen im steilen Sinkflug begriffen ist, wusste ich, weil ich Teil 1 nicht beherzigt hatte. Statt zu löschen hatte ich gelesen. Nun musste ich mit dem Verdacht eines Freundes zurecht kommen, es der AfD nachzutun.

Hier war zweifelsohne die Saat von zwölf Monaten konzertierter Hetze aufgegangen. Jeder Kritiker der Maßnahmen der Regierung ein Nazi.

Der Freund fühlte sich angesichts meines Wörterbuch-Projektes „fatal an eine kürzlich aus der AfD-Ecke gezogene Parallele zu einer Widerstandsgruppe aus der Nazizeit“ erinnert, mit der die AfDler sich „gegen Kritik aus dem rechtschaffenen Politiklager zu wehren“ versuchten. 

Die kursive Hervorhebung der Rechtschaffenheit hatte der Autor des Briefes vorsorglich selbst vorgenommen. Er konnte ja – nur zwölf Stunden nach der Veröffentlichung des SPIEGEL-Beitrages über das zwischenparteiliche Feilschen um lukrative Posten – noch nicht ganz sicher davon ausgehen, dass die ehrenrührigen Aktivitäten im fraglichen Politiklager schon gänzlich vergessen wären.

Aber was tun, wenn man wie der legendäre buridanische Esel zwischen zwei gleich großen Haufen Unrat steht? Erstarren? Nein, man muss sich beherzt für einen von beiden entscheiden! Was für ein fataler Irrtum…

Dabei hätte der Name des Weins, La Mauvaise Réputation, der sich auf ein Chanson von George Brassens , bezieht, mir zur Warnung gereichen können.

Denn in der letzten Strophe des Liedes deutet Brassens an, dass er, ohne die Gaben des Propheten Jeremia zu benötigen (der mehrere große Katastrophen vorhersagte), das Schicksal des Protagonisten seines Liedes voraussagen kann: Obwohl sein einziger Fehler darin besteht, dass er nicht dorthin gehen will, wo alle hingehen (zum Nationalfeiertag), und weil er nicht im Marschschritt den Staat bejubeln will, wird er von der Menge gelyncht und „alle werden kommen, um seine Leiche anzusehen“.

Ich habe die Warnung in den Wind geschlagen und auf die AfD-Email tatsächlich geantwortet. Danach war ich reif für die Behandlung mit einem starken Antidepressivum.

Am Ende des gestrigen Abends habe ich mir schließlich höchstpersönlich ein COVID-freies Wochenende verordnet. Aber ich hatte die Rechnung ohne Herrn Rommel vom RKI gemacht.

Das Schuldenkonto

Schon zum Frühstück war es aus mit meinen guten Vorsätzen. Alexander Rommel hatte seine nach dem Ebenbild einer Lotterietrommel gefertigte Rechenmaschine angeschmissen und bestach mit einer solide untermauerten Zahl: „305.641 verlorene Lebensjahre durch Covid-19

Für alle, die von der Länge der Zahl zu stark erschüttert sind oder gar beim Thema „Hochrechnen“ krankheitsbedingt ganzsemestrig gefehlt haben, die schlüssige Herleitung des gewaltigen Postens in Satz 2: „Rund“ zehn Jahre hätte jeder Verstorbene noch zu leben gehabt.

Mein COVID-freies Wochenende: dahin! Ran an den Taschenrechner.

Auf meinem Smartphone habe ich ein intelligentes Widget installiert, das mir durch einfaches Eintragen von Zahlen in ein leeres Feld und das Drücken verschiedener verwechselungsfrei gekennzeichneter Operationsfelder folgendes Ergebnis liefert:

aus den „verlorenen Lebensjahren“ hätte ein kluger Zeit-Banker 3.638,58333333333333 schöne komplette Leben (zu 84 Jahren Dauer) destillieren können. Ein kapitales Dorf voller lebenslang Gesunder ist uns bloß wegen diesem COVID durch die Lappen gegangen.

Dabei ist noch gar nicht mitgerechnet, dass der kluge Zeit-Banker die verlorenen Lebensjahre

  • a) wahrscheinlich billig gekauft hätte (vielleicht für angenommene 23 Tage, denn sie waren ja schließlich schon gebraucht) und
  • b) sie gar nicht alle auf einmal wieder rausgehauen hätte.

Vielmehr würde der erfahrene Lebenszeitbankier sie auf einem Lifecoin-Konto mündelsicher anlegen, ein wenig damit spekulieren und die gewonnenen Jahre erst abstossen, sobald sie die Milliardengrenze überschreiten, womit er dem Wertverfall vorbeugt.

Denn es kann wohl als sicher gelten, dass jeder, der kann, eben schnell noch mal 5 bis 10 Jährchen dazu bucht und schon steigt die Nachfrage in 12-stellige Bereiche.

Können Sie mir folgen?

Ja? Das ist beruhigend zu hören. Man wird ja häufig falsch verstanden.

Was sagt Ihnen das noch: “ 305.641 verlorene Lebensjahre“?

Sind die fraglichen 305.641 verlorenen Lebensjahre denn eigentlich schon gegengerechnet gegen die 4,37 Milliarden Jahre, die unsere lieben 7jährigen Kinder bei der Kinderarbeit in den Sweatshops restlos eingebüßt haben? Nur um ein paar billige Fleecepullis herzustellen, die man dann kräftig in Weichspüler badet, dessen Gestank mich persönlich schon 0,00348 Lebensjahre gekostet hat.

Na gut, es sind ja auch bloß „vorsichtig gerechnet“ 4,37 Milliarden Jahre, weil die Kindchen dort im Sweatshop eh keine besonders hohe Lebenserwartung haben.

Das gleiche gilt übrigens für Kindersoldaten (9,8574 Millarden verlorene Lebensjahre) die mit Hilfe von Produkten der deutschen Waffenindustrie die „durchschnittliche Lebenserwartung“ ihrer Ziele um 43 Jahre verkürzt haben (374,41 Milliarden verlorener Lebensjahre). Dagegen müsste doch echt mal einer was unternehmen! Das geht doch so nicht weiter! Sonst haben wir hier bald eine deftige Lebensjahrinflation.

Das Hauptproblem mit den toten Kindern: Wer jung stirbt, verliert vergleichsweise viele Punkte auf dem Lebenszeit-Konto. Aber es spart auch die Kosten für das Altersheim.

Die deutsche Autoindustrie? Hat eben irgendwer „die deutsche Autoindustrie“ gesagt? Sterben nicht jährlich „rund“ 3.275 Menschen auf Deutschlands Straßen? Davon viele junge unerfahrene Fahrer, die noch auf weitere (grob gerechnet) 67 unversehrte Jahre Anspruch gehabt hätten?

Mein Taschenrechner streikt gerade. Aber – Kopfrechnen hält jung! – sagen wir: 219.425 Lebensjahre gehen uns da flöten: mit unser aller Billigung! Wie zynisch von uns! Dabei ist Autofahren ziemlich genau 2/3 so tödlich wie COVID-haben. Diese deutsche Autoindustrie sollte man mal kräftig durchimpfen.

Was das „im Schnitt kostet“, die deutsche Autoindustrie so virulent rumlaufen zu lassen und den Kontakt zwischen hoch beschleunigten Einzelwagen nicht grundsätzlich zu verbieten! Da muss wohl die rechtschaffene SPD mal richtig ran.

Ich bin da ganz zuversichtlich. Das klären die schon. Mein volles Vertrauen.

Ein bis zwei Lebensjahre noch, Momentchen, kurz nachgerechnet, mal 83.190.556 Personen Gesamtbevölkerung, macht im Mittel, also bei 1,5 Jahren = 124.785.834 Bevölkerungswartejahre. In der Zeit lässt sich der übelste Augiasstall ausmisten. Keine Sorge.

Wenn die SPD erst mal die ganzen verantwortungslosen CDU-Leute, die das Waffengeschäft, die Autoindustrie und die Modebranche lebenserwartungszeittechnisch völlig ins Kraut haben schießen lassen, auf ihren Spitzenposten bei BaFin, Deutsche Bahn und im Aufsichtsrat von VW untergebracht haben und sie, die SPD unter dem Gesundheits-Kanzler mit der roten Fliege, dann endlich wieder volle Regierungsverantwortung übernimmt, dann sinkt auch sofort diese gnadenlose Verschwendung von durchschnittlichen Lebensjahren. Davon bin ich fest überzeugt.

Halt! Halt Stop! Wo sind all die Jahre hin? Wo sind sie geblieben? summt es in mir. Verfluchter Ohrwurm. Verlust, Schuld, Schulden…schulfrei. Alles dreht sich in meinem Kopf. Vielleicht war der Wein gestern doch nicht so gut? Oder der Teufel hat beim dritten Glas mitgekeltert … und mir seinen Unterteufel namens Zweifel an den Tisch gesetzt, um mir alles noch mal ganz genau auseinander zu setzen … da muss sich doch irgendwo ein Rechenfehler eingeschlichen haben? Oder nennen wir ihn „Auslegungsfehler“. Kann doch aber gar nicht sein. Beim RKI, da wo der Herr Rommel arbeitet, wird ja ernsthaft daran gearbeitet, wissenschaftlich zu arbeiten.

Die interpretieren ja keine zusammenspintisierten Fremd-Zahlen aus dubiosen Quellen. Die Zahlen vom RKI werden noch richtig mit Hand gemacht. Jedes einzelne Faktum hausgeschlachtet. Beste statistische Feldforschung. Da bleibt kein Toter undurchleuchtet liegen. „Wie lange hätten Sie denn durchschnittlich noch erwartet zu leben?“ „Mindestens noch rund 9,5 Jahre“, stöhnt es aus dem Sarg.

Die Angabe hat er dann sauber extrapoliert, der Herr Rommel, und mit dem Ergebnis unterm Arm ist er zum Herrn Wieler gelaufen und der hat gesagt: „Au weia, wie bring ich das der Merkel bei? Die macht mich doch rund in der Montagsvergatterung. Fast ´ne viertel Million Negative auf dem Konto.“

Da hilft nur noch ein sauberer Schuldenschnitt.

Wörterbuch des Unrates

Ein Aufruf.

Gegenstand dieses Aufrufes an meine Leser ist das gemeinsame Verfassen eines Wörterbuches, das – Stichwort für Stichwort – online unter „Die Aktion“ veröffentlicht wird.

Das Wörterbuch soll ein Nachschlagewerk für all jene sein, die sich immer schlechter im Gewirr aktuell kursierender Bedeutungsveränderungen zurechtfinden. Weshalb ist Corona die „Bewährungsprobe unserer Generation“? Wieso ist „Hausarrest“ gut? Was bedeutet es für mich und meine Freiheit, wenn ich nicht „systemrelevant“ bin?

Klare Begriffe sind die Voraussetzung für klares Denken. Keine Kritik ohne präzise Vokabeln, keine gesellschaftliche Verständigung ohne ein Vokabular, auf dessen Bedeutungsauffüllung sich alle geeinigt haben. Sprache muss verlässlich funktionieren, sonst sind wir verloren. Sprache ist aber immer politisch, ein Machtinstrument.

Ein kritisches Wörterbuch des Unrates soll Überblick und Sicherheit darüber verschaffen, wie diese Wort-Umwertungen sich vollziehen und wohin sie weisen. Es könnte daher einen Untertitel wie „Nachschlagewerk zur attributären Sprache des 21. Jahrhunderts“ tragen, weil noch das harmloseste Attribut heute im Dienst der autoritären Demokratie steht und jedes Substantiv auf den Kopf stellt.

Den Auftakt zum Wörterbuch macht Bert Papenfuß mit drei – eher atypischen, da lyrischen, doch umso schöneren – Beiträgen zu „Herdenimmunität„, „Verordnungsermächtigung“ und „Verstetigung einer Allgemeinverfügung„.

Guter Rat – schon immer teuer

Im „Hasenbraten“ heisst es gegen Ende: „Wenn es ein Wörterbuch der Corona-induzierten Totschlag-Argumente gäbe, hätte Wohlstandsbockigkeit darin eine Ehrenseite – gleich neben der vermaledeiten Meinungsmüdigkeit.“

Schon eine provisorische Liste aktuell im Gebrauch befindlicher Unworte ist lang, geradezu endlos (siehe ganz unten in diesem Beitrag). Die Analyse der Unworte und Aufklärung darüber, mit welchem Trick sie in die Irre führen, ist Ziel des geplanten Wörterbuches.

Das Wörterbuch soll sein Augenmerk auf den „schlechten Rat“ richten, den Unrat, der mithilfe der Unworte erzeugt wird. Es soll auf den Mangel an positiver, gesellschaftsbildender Kraft aufmerksam machen, der sich in solchen Worten verdichtet.

Der hinter dem Mangel stehende Niedergang dessen, was wir bisher unter „Staat“ verstanden haben, sollte dabei klar hervortreten.

Denn einstmals war Staat, diese über die Jahrhunderte mehr oder weniger stabile Verfassungsform, auf die sich die Bürger einigten, mit guten Rat gleichbedeutend. Die Rechtsform war das Kondensat der Arbeit der (Geheim- und Staats-) Räte und Ratsversammlungen: die „amtliche bezeichnung einer das gemeine wol beratenden behörde“ (Grimms Wörterbuch, Rat, 11)

Das Gemeinwohl steht deswegen zentral im Wortfeld, weil „Rat“ nicht nur der „gesamtbegriff für alles (war), was für die leibliche fürsorge und die nahrung der geschlechtsgenossen von seiten des geschlechtsherren anzuschaffen und zu gewähren war.“ (ibid,2), sondern „gewöhnlich … ist es der begriff der fürsorge, der hervortritt“ (Grimm, raten, 2b). So war der Rat synonym mit Herrschen und Regieren (ibid, 2a) und in „einer sache raten“ hieß, „helfen, dasz sie guten fortgang nehme, sie fördern“.

Was aber geschieht, wenn der Staat aufhört „die vernunft zu rath zu nemen“ (Grimm, Rat, 5a) und es ihm folglich nicht mehr gelingt „einem übel, einer not gegenüber, ab(zu)helfen!“ (Grimm, raten 1 c)?

Zweifelsohne entsteht ein „schaden, gefahr, verderben“ (Grimm, Unrat 1a, beta) und „hilflosigkeit, mangel, not, unglück, böses, trauriges“ (ibid, 2a) kommen über uns und führen zu (ibid 2b) „verlegenheit, unzuträglichkeit, .., übel- oder miszstand“ und (2c) „miszhelligkeit, zwist, verwirrung, unordnung“.

Ohne Zweifel: Wörterbücher sind enge Verwandte kritischer Geschichtsbücher, noch dazu objektiver als diese, da sie Varianten nebeneinander stellen.

Aufruf!

Um der durch Unrat drohenden Verdunkelung der Wahrheit durch Mißbrauch der Begriffe vorzubeugen, veröffentliche ich folgenden Aufruf:

Lasst uns zusammen ein „Wörterbuch des Unrates“ schreiben, das wir immer zur Hand nehmen können, wenn wir uns durch ein Wort wieder einmal besonders abgespalten, fies diffamiert oder höchst stigmatisiert fühlen! Wenn der Staat vom seinem ersten Ziel, das Gemeinwohl zu schaffen, abkommt! Wenn er Worte mit neuen Bedeutungen auffüllt, um von seiner eigenen Ratlosigkeit abzulenken.

Eines Tages, wenn es erst einmal richtig dick geworden ist, wird uns das „Wörterbuch des Unrates“ über schwere Stunden hinweghelfen und den Weg in eine bessere Zukunft weisen.

Wörterbuch des Unmenschen“

Das Projekt „Wörterbuch des Unrates“ hat eine Vorgeschichte.

Schon länger befasse ich mich mit der Idee einer Neuauflage eines Wörterbuchs, das auf dem „Wörterbuch des Unmenschen“ von Dolf Sternberger, Gerhard Storz und Wilhelm Emanuel Süskind aufbaut.

Der Grund dafür ist in der jüngsten deutschen Geschichte zu finden. Unmittelbar, nachdem 2017 die erste Prepper-Zelle aus dem Umfeld des Spezialeinsatz-Soldaten mit Decknamen „Hannibal“ ausgehoben wurde und die enge Verflechtung der Reichsbürger und Tag-X-Verfechter mit dem Staat sichtbar wurde (in Mecklenburg bis ins Ministerpräsidentenbüro hinein), als plötzlich Hinweise auf (geheim gehaltene) Todeslisten für Linke kursierten, kam mir die Idee, dass es an der Zeit sei, das „Wörterbuch des Unmenschen“ von Storz/Sternberger auf den aktuellen Stand zu bringen.

Dies lag an einer Flut neu in den Medien erscheinender Begriffe.

Es war zu lesen von

  • – Bereitschaft (man bereitet sich auf Tag X vor)
  • – Rückwärtseinspeisung (die technische Vorbereitung auf den Zusammenbruch des Systems)
  • – Kamerad (wie man über die Kernfiguren der Szene sagt: ein feiner Kerl mit einem gerechten Haß)
  • – Einstellung (die natürlich „ganz normal national“ ist, wie es immer wieder im NSU-Prozeß auf die Frage des Richters hieß)
  • – Bruderschaft (als Referenz auf den zentralen deutschen Mythos der kämpfenden Nibelungen-haften Helden, die Europa vor der „Islamisierung“ erretten wollen)
  • – Todesliste (das zentrale Medium zur Verständigung über die Besetzung einer künftigen Reichsregierung)
  • – Netzwerk (das System der autonomen Terror-Zellen)

Ein wenig typisch ist es für Deutschland, dass es nicht einmal einen eigenen Wikipedia-Eintrag gibt für so ein zentrales Werk zur deutschen Sprache. Man muss sich auf Spurensuche begeben.

Wörterbuch der „attributären“ Sprache

Jedenfalls schoß mir schon gleich im März 2020 angesichts des ungeheuerlichen Verliebtheit der Medien in die „Sprachregelungen“ der Regierung in den Sinn, dass sich nun bald ein neues weites Feld für ein „Neues Wörterbuch der Unmenschen“ eröffne.

Doch nicht der „Unmensch“ ist die zentrale Figur dieser Regelungen, sondern der schlechte Rat, dem sie entspringen.

Das ist, was ich Unrat nenne.

Es folgt nun eine vorläufige Liste, die noch stark bereinigt und ergänzt werden muss.

Denn wirklich klar wird das geplante Unterfangen nur, wenn nicht alle möglichen Wald- und Wiesenworte, die jetzt zum Einsatz kommen, ins Wörterbuch Eingang finden.

Streng genommen, gehören nicht einmal die eingangs erwähnten „Meinungsmüdigkeit“ und „Wohlstandsbockigkeit“ ins Wörterbuch des Unrates, weil sein Fokus nicht auf „der Corona-induzierten Totschlag-Argumente“ liegt, sondern auf den dahinter stehenden staatlichen Verwerfungen. Im Wörterbuch sollten vor allem diejenigen Begriffe behandelt werden, die eine „attributäre“ (autoritär + attributiv) Bedeutungsauffüllung resp. -Ummünzung erfahren haben.

Die Idee ist, sich mit den beitragenden Autoren auf ein Bearbeitungsprinzip zu einigen. Angesichts  des Corona-Gipfels fiel auf, was für eine reiche Quelle Regierungsverlautbarungen darstellen. 

„Bewährungsprobe“ ist ein auf den ersten Blick unscheinbares Wort, oder „Maßnahme“: in ihnen steckt Vieles von dem, was den laufenden Umbau bezeichnet. 

Es ist jedenfalls ein wenig so, wie Christa Wolf in „Störfall“ sagt: sprachhistorisch seien A-tom und In-dividuum gleich: zwei unteilbare Dinge, die Ärger machen, wenn man sie spaltet.

Auch der „Gipfel“ selber gehört in diese Liste: inzwischen hat er Verstärkung vom „Impfgipfel“ erhalten.

Liste der Unworte***

  • -Abstand (richtiger, siehe Distanz)
  • -Aerosol (neues Wort für Atem-Luft, in der Regel geschwängert mit hochinfektiösen Bestandteilen)
  • -Ausgangssperre / Hausarrest (zentrales Mittel zur Erzwingung von Infektionsvermeidungsgehorsam)
  • -Ausbreitung (unkontrollierte)
  • -Beherbergung(-sverbot)
  • -Bewährungsprobe (Söder am 14. Oktober 2020: das ist die Bewährungsprobe unserer Generation)
  • -brachial / Durchgreifen (die Notwendigkeit des „brachialen Durchgreifens“/Merkel)
  • -Feiern (nicht etwa eine positive Form der Zusammenkunft lebenslustiger Menschen, sondern ein Gefahren bergendes Ereignis)
  • -Denunziation, siehe Regeln und Wohnung
  • -gesund / krank (Bleiben Sie gesund! Symptomlos krank)
  • -Gruppenbildung (war schon immer etwas, dass es eher zu vermeiden galt, als dass es eine wünschenswerte Form sozialer Aktivität gewesen wäre)
  • -Haushalt (nach Jahrzehnten des Eintrainierens von nomadischem Lebenswandel mit Co-Workingspaces und Wohnungstauschagentur kommt nun ein Begriff, gefühlt aus der Tiefe des preußischen Kaisserreichs, eine ortsstabile, bewegungsbehindernde familiäre Raumeinheit, die zum Zählen der Köpfe und zum Abtrennen der Vermengung mit anderen Raumeinheiten mit gleicher Füllung gedacht ist)
  • -Herde (Immunität)
  • -Hotspot (statt WiFi nun Ansteckungs-)
  • -Hygiene-Regeln
  • -Infektion(-sschutz)
  • -Jugend (keine Altersabschnitt der menschlichen Entwicklung, sondern Verdichtung verantwortungsloser, gemeingefährlicher Verhaltensweisen)
  • -Kandidat (nicht der glänzende Anfang einer Karriere, sondern etwas das lauert: nächster Kandidat für eine Pandemie)
  • -Krieg (gegen das Virus)
  • -Kontakt (etwas das verfolgt werden mus, aber nicht, um es für Werbung auszubeuten)
  • -Leugner (Corona-analog formuliert zum Holocaust-, siehe auch: Verschwörung)
  • -Maske (für: Mund-Nasen-Schutz, Umkehrung des Maskierungsverbotes)
  • -Maßnahmen (ausreichende bzw. notwendige)
  • -Normalität (wohin man nie wieder zurückkehren wird; das Alte, das verkehrt war)
  • -Räume (-insbesondere Innenräume werden als gefährlich angesehen)
  • -Reise(-rückkehrer)  gefährliche Regierungsentscheidung, denn hatte nicht das Reiseverbot hatte seinerzeit die sogenannte Wende herbeigeführt?
  • -Regeln (Abstands-, Corona-…, das Einhalten der … hier auch: Denunziation)
  • -Risiko(-gebiet)
  • -Sozial (e Distanz)
  • -Sprachregelung (https://www.youtube.com/watch?v=Q9NNkX1WCeo  Minute 2.14, wo die Regierungssprecherin sich tatsächlich nicht zu einer Frage äußern mag, bevor sie in ihren Unterlagen die „offizielle Sprachregelung gefunden hat“)
  • -Statistik (eine zur klassischen Ermittlung von belastbaren Ergebnissen hinzugefügte, verschieden lesbare Form der Auflistung von quantitativen Ereignissen)
  • -System(-relevant)
  • -Test (Schnell-, PCR- oder auch Drosten-)
  • – Treffen (früher die Basis sozialen Kontaktes; jetzt etwas, das es zu vermeiden gilt; davon sind auch viele öffentlichen Orte betroffen: die „Trefferia“-Cafeteria im GLOBUS-Baumarkt muss nun zur Kontakt-„Vermeiderei“ umgebaut werden)
  • -Verschwörung 
  • -Virus (hat beim zurück-Überspringen vom Computer auf den Menschen ziemlich dessen Einstellungen verändert und dem Computer darin eine zentrale Rolle zugedacht)
  • -Welle (nicht etwa das schöne Meer, sondern die erste, zweite oder xte Infektions-)
  • -Wohnung (war mal etwas Sakrosanktes, Rückzugsbereich, frei für nicht öffentliche Lebensbetätigung; seit „lockdown light“ etwas, das genauestens untersucht werden muss in Bezug auf dort stattfindende Zuwiderhandlungen, Ausspähnotwendigkeit – wiederum: Denunziation)
  • -Zahlen (nicht etwa eine fixe Größe mit Belegwert, sondern etwas, von dem man „herunterkommen muss“, Teil der jederzeit veränderbaren, so genannten politischen Statistik, siehe auch dort)

Vorschläge bitte per eMail oder Kommentar hier unten einreichen!

Der Hasenbraten, Schluß und Ende

Auf den Genuß folgt die Verdauung. Vorgestern und gestern konnten Sie hier lesen, wie es zu den Magen-Schmerzen kam, unter denen wir, die geschäftlich Reisenden in Europa, jetzt leiden. Inzwischen sind ja sogar die Grenzen mal wieder dicht – wie damals im Jahr 1 der Coronazeitrechnung, als wir zum ersten Mal probierten, ein Minicroissant mit Vinylhandschuhen zu essen. Sind wir seither mit dieser neuen Kulturtechnik weiter gekommen? Lesen Sie Teil 3 unseres Schauermärchens:

Die Selbstunterwerfung

Nichts liegt mir ferner, als den Untergang des Abendlandes heraufzubeschwören, nur weil ich einmal schlecht essen musste – und das zugegebenermaßen unter für alle Beteiligten schwierigen Bedingungen, die nichts mit der Gastronomie Frankreichs zu tun haben.

Doch halten wir fest: es ist eine politische Entscheidung, mit der Krankheit so umzugehen, dass die Mehrzahl der Mitbürger im Alltag auf Jahre hinaus durch die Verordnung wissenschaftlich durchaus fragwürdiger Maßnahmen mehr leiden, als sie unter der Gefährdung ihrer Gesundheit durch ein Virus leiden müssten.

Dass sich jedoch fast alle relativ klaglos mit der Vielzahl von erniedrigenden Regeln abfinden und sich – bei lächerlich geringer Strafandrohung – derart reduzieren lassen, ohne je aufzumucken, das ist wirklich schockierend.

Die Selbstunterwerfung drückt sich vor allem in Körperhaltungen und Gesten aus. Aufrecht an einem Tisch einander gegenüber sitzen, von Porzellantellern essen, aus Gläsern Wein trinken und dabei kommunizieren ist eine über enorme Zeiträume verfeinerte Kulturtechnik, die nicht ohne Verluste den Entzug von Tisch, Stuhl und Glas überdauert.

Erst dadurch, dass wir die Mundwerkzeuge in einem Jahrtausende währenden, mühevollen Prozeß von der Arbeit des Reissens und Schlingen entbunden und uns vom Boden aufgerichtet haben, wurde der Weg frei für eine differenzierte Sprache – und damit zum Austausch der Früchte eigener geistiger Tätigkeit. André Leroi-Gourhan hat darüber ein höchst lesenswertes Buch, „Hand und Wort. Die Evolution von Technik, Sprache und Kunst“, verfasst.

Tiervergleiche „gehen“ zwar gar nicht. Doch wenn ich rundrückig vor der schmalen Schminkablage im Hotelzimmer hocke – ein Tisch war „ante Corona“ = in der Bauzeit des Hotels im Zimmer nicht vorgesehen – meinen Braten aus der Umschlingung durch das Metzgerwurstband befreie und ihn mit dem ungeschliffenen Hotelmesser zerstückele, komme ich mir vor wie ein kulturfernes Viech, das sich in einer Herde deprimierter Genossen versteckt hat und brav wartet, bis der Schäfer bereit ist, es wieder auf die leckere Weide nebenan zu lassen.

Das ist wohl die Art von Beobachtung, die unsere sogenannten systemstützenden Medien als „wohlstandsbockig“ bezeichnen würden. Wenn es ein Wörtberbuch der Corona-induzierten Totschlag-Argumente gäbe, hätte Wohlstandsbockigkeit darin eine Ehrenseite – gleich neben der vermaledeiten „Meinungsmüdigkeit„. In der Summe ergeben solche Unworte das Bild einer völlig abgefütterten Gesellschaft, in der jeder politische Widerspruch aufgelöst scheint. Probleme? Ja, mit meinem Internetzugang. Ich finde auch scheiße, dass der Barbershop dicht ist.

Apropos Bärte: Grimms Wörterbuch sagt, bockig kann nur die Ziege sein. Also gehen Tiervergleiche doch?

Ich gebe es zu: ich bin schon länger höchst verärgert. Der Grund dafür liegt allerdings weder in (kindischer) Bockigkeit, noch in einer Einschränkungen meines Wohlstands. Mir fehlt es ja an nichts. Ich kann überall essen.

Mir ist bewusst, dass Zehntausende im Mittelmeer ersaufen müssen, weil die Politik es so will, Millionen nichts zu essen haben, weil die Wirtschaft einträglicher arbeitet, wenn es starkes Gefälle gibt. Ich habe darüber mehr als 30 Jahre am Theater, im Museum, im Radio und in Büchern gearbeitet. Genau deswegen hinterlässt die Vorstellung mehr als einen faden Nachgeschmack, sich dem Ergebnis der erfolgreichen Lobbyarbeit von Pharmakonzernen auszuliefern und von ratlosen Regierungen gängeln zu lassen und bei bestehenden Alternativen und trotz anderslautender wissenschaftlicher Erkenntnisse zu kuschen, nur um der schlechtesten aller Möglichkeiten zu genügen.

Die Deutschen haben einfach ein dickes Problem mit Anordnungen. Sie scheinen mir mehrheitlich geborene Hörige. Lieber folgen sie einem geschäftelhuberischen Gesundheitsminister, der sich mitten in der Krise ein tolle Villa kauft, aus Versehen mal im Speiselokal die Gäste am Nachbartisch infiziert und vor Elon Musk die Maske runter reisst. Staatsklugheit scheint ebenso ein Fremdwort wie Führungsstil.

Während wir Epsilons Ehrenerklärungen abgeben müssen, die sich in ihrer Form noch auf das tradierte Konzept des bürgerlichen „code d´honneur“ beziehen, schwebt ein „business angel“ und Pharma-Lobbyagentur-Gründer wie unser nebentätigkeitsversessener Alpha-Minister vollständig frei über jedem Ehrenkodex. Einige Tiere sind eben gleicher als andere.

Keiner muckt auf, wenn die „Brut- und Normzentrale Berlin-Friedrichstadtpalast“ (der Amtssitz des Gesundheitsministeriums) übergriffig wird. Viele nehmen billigend in Kauf, dass die Ratlosigkeit – oder die Auslieferung an reiche Ratgeber? – mit immer mehr Regeln kaschiert wird.

Moment! Jetzt bin ich aber doch zu bitter geworden. Ich möchte deswegen an dieser Stelle wenigstens herausstellen, dass es mir bei meinem Lamento nicht um eine egoistische Klage über mangelndes persönliches Wohlbefinden oder Einbußen an Komfort für meine Person geht.

Sondern dass das Resultat einer an sich schon ausreichend bedrohlichen Krankheit verschärft wird durch relativ beliebige Eingriffe in den Alltag von Millionen von Menschen, die gesund sind, aber durch diese Eingriffe nicht gesund bleiben werden.

Das ist keine hausgemachte Spekulation. Der Deutschlandfunk befasste sich am 24. Januar 2021 mit dem neuobiologischen Befund, dass unterdrückte Bedürfnisse das Gehirn von Kindern in kürzester Zeit verändern.

Nicht umsonst warnt der Hirnforscher Gerald Hüther in der Sendung vor „dramatischen Konsequenzen der Corona-Schutzmaßnahmen für die soziale und neurobiologische Entwicklung“. Bald wird es vielen von uns so gehen wie Charlton Heston in der Rolle des Polizisten Thorn in dem Film „Jahr 2022 … die überleben wollen„: wir erinnern keinen Geschmack, der zu dem Wort „Hasenbraten“ passt.

Wo aber sehen wir Schutzmaßnahmen, die solche Erkenntnisse berücksichtigen?

Hat irgend jemand seit der Stunde Null der Coronazeitrechnung jemals eine neue Regel entstehen sehen, die die Art, wie wir bislang wirtschaften, Nahrungsmittel anbauen oder unsere Umwelt versauen, verbietet? Was wäre einzuwenden gegen ein ewiges Couvre-Feu für die Wurzeln unserer Krankeit?

Leben wir denn nicht in einer mit Intelligenz überversorgten, smarten Hochtechnologiekultur, die jetzt mit billigen Staubschutzmasken und stinkenden Desinfektionsgels gegen gegen luftverbreitete Viren vorgeht? Und damit dennoch ziemlich effizient die bedingungslose Disziplin für sinnlose Ideen erwirkt?

Das Deprimierende daran sind nicht die sinnlosen Ideen, sondern die scheinbar willenlose Bereitschaft fast aller, daran mitzuwirken.

Über Jahrzehnte bin ich in meinem großzügigen, bildungsversessenen, gerechten Geburtsland trainiert worden, meinen eigenen Verstand zu gebrauchen. Ausgebildet, aufgrund seines Gebrauchs zu einer vernünftigen Lösung zu gelangen. Nun bin ich von dieser grundlegenden existenziellen Technik der Entscheidung durch wirre, wöchentlich wechselnde, vollständig inkonsistente Weisungen entbunden. Haben wir denn all die Wissenschaftler und Politiker bestallt, damit sie jetzt „auf offener Bühne lernen“ (Lothar Wieler)?

Der Gebrauch des eigenen Verstandes hat nur einen entscheidenden Nachteil: die Einsperrung lässt sich schlechter ertragen. Der Gebrauch des eigenen Verstandes vergrößert die seelischen Störungen, die aus dem Widerspruch zwischen eigener Auffassung und amtlicher Verfügung entstehen. Er macht die Ausweglosigkeit drastisch deutlich. Hinzu kommt Lagerkoller. Sich Reduzieren kostet Kraft.

Kein Wunder, dass Angebote für „psychologische Coronahilfe“ Seiten der Suchmaschinen füllen. Die steigende Zahl der Konsultationen – hier spielt offenbar Großbritannien mit dem psychoaktiven Doppelproblem Brexit/Covid eine negativ führende Rolle – und der enorme Anstieg von Selbstmorden in Japan gegen Jahresende 2020 – hier scheinen kulturelle Faktoren entscheidend: Jobverlust=Gesichtsverlust – zeigen eine Tendenz, die weltweit gilt und von selbstverletzender Aggression bestimmt ist.

Diese psychischen Spannungen verarbeiten zu müssen, empfinde ich als höchst unangenehm. Viel bedrohlicher als eine Virus-Erkrankung, die ich persönlich zum Glück gut überstanden habe.

Zumal ja nach über einem Jahr die Frage hinzukommt: wie viel weiter wird es gehen? Wie lange wird es noch dauern? An was werden wir uns noch gewöhnen müssen?

Die Zeitgenossen sind schon jetzt im Namen der Gesundheit derart weichgekocht, dass sie sich umstandslos damit abfinden, in der U-Bahn zu schweigen, weil Sprechen angeblich gefährlicher als Husten ist.

Es wird immer wieder betont, die Empfehlungen der Regierenden, den Gesundheitsschutz betreffend, seien keine Verbote und ihre Einhaltung finde auf eigene Verantwortung statt.

Wer von uns hat eigentlich sein Leben bislang nicht auf eigene Verantwortung geführt? Jedem von uns ist es doch in seine private Initiative gestellt zu rauchen oder nicht, Früherkennung von Krebs zu betreiben oder nicht, eine Altersvorsorge abzuschließen. Wer aber den Lockdown kritisiert, wird politisch stigmatisiert. Das Unerfreulichste am Lockdown ist ohnehin die obrikeitshörige Reaktion der Bevölkerung, die gern allein im Auto Maske trägt. Ein Prise Masochismus würzt den Alltag.

Finden wir uns künftig mit jedem Fraß ab, der uns aufgetischt wird?

Auf dem letzten Foto seht ihr den Beweis dafür, dass wir wirklich in Langres waren, denn der gelbe Käse ist der Käse, der den Namen der Stadt trägt, aus der besagter Diderot stammt, der die Enzyklopädie herausgegeben hat. Die Enzyklopädie steht sinnbildlich für die mögliche Größe menschlicher Kultur.

Dieser Käse wäre, unter anderen Bedingungen eingenommen, eine der größten Köstlichkeiten des benachbarten Landes. Unter viralen Kriegsbedingungen serviert, schmeckt er etwa so, als wenn ich ein zähes Stück alten Kaugummis noch einmal zerkauen müsste.

Wo stehen wir nun mit unserer Einsicht, dass das Virus und die Veränderungen im Alltag eine enge Verwandtschaft besitzen: zuerst merkt man sie kaum, doch sie sind äußerst gefährlich? Denn wir verändern uns gerade schnell und nachhaltig. Für ein Kind in der Grundschule fühlt sich ein Jahr so lang an, wie zehn Jahre für den älteren Menschen. Nach einem gefühlten Jahrzehnt aber ist alles anders.

B.F. Skinner hat 1948 unter dem unverkennbaren Eindruck des Faschismus in „Walden2“ beschrieben, wie zügig die Zurichtung des Menschen vonstatten gehen kann. Er hat dies als Möglichkeit gemeint, die Weltbevölkerung Faschismus-fest zu imprägnieren. Skinners Thoreau-Aufguss ist in Deutsch unter dem Titel „Futurum Zwei“ erschienen. Mich dünkt, die Namensähnlichkeit mit der Besserwisser-Postille der TAZ ist kein reiner Zufall. Es gibt doch rechte Heerscharen von Hochgebildeten, die uns gern zu unserem eigenen Besten eine kleine Umerziehung verpassen würden.

An die Lektüre des Skinner-Buches erinnere ich mich dieser Tage immer wieder – ungern. Es ist die grauenvollste Dystopie einer Menschenfabrikation durch Erziehung, die ich je gelesen habe.

Auf den ersten Blick stehen ganz normale, neutrale Techniken und medizinische Notwendigkeiten hinter dem, was der Ökonom Michel Chossudovsky „Angstkampagne“ nennt: „Mood Management“ und algorithmenbasierte Persönlichkeitssteuerung sind ja das Kerngeschäft der hochgelobten und schlagartig allpräsenten Distanztechnik namens „Digitalisierung“. Jutta Weber hat dazu kürzlich am Beispiel von „Zoom“ einen aufrüttelnden Text verfasst: „Zoom-Boom„. Meinungssteuerung gibts gratis als „Covid-creep“ im Huckepack des „tele-everything„. Es ist unübersehbar nicht nur die Qualität unseres Essens betroffen.

Was haben wir schon verloren? Was werden wir noch verlieren? Was davon, das uns wichtig ist, werden wir jemals wieder zurück erringen können, wenn dieser „ganze Rummel“ (Drosten) frühestens 2025 (?) vorüber ist?

Der Hasenbraten, Fortsetzung

Gestern habe ich Ihnen den äußeren Wickel der Fleischrolle präsentiert, den gesellschaftlichen Bratenschlauch, in dem unser Hasenbraten ruht. Lesen Sie bitte, falls Sie hier zuerst landen, in der Ehrenerklärung noch einmal nach, unter welchen Umständen ich in den Genuß gekommen bin, den ich heute detailliert schildere.

Das ist dann noch nicht alles: denn morgen kommt das dicke Ende.

II. Friss oder stirb!

Beschreibung eines Abendessens unter Distanzbedingungen.

Langres, Geburtsstadt von Diderot, Lichtgestalt der französischen Aufklärung, Vater der Enzyklopädie

28.1.2021

Nach dem Einchecken die große Frage: „Brauchen Sie eine Mahlzeit?“ Das Wort „Mahlzeit“ und die Wahl des Verbums lassen Befürchtungen keimen. Unsere Antwort lautet: „Ja, gern.“ Über den Tresen wird ein Zettel geschoben, der das Ritual erklärt. Da wir kein Feld zum Unterzeichnen, bei unserer Ehre, finden können, fragen wir kurz zurück, wie „das geht“ mit dem Essen unter Distanz-Bedingungen.

Das ist ganz einfach, aber doch ganz anders, als wir es in unserem Leben bislang kennengelernt haben. Obwohl wir mitten in Europa sind, ist alles fremd. Und alle sind fröhlich dabei!

Zuerst müssen wir eine Art Ankreuz-Test an der Rezeption ausfüllen. Er ersetzt die Speisekarte. Schon beim Ankreuzen dämmert uns, dass nichts von dem, was wir wählen, auch nur in irgendeiner Form einer Art von Essen entspricht, das wir jetzt gerne essen möchten. Das geben die Bedingungen absehbar nicht her. Aber die Alternativen sind gering. Weil ich das Risiko suche, wähle ich statt eines wenig Freude versprechenden Hacksteaks „rôti de lapin“, den vermeintlichen Hasenrollbraten.

Ich möchte folgendes an dieser Stelle noch einmal klar und deutlich festhalten: wir sprechen von einem Essen in einem Land, das für sich in Anspruch nimmt, die beste Küche Europas zu haben. Ich spreche von einer Stelle Frankreichs, die zwischen den beiden Hochgenuss-Regionen Burgund und Champagne gelegen ist. Es ist kaum eine Region in Europa vorstellbar, die für kulinarischen Genuss berühmter wäre. Deswegen scheint mir der Hasenrollbraten kein außerordentliches Wagnis.

Statt wie in den letzten Jahren in einem Restaurant seine Bestellung aufzugeben, kreuzen wir nun recht unklar beschriebene Gerichte auf einem fotokopierten Zettel an. Es ist beispielsweise nichts über Beilagen bekannt. Schlagartig wird klar, dass es um Stoffwechsel geht, um die Befeuerung des Metabolismus mit verbrennbaren Produkten. Aus dieser Ecke stammte zweifelsfrei auch das Wort „brauchen“ am Anfang der Frage nach der abendlichen Ofenbefüllung. Wenn der Schornstein morgen qualmen soll, dann schaufel rein!

Vom Zauber der Champagne und des benachbarten Burgund ist jedenfalls schon nach dem Bestellvorgang wenig übrig.

Zwei Stunden später – wir haben den Wecker gestellt, denn der Abhol-Slot schien nach Blick auf die Liste mit den Namen der anderen befeurungshungrigen Verbrennungsmaschinen knapp bemessen – schleichen wir zu einer genau verabredeten Uhrzeit zu einem Verschlag am anderen Ende des Hotel-Parkplatzes. Wir harren der Dinge, draussen, 300 m vor dem Hotel, nachdem wir durch tiefen Schnee gestapft sind und an einer Tür gepocht haben, wo aufgrund der Vielzahl von wiederum fotokopierten Masken-Hinweiszetteln erkennbar ist, dass das Essen ausgegeben wird. Eisiger Wind.

Essensausgabe unter Umschluß-Bedingungen. Welche Mikroroganismen mögen unter dieser Hülle lauern? Welche chemischen Prozeße hat die Mikrowelle in dem transparenten Folien-Erdöl in Gang gesetzt, die unserem Gaumen eine genußvolle Temperatur, dem Körper aber eine schädliche Injektion giftiger Stoffe verschaffen?

Es bleibt nicht aus, dass wir an Luis Bunuels „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ denken, diesen absurden, surrealistischen Film, in dem sich alle Protagonisten zum Essen auf eine Toilette zurückziehen.

Dort vor der Essensausgabe stehen wir mit anderen Gestrandeten, die beruflich unterwegs sind in Europa. Wir stehen im Schnee, frieren und warten. Dahinter ein riesiger leerer Ess-Saal mit Notbeleuchtung. Wer sich dabei keine Erkältung holt, muss über ein wahnsinnig resistentes Immunsystem verfügen. Die Franzosen rauchen im stürmischen Wind, um keine Maske tragen zu müssen.

Als wir schließlich dran sind, erhalten wir im Austausch gegen unsere Zimmernummer eine zwiefach in Frischhaltefolie eingewickelte Platte. Mit der Platte wetzen wir schlitternd und taumelnd durchs Schneegestöber zurück zum Hotel.

Im Hotel sitzen die Franzosen an der Bar und trinken ohne Unterlaß, um keine Maske tragen zu müssen. Das Couvre-Feu gilt offenkundig nicht innerhalb von Beherbergungsstätten. Das heisst, Umschluß im gemieteten Zimmer ist noch nicht verfügt. Wäre aber eine schöne Weiterung der Maßnahmen, ganz im schon etablierten militärischen Stil. „Hiermit unterwerfe ich mich der Selbsteinschließung bis zum Ende aller Vervirungen.“

Wir erhalten Besteck und auf besonderen Wunsch einen Schnaps ausgehändigt. So ausgerüstet, stiefeln wir hoch in Bunuels bourgeoises Zimmer und ziehen dem Ganzen unter Verspritzen der Sauce das Tiefziehfolienfell runter. Auf dem Foto mit dem Hasenbraten ist zu sehen, dass die letzte Folie direkt über den Braten gezogen wurde – also ins Essen eingetaucht war.

Burgund! Land unter!

Diese bedauernswerte Karikatur von einem Hasenbraten hat in etwa so viel mit einem veritablen Hasenbraten zu tun, wie eine echt fotografierte Holztapete mit einem Brett.

Mit Hilfe des Schnapses schalten wir den Pförtner zu unserem Magen frei und würgen uns das Zeug rein. Es ist kochend heiß und schmeckt genau so, dass wir morgen, wenn wir nicht gegen die Zeit anfahren müssten (Couvre-Feu!), gerne einen weiteren COVID-Test machen würden. Es ist nämlich vollkommen geschmacksfrei.

Ein in Burgunderwein gebeizter Rollbraten aus feinstem Wild ist das Ergebnis von jahrhundertelang ausgereiften Kulturtechniken. Das lässt sich nicht verlustfrei über die take-away-Schwelle tragen. Hinzu kommt, dass jedermann, der Werner Bootes genialen Film „Plastic Planet“ gesehen hat und das Interview mit dem Chemiker erinnert, weiß, dass es keine „lebensmittelechten“ Plastprodukte gibt, dass insbesondere unter Hitzeeinwirkung die Phthalate nur so in die Speise sausen und von dort offenbar ohne Umweg in Eierstock und Hode fahren. Das ist kein Scherz. Die Dauernutzer solcher Nahrungsverpackung werden zeugungsunfähig, zeigt Boote in seinem Film.

Das nur als kleine Anmerkung zum Thema Gesundheitsschutz.

Um nicht nocheinmal runter an die Bar zu müssen – jeder Meter ist einem lästig unter solchen Bedingungen – gießen wir den in Luxemburg an der Tankstelle eingekauften Rotwein hinterher – Burgund! Champagne! Wohin seid ihr verschwunden?

Wir befördern den ganzen Sperrmüllbeutel mit dem eingesuppten Plastik, den Tiefziehbehältern, Aluminium-Folien und Speiseresten mangels anderer Optionen in den Papierkorb und stellen ihn vor die Tür, damit das Zimmer, das nur von einem Umluftföhn über der Tür beheizt wird, nicht zu arg nach Gulaschgewürz riecht.

Licht aus. Übernachten in der Bratenröhre – zum Glück nach dem Abschalten.

Ungesunde Menge Abraum nach einem zum Gesundheitsschutz verordneten Essen. Die Weltmeere wimmern, die Luft färbt sich dunkel, weil so viel Erdölprodukte nach so kurzer Nutzzeit in die Tonne wandern.

Intermezzo

Jetzt kommt ihr: „Ihr hättet ja nicht reisen müsen!“ Doch mussten wir. Es gab einen Brandschaden zu begutachten. Deswegen auch das ganze Werkzeug im Auto. Danke. Weiter: „Ihr wusstet ja, was euch erwartet.“ Ja, irgendwie schon, aber bei dem anstehenden 5-Jahresplan der Bundesregierung (für solange ist die COVID-Kommunikation der Bundesregierung ja bereits bezahlt) wäre unser Versicherungsanspruch bei der nächsten „offiziellen“ Reisemöglichkeit bereits verfallen gewesen.

Auch komisch, dass wir denken, alles, was wir jetzt tun, sei „inoffiziell“ oder nur halb legal. Wir selbst: jederzeit suspekt.

Ausserdem hatte ich Hoffnungen. Die sterben bekanntlich zuletzt.

Ich gestehe es ein: ich bin ein unbelehrbarer Optimist.

Ich denke immer, dass das Essen lecker, das Wetter gut und die Menschen, dort, wo ich hinfahre, nett sein werden. Ich glaube auch, dass unsere Regierung das Richtige will.

Umso tiefer die Enttäuschung, wenn die Realität zutage tritt. Und das, noch bevor auf Pandoras Büchse der Deckel wieder drauf ist.

Na gut. Noch Fragen?

Ob ich an Gesundbeterei glaube? Impfgegner sei? Die Maske für den neuen Judenstern halte? Spinner? Esoteriker? Milleniarist? Reichsbürger? Oder einfach nur total verantwortungslos unterwegs?

Ich bitte Sie: Contenance bewahren!

(Zweiter) WARNHINWEIS!

Das war immer noch nicht alles. Morgen geht es weiter mit „Die Selbstunterwerfung„, dem Filet vom Hasenbraten. Immer dran bleiben!

Der Hasenbraten

Mit dem Hasenrollbraten verhält es sich ein wenig wie mit dem Coronavirus. Sein Fleisch stammt meist nicht vom Pangolin, sondern bloß vom schnöden Kaninchen her. Der Hasenrollbraten ist also ein Etikettenschwindler. Aber wird er dadurch so gefährlich wie das Virus, dessen Bekämpfung mich dazu zwang, den betrügerischen Braten zu essen?

Ein dreiteiliges Schauermärchen über das (beruflich bedingte) Reisen unter Pandemiebedingungen, das schnelle Verlernen der guten Sitten, sowie einige Einsichten in eine neue, äußerst effiziente Methode der Massensteuerung durch wöchentlich novellierte Regeln.

Teil 1 Die Ehrenerklärung

Seit Beginn der Pandemie ist es – zumindest in meiner Wahlheimat Frankreich – populär geworden, für alle Alltagslagen eine Ehrenerklärung zu Hand zu haben, die man bei Spaziergängen, Einkäufen und (das neuste) „bodengestützten Fortgewegungsfahrten“ mit sich trägt.

Bevor ich zusammen mit den Lesern auf eine Reise ins benachbarte Frankreich gehe, möchte ich, weil die Meisten mich nicht persönlich kennen, auch meinerseits mit einer Ehrenerklärung beginnen.

Ihr Zweck ist die bessere Einschätzbarkeit der im Text vertretenen Auffassungen.

Ihr Grund: ein Autor wie ich kann heutzutage nicht vorsichtig genug sein angesichts der angespannten, um nicht zusagen: gereizten Verfassung der meisten Mitbürger. Schnell wird er wegen minimaler Abweichungen vom Erwarteten in die Ecke gestellt. Tritt noch mein Sarkasmus hinzu, der gern übersehen wird auf der Suche nach verdammenswerten Ansichten, und mein Hang zur Überspitzung – dann ist der Spaß gleich aus.

Ich erkläre deswegen bei meiner Ehre:

– dass ich stets prekär gelebt habe, so daß ein Burgunderbraten aus echtem Hasenfleisch auch für mich nur in Jahren in Frage kommt, in denen Ostern und Pfingsten zusammen fallen.

– dass ich mein geringes Einkommen in den letzten 25 Jahren in einem beruflichen Feld verdient habe, das seit Beginn der Pandemie – laut der von Jean-Michel Jarre am 26. Januar 2021 vorgestellten Studie „Rebuilding Europe“ – am härtesten von den Beschränkungen im Zusammenhang mit der Pandemiebekämpfung betroffen ist.

– dass mich für meinen schlechten Verdienst die Möglichkeit zu reisen und Kollegen in aller Welt zu treffen, stets hoch entschädigt hat, so dass ich nun doppelt gekniffen bin.

– dass ich das Wort „Freiheit“ niemals im Zusammenhang mit Einkaufen, Beschleunigungsverhalten oder Kurvenlage eines Fahrzeugs oder anderen, nicht im europäischen Wertekodex seit der französischen Revolution fest verankerten Menschenrechten benutzt habe und dies auch für die Zukunft nicht beabsichtige.

– dass ich mich bemühe, bei allem was ich denke, tue, bedauere und bekämpfe, stets im Kopf zu behalten, wie privilegiert ich bin und wie viele Menschen auf unserer trotz allem schönen Welt es viel schwieriger haben als ich.

Ich bekenne zudem, dass ich mich schon im frühen März 2020 mit COVID angesteckt haben muss, wenn das Virus so hoch infektiös ist, wie stets behauptet wird und woran ich auch keinen Zweifel hege. Eine Freundin, mit der ich dama

ls viel Zeit verbracht habe, leidet bis heute unter Geschmacksverlust und hat nachgewiesene Antikörper. Ich selbst war zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens ihrer Infektion bereits in selbstgewählter Quarantäne und musste zum Glück keinen Arzt aufsuchen, da ich außer ein paar typischen Effekten keine bedrohliche Erkrankung verspürte. Ich habe später sehr lange sehr wenig Energie gehabt. Ich weiß also aus eigener Anschauung, wovon ich spreche, wenn ich über das Virus spreche.

In diesem Zusammenhang erkläre ich an Eides statt, dass ich das untrügliche Erkrankungs-Zeichen „Fieber“ nur dann verspürte, wenn ich Kabeljaurückenfilet zu 3,99 € die Packung aus dem ALDI-Nord „Golden Seafood“-Programm zusammen mit dem im Jahr „ante Corona“ aus Barcelona mitgebrachten Ganzdrogen-Safran („safrá en brins“) der fabulösen Gewürzfirma „El Tossal“ zu einer herzhaften Bourride verkocht und gegessen hatte. Tut mir leid, in dieser Hinsicht nicht deutscher zu sein. Denn mein Herz schlägt katalanisch und die Geschmacksknospen folgen.

Aber trotzdem gibt es ein Problem.

Nachdem meine Geschäftspartnerin und ich vor Reiseantritt in der KW 4 des Jahres 2 nach Corona wahrheitsgemäss die von der französischen Botschaft vorbereitete Ehren-Erklärung ausgefüllt haben, die besagt, dass wir keine Kenntnis davon besitzen, dass wir Keuchhusten, Schüttelfrost, „unerwarteten“ Durchfall, Geschmacksverlust oder andere Anzeichen von schwerer Krankheit hätten, sind wir um 6 Uhr morgens losgefahren. Unter Schreibtischlampenbeleuchtung – fixiert von einer gesundheitspolizeilichen Verhörzange – hätten wir die ebenfalls auf dem Ehrentestat gestellten Fragen nach „ungewöhnlichen Müdigkeitserscheinungen“ und „unerklärlichen Kopfschmerzen“ nicht zweifelsfrei verneinen können. Wir sind nämlich beide Spätaufsteher. Durch jahrelange Schonung reagiert unser Biorhythmus äußerst sensibel auf Störungen wie solch für uns Nachtarbeiter zu zeitiges Losfahren. Auch hatten wir vom Einpacken unserer Arbeitsmaterialien und -werkzeuge einen Muskelkater, der den Autoren der Ehrenerklärung ebenfalls als Indiz für Covid19 gilt.

Es half aber alles nichts: wir mussten vor Tagesanbruch los, weil uns geschäftlich Reisenden Macrons Gnade nur ein Zeitfenster bis 18 Uhr gewährte. Nach dem abendlichen Einbruch der Dunkelheit rotten sich die Viren nämlich zusammen und fallen über schutzlos Vagabundierende her, die auf der Suche nach sozialem Kontakt durch die Dörfer streunen und Lichter hinter zugezogenen Gardinen ausspähen. Insbesondere die cleveren Mutanten, aber auch schon das schnöde Standard-Bazill verbreitet sich hemmungslos bei „Aperos“ und anderen frühabendlichen Besäufnissen, wie sie manche gewissenlose Bürger pflegen. Der Franzose kennt sich gut. Tagsüber trinkt er nie und wenn, dann nicht in Gruppen.

Die Ehren-Erklärung wird flankiert von zwei weiteren Dokumenten, dem Attestat, das man sich selbst ausstellen muss, des Inhaltes, dass die Gründe der Fahrt rein beruflicher Natur seien, und der damit verbundenen eidestattlichen Versicherung, dass man die nächtliche Ausgangssperre nur durchbricht, um an sein Ziel zu gelangen. Das Ganze für zwei Personen, also sechs Blatt Papier A4, jeder Bogen unterschrieben.

Auch bei Fahrten in der vierrädrigen, farradayschen Zweimannzelle sind „weniger als 72 Stunden alte“ Schnelltests zwingend erforderlich: mit den langen Wattestäbchen gefühlt bis tief ins Gehirn eindringen, alles nur zum weniger als 50 % sicheren Nachweis der momentanen Infektionsfreiheit. Die Testergebnisse werden „am Boden“ ohnehin nicht kontrolliert. Jetzt habe ich meine Ehre aufs Spiel gesetzt, weil ich das Wort „Freiheit“ in sarkastischer Intention mit der Ansteckung verschwägert habe.

Das Wort, dass die Franzosen für Ausgangssperre verwenden, ist militärischen Ursprungs und erinnert an Luftkrieg und Besatzung: Couvre-Feu. Von 6:00 Uhr abends bis 6:00 Uhr morgens ist das Licht auszuschalten, die Klappe zu halten, und im Zimmer zu bleiben. Allein, versteht sich.

Auf der Durchfahrt durch Lyon lesen wir in riesigen Lettern quer über ein Haus den Kommentar: „balade au soir bientot a parloir“ – Der Abendspaziergang als Stubenrundlauf. Gleich daneben gut 30 Mal über die Wände der umliegenden Häuser verteilt: „peur satu“ – extreme Angst.

Apropos „allein“: in Deutschland ist in diesem Zusammenhang wieder viel von „Haushalten“ die Rede. Damit ist nicht das ebenfalls unter Pandemiebedingungen dringend erforderliche Sparen gemeint. Es geht hier um eine nichtstaatliche Wirtschaftseinheit, gebildet von privaten Konsumenten. Also um eine sehr kleine Gemeinschaft mit einem Vorstand.

Nach Jahrzehnten des Trainings in Co-Working, Co-Living, Patchworkfamilientum und Wohngemeinschaften von Menschen („männl., weibl., divers“) mit gleichen Gesinnungen oder sexuellen Ausrichtungen stehen wir nun vor dem Debakel, dass es die „reinen“ Haushalte aus dem 50er-Jahre Konzept von Familie (zum Glück) gar nicht mehr ausschliesslich gibt, sie aber dennoch in den Infektionskettenunterbindungsregeln eine herausragende Position bekleiden.

Insgesamt fügt sich die Bezeichnung Couvre-Feu nahtlos in die gängige französische Kriegsmetaphorik. Das Virus, dessen Überträger laut Dokumententitel aus den Nachbarländern „eindringen“, ist so eine Art Nazi auf Durchmarsch nach Paris oder eine feindliche britische Mutante. So betrachtet, versteht man auch, was mit „Territoire National Métropolitain“ auf der Ehrenerklärung gemeint ist.

Alles ist seitens der nationalen Staatsmacht so (an)geordnet, als hätte keiner der Regierenden jemals auch nur irgendeine Aufzeichnung über den Verlauf von Pandemien in den letzten 1000 Jahren gelesen, so als gäbe es keinerlei Erkenntnisse darüber, wie viel eine Grenz-Absperrung und ein Ausgehverbot nützen.

Die motorisierte Speiseröhre schafft jedenfalls ungerührt weiter Futter in die Bäuche der Metropolen. Die Autobahn ist knallvoll. LKW an LKW. Keine Spur von drohendem Zusammenbruch der Nahrungsmittelversorgung, von der die Querfront-Magazine menetekeln.

Viel besorgniserregender als das Virus scheint uns auf dieser Strecke der dichte Schneefall.

Mit dem ganzen Stoss Papier bewaffnet, schaffen wir es jedenfalls, ohne einmal angehalten zu werden, bis zum Planziel halbe Strecke: Langres.

WARNHINWEIS!

Teil 2 vom Hasenbraten: „Friss oder Stirb!“ ist die Beschreibung eines Abendessens unter Distanzbedingungen in Langres, Geburtsstadt von Denis Diderot, Lichtgestalt der französischen Aufklärung, Vater der Enzyklopädie, am 28.1.2021.

Teil 2: bitte hier klicken!

Wer dann immer noch nicht satt ist, kann nachschmecken in Teil 3: „Die Selbstunterwerfung“ enthält einige Rezepte zum Umgang mit der aktuellen Lage und die üblichen Übertreibungen und Schmähungen.

Teil 3: bitte hier klicken!

Die neue Aktion

Wenn ich den Titel meines blog-Beitrags anschaue, der als „Plan für eine gefährliche Operation“ missverstanden werden könnte, und wenn ich darüber nachdenke, was Prism aus der Kombination der drei Worte herausliest, sobald ich hier auf den WordPress-Button „Veröffentlichen“ gedrückt habe, muss ich schmunzeln. Denn es erinnert mich an eine Geschichte, die mir Peter-Paul Zahl einmal erzählt hat. Ich hatte Zahl 1994 nach Karlsruhe eingeladen zu einer Lesung im Rahmen der Installation „camera silens„.

Zahl erzählte beim Essen mit den Kollegen vom Museum ZKM eine Anekdote aus der Zeit der anarchistisch-libertären Zeitschrift 883. Natürlich wurde die titelgebende Telefonnummer überwacht. Natürlich wurde am Telefon viel geplant, auch wenn man sich bewusst war, dass der Staat mithörte. Natürlich, weil ja nicht alles verboten war. So redeten die Redaktionsmitglieder der 883 oft über „die ID“, das Kürzel für ein Titelmonstrum namens „Informations-Dienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten„, einem radikalen Vorgänger der TAZ. Erst viel später, im Rahmen einer Vernehmung im Gefängnis, erfuhr Zahl, was die Verfassungsschützer verstanden hatten. Sie fragten ihn, von welcher „Idee“ sie damals genau gesprochen, was sie geplant hätten? Die Geheimdienstler waren einer Homophonie auf den Leim gegangen und überzeugt, dass die oft besprochene, abstimmungswürdige „Idee“ nur ein Geheimcode für den nächsten geplanten Anschlag sein müsse.

Wäre ich also ein guter Marketingmanager unserer digitalen Zeitung, DIE AKTION, hätte ich von „relaunch“ gesprochen und damit vermieden, in Konflikt mit der algorithmischen keyword-search-Funktion unserer staatlichen Dienste zu geraten – einem beängstigenden Stück Code, das wahrscheinlich noch weniger phantasievoll ist, als der Mitarbeiter des VS, der in den guten alten Zeiten persönlich das Telefon der 883 abhörte.

Eine komplexe Vorrede zu einer einfachen Ankündigung: DIE AKTION 4.0, das Organ für radikale Intelligenz, das wir am 4. Mai 2020 neu gestartet haben, vergrößert sich.

In 2020 sind fünfzehn Essays zur Lage der Nation, Europas und der Welt in Zeiten der Pandemie erschienen. Nun kommen in 2021 zwei gänzlich neue Abteilungen hinzu. Sie sind benannt nach dem höchst erfreulichen Gruß, den der Schweizer Holzschneidekünstler und AKTION-MitstreiterJean-Jacques Volz unter jeden seiner Briefe schrieb:

Es lebe die Freiheit! Es lebe die Liebe! Es lebe die Poesie!

Klickt euch wund:
Es lebe die Freiheit! Hier sind alle politischen Essays versammelt. Heute neu: Autonomie
Es lebe die Liebe! Hier finden sich Zeichnungen, Fotos, Bilder. Der Liebesbeweis Nr. 1: J-J Volz
Es lebe die Poesie! Hier erscheinen ab heute in loser Folge klassische und zeitgenössische Texte und Gedichte, ausgewählt von Ralf Friel von Moloko Print. Auch in dieser Abteilung ein programmatischer Start mit Injektion Nummer 1: Georg Heym – Die Fratze

Weil wir diese poetische Dreiteilung von dem kürzlich verstorbenen Jean-Jacques Volz übernommen haben, schließen wir den „relaunch“ der neuen AKTION mit einem Erinnerungsfoto.

Der AKTION-Herausgeber Lutz Schulenburg (erschienen von 1981-2013) im Atelier von JJV, 2008

In ewiger Furcht?

Heute erscheint in DIE AKTION der Text „Apokalyptisch“ des Soziologen und Künstlers Rudolph Bauer. Nähere Informationen zum vielfältigen Werk des Autors finden sich auf seiner Website.

Das Dürrematt-Zitat am Anfang des Textes hat mich an John McMurtrys Buch „The Cancer Stage of Capitalism. From Crisis to Cure.“ (Neuauflage 2013, siehe hier Besprechung von Giorgio Baruchello) erinnert.

McMurtry schrieb mir – kurz nach der Neuauflage des um 100 Seiten angewachsenen visionären Buches, dessen Grundstein 1999 gelegt wurde, im November 2013:

„Ich möchte vorausschicken, dass es bei der zweiten Auflage um die globale Finanzkrise geht, die sich in der EU noch im Zustand der Metastasenbildung befindet. Das Buch widmet sich der Heilung dieser Krankheit.“

Über das, was McMurtry „One-Way Eco-Genocidal Trends“ nannte und dem nach seiner Auffassung ein „Zusammenbruch des sozialen Immunsystems“ folgte, haben wir dann im dialogischen Verfahren einen Text erarbeitet, der in unserem Sammelband „Supramarkt“ (2015) erschien.

Sechs Jahre später stehen wir genau an dem Punkt des Zusammenbruchs des sozialen Immunsystems, den McMurtry nur scheinbar als Metapher prognostiziert hat. Ich sage „nur scheinbar als Metapher“, weil dem kanadischen Philosophen wichtig ist, dass es sich um eine präzise Beschreibung einer ökonomischen Krankheit handelt, die seiner Meinung nach erfolgreich behandelt werden könnte.

Rudolph Bauer setzt genau an diesem Punkt an. Bauers Quellen zeigen, dass die Anamnese längst durchgeführt ist. Die nun vorgeschlagene Behandlung allerdings führt zum Tod der bisherigen Gesellschaft – bei gleichzeitigem Überleben ihrer Mitglieder. Es drängt sich das Wort vom „zombie-state“ auf – wobei man Zombie als „ewig Lebend-ein wandelnder Toter“ und „state“ sowohl als „Staat“ wie als „Zustand“ lesen mag.

Was lernen wir aus dieser Erkenntnis? Dass wir bald in einem B-Movie leben?

Ich möchte – statt die Frage selbst zu beantworten – noch einmal aus McMurtrys Email an mich vom November 2013 zitieren: „Ich bin überzeugt, dass ein zweites, weniger dystopisches Panorama vorstellbar ist. Ein Panorama des Erkennens, des Widerstands und der Überwindung ist möglich – wir können die sich ausbreitende Krankheit stoppen durch öffentlich kontrollierte Banken, Steuergeld-Rückeroberung und produktive Investitionen in universelle Lebensgüter. … Der Krebs des Geldsystems kann besiegt werden. Dies ist die Evolution, die wir intuitiv erahnen, aber uns noch nicht konkret vorstellen können.“

Heute tritt das Bild der Bedrohung wesentlich klarer, weil persönlicher vor uns und bestimmt unseren Alltag. Das Geldsystem erscheint in seiner Gestalt als (konzernmässig organisierte) Gesundheit, Ernährung, Energie. Seine Gestalt ist antidemokratisch, naturvernichtend und autoritär. Es ist für Superorganismen geschaffen und nicht für Individuen.

Wenn ich Bauers Text richtig verstanden habe, gibt es auch gar keine Alternative. Da wir nicht in „ewiger Furcht“ leben wollen und dies gar nicht könnten, müssen wir die Krankheit des Systems gemeinsam überwinden – durch Solidarität.

Zoom-Boom!

Heute erscheint als Jahresauftakt ein Text der Philosophin Jutta Weber in DIE AKTION über „COVID creep“, die Tricks, mit denen sich Videoanbieter in unser Zuhause einschleichen und unsere Daten meistbietend an Marketingunternehmen, Geheimdienste, Militärs und Polizei verkaufen.

Die Herausgeber von DIE AKTION planen – mit diesem Beitrag als Auftakt – für 2021 eine Reihe zu KI, Plattformkapitalismus und (post-)pandemischer Tele-Gesellschaft.

Jutta Webers Text ist in dieser Hinsicht doppelt richtungweisend für die geplante Serie von Essays: zum einen ist uns der cyberfeministische Ansatz der Medientheoretikerin höchst wichtig – insbesondere unter Berücksichtigung eines zentralen Umstandes, den Sadie Plant schon vor 20 Jahren in „Nullen und Einsen“ formulierte

"Hardware, Software, Wetware - vor ihren Anfängen und über ihr Ende hinaus sind Frauen die Assemblerinnen und Programmiererinnen der digitalen Maschinen."

(eine Spur, die dennoch bis heute vergleichsweise wenig verfolgt wurde).

Zum anderen muss – gerade mit Rücksicht auf die gewaltigen Umwälzungen, wie sie z.B. an militärisch-industriellen Projekten wie dem Cybervalley Tübingen auch in Deutschland erkennbar werden und KI als Segen für die Menschheit verkaufen möchten – dringend ein Diskurs befördert werden, den die Linke gern ausblendet, weil er sich mit einzelnen Akteuren, statt mit Strukturen und Systemen befasst. Heutige Akteure aber handeln nicht mehr nach klassischen kapitalistischen Mustern und mit dementsprechenden Werten und Zielen, heisst: sie sind nicht mehr als Vertreter eines in der Kapitalismuskritik bekannten und hinlänglich analysierten Systems in den Blick zu bekommen.

Ganze Heerscharen von Philosophen rätseln, wie es zu diesem Zustand kommt? Viele plausible Ansätze existieren – je überzeugender, desto transdisziplinärer die Ansätze arbeiten und neue ökonomische Prozesse nicht mehr allein aus dem Feld der Ökonomiekritik heraus zu verstehen versuchen.

Die Autorin und Fotografin Christina Zück hat mir einmal einen höchst spannenden Lese-Hinweis gegeben, den ich hiermit teile:

„Bifo Berardi bezieht sich in seinen Begriffen des „Kognitariats“ und des „Semiokapitalismus“ auf neurowissenschaftliche Erkenntnisse aus der Traumaforschung. Im zeitgenössischen Semiokapitalismus werden weitgehend keine materiellen Güter mehr, sondern psychische Stimulation und affektive Environments durch Zeichen produziert. Informationsexplosion und digitale Dauerr-Erregung generieren eine Psychosphäre, die durch affektive Schwankungen, Depression und Angstzustände gekennzeichnet ist. Die technologische Entwicklung und die digitale Vernetzung überschreitet die Fähigkeit des Gehirns und des Nervensystems, sich zu erweitern und sich daran anzupassen. Die Zeit der Algorithmen ist nicht mehr die Zeit des Menschen. Wie bei einem Trauma kartographiert sich der Semiostress ins Nervensystem ein und produziert unkontrollierbare Symptome.“

Diese ein paar Jahre alten Sätze Anfang des Jahres 2021 wieder zu lesen, lässt sie unangenehm vertraut klinmgen. Aber wie weit kommt man in der aktuellen Pandemiesituation mit solchen Erkenntnissen?

Eine Zeitlang habe ich, weil ich es zwar spannend finde, was Leute wie Berardi schreiben, aber in diesen ungeheuren schlangenlangen Doppel-Wort-Neologismen (Kognition+Proletariat, Semiotik+Kapitalismus) noch zuviel wiederum auslegungsbedürftiges Denken in „vorverdrahteten“ Kategorien/Begriffen finde, die Idee verfolgt, dass zeittypische Akteure sich gar nicht mehr in die Ordnung des Möglichen einfügen, weil es sich dabei um nicht-maschinelle (moralverhaftete, und damit überkommene) Kategorien handelt, die nicht mehr dem (heutigen, rein durch technisches Vermögen bestimmten) Ideal entsprechen.

Die technischen Möglichkeiten berechtigen somit zur Entgrenzung (nicht nur Entledigung vom sozial Nützlichen oder Anständigen, sondern eben ganz konsequent: Überwindung des Machbaren) – was sich z.B. an den durch das kybernetische Finanzsystems propellierten gigantischen Gewinnerwartungen und blitzartig machbaren Reichtumsumschichtungen widerspiegelt. Diese neue Art „Schöpfertum“ lässt sich eben nur in einer potentiell grenzenlosen (digitalen/kybernetischen) „Ökosphäre“ denken. Aber weit kommt man damit auch nicht: denn alle Proponenten dieses Ansatzes vergessen, dass es nicht endlos Energie gibt, diese fake-Ökosphäre aufrechtzuerhalten.

Was aber lernen wir aus dem Vorhandensein dieser Grenze? Wir können ja nicht auf den großen Stromausfall warten.

Vielleicht sollten wir den nächsten Ansatz – aus gegebenen Anlass – in der Metapher der „Gesundheit“ suchen?

Auch hier hatte Zück schon vor COVID etwas anzubieten: „Catherine Malabou, die sich mit dem Verhältnis von Philosophie und Neurowissenschaften beschäftigt, leitet vom Begriff der neuronalen Plastizität – die Fähigkeit der Hirn- und Nervenzellen, sich sich in ihren Eigenschaften zu verändern, weiterzuentwickeln oder zu reparieren – ein philosophisches Konzept ab, dass sie Plastizität nennt: das Vermögen, Form zu geben und geformt zu werden. … Malabou entdeckt darin eine charakteristische Musterbildung für die heutige Zeit. Viele der ehemals als psychische Krankheiten behandelte Veränderungen, von der Psychoanalyse auf Trieb, Begehren und Bindung zurückgeführt, sind dauerhafte Zerstörungen im Hirn- und Nervensystem. Die Auswirkungen einer Organveränderung und die eines soziopolitischen Traumas – durch Gewalt, Krieg oder Armut – werden ununterscheidbar. Politische Unterdrückung nimmt heutzutage die Gestalt eines traumatischen Schocks an, so daß Geschichte nach und nach in die Erscheinungsformen von Natur und Biologie übergeht. Je mehr sich die Angst ausbreitete, je mehr man ihr Raum gäbe, je mehr man sie auslebte, je diffuser sie würde, verstand ich, am Ende würde sich unsere Hirnstruktur verändern.“

Enorm schlau – aber hat Ähnliches nicht der klassische Kapitalismus auch schon bewirkt?

Eins steht jedenfalls fest: unser konventionelles Kategoriensystem scheitert bislang noch am Verhalten solcher Akteure, die nicht mehr dem Bild des klassischen Fabrikbesitzers oder Bankiers entsprechen. Denn sie sind weniger Unternehmer, sondern mehr Gestalter.

Fraglos: Sie gestalten uns um. Gerade zur Minute mehr, denn je zuvor.

Jutta Weber, die als Technikforscherin und Professorin für Mediensoziologie an der Universität Paderborn tätig ist, schlägt in ihrem Text „‚Wahrscheinlich annäherungsweise korrekt‘. Über Neue KI und Human-Machine Learning“ vor, es so zu sehen:

„… die neue KI ist an die Weltsicht, Bildung und Geschichte ihrer Designer*innen gekoppelt. Wir müssen daher noch genauer hinsehen, wie sich Wissensordnungen, Weltanordnung und Selbstverständnis im Rahmen des neuen computation rekonfigurieren.“

DIE AKTION möchte dazu beitragen, diesen von Weber geforderten genauen Blick zu schärfen.

Reizlos

Wenig Eindrücke – viel Wirkung. Warum der Lockdown das Potential hat, eine kollektive Psychose auszulösen.

Der Präsident des Royal College of Psychiatrists, Adrian James, rechnet laut Guardian vom 27. Dezember 2020 allein für Großbritannien damit, dass bis zu 10 Millionen Menschen, darunter 1,5 Millionen Kinder, als direkte Folge der COVID19-Krise neue oder zusätzliche medizinische Unterstützung für ihre psychische Gesundheit benötigen: immerhin 15% der Gesamtbevölkerung. In Japan sind im Dezember 2020 mehr Menschen an Selbstmord gestorben, als im ganzen Jahr an Covid19, meldet CNN am 29. Dezember 2020.

Was wirkt so stark auf das Gemüt? Werden wir am Ende alle psychisch krank?

Un-Personen

In der Zeit lockdownbedingter Reizarmut bekommt unser psychisches Porzellan leicht einen Knacks, den man erst viel später bemerkt. Die Folgen der grassierenden Infektions-Krankheit, kombiniert mit wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen, und die permanente Ungewissheit, die drohend über allen schwebende Gefahr ewiger Wiederholung der Katastrophe beschädigen die seelische Gesundheit so stark „wie der zweite Welt-Krieg“, befindet der führende britische Experte Adrian James.

Doch nicht nur allgemeine Beschränkungen im Rahmen der Pandemiebekämpfung führen zu seelischen Zusammenbrüchen. Insbesondere hätten die Zwangsisolierungen den Verlust von Angehörigen zu einem tief traumatischen Erlebnis umgestaltet, weil sich die Familien oft nicht einmal persönlich von den Sterbenden verabschieden konnten. So erleben die Hinterbliebenen die ohnehin schon harte Trennung von einem Mitglied ihrer Familie angesichts des Verbotes, Abschied zu nehmen, wie eine Art Strafe. Schließlich gibt es für die Leidenden keine hoffnungsvolle Perspektive: wann der augenblickliche Zustand endet, ist nicht absehbar, wird er doch von Monat zu Monat scheibchenweise verlängert, was die Einschätzbarkeit und damit eine Erleichterung der Bewältigung aus der Aussicht auf baldige Besserung verunmöglicht. Von Spätfolgen über Jahrzehnte ist jetzt schon die Rede.

Es sei sogar nicht einmal ausgeschlossen, dass Corona bereits in den wenigen Monaten seit März 2020 unsere Gehirne „neu verkabelt“ habe.

Die im gleichen Guardian-Artikel zitierte Psychotherapeutin Philippa Perry sieht uns schon alle als „Unpersonen“ (non-persons) umherlaufen. Bereits das Fehlen der täglichen „sozialen Tänze“ rund um die Suche nach einem Platz im Bus oder Cafe und die damit verbundenen Interaktionen rauben uns das Gefühl von „Zugehörigkeit“.

Besonders fatal wirken harte Beschränkungen natürlich in einer hochgezüchteten Kultur, die gerade erst seit fünfzehn, zwanzig Jahren ihr Heil in geradezu manischer (Reise-)Bewegung suchte und Jedermann darauf drillte, das Ausleben jedes noch so blöden (sportlichen oder sonstigen) Spleens als Ausdruck persönlicher Freiheit zu verbuchen. Nun rächt sich im Verbot von Allem die gezielte Entpolitisierung der Menschenrechte. Wer mit dem Gefühl des verbrieften Anrechts auf Kauf und Amüsement sich abspeisen ließ, gerät in die Depression, statt durch Widerstand Gesellschaft aktiv mitgestalten zu wollen. Nach dem überschäumend schönen Traum von Luxus und Freiheit mit dem trüben Aufguß des „tele-everything“ abgespiesen zu werden und exotische Orte nur noch auf Youtube erleben zu können, haut natürlich besonders ins Stimmungskontor. Fieser Frust macht sich breit und demoliert die Seele.

Gedächtnisnegativ

Adrian James´ Vergleich mit der Härte des zweiten Weltkrieges ruft die Formen „negativen Erinnerns“ wach, die zu „Jahren des Beschweigens“ der Verbrechen nach Kriegsende 1945 geführt haben. Wenn das Leiden eine bestimmte Qualität erreicht, sind Auslöschung oder Trivialisierung der Erinnerung häufig vorkommende Schutzmechanismen der Betroffenen. Das Trauma wird verkapselt. Oder es wird umgewandelt.

Leugnung, Schuldzuweisung, Selbstmitleid und herbeiphantasierte Leiden sind Figuren, die aus der Bewältigung faschistischer Greuel – insbesondere bei Tätern und „Mitläufern“ – bekannt sind. Der Ethnologe Y. Michal Bodemann spricht in diesem Zusammenhang von einer „Gedenkepidemie“, mit der 30 Jahre nach dem Krieg das Schweigen durchbrochen werden sollte. Bodemann untersucht in seinen Texten nicht nur die Bedeutung von Leugnung oder Herabwürdigung als „Strategien der Mythologisierung“ – zur Überwindung von Trauma, Schuld und Scham. Er spricht auch von einer „Strategie des Gedächtnis-Negativs“: ein Schweigen über die eigentlichen Auslöser (Kriegsverbrechen) bei gleichzeitigem Hinweis auf dessen Epiphänomene. Hierdurch wiederum bleibt der Kern des Problems „verdunkelt“. Das Gedächtnisnegativ ist inhärentes Element aller von Bodemann identifizierten Strategien. Er sagt: „Analog einem Fotonegativ oder der Gußform einer Plastik werden nur die äußeren Konturen der Katastrophe sichtbar gemacht.“ (S. 357, in: Trutz von Trotha, Soziologie der Gewalt, Opladen 1997)

Nun ist Bodemann kein Psychologe – und der Lockdown kein Vernichtungskrieg. Doch ist gut vorstellbar, was mit einschneidenden Verlusterfahrungen passiert, welche langfristigen psychischen Einschreibungen entstehen und wie schwer sie wieder zu „normalisieren“ sind, insbesondere wenn sie einer ganzen Generation eignen.

Mit solchen Forschungsergebnissen im Kopf ist die Frage zu stellen, welche Strategien uns helfen werden, posttraumatischen Streß abzubauen und das „new normal“ nach dem Ende der Pandemie zu verkraften? Mit Impfen allein ist da nicht viel geholfen.

Kollektive Psychose

Meine erste Begegnung mit der methodischen Produktion einer kollektiven Psychose fand am 18. Oktober 2018 statt. Das war rein zufällig der 41. Jahrestag der sog. „Todesnacht von Stammheim„. In dieser Nacht starben Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in ihren Gefängniszellen in der JVA Stuttgart. Irmgard Möller überlebte schwer verletzt. Insofern muss ich korrigieren, dass es sich um eine erste Begegnung handelte. Während der Terroranschläge des Deutschen Herbsts 1977 bestand während einiger Wochen ein offizielles Kontaktverbot (der Inhaftierten untereinander und zu ihren Anwälten), das durch das – wohlgemerkt! – nachträglich beschlossene Kontaktsperregesetz legitimiert worden war.

Ohne die zuvor medial geschürte kollektive Psychose, dass diese vielleicht zwanzig bewaffneten Täter mit dem etwas kindischen Namen „Rote Armee Fraktion“ in der Lage seien, eine solid gebaute rechtsstaatliche Demokratie wie die Bundesrepublik in Schutt und Asche zu bomben, hätte sich wohl keine Mehrheit in der Bevölkerung dafür gefunden, die die Isolation und Entrechtung der Gefangenen ebenso gutheißt, wie die Denunziation und Verfolgung von sog. „Sympathisanten“ (siehe z.B. Peter Brückner), die sich nicht klar genug von den Terroristen distanzierten, sondern darauf beharrten, die Gesamtsituation verstehen zu wollen.

Agressive Software?

41 Jahre danach führte ich auf dem Parkplatz vor einem Haus im Baskenland, in dem ich einige Tage gewohnt hatte, um mich von den Strapazen einer 6-monatigen Ausstellungsvorbereitung zu erholen, ein Gespräch mit dem Ferienhausvermieter, ein hochdotierter Programmierer von Anwendungen sogenannter „künstlicher Intelligenz“, angestellt bei einer Firma in der Schweiz, die auf die Weiterverarbeitung europäischer Medizindaten spezialisiert ist.

Der Mann berichtete unter Bezug auf meinen Text über gezieltes Töten mit Drohnen, die von ähnlich intelligenter, „selbstlernender“ Software auf ihre „weichen Ziele“ gelenkt werden, wie er sie programmierte, dass er mit ethischen Problemen bei der Arbeit zu kämpfen habe.

Sein Job war, Krankenhausdaten in eine Datenbank so einzupflegen, dass sie im europäischen Maßstab vergleichbar und gemeinsam nutzbar würden. Das schien auf den ersten Blick keinen Grund für Gewissensbisse zu liefern. Die Problematik entstand durch die mangelnde Bezahlung. Sein Chef hatte deswegen mit seinen Auftraggebern eine freie, wenig gemeinnützige Weiter-Verwendung der im Wesentlichen aus Steuermitteln kreierten Daten ausgehandelt. Um die geringe Entlohnung durch die beteiligten Krankenhäuser auszugleichen, hatte das Unternehmen ausgehandelt, zur Aufbesserung der Einkünfte die Daten an private Nutzer weiterverkaufen zu dürfen. Mein Gesprächspartner hatte entdeckt, dass militärtechnische Unternehmen zu den ersten Interessenten gehörten. Das machte ihm erheblich zu schaffen. Nicht die Software an sich, doch ihre Nutzung als „Waffe“ bereitete ihm Magenschmerzen.

Mein Gesprächspartner war mit der jüngst noch einmal von Wolf Wetzel erinnerten „jahrzehntealten“ Erkenntnis konfrontiert, „dass Pharmakonzerne so ähnlich agieren wie die Waffenindustrie“ – zwei sonst eher getrennt gesehene Komplexe, zwischen denen doch die Daten zügig hin- und her fließen.

Sauerstoff der Menschensteuerung

Aber, und dabei ging er unruhig einige Schritte hin und her, bevor er zum Punkt kam, das sei alles gar nichts im Vergleich zu dem Job seines Bruder, ebenfalls Programmierer. Ob ich schon mal von „360 Social“ gehört hätte? Hatte ich nicht.

Das Softwareunternehmen „360 Social“, bei dem sein Bruder angestellt sei, habe sich darauf spezialisiert, die Chats von Angestellten in den „sozialen Medien“ abzulauschen und Firmen gegen Bezahlung ein genaues Bild der Wahrnehmung ihres Unternehmens durch ihre Angestellten zu liefern.

„comments are oxygen“ – wie eine Ökosphäre beschreiben solche Dienstleister ihr Geschäft mit der Meinung: sie liefern den Sauerstoff der Menschensteuerung.

Was als Analysetool begonnen haben mag, das den Firmen Möglichkeiten in die Hand gab, sich selbst zu reflektieren, aus ihren Fehlern zu lernen, ihnen aber zugleich auch Daten lieferte, mit denen sie Mitarbeiter wegen verbaler Sabotage verfolgen und neutralisieren konnten, drehte sich unter dem Eindruck des Brexit schnell um zu einem Mittel politischer Strategie.

Konservative Philanthropen und Milliardäre mit konkreten Zielen der Umgestaltung von bestehender Gesellschaft, so mein Gesprächspartner, würden diese Dienste massiv anzapfen, um aus dem Analyse- ein Angriffswerkzeug zu machen.

Über die gleichen Kanäle, die der „privaten“ Veröffentlichung von Unzufriedenheit Raum gaben, würde denselben Nutzern gezielt Inhalt eingespielt, der in diesem Fall dazu diente, den Brexit mehrheitsfähig zu machen. Das, so sagte er, sei eine schockierende Tatsache und er wisse nicht, wie sein Bruder es mit seinem Gewissen vereinbaren könne, dafür Software herzustellen.

Die Dimension der Selbstschädigung eines Landes, das nun zwei Jahre später noch immer um die genaue Form seines „regellosen“ Ausstrittes aus der EU ringt, ist immer noch nicht in Gänze abschätzbar, doch auf jeden Fall desaströs. Die in weiten Teilen ultra-rechte Anti-EU-Stimmung aber, die den aktuellen Un-Zustand überhaupt heraufbeschwören konnte, resultiert im Wesentlichen – so die damalige Einschätzung meines Gesprächspartners – aus einer gezielt geschürten Ablehnung, die den Charakter einer medial induzierten Psychose besitzt.

Psychokeime

Ich hatte das Gespräch auf dem Parkplatz längst wieder vergessen. Doch dann kam mein Freund Moritz, der sagte: „Psycho-Keime!“
Ich sagte: „Was?“
„Na, Psycho-Keime! Du sagst es ja selbst: früher haben wir alle vor den Bullen Schiß gehabt. Jetzt fürchten wir uns bei einer Demo vor unseren Nächsten. Und nur, weil es verboten ist, mit ihnen zusammen zu sein, halten wir sie für gefährlich.“ Den Rest des Gespräches könnt ihr in meinem Beitrag „Höllenwinter“ nachlesen. Ich ergänze nur folgendes:

Bin ich schon längst Opfer einer methodischen Anwendung des Selektionsprinzips namens „Hypochondrie“? Wer sich mit Hypochondrie infiziert, kann die Löffel abgeben.

Ich will jetzt nicht auch noch mit Zahlen anfangen, aber es ist doch recht wahrscheinlich, dass so in etwa 97% der Menschen hinter ihren Masken gesund sind. Da ist aber trotzdem – bei allen – dieser Prägestempel mitten im Gesicht.
Wenn man sich im Spiegel mit der Maske sieht und vor allem andere hinter ihren Tüchlein anschaut, fühlt man sich gleich krank.
Man horcht ganz anders in sich hinein… ist das Ziehen in der Lunge wirklich vom Kisten-Schleppen gestern? Oder lauert da ein Untier in mir und bereitet seine Vervielfältigung vor?

Hypochondrie sitzt schon dem Wort nach zwischen den Rippen. chondros ist griechisch für den Rippenknorpel, unter dem nach alter Vorstellung die Gemütskrankheiten lauern.

Systematischer Reizentzug

Die Forschungen zu den Folgen von Isolationshaft rund um das zuvor erwähnte distanzierte Unterbringen in Hochsicherheitstrakten von Gefängnissen haben gezeigt, das für die Konstruktion einer stabilen Identität die „Retorsion“ zentral wichtig ist: das Wechselspiel von Abgrenzen und Zurückweisen. Das gilt auf persönlicher Ebene ebenso, wie im Austausch mit staatlichen Zugriffen, gegen die man sich erfolgreich zur Wehr setzt. Wo das ausbleibt, erfolgreich verboten wird oder schlicht nichts mehr zurück kommt, wo jede Berührung, jeder Sinneseindruck, jeder Reiz fehlt, bricht die Psyche zusammen: man ist – schneller als man glauben möchte – nicht mehr „derselbe“ (lat.: identitas).

So gesehen sind, anders als oft in den Medien dargestellt, emotionale Instabilität, zeitliche und räumliche Desorientierung, Konzentrationsschwierigkeiten, Gedankenflucht und schlechtes Erinnerungsvermögen, sowie Sprach- und Verständnisdefizite keine Folge des Virus, sondern des systematischen Reizentzuges.

Wir sind alle „Gefangene“ – im französischen Wort für Lockdown, „confinement“, kommt dies deutlich zum Ausdruck: confiner heißt „verbannen, einsperren“. Als Gefangene nehmen wir unfreiwillig an einem Massenversuch teil.

Solche Erkenntnisse, wie sie im Sonderforschungsbereich 115 der Deutschen Forschungsgemeinschaft am UKE Hamburg experimentell erprobt („camera silens“ , siehe auch meine Rekonstruktion von 1994) und wissenschaftlich ausgewertet wurden, sollten in den 70er Jahren im Strafvollzug gezielt Verwendung finden, um ideologisch hochmotivierte Täter zur Aufgabe ihrer Einstellungen zu zwingen und so das Resozialisierungsziel der Haft zu erreichen.

Als tragischer biografischer Hintergrund dieser Forschung kann gelten, dass der Forschungsleiter Jan Gross als KZ Häftling in Bergen-Belsen – bei permanenter Konfrontation mit dem eigenen Tod und dem seiner Mitinsassen – eine Unzahl von traumatische Erfahrungen mit „sensorischer Deprivation und sozialer Isolation“ sammeln musste, Eindrücke, die ihn sicher zeitlebens nicht wieder verlassen haben. So wundert es wenig, dass er sein Leben in den Dienst der Forschung stellte, um den Mechanismus der Persönlichkeitsveränderung in reizarmen Umgebungen zu erkunden und ihm entgegenzuwirken. Dass damals solche Erkenntnisse staatlich nutzbar wurden: dafür sorgte ein Projektmitarbeiter aus dem Kreis der Bundeswehr-Angehörigen. Er spielte die Akten den Planern von Stammheim zu, damit sie dort einer effizienten Behandlung der „Staatsfeinde“ dienlich wären.

Regelungssucht

Die Isolierung nimmt immer groteskere, oft kaum noch bemerkte Formen an. Ein Freund in Oslo berichtete mir, dass es lange Streit um den sicheren Abstand gab: reicht Einmeterfünzig oder müssen es mindestens zwei Meter sein?

Da man in Norwegen im Restaurant ohne Maske sitzen darf, die Tische aber oft klein, nicht größer als 90 cm an der längsten Kante sind, stellt der Betreiber der Wirtschaft immer zwei Tische zusammen und platziert die Gäste an den äußeren Enden. So sind sie theoretisch 1,8 m voneinander entfernt. Aber so fern sehen sie sich kaum, hören schlecht. Also beugen sie sich vor, um näher zueinander zu kommen. Schon erscheint der Wirt mit dem Zollstock und exekutiert die staatliche Regel: nicht von Brust zu Brust sei zu messen, sondern von Nasenspitze zu Nasenspitze. Der öffentliche Eingriff ins Privatleben mit dem Maßband aber macht uns klar, dass nichts unbeobachtet bleibt und das intime Zusammensein als Gefahrenquelle gilt. „Eng zusammen sein“ und „krank“ werden so synonym.

In der Corona-Regel des Bundeslandes Bremen für die Durchführung von Weihnachtsfeiern (präzise: „Zweiundzwanzigste Corona-Verordnung für Bremen und Bremerhaven gültig vom 1.12.2020 bis 9.1.2021 Zusammenfassung in Einfacher Sprache“) war zu lesen: zu Hause sind Aktivitäten, die starkes Atmen erfordern, zu unterlassen. Blasinstrumente unterm Baum: maximal zwei.

Ist Regelungssucht auch eine der Krankheiten, von denen Adrian James erwartet, dass sie die psychiatrischen Anstalten füllen werden?

Destruktives Wissen

Wo verweben sich nun die Fäden „Krankheit“ (primäre Seuche), „Reizarmut“, „Lockdown“ und „Social Media“ und erzeugen eine weitere, grassierende Krankheit: des Gemütes?

Die Antwort: sie verflechten sich zu einem üblen Zopf in den negativen, asozialen Effekten der Kontaktverbote.

Denunziation, geschäftsschädigendes Verhalten zur Ausschaltung von Konkurrenz, immer populärer werdender Egoismus (alle sollen Maske tragen, damit ich nicht krank werde) und ähnliche im Alltag vorkommende, oft autodestruktive Handlungen, die im Kleinen das große Bild einlösen vom Kapitalismus als Produzent von schizophrenen Zuständen, von einem System in sich nicht zur Lösung zu bringender Widersprüche.

Es ist lange bekannt, dass die sozialen Medien, die uns jetzt helfen sollen, die reizarme Zeit „gemeinsam mit Freunden“ zu überwinden, schwerpunktmässig eine zerstörerische Kommunikation befördern.

Hetze, Anprangerung und Verhöhnung fällt über „digitale Kanäle“ leichter, als wenn man jemandem direkt ins Gesicht spuckt. Mit den oben geschilderten Methoden der Umschmiedung von Analysetools in Influencerwerkzeuge ist nicht nur „Meinung“ schnell gemacht – sondern auch die Stimmungkrankheit fix ausgelöst.

Wir alle sind plötzlich eine Gesellschaft von eingebildeten Kranken.

Schlimmer noch: Der fehlende Austausch steigert weiter die Dämonisierung. Wer nicht mehr persönlich seine Sorgen und Nöte (be)spricht, sondern nur auf Distanz (medial vermittelt), verliert die ausgewogene Einschätzung und ist anfälliger für Verleumdungen. Er verfällt leichter dieser – man möchte fast sagen – gesundheitspolitisch organisierten Hypochondrie.

Die Mediziner werden vielleicht – wie einst Charcot die „Hysterie“ – eine neue politisch induzierte Krankheit erfinden müssen, analog zur „Morbus Google“, jener sog. „Cyberchondrie„, bei der die Betroffenen durch intensives Recherchieren im Internet eine Symptomverstärkung erleben.

Der „soziale Tanz“ jedenfalls ist derweil fraglos zu einer Art Ringkampf umgewidmet, ein Schlamm-Catchen gegen die Solidarität. Auch das ist eine Form des Leugnens, ein „Gedächtnis-Negativ“, entstanden unter dem Druck einer für den Einzelnen zu groß gewordenen Herausforderung. Statt Schutz der Schwachen ist jeder Bürger des Bürgers Feind. Wenn es beim Lockdown wirklich um die Gesundheit aller geht, sollten die Regierenden ihn aufheben, bevor es für unsere Psyche zu spät ist.

Unterdeutschland

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Höllenwinter

oder: „Sich auf sein eigenes Ende hin leben?“

I. Zukunft
Nachdem ich gestern den Gesundheits-Burger verdaut hatte und, wieder zu Haus, in Erwartung weiterer Schmähungen furchtvoll vor den neu eingegangenen Emails saß, sah ich mich im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Matthias Bröckers´ Text „Symbionten statt Parasiten“ mit folgender Botschaft konfrontiert:

Lieber Olaf,
wie kannst du, wie könnt ihr noch überhaupt entspannt, zufrieden, zukunftsfroh und optimistich leben? Ich lese nicht alle eure Texte, weil ich im Prinzip in meinen bisherigen wohl zu engen – privaten, professionellen gesellschaftlichen und politischen (bin immer noch seit fast 60 Jahren in der SPD!) – Grenzen verhaftet bin. Ich versuche Wissenschaft im mir bekannten und bisher praktizierten Sinne fortzusetzen – und lese dann einige der Texte aus deiner Feder und deinem Umkreis, die eigentlich auf nichts anderes hinauslaufen, als sich auf sein eigenes Ende hin zu leben. Wie machst du, wie macht ihr es, mit den Untergangsvisionen und Endzeitlichkeit weiter zu leben, woraus bezieht ihr Energie, Kraft, Lust zum Weiterleben? Was ist euer „Geheimnis“ des Zukunftszutrauens?

Viele Fragen, eine gehörige Portion Hilflosgkeit und Verzweiflung…
Liebe Grüße an euch beide von uns aus Berlin, Edeltraud und Herbert.

Soweit das Zitat. (Die Namen habe ich aus persönlichen Gründen geändert.)

Ich war erleichtert: die Email erfreute mich. Denn seine Vorgänger (von anderen Email-Schreibern aus meinem Freundeskreis) waren deutlich weniger fragend-höflich und erst recht nicht erfreulich.

Diese Woche war ich schon einmal als „oberlehrerhafter Anpisser“ und zuvor als „mit Unworten wie Gesamtsterblichkeit die Toten und Pfleger/Ärzte verhöhnender“ (wahrscheinlich Un-)Mensch bezeichnet worden. Ich möchte an dieser Stelle festhalten, dass ich persönlich nie von „Gesamtsterblichkeit“ gesprochen habe. Ich musste mir allerdings zurechnen lassen, einen Link geteilt zu haben, der das Wort „Gesamtsterblichkeit“ enthielt.

Das war klassische Kontaktschuld. Ich war als Sympathisant überführt – eben einer, der Theorien-Bodensatz aus teils dunkler ideologischer Quelle ungefiltert weiter reichte, womit man derzeit den Adressaten bitte verschonen möge. Das sei alles gar nicht witzig, daher möge ich bitte für die Zukunft innehalten mit dem Versenden von übel zusammenhalluzinierten Spekulationen, die ich als Tatsachen hinstelle, wogegen wohl in meiner „Echokammer“ kein Widerspruch geduldet sei.

Ich war leicht irritiert und wusste erst gar nicht, was genau damit gemeint sein sollte: eine Mischung aus geistiger Folterkammer und bedingungslosem Wortgehorsam à la Sportpalastrede?
Die virtuelle Stube, die mir da angedichtet wurde als meine neue Heimat für den intellektuellen Kameradenabend – damit war sicher nicht „Dr. Satan´s Echokammer“ von DJ Spooky gemeint. Aber selbst des schlauen DJs politisch harmlose subliminale Ekstasen sind unterdessen auf Youtube und Amazon gelöscht – Entschuldigung: aus dem Programm genommen – wahrscheinlich zum Schutz der geistigen Gesundheit unserer Jugend. Es genügt offenbar wenig, um als abweichend gebrandmarkt und damit abgemeldet zu werden.

Und immer wieder in den Emails, die meinen blog oder meine Telepolis-Texte betreffen, in Varianten das Argument: Jetzt sei „nicht der Moment, irgendwelche kruden Impfgegner und Verschwörungstheoretiker herauszukramen. Das ist gemeingefährlich“.
Diese Erfahrung machen gerade ziemlich viele Freunde, die sich noch trauen zu schreiben, was sie denken, siehe Philip Mausshardt in DIE AKTION Nr.10

II. Ins Autoritäre hinein
Ich musste mir also meine Antwort gut überlegen, um nicht noch einen wertvollen Freund zu verlieren.

„Lieber Herbert,
deine Frage – eigentlich sind es ja mehrere Fragen, die du zu einer großen Frage der „Zukunft“ zusammen gefügt hast – ist natürlich nicht mit einem Satz zu beantworten. Zu viele unterschiedliche Aspekte sind in ihr verwoben.
Deswegen vielleicht nur einige kurze Anmerkungen.

Wie es mir „persönlich“ gelingt, Zukunft zu denken und zu empfinden angesichts der aktuellen Lage, kann ich relativ einfach beantworten: nach mehr als 40 Jahren Aufklärungsarbeit, die in deiner Schule einmal begonnen und seither mein Leben und meine Art kritisch zu denken maßgeblich beeinflusst haben, nach ebensolanger Zeit vollständig freier Tätigkeit, ohne je einem Herrn dienen zu müssen, nach 40 Jahren journalistischer, künstlerischer und schriftstellerische Tätigkeit habe ich gerade noch mal das Berufsfeld gewechselt, eine kontrazyklische Entscheidung, die in unserer Gesellschaft gar nicht vorgesehen ist, dass jemand mit 60 noch mal etwas völlig Anderes anfängt. Das allein schon macht mich sehr froh, so etwas tun zu können.
Dies zusammen mit der Entscheidung, ein halbes weiteres Leben in Frankreich zu verbringen und mit Blick auf unsere Nichten, die wir ein wenig wie unsere Töchter betrachten, gibt mir sehr viel persönliche Zufriedenheit.

Die Frage nach dem Aushalten-Können der intensiven Beschäftigung mit deprimierenden Themen kann ich auch noch einigermaßen plausibel beantworten: wenn man etwas objektiviert, dadurch dass man es zum Forschungsgegenstand macht – und das waren für mich die Themen Stammheim, Auschwitz/Buna, nicht-tödliche Waffen, und in der weiteren Folge dann alles, was sich um den Themenkomplex einer Demokratie herum bewegt, die immer weiter ins Autoritäre hinein sich verändert – das alles lässt sich viel leichter ertragen, wenn man es nicht nur still erleidet, sondern sich davon ein genaues Bild macht, dadurch dass man es für andere aufschreibt oder in künstlerische Installationen verwandelt.
Ausserdem war ich ja dadurch gewissermaßen Profi für „no Future“, nachdem ich in der Zeit, als ich bei dir an der Uni lernte, meine Punk-Zeit schon hinter mir hatte.

III. Bereicherungspolitik
Etwas schwieriger ist die große gesamtgesellschaftliche Perspektive.

In den 80er Jahren bin ich – vermittelt durch meine Professoren, viele davon Marxisten – mit etwas aufgewachsen, dass man ganz grob „Kapitalismuskritik“ nennen könnte, weil zu der Zeit, als ich jung war, der Nachkriegs- und Wieder-Aufbau-Kapitalismus ganz frisch und das kritikwürdige Element unserer Gesellschaft war. Kapitalismus einerseits als Garant für unsere Sicherheit und Zufriedenheit und die enorm hohe Qualität der Ausbildung. Insofern eine vergleichsweise ruhige und wenig ereignisreiche Zeit, wo Hausbesetzung noch das Aufregendste war. Andererseits war der BRD-Kapitalismus etwas, das immer wieder von sogenannten Amigo-Affären, Celler Löchern, Butterbergen und von Energiekrisen (Fokus Autoindustrie) und einer Politik, die an den negativen Effekten ihres Tuns schon damals jede schuldhafte Beteiligung leugnete, durchkreuzt wurde.

Ganz aktuell aber ist das Problem nicht mehr so sehr „Kapitalismus“, sondern sicherlich eher die gesamte politische Klasse als solche, die in keiner Form mehr sozial, dafür aber in fast jedem Aspekt ihres Handelns egoistisch ist.

An dieser Stelle hakt nun das Problem ein, das Du in letzter Zeit in unseren Gesprächen immer häufiger erwähnst: deine Mitgliedschaft in einer politischen Massen-Organisation, noch dazu in einer, die in fast Sowjet-hafter Haltung für sich in Anspruch genommen hat, besser zu wissen, was gut ist für die Bürger, als die Bürger selbst. Das war natürlich in der frühen Nachkriegszeit angesichts einer starken CDU eine gute strategische Haltung, weil die CDU sich ja darauf kapriziert hatte, alles zu tun und zu fördern, was den Leuten individuell zu mehr Glück durch persönlichen Reichtum verhilft. Da wollte die SPD natürlich zeigen, dass es Alternativen gibt.

Nun aber bist Du – durch reines Verharren dort an der Parteibasis – in einer SPD des 21. Jahrhunderts angekommen, die wenig zu tun hat mit der gleichen Partei, wie sie vor 100 Jahren aufgestellt war.

Heute hat die SPD einen gesundheitspolitischen Sprecher, eine Art Evangelikaler, der „Verzicht, sonst Untergang“ predigt und die Apokalypse kommen sieht, falls man ihm nicht folgt.

Beschwörung des Unterganges

So muss ich an dieser Stelle gegen-fragen: Wie kann man sich an Deiner Stelle, der sehr so große Teile seines Lebens im Einklang mit dem sich wandelnden, aber irgendwie konsistenten politischen Konzept einer Partei verbracht hat, noch identifizieren mit einer nun vollständig umgedrehten Massen-Organisation, die sich offenbar auf die Fahnen geschrieben hat, uns mit menetekelhaften Beschwörungsformeln (und vermutlich aus reiner Staatsräson sprich: um als Partei am Ball zu bleiben) diesen Winter zur Hölle zu machen, ohne dafür eine vernünftige medizinische Begründung, noch nachfolgende Perspektiven zu geben? Wo ist dort die Zukunft möglich?

Hinzu kommt, dass der Kern-Punkt dieser Beschwörung lautet, dass Du – nicht du persönlich „du“, sondern wir alle – aufgrund der angeblichen Komplexität der Lage nicht mehr dem eigenen gesunden Menschenverstand vertrauen DÜRFEN, Du nicht mehr Deine Freunde vertrauensvoll und Nähe suchend besuchen darfst, sondern dass sich insgesamt eine Lage ergeben hat, in der wir uns alle fürchten: voreinander!
Der Feind steckt also jetzt unmittelbar in uns.

Das ist natürlich eine schlechte Voraussetzung, um über Zukunft nachzudenken, weswegen viele, zu denen ich nicht gehöre, auch das Vorhandensein des Auslösers leugnen. Das ist eine Art Notwehr, weswegen ich es nicht gutheißen, aber doch verstehen kann (denn jeder benötigt zum Weitermachen ein wenig Zukunft) – auch wenn die Leugnerei tatsächlich schwachsinnig ist.

Aber das Problem ist – wie gesagt – gar nicht die medizinische Lage, sondern die Trittbrettfahrerei einer vollständig verantwortungslos und egoistisch gewordenen neoliberalen Bereicherungspolitik, die uns da in die nächste Entwicklungsstufe ihres dystopischen Universums treiben will und Corona nur als dazu Sprungbrett benutzt.“

Soweit meine Antwort an den Freund.

IV. Hypochondrie
Damit, dachte ich, könnte man es bewenden lassen fürs erste. Doch dann kam Moritz, der sagte: „Psycho-Keime!“
Ich sagte: „Was?“
„Na, Psycho-Keime! Du sagst es ja selbst: früher haben wir alle vor den Bullen Schiß gehabt. Jetzt fürchten wir uns vor unseren Nächsten. Und nur, weil es verboten ist, mit ihnen zusammen zu sein, halten wir sie für gefährlich.“
Ich wollte mehr hören!
„Das ist der ganz normale Zermürbungseffekt. Die Leute haben schon zu lange etwas ertragen, auf das sie nicht vorbereitet waren. Wer sich nicht schon zuvor ein Konzept gemacht hatte, auf das er sich jetzt zurückziehen und verlassen kann, der kriegt die Füße nicht mehr an den Boden. Alles was er von Dritten hört, könnte fake sein.“
Mit anderen Worten: Deine Freunde, wenn Du sie vielleicht drei Wochen lang nicht gesehen hast, könnten heimlich Leugner, Gegner, Schiefdenker geworden sein oder zu einer Thüringer Gesundbetersekte mit Blutundboden-Hintergrund übergelaufen.
Aber ist das denn wirklich wahrscheinlich?
Bin ich selbst schon verrückt geworden?
Muss ich mich schleunigst testen lassen, wie normal ich noch bin?

Oder bin ich Opfer einer methodischen Anwendung des Selektionsprinzips namens „Hypochondrie“? Wer sich mit Hypochondrie ansteckt, kann die Löffel abgeben.

Ich will jetzt nicht auch noch mit Zahlen anfangen, aber es ist doch recht wahrscheinlich, dass so in etwa 97% der Menschen hinter ihren Masken gesund sind.
Wenn man sich im Spiegel mit der Maske sieht und vor allem andere hinter ihren Tüchlein anschaut, fühlt man sich gleich krank.
Man horcht ganz anders in sich hinein… ist das Ziehen in der Lunge wirklich vom Kisten-Schleppen gestern? Oder lauert da ein Untier in mir und bereitet seine Vervielfältigung vor?

Lieber nicht drüber sprechen, sonst Quarantäne.
Lieber nicht drüber nachdenken, sonst Depression.
Hat eben jemand gesagt: „Ey Alter, komm mal runter, alles halb so schlimm!“?
Den müssen wir anzeigen!

Im Namen der Sicherheit. Im Namen der Gesundheit. Im Namen des gesunden Menschenverstandes.

Heute habe ich einen Burger gegessen. Übrigens der erste seit acht Monaten. In einem schönen gelegenen Grill am Ortseingang des brandenburgischen Kreisstädtchens P. Genau genommen: ich habe den Burger im Auto vor dem Grill gegessen. Hygienevorschrift.

Verzehr in dem Raum, in dem die Speisen zubereitet werden, scheint die Aerosole aggressiver zu machen. Oder was auch immer. Es bleibt unklar. In den Restaurants, in denen beispielsweise der Gesundheitsminister verkehrt, scheint das kein Problem zu sein. Maske ab am Tisch und gut essen. Dort wird aber auch in einer separaten Küche gekocht, so dass der Luftteilchenumtrieb im Gastraum keine Maskenpflicht erzeugt. Die Teile der Bevölkerung, die sich Junkfood in der Schnellküche abholen, essen sowieso viel lieber draußen auf dem Parkplatz. Ist doch normal.

Während ich da so mit meinem vors Gesicht gebundenen Spuckschutz vor der wabbeligen Acrylscheibe am Tresen herumlungere, vor jener nur lappengroßen, leicht im Winde des zugigen Geschäftes wehenden Plasteplatte, um die sich die Aerosole offenbar nicht herum trauen, da fiel mir etwas auf.

Von 9/11 an, also seit genau 19 Jahren, fand bis Anfang 2020 alles, was wir taten, und noch viel mehr: alles, was wir nicht mehr tun durften, im Namen der Sicherheit statt.

Plötzlich, ab Mitte 2001, war es wahnsinnig gefährlich, mit einem Softdrink ins Flugzeug zu steigen. Der Drink wurde daher in einer Box vor dem Wartesaal wie Giftmüll entsorgt. Im Wartessal wurden dann unfassbar teuere Softdrinks der gleichen Marke angeboten. Ich habe mich immer gefragt, ob die soviel kosteten, weil ein Vorkoster sie geprüft hat?

Noch gefährlicher war es damals, mit einem frisch erworbenen Rasierwasser wieder in das Flugzeug einsteigen zu wollen. Mein Rasierwasser, das zur Betonung seines Zitronenduftes mit einem giftig gelblichen, und wie ich später erfuhr: sogar gesundheitsschädlichen Farbstoff eingefärbt wurde, war, weil es sich um ein regionales artisanales handgefertigtes Produkt handelte, sündhaft teuer gewesen.

Es wurde mir jedenfalls abgenommen und wie eine Bombe entschärft. Eine Entschädigung habe ich trotz Protestes nie erhalten. Die zulässige Menge war überschritten. Ich wurde wie ein Terrorist behandelt, nur weil ich mich an den exotischen Angeboten des Landes bedient hatte, das ich verlassen wollte.

Einmal – und das war eine wirkliche Ausnahme in meinem Leben – habe ich mich mit einer wildfremden Frau nach stundenlangem nervenaufreibendem Warten im Londoner Flughafen solidarisiert, als sie in der wie einbetoniert stehenden Warteschlange ausrastete. Wir stauten vor einer technischen Innovation, dem so genannten „Nacktscanner“, der bereits über 140 Minuten seinen Dienst verweigert. Irgendwann fing jedenfalls diese nette Frau neben mir an, sich mit laut zeternder Stimme auszuziehen. Dabei legte sie typisch britischen Humor an den Tag, indem sie sagte, das Wunderding mit dem sprechenden Namen würde wohl erst wieder anschalten, wenn sie unbekleidet vor seine erlauchten Sensoraugen träte. Erst angesichts des die ganze Schlange ansteckenden Gezeters kamen die bestallten Schläfer auf dem Posten hinter dem Durchleuchtungsgerät wieder in Bewegung. Wir zivilisierte Menschen sind sehr freundlich – und noch geduldiger. Von den Auswüchsen der Zivilisation stellen wir wenig in Frage. Hinnehmen, sich nicht einmischen ist die häufigere Haltung.

Von solchen Absonderlichkeiten war das Leben im Namen der Sicherheit geprägt.

Derlei Dinge hat man angesichts der letzten neun Monate fast schon wieder vergessen. Jedenfalls fiel mir auf, während ich beobachtete, wie sich in der aufsteigenden Hitze über dem Grill eine vollkommen aerosolfreie Zone bildete, in der man maskenfrei daran arbeiten konnte, meinen Burger zu bräunen, dass heutzutage ganz ähnliche Dinge – wie zuvor im Namen der Sicherheit – nun im Namen der Gesundheit geschehen.

Der Schlafeffekt bei den Betroffenen scheint ähnlich zu sein, wie bei den Angestellten des Londoner Flughafens vor einem Jahrzehnt.

Im Namen der Gesundheit pferche ich mir also, statt am Tresen zu essen, wo man überhaupt nur bemaskt bedient wird, in Magen-belastender Knickhaltung hinter dem Lenkrad des Autos den Burger rein.

Im Namen der Gesundheit sehe ich im Freiem vor dem Nettomarkt bei -2° und leichtem Eisregen die Leute Schlange stehen – etwas das ich zuletzt im Winter 1990 in einer damals noch Leningrad genannten Stadt gesehen habe.

Im Namen der Gesundheit duscht unsere Regierung bei 5 Grad plus Demonstranten stundenlang mit eiskalten Wasser.

Im Namen der Gesundheit sitzen meine Nichten seit vier Wochen in einer Schulklasse in Neukölln, haben Ohrschützer auf, dicke Jacken an und sind trotzdem permanent verschnupft, weil der Gesundheitsminister will, dass die Fenster dauerhaft offen bleiben. So schafft man Fälle, sagen praktisch alle. Für den Eisunterricht habe ich noch niemanden eine Lanze brechen sehen. Wer aber hat ihn warum erfunden?

Im Namen der Gesundheit werden seit einem dreiviertel Jahr die sogenannten Alten und anders Begabten kaserniert und isoliert und man nimmt ihren psychischen Verfall durch gezielten Kontaktentzug hin: im Namen der Gesundheit.

Im Namen der Gesundheit werden die Vereine reglementiert und der Sport untersagt. Die Leute sollen zu Hause hocken und vor dem Bildschirm Beugungsübungen machen. Sich beugen, möchte man präzisieren.

Im Namen der Gesundheit wird die Ernährung auf Bringdienst-fähige Speisen zusammengekocht. Wer den eigenen Herd nicht zu bedienen weiß, hat schlechte Karten, wenn die mischende Hand im Namen der Gesundheit gibt.

Ohne Widerspruch nehmen wir hin, dass unsere Behörden sich hinter einer digitalen Wand verschanzen und den Dienst am Bürger aussetzen: im Namen der Gesundheit. Gesund ist offenbar in dieser Hinsicht, was die Sprechzeiten reduziert und den erforderlichen und auch erwartbaren Arbeitsaufwand für den Betrieb einer aufgeklärten sozialen Demokratie reduziert.

Im Namen der Gesundheit ist vorsorglich – anders kann man die Verbote kaum deuten – das Entspannen und insbesondere „das Feiern“ verboten. Feiern ist beinahe kriminell. Aber was genau bedeutet „Feiern“ denn? Feiern war doch niemals zuvor gleichbedeutend mit „methodischer Verantwortungslosigkeit“, sondern Feiern war doch eigentlich die überlebensnotwendige Auszeit aus der dauernden Engführung. Feiern war unverzichtbarer Teil des Prozeßes, von der Jugend ins Erwachsenenalter zu kommen, ohne gleich total zu verbiedern. Wie auch immer: Wer dennoch, trotz Verbotes, feiert, läuft Gefahr, im Namen der Gesundheit denunziert zu werden. Die Legitimation für das Denunzieren scheint durch den Begriff „Wohlstandsbockigkeit“ gegeben zu sein. Wer nicht einsehen will, dass Feiern tödlich ist, und zwar für andere, wird stigmatisiert. Krank ist also nicht das Verraten. Krank ist das sich Widersetzen.

Im Namen der Gesundheit sehen wir konsequenterweise von der Ausübung unseres Rechtes auf Versammlungsfreiheit ab, ebenso von dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Aber nur ausnahmsweise.

Im Namen der Gesundheit darf ich, wenn ich an meinen zweiten Wohnsitz in Frankreich fahre, nicht aus dem Haus gehen, um mich beim Spazieren gesundheitlich zur ertüchtigen oder mir besonders im Winter lebensnotwendige Einheiten Sonne zu holen. Wenn ich es dennoch tue, fährt mir die Gendarmerie mit dem Jeep in die Berge hinterher, und verlangt 60 € für den Spaziergang. Im Namen der Gesundheit bin ich Freiwild für jagdgeile Polizei, die zusammen mit ihrer wachsenden gesellschaftssanitären Rolle vom Strafverfolger vor Ort, der die Plätze vom „Schmutz“ der Kriminalität reinigt, zum Erzieher der Nation aufsteigt und dabei standgerichtliche Funktion erhält.

Das habe ich in den letzten 20 Jahren erlebt: harsche Einschnitte ins Alltagsleben im Namen der Sicherheit und im Namen der Gesundheit. Was ich deutlich seltener erlebt habe in den letzten 20 Jahren, sind Verbesserung des Alltagslebens im Namen des gesunden Menschenverstandes.

Gestern habe ich – wie ich dachte: im Namen des gesunden Menschenverstandes – einen Text von Matthias Bröckers veröffentlicht, der mir einige Fragen eingetragen hat von guten Freunden, die wissen wollten, ob mich der gesunde Menschenverstand endgültig verlassen habe.

Bröckers und ich teilen eine Vorliebe für die leider viel zu früh verstorbene Nobelpreisträgerin Lynn Margulis. Beide hatten wir das Glück, mit ihr zusammen an Texten zu arbeiten. Margulis hat uns mehr als jeder andere Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts über Mikroorganismen gelehrt. Sie hat sogar das Linnésche Bestimmungssystem über den Haufen geworfen unter Verweis darauf, dass es viel zu wenig vom tatsächlichen Leben auf Erden abbilde, weil es die „Königreiche“ der unsichtbar kleinen Wesen gar nicht einbeziehe, obwohl diese quantitativ und von der Vielzahl der Arten her erheblich bedeutender wären, als das von Linné kartierte Leben. Wie sie das Funktionieren der Biosphäre betrachtet, ist nach meinem Verständnis nicht allein Ausdruck von gesundem Menschenverstand, sondern von hoher, sogar einzigartiger analytischer Intelligenz. Diese Idee nach ihrem Tod fortzuschreiben, scheint mir kein Ausdruck von Wahnsinn. Trotzdem traf nach Veröffentlichung des Symbionten-Textes die Frage ein, ob ich an Dysfunktionen des Denkvermögens litte?

Genau das – solche Fragen an die Gesundheit meines Verstandes angesichts (zu anderen Zeiten und unter anderen Umständen wahrscheinlich) wenig fragwürdiger Gedanken – ist die kürzest mögliche Formel, auf die man die Wirkungen der harschen Eingriffe in das Alltagsleben im Namen der Gesundheit, ausgesprochen und durchgesetzt von unserer Regierung, im Moment bringen kann.

Es gibt eine fundamentale Verwirrung darüber, was gesunder Menschenverstand sei.

Das diese Verwirrung entsteht, lässt sich auch relativ einfach erklären: unsere Regierung möchte nicht, dass wir ihn, den gesunden Menschenverstand, eigenmächtig einsetzen. Sie möchte, dass wir den Regeln folgen, die sie sich zusammen mit einigen Virologen, mit vornehmlich sehr linientreuen Kommunikationsberatern und diversen Verfechtern der schwarzen Pädagogik ausbaldowert haben.

Wer diese Regeln mit dem gesunden Menschenverstand befragt, stößt, so die jüngste Doktrin, auf Unverständnis und irritiert seine Mitbürger derart, dass sie sich an die Wand gedrängt fühlen und ihnen nichts anderes übrig bleibt, als einen zu beschimpfen, zu verteufeln und einem am (kurzen) Ende (dieser Auseinandersetzung umstandlos) die Freundschaft aufzukündigen, wenn man nicht bereit ist, dem gesunden Menschenverstand abzuschwören.

Die Bürde dessen, was meine Freunde, die mich plötzlich so kritisch sehen, im Namen der Sicherheit und im Namen der Gesundheit bereits hingenommen und zu ihrem Alltag gemacht haben, würde untragbar schwer, wenn sie nun auch noch den Zweck und Gehalt der Regeln kritisch ventilieren müssten – zumal diese Regeln bereits mit der Drohung bei ihnen einlangen, dass wir im Falle ihrer Missachtung Schuld auf uns laden, Schuld für die dramatische Verschlechterung der Gesundheit Dritter und Schuld für ein gewaltiges Sicherheitsrisiko, das uns alle betrifft.

So betrachtet ist die vermeintliche Willkür der Regeln im Namen der Sicherheit und im Namen der Gesundheit in Wahrheit keine Willkür, sondern die präzise Fortschreibung kirchlicher Gebote, mit denen wir bereits 2000 Jahre lang zur Räson gerufen wurden und darob zu gehorsamen Bürgern geworden sind.

Die Gebote der Kirche konnte und durfte niemand mit dem gesunden Menschenverstand befragen, ohne Risiko zu laufen, auf dem Scheiterhaufen zu landen. Dass die heutigen Gebote sich mit dem Air der Wissenschaft umgeben, ändert nichts an ihrem Charakter.

Über diese Gedanken war der Burger zu einem kühlen Klotz in meinem Magen geworden. Ich fühlte mich elend und war kurz davor, in Wut über das scheußliche Mittagsmahl die stinkende Tüte aus dem Fenster zu pfeffern, so wie schon seit Jahrzehnten alle anderen Freunde von Burgerrestaurants es tun. Dabei war das Essen selber überhaupt nicht schuld an der Sache.

Als ich zu Hause ankam, hatte ich eine weitere Anfrage, diesmal zu meiner Vorstellung von „Zukunft“, in der Inbox. Ich gebe sie morgen mit meiner Antwort zusammen hier wieder.

Symbionten statt Parasiten

Von Ende des „Kaputtalismus und der Zuvielisation“

In Die AKTION erscheint heute ein Auszug aus Mathias Bröckers gerade erschienenen Buch “Klimalügner”.

Der Autor, blogger und Herausgeber Bröckers ist aus der deutschen Medienlandschaft nicht mehr wegzudenken: seit 1980 hat er mehr als 600 Beiträge für Tageszeitungen, Wochen,- und Monatszeitschriften, vor allem in den Bereichen Kultur, Wissenschaft und Politik verfasst. In Die Zeit erschien Anfang der 90er eine Kolumne von ihm. Für „Transatlantik“ und TAZ verfasster er aufwändig recherchierte Reportagen. Er gab u.a. bei Kiepenheuer&Witsch und Heyne Bücher heraus. Acht Jahre lang war er Mitglied der Sachbuch-Jury der “Süddeutschen Zeitung”.

Zur Legende wurde Bröckers durch seine über annähernd 20 Jahre fortgesetzte Artikelserie in der Telepolis (und das Buch) zum Thema “Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9.”. Es hatte ganz harmlos angefangen. Bröckers wies sich schon zwei Jahre vor 9/11 durch Herausgabe des “Lexikons der Verschwörungstheorien” von Robert Anton Wilson im Eichborn-Verlag als Experte für „C“ (conspiracy) aus. Dann erschien unmittelbar nach den Anschlägen ein eher unauffälliger Artikel – allerdings mit programmatischem Titel „the WTC Conspiracy„. Am Ende des Tages polarisierte Börckers´ Forschungsarbeit seine Leserschaft: viele huldigten ihm als demjenigen, der als Einziger die Wahrheit beim Namen nenne. Andere, wie Henryk M. Broder wünschtem ihm den Tod an den Hals – er solle als Fettfleck an einer Hochhauswand enden.

Schon von 1993 an befasst er sich intensiv mit Cannabis und Hanf, darunter das schöne Werk „Hanf im Glück – Das hohe Lied vom hehren Hanf“ (zusammen mit Gerhard Seyfried), worauf eine Phase der Befassung mit Albert Hoffman, dem Entdecker des LSD, folgte: 2003: “Der Transpsychedelische Express“, 2006: „Auf dem Weg nach Eleusis“ und dann noch einmal 2014: “Keine Angst vor Hanf – Warum Cannabis legalisiert werden muß”.

Seit 2020 ist er Ko-Herausgeber der Reihe „Brennende Bärte“, die sich das schöne Wort von Georg Friedrich Lichtenberg zum Motto erwählt hat: „Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahr­heit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu versengen.

Variante Zwei

Einige Anmerkungen zu „Variante 2„, einem nachgelassenen Text von Steve Wright und BBM, veröffentlicht aus Anlass des 1. Todestages von Steve Wright in DIE AKTION

What I want to see

No prisons
no locks
no keys
no killings
no laws
to control the free of us
but a paradise
a heaven on earth
where everyone can sing and dance
to their own music
and we live
only to bless each other
to bless each other
to bless each other

Last Poets, Song, veröffentlicht am 19. Mai 2019 (zum 93. Geburtstag von Malcolm X)

Als uns der afroamerikanische Schriftsteller Darius James im Jahr 2000 den Ausdruck eines umfänglichen Gutachtens auf den Tisch legte, herausgegeben vom EU Parliament, Abteilung STOA (Scientific and Technological Options Assessment), das den sperrigen Titel „An Appraisal of Technologies of Political Control“ trug, war unser erster Gedanke: das ist „conspiracy theory“.

Die EU konnte unmöglich eine Nichtregierungs-Organisation beauftragt haben, ein derart dystopisches Bild unserer Zukunft zu zeichnen. Der Name der Autorengruppe (Omega Foundation) bestärkte uns in dieser Ansicht. Wenn das keine „fake news“ waren, was auf den 1000 Seiten des Reports zu lesen war: dann gute Nacht, Europa!

Wir fuhren nach Manchester. Wir wollten wissen, was wirklich dahinter steckte.

In dem engen Büro eines Zieglbauwerks aus der „workshop of the world“-Epoche rollte auf einem Kniestuhl ein bärtiger Mann zwischen seinen angeblich 270.000 Dokumenten hin und her: Steve Wright.

Steve sprach ein für unsere Ohren quasi unverständliches „Mancunian“, in dem noch dazu jedes L und jedes R zu einer Art Rachenlaut umgeformt waren. Die Dichte und Fülle der auf uns einstürzenden Informationen reichte jedoch für ein intensives Erleben, auch wenn man nur 25% des Gesagten verstand.

Mehr hätte keiner von uns verarbeiten können, ohne an „information overload“ zu kollabieren.

Steve Wright und der Filmemacher Werner Boote („Plastic Planet“) in „Alles unter Kontrolle“ (Standfoto)

Wenig später standen wir unten vor dem Haus in einer fish&chips Bude, die über eine Fritteuse verfügte, in der man mühelos drei, vier Wale zugleich in Brotteig hätte ausbacken können. Der Kabeljau, der aus den Wogen des siedenden Öles auftauchte, hatte entsprechende Ausmaße und war köstlich. Damit waren wir beim zweiten Lieblingsthema von Steve: Essen. „i´ll stuff you with curry“ war ein Satz, der sich abends auf der „currymile“ in jeder Hinsicht bewahrheiten sollte.

Ein 5-stöckiges Chinarestaurant mit geschätzt 800 Sitzplätzen war tags drauf der nächste Anlaufpunkt mit Steve. Alles was exotisch, extrascharf und in mindestens einer Hinsicht gewaltig war, faszinierte ihn maßlos.

Der Kerl schien es auch sonst in seinem Leben stets darauf angelegt zu haben, über sich hinauszuwachsen. Ununterbrochen produzierte dieser Mann in seinem ewigen dunkelblauen Nadelstreifenanzug schillernde Bilder, die rein gar nicht zum ansonsten seriösen Auftritt passten: Geschichten aus einem Afghanistan vor dem Krieg, ein blutjunger Steve, nackt, nur mit einem bodenlangen Fellmantel bekleidet, auf einem frisch von Talibanen gekauften Pferd durch die Berge reitend, gehörten ebenso zum Repertoire wie die freche Entwaffnung eines Pistole-tragenden FBI-Chefs auf einer Sicherheits-Konferenz in den USA. Ein Beweisfoto existiert!

Dennoch war Steve nie großkotzig oder selbstverliebt. Die Schwänke und Schauermärchen waren ein exakter Ausdruck jener Vitalität, die ihn auch in der wissenschaftlichen und politischen Arbeit über das Gewöhnliche hinaus wachsen ließen. Sein Entsetzen über politische Mißstände und waffentechnische Fehlentwicklungen war ansteckend und ließ nie nach.

Als wir wenige Tage später aus Manchester nach Hause zurückkehrten, hatte sich alles um uns herum bereits verändert. Jede Seite des Gutachtens war plötzlich mit Leben gefüllt. Wir nahmen die Welt anders wahr.

Steve Wright und Olaf Arndt (BBM) 2013 in Aix-en-Provence auf der „Anti-Atlas“-Konferenz

Insbesondere dann, wenn wir Steve über Jahre immer wieder in Ettlingen trafen. Dort richtete das Institut für Chemische Technologie der Fraunhofer Gesellschaft seine Biennalen für „Nicht-tödliche Waffen“ aus – eine bemüht als Wissenschaft getarnte Messe für alle möglichen exotischen Prototyp-Waffen zum Schocken, Lähmen, Quälen.

Steve hatte „Konferenz“ zu einer besonderen Lebensform erhoben. Wir meinen damit nicht das quälende, tagelange Ausharren in den schlecht ventilierten Sälen, die schon gleich morgens nach dem Frühstück, beim 9 Uhr Vortrag, vom Schweiß der anwesenden Männer in ihren Synthetikhemden barsten. Die besondere Lebensform entwickelte sich abends, etwa im „Erbprinz“, der jenseits vom Bächle lag, neben dem sich das Schild erhob, das für die Vorzüge der Kleinstadt vor den Toren Karlsruhes warb: „Der Traum an der Alb“.

Im „Erbprinz“ saßen wir also, weil Steve es so wollte, an einem Tisch mit den geklonten Kerlen von MI5 und GSG9, die ausschließlich aus Muskeln und Samensträngen zusammengebaut schienen. Oder in einer Weinstube mit den Russen, die den Stoff für den Gaseinsatz im Moskauer Musicaltheater geliefert hatten. Warum sollten wir auch mit den NGO-Fritzen zusammenhocken? Wir wollten ja etwas Neues hören, nicht das, was wir selbst über die ganze Show dachten.

Die Jacketts der staatlichen Funktionsträger lagen zerknüllt auf der altdeutsch getönten Eckbank und die Synthetikhemdsärmel wurden hochgekrempelt, um das deutsche Bier besser packen zu können. Alle wesentlichen Informationen über künftig geplante wehrtechnische Projekte kitzelte Steve abends aus den Leuten raus, während er selbst eigentlich nur über seine Lieblingsthemen, Essen, guten Wein, Reisen, redete. Die Typen flossen aus. So einen coolen Freund wie Steve hätten sie gern gehabt.

Die Bereitschaft, über fraglos menschenrechtsfeindliche Projekte unverhohlen zu sprechen, entsprang nicht allein der Selbstgewissheit, dass diese Projekte die endgültige „Humanisierung der Kriegsführung“ bedeuten würden. Hier war man richtig: in der Aufbruchsstimmung in eine kommende autoritäre Demokratie. Man durfte zufrieden sein. Schließlich hatte ja die Bundesregierung diese Veranstaltungen alimentiert.

Die Schizophrenie solch verbaler Verrenkungen, die „Krieg“ und „human“ verschwisterte, resultierte nicht zuletzt aus dem Gemeinschaftsgefühl: unter Seinesgleichen, in der permanent rund um den Globus jettenden Gesellschaft der zur Lebensform „Konferenz“ Gehörenden, fühlte sich jedes Mitglied sicher. Hier konnten die Widersprüche geheilt, das Unvereinbare zusammen gedacht werden. Begriffe wie „Holismus“ (gemeint war: die Ganzheitlichkeit der Gewaltstrategien) und „Revolution“ („revolution in military affairs“) liefen um – als sinnentleerte Verhöhnung aller gesellschaftlichen Befreiungsbewegungen.

Wenn Militär- und Polizei-Vertreter schon generell mit dem Gefühl unterwegs sind, dass unabhängig von politischen Weichenstellungen oder Gegenbewegungen von Bürgerrechtlern ihre Variante der Realität am Ende obsiegen werde, dann steigerte sich dieses Omnipotenzgefühl noch einmal, wenn die weltweite Gemeinde bei Saumagen und Obstler zusammenkam.

Steves Rolle war ein riskanter Balanceakt, der vielleicht nur deswegen nicht zum Sturz führte, weil sich die Parteien wechselseitig brauchten: zum einen spielte er denjenigen, der dazu gehört, alles weiß, vor dem man keine Geheimnisse haben muss. Er spielte und gewann: sie akzeptierten ihn. Zum anderen wollten die Vertreter staatlicher Gewalt die Argumente der Gegenseite kennen, um sie rechtzeitig in ihre Planungen einbeziehen zu können. Es war ein vorgebliches Geben und Nehmen, ein kruder Deal, der schon rein körperlich – nach 10 Stunden Sitzen im Konferenzsaal – an die Grenzen ging, wenn wir abends noch bis Ultimo weiter ansaßen, weil die Wahrscheinlichkeit, dass die Zungen sich lösten, mit jeder Runde stieg.

Steves große Leistung war, dabei immer integer zu bleiben.

Die Vorträge am nächsten Morgen: da musste man durch. Hoch aufmerksam trotz Schlafdefizit: alles wollte dokumentiert sein. Und verkettet mit dem, was in der Kneipe am Abend zuvor geredet wurde. Wie Steve das ausgehalten hat, all die Jahre, Jahrzehnte, und wie er es schaffte, dann präzise auf das Wesentliche komprimiert am nächsten Tag in London der „small arms“-Arbeitsgruppe von Amnesty , gegenüber dem ICRC in Genf oder bei Pugwash das Gehörte zusammenzufassen und warum er nicht für das, was er tat (immer wieder die Waffenlobby bloßstellen) erschossen wurde, bleibt uns ein ewiges Rätsel.

Fast zwanzig Jahre hielt die Freundschaft, bis zu Steves Tod genau vor einem Jahr im November 2019. Es gab kein Projekt, das wir uns ausdachten in den vergangenen zwei Jahrzehnten, in das nicht seine Gedanken einflossen.

Aus einer Kooperation für ein Roboter-Theater zum Thema „Drohnen und autonome Waffen“ (2018 in der Kunsthalle Mannheim) entstand dann ein weiterer, gemeinsam verfasster Text „Variante 2„, als Vorschau auf die nächste geplante Kooperation, die nun nicht mehr zustande kam.

Steves typische Art zu schreiben, kann dieser Text nicht wiedergeben, weil er eine Rückübersetzung unserer deutschen Fassung ist. Aber seine Art zu denken und andere um ihn herum spontan zu faszinieren mit dem Trommelfeuer seiner Ideen ist deutlich spürbar.

Steve war ein großer Visionär.

Er hat uns gelehrt, den Schrecken des 21. Jahrhunderts, einer im Phillip K. Dick´schen Stil aus dem Ruder laufenden Technologie, furchtlos entgegenzutreten.

weiterführende Info: Video-Interview mit Steve Wright

Auswahl Publikationen

Steve Wright (rechts) und Noel Sharkey von ICRAC (2013)

Ware Wohnraum

Paul Alfred Kleinert berichtet über die Arbeit des Netzwerkes „200 Häuser“ Berlin und den Kampf gegen den „asozialen Strom“. Doch zunächst einige Worte zum Autor und zur Situation, auf die sich sein Text bezieht.

Alle starren auf ein Virus – und im Hintergrund geht der Ausverkauf von Wohnraum weiter: fast unbemerkt, gäbe es nicht einige hoch engagierte Netzwerke, die darum kämpfen, dass unsere Städte nicht einer „Londonisierung“ anheim fallen.

Eine dieser Gruppen, 200 Häuser, die 100.000 Menschen vertritt, hat kürzlich die Liste Ihrer Forderungen publiziert, die lesenwert ist.

Nachfolgend aus Anlass dieser Publikation von #200Häuser ein einführender Text von Paul Alfred Kleinert. Kleinert ist Schriftsteller und Gründungsmitglied des Internationalen Franz Fühmann Freundeskreises.

Kleinert, selbst engagiert im Netzwerk 200 Häuser, setzt in der Tiefe der deutschen Mietengeschichte an, dort, wo vor 50 Jahren die Weichen falsch gestellt wurden.

An welchem Punkt aber dies unerträglich wurde, so dass bald nur noch Mitglieder der sogenannten Elite und des internationalen Finanzkapitals in der Innenstadt leben können und die Diener dieser Klasse per public transport aus den Speckgürteln anreisen müssen, das stellen der Text von Kleinert und die im consensus-Verfahren verabschiedeten Forderungen des Netzwerks noch mal deutlich heraus.

Auch wird fühlbar, dass die Praktiken der Entmietung eine Form von Körperverletzung sind.

Allein durch die politische Legitimierung von >share deals<, durch das Fehlen geeigneter Instrumente, die gesetzlich längst festgeschriebenen Eigentumsverpflichtungen oder Milieuschutzauflagen auch durchzusetzen, konnte so ein Zustand entstehen.

Kleinerts Einführung stellt klar, dass es sich um leicht zu ändernde Verhältnisse handelt – wenn der Wille dazu vorhanden wäre!

Denn die Situation ist von Menschen gemacht, kein wirtschaftliches Naturgesetz.

Dass Aktivisten und einige wenige Politiker jetzt versuchen, für aufgeteilte, aber noch nicht verkaufte Häuser Auffanggesellschaften zu erfinden oder durch Senatsankäufe zu retten, was noch nicht ganz verloren ist, ist zwar nett, befestigt aber eigentlich nur die falschen, weil spekulativen Wohnraum-Preise.

Der Schnitt durch das Geschäft mit der existenziellen Grundlage „Wohnen“ könnte und müsste viel radikaler ausfallen.

Paul Alfred Kleinert: Wohnen als Ware

Seit Mitte der 1970er Jahre ist die zunehmende Erstarkung eines verantwortungslos betriebenen Neoliberalismus zu beobachten, der nach und nach freiheitliche Grundrechte in den jeweiligen Staatsgebilden aushöhlt, beseitigt und politische wie wirtschaftliche Korruption in wachsendem Maße fördert. Auch das Wohnen verkam und verkommt so zur Ware, die einhergehende organisierte Verantwortungslosigkeit macht sich gerade im Wohnsektor deutlich bemerkbar.

Asozialisierung des Staatswesens

Nur ein Beispiel dafür sind die Hausverkäufe aus den sozialen Segmenten in den europäischen Großstädten durch die jeweils politisch Verantwortlichen – wobei Parteizugehörigkeit keine Rolle spiel(t)e; unter jeder Couleur funktioniert(e) das prächtig. Waren bedürftige Häuser aus den benannten Segmenten mit Steuergeldern zunächst aufwendig rekonstruiert und restauriert worden, so wurden sie hernach zu einem Spottpreis an freie Investoren verschleudert. Die entsprechenden Mietsteigerungen ließen nicht auf sich warten. Eine Verdrängung der angestammten Mieterschaft in bisher nicht gekanntem Maße war die Folge – und das nicht nur in den Innenstädten. Ebenso ging die über Jahrzehnte in den Kiezen gewachsene Infrastruktur vor die Hunde. Verdrängung kleiner Gewerbetreibender und Händler, Ausdünnung öffentlicher Dienstleistungen (etwa die zunehmende Einsparung der einstmals staatlichen Poststellen) und dergleichen mehr sind weitere Indizien dieser zunehmenden Asozialisierung des hiesigen Staatswesens.

Verhaltene Gegensteuerungen einer sich noch für das Gemeinwohl verantwortlich wissenden Minderheit in politischen Ämtern, wie die Einrichtung von Milieuschutzgebieten, die eines Mietspiegels oder der Versuch der „Mietbremse“, erwiesen sich als entweder zu spät kommend, nicht greifend oder gesetzlich nicht durchsetzbar; hier kam mehr der gute Wille Einzelner als ein wirklich greifendes rechtlich-politisches Konzept zum Tragen.

Spekulation

Die Mietsteigerungen erreich(t)en im Laufe der Zeit ein unerträgliches Maß, Wohnraum wurde und wird zum Spekulationsobjekt, die darin befindlichen Subjekte aus ihren angestammten Bezügen mit allen, z.T. kriminellen, Mitteln entfernt. Die Gesetzgebung schwieg und schweigt weitgehend dazu – wie zu anderen Prozessen im Lande auch.

In die so ‚gewonnenen‘ Wohnräume werden Billigmöbel gestellt. Dieselben, angepriesen als „Wunderflats“ und entsprechend preisgeboten, finden (bei der allgemeinen Wohnraumknappheit) reißenden Absatz. Dass die so möblierten Wohnungen aus avisierten Mietpreisbindungen herausfallen, versteht sich dann von selbst. Mietsteigerungen von 300%- 500% sind keine Seltenheit mehr. Ein sichtbares Entgegenwirken einer wie auch immer gearteten Politik oder gar staatliches Eingreifen sind nicht zu bemerken. Das voraufgegangene sei als nur ein Beispiel findiger Investoren und den Prozess begleitender botmäßiger Politiker benannt.

Bleibt es den Betroffenen, sich zu organisieren und den Versuch zu wagen, diesem asozialen Strom entgegenzuwirken.

„Desertiert aus dieser Gesellschaft – sie mündet in Vernichtung!“

Über einen gewaltigen Text von Julien Coupat und seinen Genossen

Mit dem Abdruck des Textes „choses vues / Wir haben gesehen“ von Julien Coupat setzen wir in unserer digitalen Ausgabe von „Die Aktion“ die Reihe poetischer Reflektionen über den gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft fort.

Eine Prosa von solcher Wucht sucht Ihresgleichen. Vielleicht erscheint etwas Vergleichbares nur alle paar Jahrzehnte. Als habe der Autor mit dem gewaltigen Schlägel seiner Worte einen Gong zum Schwingen gebracht, ertönt ein Rhythmus, der lange nachhallt.

Doch zunächst einige Worte zum Autor: Julien Coupat war 1999 einer der Gründer der heute legendären Zeitschrift Tiqqun.

Im selben Jahr hat ihn Luc Boltanski in seinem Buch „Le Nouvel Esprit du capitalisme“ der situationistischen Bewegung zugerechnet.

International bekannt wurde Coupat als einer der Angeklagten der als „Tarnac Nine“ bekannten Gruppe aus dem Dorf Tarnac im Département Corrèze in der Region Nouvelle-Aquitaine. Weil er einen Castor-Transport angeblich durch Sabotage einer TGV-Strecke verhindern wollte, wurde er vom französischen Staat als Terrorist verfolgt und 2008 für 6 Monate widerrechtlich inhaftiert, ebenso wie andere Mitglieder der Gruppe. Alle wurden 2018 vom Terrorvorwurf freigesprochen.

Ein Foto vom Prozeß findet sich in der Le Monde, die Coupat dem militanten Flügel der „Gelbwesten“ zugerechnet wird.

Coupat galt lange als einer der Autoren des „Comité invisible (Unsichtbares Komitee)“, die als Verfasser von „Der kommende Aufstand“ firmieren. Coupat hat seine Autorschaft jedoch dementiert. Das Buch wurde von den Behörden beschlagnahmt und galt in dem Prozeß als Beweisstück.

Während des Prozesses skandierten die Angeklagten ein Wort von Emile Zola:“Überall Polizei, nirgends Gerechtigkeit!

Eine interesante Parallele zwischen den Büchern „Revolution – Wir kämpfen für Frankreich“ von Emmanuel Macron und dem „Unsichtbaren Aufstand“ zieht der Philosoph Jérôme Batout in diesem Artikel .

Im April 2009 ergab eine Untersuchung der Wochenzeitung „Charlie Hebdo“, dass die Terrorabwehr spezialisierte Behörde der franzöischen Regierung versucht hat, Julien Coupat für seine Beteiligung an einem Handgranatenangriff in den Vereinigten Staaten im März 2008 verantwortlich zu machen, um ihr Verfahren gegen ihn zu rechtfertigen.

Im Januar 2017 revidierte das Kassationsgericht nach neun Jahren Gerichtsverfahren und der Entlassung des mit der Untersuchung beauftragten Richters die Charakterisierung des Tarnac-Falles als „terroristisch“ endgültig.

Am 12. April 2018 wurden Julien Coupat und Yildune Lévy vom Pariser Strafgericht freigelassen.

Während des 4. Groß-Demonstrationen der „Gelbwesten“ am 8. Dezember 2018 wurde Coupat erneut verhaftet und in Polizeigewahrsam genommen.

Coupat ist, zusammen mit anderen, der Autor unseres heute in DIE AKTION erstmals in Deutsch erscheinenden Textes über die „Dinge, die man im Mai und im August 2020 gesehen hat“ – veröffentlicht in französisch am 4. September 2020 auf Terrestres und auf „reporterre„.

choses vues

Mit der Wahl des Titels „choses vues“ (etwa: „zu sehende Dinge“) bezieht sich Coupat auf den gleichnamigen autobiographischen Text von Victor Hugo, der erst im Nachlass erschien.

„Choses vues“ sind Notizen von Victor Hugo, die posthum in zwei Serien, 1887 und 1900, veröffentlicht wurde.

Hugo erzählt in „Choses vues“ von Ereignissen, die sich während seines Lebens ereignet haben, wie dem Tod von Talleyrand, der Rückführung der Asche Napoleons, dem Prozess in der Affäre Teste-Cubières, der Flucht Louis-Philippes nach der Revolution von 1848, dem Sturz Napoleons III. und dem Beginn der Dritten Republik.

1846 änderte Hugo radikal seine politische Auffassung und wurde zum Republikaner. 1862 vollendete er im politischen Exil sein Hauptwerk „Die Elenden„, in dessen Mittelpunkt der Sträfling Jean Valjean steht – eine im Kern höchst moralische Figur, mit der sich immer wieder von der Gesellschaft zu Unrecht Verurteilte identifizert haben.

Hugos politisch-ethische Mammutepos trug wesentlich zur Herausbildung der realistischen Literatur im 19. Jahrhundert bei. Vermutlich aufgrund seines historischen Anspielungsreichtums und seiner häufigen Verwendung von „Argot“, der französischen Gossensprache (in Coupats Version der COVIDalen „choses vues“ z.b. das Wort „salauds“ = Hundsfötter), dient Zolas Spätwerk wohl als Richtschnur für die Arbeit von Coupat.

désertions

Übersetzung ist immer auch ein großes Stück weit Interpretation. Wo sie scheitert oder fehlgeht, ist es die mindeste Pflicht des Übersetzers, zumindest die Quellen offenzulegen.

Den gegen Ende des Textes verwendeten Begriff „désertions“ habe ich unzulänglich mit „Zuflucht“ übersetzt. Er beinhaltet aber m.E. ein komplettes politisch-philosophisches Konzept. Er ist daher schwer mit nur einem Wort in seiner gemeinten Bedeutungsfülle ins Deutsche zu übertragen. Er stellt eine poetische Verdichtung dar im Bedeutungsfeld von Austritt, Aufkündigung, Fahnenflucht gegenüber der Gesellschaft.

Es ist in erster Linie ein militärischer Begriff – jedenfalls im Singular „dersertion“– weiter unten heisst es entsprechend auch „déserter“- abhauen, die Fahne verlassen.

„desertions“ trägt aber möglicherweise – besonders durch seine Kombination mit „maquis“ = Gestrüpp“ – auch ein Bedeutungs-Element von „Wüste“ in sich – von lat. „desertus“, verlassen, öde, einsam – also ein Gelände, das vom Rest der Gesellschaft aufgegeben ist und in das man sich nun möglicherweise zurückziehen kann, um dort freier zu leben. Das lateinische Stammwort „de-sero“ spricht vom „sich losmachen“, „im Stich lassen“, meint aber metaphorisch auch „aufgeben“ und „vernachlässigen“ und ist somit das Gegenteil von lat. „sero“: säen, pflanzen, hervorbringen.

Insgesamt geht es m.E. um eine willentliche Abwendung, Absonderung und Entfernung von der allgemeinen Lebensweise , die als falsch betrachtet wird, weil sie zu Vernichtung führt.

Flächenbrand

Es gibt bisweilen Texte, die explodieren förmlich im Internet. „COVID-19 und die möglichen Folgen für die soziale Stabilität“ von Morelli und Censolo ist so ein Fall. Keine Stunde vergeht und ein Flächenbrand rast los, entzündet alle Foren.

Oft sind diese brandbeschleunigenden Texte gar nicht mal aktuell, so wie derjenige der beiden italienischen Ökonomieprofessoren, der bereits am 28. Juli 2020 zum Peer-Review vorgelegt und schon zwei Tage später als veröffentlichungsreif akzeptiert wurde.

Doch plötzlich, zwei Monate später, erscheinen er auf allen Kanälen, rechts, links, quer, auf pro-Putin- und auf anti-Trump-blogs, in den bürgerlichen „Qualitätsmedien“ und auf Nachrichtenseiten aller Couleur.

Die Kultur des öffentlichen Nachdenkens hat nicht erst seit COVID eine fast durchweg nervöse Form angenommen. Es drängt sich der Eindruck auf, es ginge weniger um eine kritische Besprechung von Inhalten. Vielmehr dominieren egomane Prinzipien: Die Schlacht um Aufmerksamkeit muss jeder mit allen Mitteln für sich entscheiden.

Joseph Vogl hat darauf schon im April 2020 aufmerksam gemacht:

„Jede so genannte Krise erzeugt Deutungsnötigung und Deutungsnot. So gibt es jetzt eine hektische diskursive Produktivität quer über die intellektuellen und publizistischen Branchen hinweg. Man kämpft um hermeneutische Vorsprünge, sieht seine lange Zeit ausgefeilten Positionen und Wahrheiten in der Katastrophe bestätigt. Alles wird von allen gesagt und dann noch einmal wiederholt, überboten und variiert.“

Debattenkrieg

Außerhalb der Fachkreise kannte gestern kein Mensch Morelli und Censolo. Heute gibt man die Namen ins Netz ein und bekommt „hits“, die ausgedruckt Bibelstärke erreichen würden. Oft verdankt sich dieser Effekt nur ein oder zwei Schlagworten oder deren zeitgerechter Kombination.

Es liegt etwas in der Luft. Etwas, das ohnehin alle denken. Und dann kommt ein Text, der genau das bedient.

Es dauerte keine drei Tage in diesem Debattenkrieg, und die kurze Ausarbeitung über mögliche Gefahren für unsere “ soziale Stabilität“ ist gewissermaßen verschwunden, überdeckt von ihrer auschnitthaften Rezeption.

Niemand, der bloß in die Suchmaschineneinträge schaut, könnte noch mit Gewissheit sagen, um was es in dem Papier geht.

So wird gemutmaßt, dass „Herr Rötzer von einen Aufstand träumt“, nur weil er das fragliche research-paper bespricht. Oder es finden sich Spekulationen, welchen Einfluß Mario Monti auf das Denken von Morelli und Censolo nimmt.

Zugegeben, Monti hat eine glänzende, in demokratischer Hinsicht jedoch wenig rühmliche Karriere hinter sich. Außer dass er Goldman Sachs und Coca-Cola berät, ist er seit 1994 der Präsident der Università Commerciale Luigi Bocconi in Mailand und damit „Hausherr“ in der Via Roentgen, der Wirkungstätte von Massimo Morelli.

Auch zugegeben: Monti hat am 26. August 2020 die Führung der europäischen WHO-Kommission übernommen. Als Präsident Italiens war er nicht vom Volk legitimiert. Dass ein rechtschaffener Systemkritiker einer Wirtschaftsuniversität vorsteht, darf man nicht erwarten. So frei ist die Wissenschaft nicht.

Morellis wissenschaftliche Tätigkeit wurde vom Lions Club gefördert, mit einem Fellowship der Deutschen Bank unterstützt und dem Elinor Ostrom Prize ausgezeichnet.

Das mag manchen befremden.

Doch dem stehen auch Morelli-Texte gegenüber wie „Strategic Mass Killings“ im „Journal of Political Economy“, der 2015 den „International Geneva Award“ gewann; sowie die Untersuchung „Global Crisis and Populism: the Role of Euro Zone Institutions“ (Economic Policy 2019) und – neben anderen Texten zur Friedensforschung – ein Beitrag zum Oxford University Press Handbook „Economic Aspects of Genocide, Mass Atrocities, and Their Prevention“ (2016), der den vielversprechenden Titel trägt: „Incentives and Constraints for Government Mass Killings: a Game-Theoretic Approach“.

Pro Globalisierung?

Ob sich aber aus all dem ableiten lässt, dass Morelli und Roberto Censolo, der seinerseits an der Universität Ferrara forscht, Globalisierungsbefürworter sind und das ganze bereits voll entwickelter „Kapitalfaschismus“ sei, aktiv befördert von eben jener Privat-Uni in Mailand, das ist doch derzeit zumindest noch offen, dem Text nicht direkt zu entnehmen und am Ende grundsätzlich recht fraglich.

Es gibt allerdings eine irritierende Passage am Ende der Untersuchung, mehr im wissenschaftlichen Feststellungs-Modus formuliert, als dass man es für Wunschdenken oder gar Handlungsempfehlung für die heute Regierenden halten mag. Dort heisst es: „Ein Blick auf das 19. Jahrhundert zeigt, dass der Volkszorn, der 1831 in Paris während der Choleraepidemie ausbrach, nicht entschieden unterdrückt wurde durch den schwachen König Louis Philippe.“ („…was not resolutely suppressed“).

Hätte dort „nicht entschieden genug…“ gestanden, hätte ich den Text hier sicher nicht veröffentlicht.

So aber bleibt die Publikation das beständige Wagnis, das seit Ausbruch des Corona-Virus nicht gerade geringer geworden ist: dass man sich verbrennt, während man eigentlich nur das umstrittene „heiße Eisen“ im Volltext zugänglich machen will.

Wenn man ihn dann genau liest – dies ist hier in „Die Aktion“ erstmals auf Deutsch möglich – bleibt er auf interessante Art zwiespältig, wie fast alles heutzutage: einerseits eine spannende Kurz-Studie, die in dieser Deutlichkeit verblüffende tiefengeschichtliche Verweise in sich trägt (Herkunft der Krankheit – Begründung für rassistische Interpretationen). Auch die quantitative Analyse der Autoren zum Zusammenhang Epidemie-Aufstand ist erhellend.

Andererseits ist „Epidemien: ein Brutkästen für Konflikte“ (so mein deutscher Titel) natürlich genau die Art von Gewaltprognose, die autoritäre Politiker benötigen, um die Innere Sicherheit hochzufahren und das Demonstrationsrecht von vornherein einzuschränken, damit sich so etwas gar nicht erst entwickeln kann.

Denn dass, wie Morelli und Censolo sagen, die Regierenden schon immer in Epidemien ihre Macht ausgebaut und den Armen die Schuld an der Plage gegeben haben, diesen aufrüttelnden Gedanken hat man am Ende wahrscheinlich doch wieder vergessen über all das Ringen um die coronale Deutungshoheit.

Aufstände vs. Polizeiwirtschaft

Aufstände bieten ja an sich keine Lösung für soziale Missstände. Das gilt meines Erachtens selbst dann, wenn es ebenso richtig ist, was der deutsche Anarchosyndikalist Rudolf Rocker in seinen Memoiren über die „preußische Polizeiwirtschaft“ sagt: „dass in einem Militärstaate wie Deutschland die Gewalt von oben nur durch die Gewalt von unten beseitigt“ werden könne.

Florian Rötzers Einwand, der Ansatz von Morelli und Censolo sei korrekt, doch

„eigentlich fehlt ein genauerer Blick, finde ich, vor allem auch, inwiefern Epidemien im 19. Jahrhundert oder früher unter doch sehr anderen Umständen mit heute vergleichbar sein können“

(Email an den Autor)

mag auch auf meinen Vergleich zwischen Rockers Preußenkritik und der heutigen Regierung zutreffen.

Sicher haben viele Bedingungen sich geändert, aber die von Morelli und Censolo erkannte Struktur der (nicht nur finanziellen, auch moralischen) Schuldabwälzung auf die schwächsten Glieder der Gesellschaft scheint ein historisch sich durchhaltendes Element zu sein.

Es mag richtig sein und bis heute gelten, dass Drill und geistlose Verwaltung zwar zu einer erfolgreichen teilweisen Selbstversklavung der Bevölkerung führen („die niedrigen Werte haben wir unserer Disziplin und dem Erfolg der Maßnahmen zu verdanken“) – Rocker nennt das „Massendressur und Kadavergehorsam“ – doch auf Dauer kann es nicht gelingen, mit Einschüchterung gegen das Volk zu regieren. Die notwendige Kooperation, aus der allein etwas sinnvolles Neues entsteht, lässt sich nicht erzwingen.

In der Schweigespirale

Insofern können wir den Text von Morelli und Censolo auch so verstehen, dass die unheimliche Ruhe, die wir jetzt während COVID erfahren, nicht unbedingt das widerspiegelt, was uns die Medien täglich eintrichtern: dass 70% der Bevölkerung mit den Maßnahmen der Regierung (somit auch den menschlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen) einverstanden sind.

Vielleicht sitzen wir nur fest in einer temporären „Schweigespirale“ (interessant hierzu dieses) – ein Begriff, erfunden von der Demoskopin Elisabeth Noelle-Neumann, der besagt, dass eine Mehrheit sich nicht traut, ihre Meinung zu sagen, wenn sie meint, sie sei in der Minderheit.

Erst wenn – nach der Pandemie – (Selbst-)Vertrauen oder Kampfgeist wieder erwachen, werden wir wissen, was wir alle bereit sind hinzunehmen.

Nicht viel mehr sagt auch die Stelle über die „sanfte Kontrolle“: der „schwache“ König Louis Philippe hat weder den „starken Mann“ markiert und alle Gegner feudaler Verfügungen mit dem Polizeiknüppel kujoniert, noch hat er versucht, Lösungen für die soziale Misere zu erarbeiten. Das hat sich später gerächt.

In einer medial-autoritären Demokratie wie unserer, die sich mit Beherbergungsverboten schmückt und ohnehin schon gestrafte Leute aus sog. „Risikogebieten“ pauschal als virale Bomber stigmatisiert, die schön zu Hause bleiben sollen, ist der Polizeiknüppel zwar verpönt – doch der elegante TASER könnte schon bald den postepidemialen Zorn beherrschen helfen.

Kaum ein Querdenker, so wohl die Hoffnung der Verfechter der „harten Linie“, der nach der Schockbehandlung mit der Elektrowaffe noch den Mund auftun wird. Aber ob das etwas an den gesellschaftlichen Verhältnissen verbessert?

So gilt wohl bis heute, was der Mainzer Jakobiner und Landsmann von Rocker, Georg Forster, am Neujahrstag 1793 formulierte:

„Keinem anderen Menschen kann man es auftragen, Wahrheit für andere zu suchen und dadurch die Vernunft anderer außer Tätigkeit zu setzen. Wer sich für die ausschließende Wahrheitsquelle ausgibt, ist der Feind des Menschengeschlechts, der Lügner von Anfang, der die Vernunft schon im Keim ersticken und die Menschen um ihr einziges Gut, um ihre Moralität, welche sich auf eigene Beurteilung und freien Willen gründet, betrügen will.“

Nurökonomie

Das Theater der Gesundheit und der Finanzkapitalismus

Um die im Wert wachsende Warenmasse in Zirkulation zu bringen, ist eine immer größere Geldmenge notwendig. Diese wachsende Geldmenge muss eben – beschafft werden.

Rosa Luxemburg: Die Akkumulation des Kapitals, 1913, S. 131

Heute wird die kollektive Alltagspraxis immer freudloser. Der einrastende Mechanismus einer allgemeinen und fortschreitenden Denkfixierung auf Nurökonomie und die schrittweise Verflüchtigung aller geistigen Erlebnisse haben inzwischen eine hochgradige allgemeine Gemütskrankheit als normalen Zustand herbeigeführt.

Ernst Herhaus, Der zerbrochene Schlaf, 1978, S. 161

Mein Beitrag zur Nurökonomie erscheint aus Anlass der Veröffentlichung eines Zwei-Teilers von Bert Papenfuß in DIE AKTION. „Politische Gerechtigkeit“ und der Text über Eigentum mit dem schönen lyrischen Titel Von „Ich und Meins“ und „Du und Deins“ zu „Unsereins“ sind beides Auszüge aus dem Buch SŸSTEMRELEVANZ. Schriften aus dem Vorlaß von Sepp Fernstaub, Bd. 1., das im Herbst 2020 im Berliner Quiqueg-Verlag heraus kommen wird.

Systemrelevanz ist ein Begriff, der in den Monaten seit dem Lockdown eine neue Relevanz erhalten hat. Systemrelevanz und Finanzkapitalismus spielten bereits in meinen Beiträgen Diffuse Angst und Einübungen in den Ausnahmezustand eine – wenn auch eher untergeordnete – Rolle.

Mit „Nurökonomie“ greife ich nun noch einmal Fragen auf, die Bert Papenfuß in seinen beiden Textauszügen stellt. Mein Blick geht dabei nur scheinbar zurück in die letzten Jahre – der Text und die in seinem Zentrum stehenden Zitate wollen unser Sensorium schärfen für die Vorschau kommender Entwicklungen, die wir prinzipiell aus den diversen Staats-, Politik-, Wirtschafts- und Finanzkrisen der letzten Jahre kennen. Der Blick zurück soll uns ermöglichen zu prognostizieren, wohin uns die aktuellen Coronamaßnahmen in Kürze bringen werden.

Echokammer. Es ist kaum noch zu leugnen – wir sind alle Kranke. Kein halbes Jahr ist es her, da fühlten wir Spaß bei jeder Bewegung, bei jeder Berührung im Getümmel, bei jedem Schweißausbruch in der ertanzten oder ertrunkenen Ekstase. Wir hingen verzückt aneinander und tauschten unsere Säfte aus.

Jetzt sind wir starrverschreckt, halten eingeschüchtert Abstand und wer außer sich gerät, seine Disziplin vergisst, ist kein bewundernswerter Jünger des erweiterten Bewusstseins, sondern ein Kostgänger der kollektiven Gesundheit. Ein verantwortungsloser Ignorant, der sein Verhalten krass ändern muss. Ein Irrer, der leichtfertig Kranke abschreibt und massenweise Tote hinnimmt.

So jedenfalls schreiben es mir meine Freunde. Mir, den sie für einen „kruden Impfgegner“ halten, weil ich den vermeintlich alternativlosen Konsens anzweifele, Fragen stelle, die bei ihnen als Behauptungen ankommen und die angeblich in meiner „Echokammer“ keine Gegenrede dulden.

Ich habe diese Sätze meiner Freunde in ihrer ganzen Tragweite, mit ihren nur halb offen ausgesprochenen psychischen Implikationen erst verstanden, als ich in der eingangs zitierten, schonungslosen Selbstanalyse von Ernst Herhaus den Gedanken zur „Nurökonomie“ als Auslöser einer hochgradigen allgemeinen Gemütskrankheit als Normalzustand las.

Die Nurökonomie treibt uns durch ihr Wirtschaften in die Krankheit. Aber keine Angst. Sie weiß Abhilfe: nurökonomische. Es ist ein münchhausenisches Dilemma. Die Lüge der Selbsterrettung entspringt der Logik einer Wissenschaft vom Wirtschaften, die eigentlich nur ein Glaubensbekenntnis ist.

Wo nur ein Prinzip der Welterklärung noch vorkommt, kann der Auslöser des Problems auch die Lösung liefern. Das behaupten nicht nur (Bio- und Geo-) Ingenieure und (genetische) Mediziner. Das verfolgen mit Vehemenz vor allem jene Berufsgruppen, die mit Geld arbeiten. Nurökonomie lässt den Honig bergauf fließen – wenn alle mitspielen.

Geld. Eine Leseempfehlung, die ich nie müde werde zu wiederholen: Emile Zolas Roman „Geld“ (L’Argent, 1891). Es ist ein Text von ungeahnter Aktualität.

Das hat zwei Gründe: Der Text räumt vor 130 Jahren schon radikal mit der Idee auf, die uns bis heute erfolgreich suggeriert, der Kapitalmarkt sei ein naturwüchsiges Ding, eine Art „Ökosystem“, das wie die Natur selbst ihren eigenen Gesetzen gehorche und nicht ersetzbar sei.

Der zweite Grund: Zolas zentrale Metapher, den Finanzmarkt als eine Theaterbühne zu verstehen, erinnert frappierend an das aktuelle Geschehen rund um die mediale und politische Inszenierung der Pandemie.

Zolas Thema: Das Kapital konzentriert sich in den Händen weniger. Es wird zur begehrtesten Ware, hinter der alle anderen Waren als nahezu bedeutungslos zurückfallen. Um diese Erkenntnis zu vermitteln, lässt Zola mit Saccard eine Titelfigur auftreten, die persönlich erleidet, wie der Kampf „Mann gegen Mann“ vom Spiel um Zahlen abgelöst wird. Der Motor der Handlung ist nicht mehr die Person des Bankiers, sondern das Geld selbst. In Saccard zeigt sich erstmals die magnetische Macht der virtuellen Vergrößerung von abstrakten Vermögen, die bis heute das Geschäft bestimmt.

Theater. Zola beschreibt mit der Pariser Börse eine Soziosphäre, die einem Theaterhaus gleicht. Es gibt unveränderlich festgelegte Orte für alle Teilnehmer des Spektakels: die Bühne, den Schnürboden, den Zuschauerraum, das Foyer und insbesondere das Theatercafé, in dem in den Pausen die geschäftlichen Anbahnungen passieren, die Tipps kursieren.

Wenn etwas schief geht, flitzen die Akteure durch „Wurmlöcher“ von der Vorderbühne in das Dunkel der Unterbühne und bedienen dort munter die Hubpodien, auf denen ihre Doubles ins Licht getragen werden – auf dass das Schauspiel weiter gehe.

Architektur. Zola betrachtet die „Welt“ des Finanzkapitals aus der Vogelperspektive. Als schaue er zusammen mit dem Bauherren einen Architektur-Plan an, ordnet er Orte bestimmten ökonomischen Funktionen zu.

Im Zentrum steht das „Corbeille“, das „Körbchen“, auch „Börsenring“ genannt, der Handelsplatz, zu dem nur die akkreditierten, die gesetzlich zugelassen Makler der Börse Zugang erhalten. Das „Parkett“, auf dem sie tätig sind, steht für den „Markt der Wertpapiere“. Hier wird „spekuliert“ – ein Wort, das man durchaus zwei mal lesen darf.

Zola rekonstruiert, ohne eine einzige abstrakte Zeile in seinen Romantext einfügen zu müssen, den Glauben an die Wirtschaft als Wissenschaft. In der brillant gezeichneten Manege des Corbeille agieren fiskalische Artisten. Sie arbeiten ohne Netz. Das ist riskant. Es lohnt sich aber. Meist. In ihrem Handeln ist keine Spur von Erkenntnissen zu finden über die wesentlichen Eigenschaften, kausale Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten der Natur, Technik, noch des Denkens, das in Form von Begriffen, Kategorien, Theorien oder Hypothesen fixiert wäre. Von einer wissenschaftlichen Ethik ganz zu schweigen.

Kurz: der Finanzmarkt ist unwissenschaftlich.

Denn Absprachen unterliegen keinen marktwirtschaftlichen Gesetzen. Ebensowenig wie Rating eine Werttheorie ist. Wirtschaft ist ein Geschäft. Die Regeln sind ebenso vermittelbar, wie ein speziell authentischer Körperausdruck an der Schauspielschule lehrbar ist (bspw. durch method acting). Das aber ist bar jeder „scientia“. Auch „bar“ ist ein Wort, das man in diesem Kontext gern zweimal lesen darf.

Im Finanzmarktgeschäft beruht alles auf Überzeugungskraft, Vertrauen, Geschick – und Beziehungen, Beziehungen, Beziehungen. Das Stück, das die Finanzdienstleister täglich neu aufführen, hat ein Skript, das keinerlei geheime Mechanismen birgt. Das gilt, auch wenn die Kunst, den richtigen Text zu sprechen, all die fremden Fachbegriffe korrekt zu intonieren, nicht jedem gegeben ist.

Die Darbietung ist ihrer Form nach ein bisweilen gewaltig anschwellendes, schnell und immer schneller herunter gespieltes Dramolett, für dessen endlos wiederholte Aufführung die Darsteller sich selbst das Budget gewähren, es nach ihren Wünschen frei gestalten. Letzteres ist das wahre Wunder in diesem Spiel. Weil das so mühelos gelingt, hat ihr Stück die ganze Welt zum Publikum.

Spekulation. Alles ist verkäuflich auf dem internationalen Finanzmarkt. Ob es sich um ein Bauprinzip der Natur, ein Netzwerk persönlicher Beziehungen oder ein geplatztes Geschäft handelt – alles kann zur Ware, zum Objekt einer Spekulation werden.

Bildung, Arbeit, Ernährung, Gesundheit, Sicherheit, Energie, Klima – alle Lebensbereiche sind im Fokus des Finanzsystems, offen für Einsätze in einem Spiel ohne Rücksichten. Käufer und Verkäufer sind nicht mehr, was sie einmal waren: heute handeln superschnelle Maschinen den Preis für einen Deal unter sich aus. Menschen, so scheint es zunehmend, spielen dabei eine sekundäre Rolle. Doch die regeln des Rollenspiels stammen nicht von den Maschinen, sondern von ihren Bedienern.

Die Krise des globalen Finanzsystems ist längst nicht mehr auf die Sphäre der Ökonomie beschränkt. Sie hat viele Lebensbereiche erfasst: Alltag und Familie, Identität und Werte, Kultur, Umwelt, Wissenschaft und Forschung, den Aufbau der Gesellschaft und die Verteilung des Wohlstandes, unser Rechtssystem und nicht zuletzt die Politik und ihr Verständnis von Staat und Demokratie.

Wandel. In einer Finanzkrise befinden wir uns daher stets auch in einer Gesellschaftskrise. Krisen sind nicht nur integraler Bestandteil unseres Alltags und Wirtschaftslebens. Sie scheinen ein Teil der notwendigen Stimulanz für das unerlässliche und unablässig erwartete Wirtschaftswachstum zu sein. Welche Auswirkungen dies hat, zeigen die nachfolgenden Zitate, die aus der Recherche zu „SUPRAMARKT“, meinem Essayband über die Folgen der 2008er Finanzkrise stammen. Die Zitate sagen: wir kennen jede einzelne Auswirkung jeder früheren Krise – aber lernen wir daraus?

Natürlich könnte man einwenden, dass die Auswahl der Zitate nicht repräsentativ sei für das weltpolitische Geschehen, dessen Zeitraum sie abdecken. Das ist sicher richtig. Es sind eher Blitzlichter, die kleine Ausschnitte im großen Dunkel erhellen. Und sie sind sicher tendenziös ausgewählt. Natürlich liegt es mir näher, Zitate von Gleichgesinnten zu veröffentlichen. Mit Steve Wright habe ich bis zu seinem Tod zwanzig Jahre lang zusammen gearbeitet. Martin McKee hat zu einem Sammelband von mir beigetragen. Es lassen sich fraglos Zitate finden, die das genau Gegenteil belegen. Aber neben der Frage der Ausgewogenheit geht es mir bei der Auswahl vor allem um eins: die Dimension der Auswirkungen einer Krise auf alle Lebensbereiche schlaglichtartig erkennbar zu machen und ein Gefühl dafür zu entwickeln, was es konkret bedeutet, wenn man von „gesellschaftlichem Wandel“ spricht.

Ernährung. Spanien hat derzeit die höchste Arbeitslosenquote in ganz Europa. Wenn die Leute ihr Einkommen verlieren, bleibt ihnen irgendwann nur noch eine staatliche Minimalversorgung. Ich untersuche, was das für Auswirkungen auf die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse hat. Dazu gehört vor allem das Essen. …Die Leute gehen zu IKEA, weil dort ein Frühstück für einen Euro zu kriegen ist. Ganze Familien machen das. Sie essen dann zum Beispiel Hot Dogs. So können sie für einen Euro ihren Hunger stillen. Eine vernünftige Ernährung ist das aber sicher nicht. Es sind auch Untersuchungen darüber veröffentlicht worden, dass Probleme mit Übergewicht in Spanien zunehmen. Das ist eine Folge von Fehlernährung und passiert, wenn man gesunde Essensgewohnheiten umstellt. Und wie gesagt: 40 Prozent der spanischen Haushalte haben genau das getan wegen der Finanzkrise.

Maria del Pilar Valledor, Juristin an der Universität Rey Juan Carlos in Madrid; Zitat aus der Sendung „Keine Arbeit, schlechtes Essen, Die Folgen der Finanzkrise in Spanien machen sich besonders bei der Ernährung bemerkbar.“ von Volker Mrasek, Deutschlandradio, 5.4. 2013

Gesundheit. Die Europäische Kommission ist per Abkommen dazu verpflichtet, die Auswirkungen ihrer Politik auf die Gesundheit zu prüfen. In Griechenland forderte die Troika (gemeinsames Kontrollgremium der Europäischen Zentralbank, des Internationalen Währungsfonds und der EU-Kommission, d.Red.) einen so strengen Sparkurs mit Einschränkungen bei der Fürsorge, der Bildung und der Gesundheitsversorgung, dass das Land wenig Möglichkeiten hat, auf die eskalierende soziale Krise zu reagieren.

Martin McKee, European Observatory on Health Systems and Policies 2013

Sparmaßnahmen sind jedoch nicht nur ein wirtschaftlicher, sondern auch ein gesundheitlicher Misserfolg, da die Zahl der Selbstmorde zunimmt und immer mehr Menschen keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben, wenn die Gesundheitsbudgets gekürzt werden. Dennoch bleiben ihre Geschichten weitgehend unerzählt. Hier argumentieren wir, dass es eine Alternative zur Sparsamkeit gibt, aber dass die Ideologie über die Beweise triumphiert.

Marina Karanikolos, Paul Belcher und David Stuckler et al., Austerity: a failed experiment on the people of Europe, in: Klinische Medizin, 2012, Band 12, Nr. 4: 346-50

Die Finanzkrise in Europa hat große Gefahren und Chancen für die Gesundheit mit sich gebracht. … Obwohl es viele potenziell verwirrende Unterschiede zwischen den Ländern gibt, legt unsere Analyse nahe, dass, obwohl Rezessionen Gesundheitsrisiken bergen, die Wechselwirkung von fiskalischen Sparmaßnahmen mit wirtschaftlichen Schocks und schwachem Sozialschutz das ist, was letztlich die Gesundheits- und Sozialkrisen in Europa zu eskalieren scheint. Politische Entscheidungen darüber, wie auf Wirtschaftskrisen zu reagieren ist, haben ausgeprägte und unbeabsichtigte Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit. Doch die Stimmen der öffentlichen Gesundheit blieben während der Wirtschaftskrise weitgehend stumm.

Philipa Mladovsky, Jonathan Cylus, Sarah Thomson, Sanjay Basu, u.a., Finanzkrise, Sparmaßnahmen und Gesundheit in Europa, in: The Lancet, Band 381 Nr. 9874 S. 1323-133, 13. April 2013

Klima. Während einige Wissenschaftler die Notwendigkeit nachhaltiger Lösungen einsehen, zeigen die jüngsten wirtschaftlichen, politischen und militärischen Krisen, wie weit die Menschheit von einer solchen Einsicht bei den Regierenden noch entfernt ist. Armut, Wasser-, Nahrungsmittel- und Brennstoffknappheit sind Teil eines Systems globaler „struktureller Gewalt“. Sehr arme Menschen werden die Hauptlast der Folgen des Klimawandels zu tragen haben, und sie können ihre politische Führung zu Recht der Korruption und der Unversöhnlichkeit gegenüber dem Schicksal und dem Leid der Menschen beschuldigen. Eine solidarische Annäherung solcher Wahrnehmungen kann eine Sicherheitskrise hervorrufen, die Tausende oder sogar Hunderttausende von Menschen auf die Straße schickt, wie im Januar 2011 in Ägypten. Alle klimabedingten Konflikte der Zukunft werden wahrscheinlich keine reinen Typen sein, sondern aus einem komplexen, gemischten Amalgam von Ursachen und Folgen bestehen.

Steve Wright, Grenzpolizierung in einer Zeit des raschen Klimawandels, in: Klimawandel, menschliche Sicherheit und gewalttätige Konflikte: Herausforderungen für die gesellschaftliche Stabilität, Hexagon Series on Human and Environmental Security and Peace Nr. 8, 2012, S. 353

Sicherheit. Wenn die Umweltforschungsgemeinschaft der breiter angelegten Sicherheitsarchitektur nicht mehr Aufmerksamkeit schenkt, wird sie die flexiblen staatlichen Sicherheitskonzepte nicht verstehen … Wenn schließlich Temperaturanstiege von 4 Grad Celsius oder darüber hinaus zu erwarten sind, werden sich die meisten Staaten bewusst sein, was das im Hinblick auf ein negatives künftiges Wirtschaftswachstum und die damit verbundenen sicherheitspolitischen Implikationen bedeuten könnte.Eine solche Neuausrichtung dieser Sicherheitskontrollkapazitäten zur technischen Lösung des „Problems“ der klimabedingten Migration erfordert keine neue Gesetzgebung. Wer seine Grenzen aufgrund von durch den Klimawandel verursachten Wetterturbulenzen, Versagen der Nahrungsmittel-, Wasser-, Energie- und Gesundheitssysteme oder damit verbundenen Konflikten verlässt, hat keinen besonderen rechtlichen Status – außer als potenziell illegaler Migrant.

Steve Wright, Grenzpolizierung in einer Zeit des raschen Klimawandels, in: Klimawandel, menschliche Sicherheit und gewalttätige Konflikte: Herausforderungen für die gesellschaftliche Stabilität, Hexagon Series on Human and Environmental Security and Peace Nr. 8, 2012, S. 353

Rechtssystem. Die vorherigen Zitate erinnerten mich dann an diesen Klassiker, den ich nicht vorenthalten möchte:

Wir besitzen etwa 50% des Reichtums dieser Welt, stellen aber nur 6,3% seiner Bevölkerung. … In einer solchen Situation kommen wir nicht umhin, Neid und Missgunst auf uns zu lenken. Unsere eigentliche Aufgabe in der nächsten Zeit besteht darin, eine Form von Beziehungen zu finden, die es uns erlaubt, diese Wohlstandsunterschiede ohne ernsthafte Abstriche an unserer nationalen Sicherheit beizubehalten. Um das zu erreichen, werden wir auf alle Sentimentalitäten und Tagträumereien verzichten müssen; und wir werden unsere Aufmerksamkeit überall auf unsere ureigensten, nationalen Vorhaben konzentrieren müssen. Wir dürfen uns nicht vormachen, dass wir uns heute den Luxus von Altruismus und Weltbeglückung leisten könnten … Wir sollten aufhören von vagen … (und) unrealistischen Zielen wie Menschenrechten, Anhebung von Lebensstandards und Demokratisierung zu reden. Der Tag ist nicht mehr fern, an dem unser Handeln von nüchternem Machtdenken geleitet sein muss. Je weniger wir dann von idealistischen Parolen behindert werden, desto besser.

George Kennan, Chefplaner im US-Außenministerium, 1948 im Policy Planning Staff-Bericht PPS 23

Selbsthilfe. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal zurück kommen auf den anfänglichen Gedanken, dass wir alle Kranke seien, oder genauer, im Sinn unserer immer notwendigeren Foucault-Lektüren: als Kranke vom nurökonomischen System definiert werden. Durch Zuschreibungen wie Krankheit sind wir besser handhabbar, leichter zu steuern, leichter in Umsatz zu verwandeln.

An Gesunden ist natürlich auch genug zu verdienen. Aber man muss mit dem Eigensinn der Gesunden rechnen. Wer krank ist, begibt sich williger in die Hände derer, die für ihn das Denken und Handeln übernehmen (und die Märkte sichern) wollen. Daher rührt die Kriegsmetapher von Emmanuel Macron. Dem Krieg ist alles unterzuordnen. Insbesondere der Eigensinn. Wer krank ist, muss sich erst noch emanzipieren.

Ernst Herhaus notiert auf Seite 32 seines Journals „Der zerbrochene Schlaf“:

Zum Kriege: schon der Vietnamkrieg war zuletzt mit Sicherheit keine Auseinandersetzung mehr über die Willensfreiheit, sondern ein reiner Geldkrieg, verlagert nach Südostasien, weil in diesem Teil der Welt die Verschleierung öffentlicher Tatsachen noch aussichtsreich schien. Das ist misslungen. Die Welt ist als Schauplatz für Kriege an jedem Punkt heute einsehbar, mit dem Scherenfernrohr der bis heute gesammelten geschichtlichen Erfahrungen aller Kontinente. Aber die Geschäftswelt weiß Auswege. (Ich hatte)… eine Wachvision: ich sah Bilder aus einem nicht erklärten ganz anderen Weltkrieg, Vernichtungsbilder aus einem Krieg der organisierten Weißen Industrie (fossiles Medizinertum, Psychoanalyse und Pharmaindustrie, unterstützt von feigen Regierungen und vom Abstimmungslärm der Parlamente, die nicht vorzugehen wagen gegen diese Interessenklüngel mit dem Schutzschirm sogenannter Wissenschaftlichkeit) gegen die nicht organisierten Kranken aller Schattierungen.Es ist nicht die Frage, welche Sorte von Krieg kommt oder schon unter uns tobt … – die Frage ist ernster: ob in diesem Kontinent Europa, der alt genug geworden ist, um erwachsener zu werden in einem unausbleiblichen schrittweisen Tiefpunkt, die Idee von Selbsthilfe durch Fremdhilfe eine politische Dimension finden kann, die die Alltagsmenschen aus dem bleiernen Schlaf der verordneten Depressivität aufrüttelt. Nicht Machtpolitik, sondern bedingungslose Kapitulation vor der erreichten Übermacht der Krankheit aller, das Stehenlernen in nüchtern zur Kenntnis genommener Machtlosigkeit als Ende der Ohnmacht aller ist die Voraussetzung.

Theater der Gesundheit. Jetzt haben wir eine Menge Thesen auf dem Tisch. Wie verbinden sie sich mit der gegenwärtigen Situation? Ich greife ein aktuelles Beispiel heraus, um die zentrale Annahme des Textes zu belegen, dass es sich bei der aktuellen „Krise“ um eine weitere finanzkapitalistische Operation handelt, die im zolaschen Sinn als ein „Theater der Gesundheit“ inszeniert wird.

Folgende zwei Informationen scheinen mir dafür in einem erhellenden Widerspruch zu stehen:

1. die Präsidentin der EU Kommission Ursula von der Leyen hat mit dem Pharma-Giganten Sanofi-GSK einen Vertrag über die Lieferung von 300 Millionen Dosen Impfstoff ausgehandelt. Nachzulesen in der Presseerklärung der EU vom 31. Juli 2020, Brüssel

In den Worten der Präsidentin: „Die Europäische Kommission tut alles in ihrer Macht Stehende, um sicherzustellen, dass die Europäer schnellen Zugang zu einem Impfstoff haben.“ Was alles „in ihrer Macht steht“, um das auch rechtlich und technisch zu ermöglichen, dokumentiert die EU durch – wenig wahrgenommene – Weichenstellungen.

Es scheint, es geht nun recht zügig vieles über Bord, was zuvor mühselig erkämpft wurde. Nur kurz zwei Beispiele.

– das Ärzteblatt berichtet, eine Impfpflicht wäre rechtlich doch möglich

– der Rat der EU verlautet in seiner Pressemitteilung vom 14. Juli 2020, um alle aussichtsreichen Impfstoffkandidaten rechtlich abzusichern, sei ein Ausnahmegesetz zur Entwicklung von GMO-haltigen, gentechnikbasierten Impfstoffen beschlossen: Vaccine against COVID-19: Council adopts measures to facilitate swift development

81%. Vor welchem medizinisch belegbaren Hintergrund finden diese harschen Eingriffe in die existierende Gesetzeslage statt?

Hier die zweite, im deutlichen Widerspruch zu den Aktivitäten der EU-Kommission stehende Information: Achtunddreissig Forscher von sieben Instituten der Universität Tübingen, alle aus dem Umfeld der Immunologie-Forschung, haben gemeinsam mit einer in Tübingen ansässigen Firma (Immatics Biotechnologies GmbH) und dem Universitätsklinikum Tübingen, sowie dem Helmholtz Centre for Infection Research, Braunschweig einen Bericht unter dem Titel SARS-CoV-2 T-cell epitopes define heterologous and COVID-19-induced T-cell recognition, veröffentlicht, der kurz ausgedrückt besagt, dass bei 81 % der Untersuchten eine (Teil-)Immunität gegen SARS-Cov-2 durch andere (frühere) Coronaviren besteht.

Ohne die medizinischen Frage über Gebühr zu vertiefen, was ich mangels Kenntnis gar nicht könnte, geht es in dem Bericht (und seiner fachlichen Rezeption) darum, dass bislang nur das Vorhandensein von Antikörpern getestet werden, die aber kurz nach der Infektion (zwei Wochen) ohnehin wieder verschwinden. Praktisch niemand testet aber die viel aussagekräftigere T-Zellen Reaktion. Mehr als eine T-Zellen Reaktion, die also hochgerechnet (darf man das?) 81% der Deutschen bereits aufweisen könnten, bewirkt aber auch kein Impfstoff.

Es sei denn – und hier kommen wir vielleicht zum Kern der Studie – man liest es so:

„Unsere Daten liefern den ersten Beweis dafür, dass im Gegenteil die Intensität der T-Zell-Reaktionen nicht mit dem Schweregrad der Erkrankung korreliert. Dies ist von hoher Relevanz für die Entwicklung von Impfstoffen, da es Hinweise darauf liefert, dass krankheitsverschärfende Effekte die Entwicklung prophylaktischer und therapeutischer Impfansätze, die darauf abzielen, SARS-CoV-2-spezifische T-Zell-Reaktionen zu induzieren, nicht behindern könnten.“ (Seite 10, 4. Absatz)

Logisch scheint mir das zwar nicht – aber – man versteht: dahin geht der Zug! Man kann auch (teil)immunen Leute noch guten Gewissens einen (von Tübinger Experten zu entwickelnden Spezial-)Impfstoff spritzen.

In Tübingen – doch keine freie Wissenschaft, sondern nur ein weiterer Fall von (finanzmarktinduzierter) Geschäftemacherei?

Auf Seite 16 der Studie heisst es zudem: die beteiligten Forscher Daniel Kowalewski und Vlatka Stos-Zweifel sind Angestellte der Immatics Biotechnologies GmbH. Ein weiterer Autor, Hans-Georg Rammensee, ist Shareholder bei Immatics Biotechnologies GmbH und ebenso bei der Curevac AG (Dietmar Hopp, Bill & Melinda Gates). Alle anderen Autoren erklären, keine Interessenkonflikte finanzieller Natur zu haben. Als Leser der Studie weiß man natürlich nicht, welchen Einfluß auf das Gesamtergebnis Hans-Georg Rammensee genommen hat. Man weiß nur, dass er mutig ist, denn im Mai 2020 unternahm er einen Selbstversuch mit einem von seiner Arbeitsgruppe entwickelten Covid 19-Impfstoff. Die Süddeutsche hat ihn deswegen den „Ungeduldigen“ getauft.

Die deutschen Forscher stehen mit ihren Untersuchungsbefunden nicht alleine da. Eine britische Studie mit dem Titel „Pre-existing and de novo humoral immunity to SARS-CoV-2 in humans„, fand, dass bis zu 60% der Kinder und Jugendlichen und circa 6% der Erwachsenen bereits über kreuzreaktive Antikörper gegen das neue Coronavirus verfügen, die durch den Kontakt mit bisherigen Coronaviren entstanden sind.

Eine Studie im Fachblatt Nature kam im Falle von Singapur zudem Ergebnis, dass Personen, die 2002/2003 an SARS-1 erkrankt waren, auch 17 Jahre später noch über T-Zellen verfügten, die auch gegen das neue SARS-2-Coronavirus reaktiv sind. Zudem fanden die Forscher bei rund der Hälfte der Personen, die weder an SARS-1 noch an SARS-2 erkrankt waren, bereits kreuzreaktive T-Zellen, die durch den Kontakt mit anderen, teilweise unbekannten Coronaviren entstanden sind.

Der Harvard-Immunologe Michael Mina erklärte in der NY Times, dass das “Abfallen der Antikörper-Konzentration” nach einer Covid-Erkrankung „völlig normal“ und “wie im Lehrbuch” sei. Der Körper stelle die längerfristige Immunität durch T-Zellen und Erinnerungs­zellen im Knochenmark sicher, die bei Bedarf rasch neue Antikörper erzeugen können.

Mir ist vollkommen bewusst, dass es sich mit diesen Berichten wie mit den Zitaten verhält: monatlich erscheinen derzeit 50 solcher Fachgutachten weltweit, förmlich hunderte davon über Immunreaktionen. Es lassen sich sicher Belege für alles finden, je nachdem wie „frei“ die Wissenschaftler arbeiten, wie unabhängig von ihren Geldgebern.

Die geschützten Geheimnisse der Demokratie. Nehmen wir zu Gunsten unserer demokratisch befestigten Forschungslandschaft an, in Schwaben herrsche noch, trotz Curavec und plattformkaitalistischen Gigantinvestments in das Cyber Valley, eine gewisse Forschungsfreiheit. Vorausgesetzt also, diese Informationen sind korrekt und belastbar, und rechnet man die Zahlen auf den europäischen Maßstab hoch, so sind 600 von 750 Millionen Europäern mit T-Zellen-Reaktivität unterwegs, die durch Impfen kaum zu verbessern wäre.

Denn eins von beiden muss ja stimmen – entweder ist niemand richtig geschützt durch die Teilimmunisierung, dann sind 300 Millionen Dosen für 750 Millionen Europäer zu wenig: wer bekommt dann nichts? Oder aber es sind 150 Millionen Dosen zu viel bestellt worden: ganz schön großzügig mit dem Geld umgegangen! Kann die Wahrheit in der Mitte liegen? Sind bis Oktober 2021 etwa 450 Millioenn Europäer „von alleine“ immun und nur die restlichen 300 Millionen benötigen noch ihre Dosis? Ich zweifele daran. Ich finde aber auch keine gute Quelle, wo die Grundlage für die Bestellung von Frau von der Leyen plausibel erklärt wäre, noch wer sie eigentlich dazu beauftragt hat. Sicher ist das irgendwo publiziert. Aber wie schon Jörg Schröder so schön sagte in seinem Buch „Siegfried“: „Die am besten geschützten Geheimnisse der Demokratie sind die veröffentlichten.“

Ich bin mir bewusst, dass ich mich hier auf das nächste Glatteis begebe mit solchen Hochrechnungen: das statistisch-mathematische Glatteis. Bitte schnallen Sie kurz Ihre Schlittschuhe unter und folgen mir noch einen Schritt. Denn auch die Politik benutzt die gleichen spekulativen Rechenmodelle zur Begründung ihrer Milliardeninvestments.

Spekulativ ist das dritte Wort in diesem Text, dass man zweimal lesen darf. 16 Milliarden sind bereits jetzt, bis Ende Juli 2020, investiert von der EU, als ihr Anteil an „Coronavirus Global Response“, der globalen Aktion für den universellen Zugang zu Tests, Behandlungen und Impfstoffen. 16 Milliarden, bevor Sanofi profitiert.

Bereits im April 2020 hatte die EU-Kommission unter von der Leyen 100 Millarden Kredit zur Weitergabe an die von den Pandemie-Beschränkungen wirtschaftlich besonders hart betroffenen Länder aufgenommen. Obwohl dem Programm der euphemistische Name „SURE“ (zuverlässig, sicher) gegeben wurde, protestierte die Bundesbank, dass dies rechtlich nicht sauber war. Ob das stimmt oder nicht: es zeigt sich daran etwas anderes: dass nicht überlegt wird, wie man die Schutzmassnahmen angesichts der Pandemie so gestaltet, dass sie den Europäern ein Durchkommen aus eigener Kraft ermöglichen oder wie man in der Breite der vorhandenen wirtschaftlichen Struktur alle schützt. Man überlegt nur, wie viel Geld man wie schnell herausgeben kann, um „systemrelevante“ Großbetriebe zu stützen.

Niemand wird sicher sein, bis alle sicher sind.“ Zurück zum Impfstoff. Es stellt sich jedenfalls die Frage: für wen bestellt Präsidentin von der Leyen 300 Millionen Dosen, die Ende 2021 lieferbar sind, wenn Mitte 2020 eine (Teil-)Immunität dieser Größenordnung besteht?

Die Frage lässt sich am besten mit den eigenen Worten der EU-Kommission beantworten.

Die EU Kommission verkündet in ihrer Presseerklärung vom 31. Juli 2020 folgendes:

„Ein sicherer und wirksamer COVID-19-Impfstoff ist die sicherste Ausstiegsstrategie aus der Krise. Aus diesem Grund haben wir in den letzten Wochen über einen einheitlichen EU-Ansatz verhandelt, um die Dosen vielversprechender Impfstoffkandidaten zu sichern. Die heutige Ankündigung des Abschlusses der Sondierungsgespräche mit Sanofi-GSK ist der erste wichtige Schritt in diese Richtung, um unseren Bürgern einen gleichberechtigten Zugang zu dem Impfstoff zu ermöglichen“ (Stella Kyriakides, Kommissarin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit)

Weiter im Text der Presseerklärung:

Die heute abgeschlossenen Sondierungsgespräche sollen zu einem Vorabkaufsvertrag führen, der mit dem Instrument zur Unterstützung der Nothilfe finanziert werden soll. Dieses Instrument verfügt über Mittel, die für die Schaffung eines Portfolios potenzieller Impfstoffe mit unterschiedlichen Profilen und von verschiedenen Unternehmen hergestellt werden.   Die Europäische Kommission setzt sich auch dafür ein, dass jeder, der einen Impfstoff benötigt, diesen bekommt, überall auf der Welt und nicht nur zu Hause. Niemand wird sicher sein, bis alle sicher sind.“

Und etwas weiter heisst es:

„Da die hohen Kosten und die hohe Ausfallrate die Investition in einen COVID-19-Impfstoff für die Impfstoffentwickler zu einer risikoreichen Entscheidung machen, werden diese Vereinbarungen daher Investitionen ermöglichen, die andernfalls wahrscheinlich einfach nicht getätigt würden. … Obwohl wir heute noch nicht wissen, welcher Impfstoff am Ende am besten wirken wird, investiert Europa in ein diversifiziertes Portfolio vielversprechender Impfstoffe, die auf verschiedenen Arten von Technologien basieren.“

Investieren“, „Portfolio“, „Vorabkaufsvertrag“, „Finanzierungs-Instrument zur Unterstützung der Nothilfe“: das sind die Begriffe einer Gesundheitspolitik unter dem Eindruck einer Pandemie, die vielleicht schon vorüber gegangen ist.

Um der Gefahr des begründeten Vorwurfs einer sinnlosen Investition vorzubeugen, ergeht die Drohung: alle werden sterben, solange noch einer krank ist („Niemand wird sicher sein, bis alle sicher sind.“).

Enquete-Kommission statt EU-Kommission. Mir scheint, an diesem Punkt sollte ein altes Recht genutzt werden: die „die sicherste Ausstiegsstrategie aus der Krise“ wäre – statt einer Präsidentin aus EU-Mitteln das Aushandeln von Deals mit der Pharmaindustrie zu gewähren – die Einsetzung einer Enquete Kommission https://de.wikipedia.org/wiki/Enquete-Kommission. Sonst geraten wir alle in die Fänge einer Beschaffungskriminalität mit weißem Kragen. Die „schrittweise Verflüchtigung aller geistigen Erlebnisse“ durch Nurökonomie haben uns ohnehin schon mürbe gemacht und an den Rand einer „hochgradige(n) allgemeine(n) Gemütskrankheit“ gebracht. Zeit, daran etwas zu ändern.

Wat mutt, dat mutt

Es war Eckart Spoo, der mich 1991 mit der politischen Lesart des plattdeutschen Sprichwortes „wat mutt, dat mutt“ konfrontierte. Als Redakteur der Frankfurter Rundschau und Herausgeber der Zeitschrift Ossietzky verfügte Spoo über ein höchst sensibel ausgebildetes Sensorium für sprachliche Formen staatlich-autoritärer Zumutungen.

Spoo war 1990 mehr zufällig in eine Performance unserer Gruppe BBM geraten, die wahrscheinlich zu den radikalsten zählte, die wir je inszeniert haben: „Im Grund sind wir alle Zeichen“. In einer Messehalle in Hannover hatten wir einen temporären Ausnahmezustand herbeigeführt, indem wir mehr als 1000 Menschen mit dem Versprechen einer künstlerischen Darbietung angelockt und dann alle Register der Panik-Mache gezogen hatten (Sprengstoff, Feuer, unkontrolliert durch die Menge rasende Primitiv-Roboter). Als schließlich die Messeverwaltung im irrigen Glauben, die Maschinen seien ans Stromnetz angeschlosssen, den Hauptschalter umlegte, erhellten nur noch die Brandherde die Szene. Ein schlecht dosierter Löschversuch mit ABC-Pulver machte das Chaos perfekt. Die Zuschauer mutierten in Sekunden zu Opfern und rannten in heller Aufregung mit improvisierten Nasenmundschützen durch die von giftigen Partikeln flimmernde Luft.

Spoo hatte eine Kopie des später legendären Flugblattes „Imperialismus und Inspiration“ ergattert, das wir anonym verteilten. Er analysierte es ausführlich in der FR am Montag darauf. Die naheliegenden Kriegsassoziationen, die ihm als 1936 geborenen angesichts der von BBM inszenierten Bilder kamen, vermischten sich in seiner Reszension mit markigen Sätzen, die er zuvor in der Eröffnungsrede für die Show von Gerhard Schröder gehört hatte. Wie BBM Schröders Ruf nach mehr politischem Engagement und künstlerischer Radikalität eingelöst hatten, brachte Spoo mehr als zum Schmunzeln.

In seinem Beitrag zog Spoo schließlich in der für ihn typischen knappen, dichten Sprache eine Summe des Gesehenen:

„Ich erinnere mich noch an das Schriftbild: Alle Räder müssen rollen für den Sieg. Es stand an der Bahnhofsmauer, an der ich als Kind oft vorbei ging. Der Bahnhof war zerbombt. Wie sollte ich mir den Sieg vorstellen? Würden dann alle Räder still stehen dürfen? Das war nicht gemeint. Im Gegenteil. Der Krieg sollte möglichst viele Räder ins Rollen bringen. Damit mehr und mehr Räder rollten, musste Krieg sein. Früher nannte man es Pflicht. Heute nennt man es Verantwortung. Weltweite militärische Verantwortung. Wat mutt dat mutt. Früher sprach man vom gerechten Krieg. Heute vom notwendigen.“

Staatsräson, Entmündigung der Bürger und das Verbot des „Warum“. Mechanismen, die immer wieder einschnappen, wenn auch in Formen, die sich über die Jahrzehnte (1940, 1990, 2020) wandeln. Krieg gegen den Faschismus. Krieg gegen den Kommunismus. Krieg gegen den Virus.

Noch einmal Spoo: „Siegte, wer am wenigsten verlor? Oder wer am meisten erbeutete? Dann war mancher vermeintliche Sieger in Wahrheit Verlierer. Siegte allemal die Rüstungsindustrie?“

Solche Fragen und Vergleiche treiben mich um, wenn ich den kurzen, aber sehr treffenden Text von Philipp Mausshardt „Die maskierte Gesellschaft“ lese, der heute als Nummer 10 der AKTION erschienen ist. Wohin geraten wir, wenn wir den Krieg gegen den Virus mit den aktuell gewählten Mitteln weiter fortsetzen? Mit Mitteln, die nicht hinterfragt werden dürfen, ohne dass ein Aufschrei durch die Presse geht. Mit Mitten, die von der Politik als alternativlos betrachtet werden. Wie setzen wir uns dagegen zur Wehr?

Eine mögliche Antwort könnt ihr am kommenden Wochenende in der AKTION lesen, wenn wir zwei Auszüge aus dem längeren Text SŸSTEMRELEVANZ von Bert Papenfuß als exklusiven Vorabdruck veröffenlichen.

Diffuse Angst – ein politisches Nervengift

Beitrag Nummer 2 in der Reihe „Enquete – analytische Präparate für die post-pandemische Gesellschaft

In dieser Reihe erscheinen auf meinem Blog Auszüge aus Texten, die als geistiges Rüstzeug für die Bewältigung aktuell anstehender Probleme dienen sollen. Keine “schwierige Lage” ist so neu und einzigartig, dass sie nicht schon Vorgänger gehabt hätte, aus deren bereits erfolgter gesellschaftlicher Bearbeitung wir etwas lernen könnten. Insofern ist “Enquete” gegen das Vergessen historischer Leistungen gesetzt. Enquete hilft uns, nicht gleich alle Errungenschaften der aufgeklärten Zivilisation, des in Generationen-übergreifender Arbeit erkämpften Humanismus zu opfern, nur weil uns eine nächste Seuche überfällt. Mit einer kurzen Einführung werden die Texte jeweils aktuell kontextualisiert.

Am 4. Juli 2020 habe ich hier einen Text veröffentlicht, in dem es um den Verdacht geht, dass die Krise 2008 kein Ergebnis einer Art von Naturkatastrophe namens Finanzkapitalismus gewesen ist, sondern schlicht der Ersatz für Krieg. Nur wenn zyklisch massiv Werte vernichtet werden, lässt sich unser Wirtschafts-System und das für sein Funktionieren bitter nötige endlose Wachstum realisieren. Bis vor einem Jahrundert besorgte das der Krieg – einer alle 25 Jahre. Die stetige Verfeinerung der Kriegstechnologie („technical superiority“ als Weltmacht-Faktor), sowie der Umstand, dass durch sie Konflikte tendentiell weltumspannend wurden, hat das Prinzip der zyklischen Wertvernichtung durch Krieg an seine Grenzen gebracht. Der nächste Krieg nach dem zweiten Weltkrieg hätte der letzte sein können. Die Auslöschung der Menschheit auf Knopfdruck schien mit ABC-Waffen möglich. Menschen aber sind auch für jede noch so frei drehende Wirtschaft „systemrelevant“.

Was also tun? Wie setzt man nach dieser Erkenntnis die gigantische kybernetische Maschine anders ein, jene Maschine, die bis 1989 das „Gleichgewicht der Schrecken“ garantiert und verhindert hatte, dass die beiden ideologischen Hemisphären sich gegenseitig vernichten? Nichts lag näher, als die Kybernetik, die „Steuerung“ hinter der Vernichtungsmechanik, direkt für die Wirtschaft zu instrumentalisieren. Solchen Überlegungen oder Phantasien (siehe hierzu auch Frank Schirrmacher, „Ego„) gingen wir von 2008 etwa bis 2012 nach. Wir fragten uns, wie nach dem „boom“ (alles kommt auf den neuen online-Markt) und der „bubble“ (e-commerce-Blase in den Nuller Jahren) der „blast“ (das Zerplatzen der Blase) sich auswirken würde? Wie unsere Regierungen darauf reagieren, dass der Druck der Explosion viel von unserer gesellschaftlichen Solidität wegbläst. Doch „nach dem Sturm“ herrschte eine merkwürdige, eine geradezu unheimliche Ruhe.

Wir wunderten uns, warum niemand eine „Enquete„-Kommission einberuft und die zunehmende Umverteilung von Reichtum und die sukzessive Abschaffung von bürgerlichen Rechten wieder einfängt. Nichts passierte.

Es fühlte sich an, als hätte wir alle eine osmotische Pumpe eingebaut, durch die langsam ein ideologisches Pharmakon in uns einträufelte, das uns unbemerkt zur Akzeptanz des nicht Hinnehmbaren verführte.

Entsprechend kritische Diskurse verhallten praktisch ungehört. Der Betrieb ging weiter, als sei nichts geschehen.

Vier Jahre lang angehaltener Atem, während um uns herum der „Wohlfahrtsstaat“ langsam zerbröselte. Während immer autoritärere Männer in die Regierungsspitzen aufrückten. Erst heute, rückblickend, wissen wir: das war nur das Vorspiel.

Das „Monstrum vor unserer Tür“ (Mike Davis) klopfte gerade zum ersten Mal an.

Damals hörten wir zum ersten Mal die Rede von der „diffusen Angst“: wir kapierten, dass etwas falsch läuft, aber es war zu komplex, um schlüssig zu erklären, was genau da falsch läuft oder wie man es wieder eingefangen bekommt. Heute sind wir mitten drin in der voll entwickelten Angst-Politik. Kaum einer merkt anscheinend, dass Gesundheit nicht das Thema ist.

2012 jedenfalls fingen wir, mangels jeglicher staatlicher Aktivität zur Aufarbeitung der Ursachen und Folgen der parallelen Staats-, Finanz- und Wirtschafts-Krise, selber an, etwas auf den Weg zu bringen. Experten zu suchen. Davon handelt der folgende Text-Auszug – der unseren selbstorganisierten Enquete-Bericht im Buch „Supramarkt“ (2015) einleitete und der hier erstmals auf Deutsch erscheint.

Der Zorn des Kapitals

2012. Das Kulturprogramm der EU hat uns Budget für ein künstlerisches Forschungsprojekt zur Krise bewilligt. Wir sitzen in Lüneburg an der Leuphana-Universität im gerade neu eingerichteten „arts program“ von Andreas Broeckmann. Wir lesen Ernst Fuhrmanns „Geld – Eine analytische Betrachtung“ (1929). Es geht um den Standardmann. Fuhrmann meint damit den Bauern der vorindustriellen Landwirtschaft, den Mann, der einige Hektar bearbeitet und seine Familie und eine Handvoll Städter, Arbeiter, Lehrer, Verwaltungsbeamte, Fabrikbesitzer, Bankiers mit ernährt. Der Standardmann ist die Grundrechengröße für Fuhrmann. Er ist die 1 in einem System, die alle(s) andere(n) zu Null werden läßt, wenn er in die Krise gerät. Fuhrmann versucht eine grundsätzliche, statistisch begründete Erdung im letzten Augenblick vor dem gigantischen Zusammenbruch der Wirtschaft.

Was wäre heute, mehr als 80 Jahre später, anders, wenn wir uns der gleichen Frage stellten? Womit füllen wir unsere Solarkochtöpfe, wenn der Bauer dicht macht, weil sich das Inkassobüro der Bank in die GPS-Navigation seines auf Pump besorgten Treckers einloggt und ihn vom Feld fährt? Wenn die Flugzeuge des Konzerns, der das Saatgut liefert, die unbezahlten Ähren chemisch löschen? Wo ist die Grenze, an der das Kapital seinem Zorn Einhalt gebietet?

Das kranke Rhizom

Wir haben eine Theorie. Wir: eine Gruppe von zwölf Wirtschaftsinformatikern, Juristen, Betriebswirten, Kulturwissenschaftlern, Künstlern beiderlei Geschlechts. Zwölf Gründe, warum wir zusammensitzen – eine Quersumme: ethische Probleme mit dem System. Dabei die Überzeugung: Es gibt gar kein System. Gar keine Wirtschafts-„Wissenschaft“. Es gibt nur Verabredungen. Marketing-Texte, die aufgesagt werden auf einer Bühne, zum Beispiel „Börse“ genannt. Oder: „Finanzdienstleistung“. Fairplay-Servicepakete. Zahlenzauber mit einer Zuckerhülle. Im Innern der Praline ein Nervengift, das alle geistig zerstört, die einmal dran gelutscht haben. Eine Vorderbühne voller Darsteller, die uns ablenken. Zwischen uns und den Orten der Entscheidung ein Orchestergraben voller Respekt einflößender „Instrumente“. Ein veritabe Festungsarchitektur: der Zugang baulich versperrt, vermutlich, damit nicht heraus kommt, wie hohl es hinter der Fassade ist. Über dem das Auge täuschenden Bauwerk ein Schnürboden mit versteckten Zügen, mit denen bei Bedarf in Windeseile das Bühnenbild ausgetauscht werden kann, um die Vorgänge in der Hinterbühne besser zu maskieren. Artisten, die Buchstaben jonglieren. AAA plus, BB, DD minus. Kindersprache, die nach der herbeifantasierten infantilen „Logik“ der künstlichen Differenz aus Werten Defizite macht.

Schon Emile Zola sagte in seinem Roman „Geld“ vor mehr als 100 Jahren: Börse, das ist, als wäre man im Theater! Wenn etwas schief geht, flitzen die Akteure durch winzige Wurmlöcher in den „Brettern, die die Welt bedeuten“ von der Vorderbühne hinunter in das Dunkel der Unterbühne und bedienen dort munter die Hubpodien, auf denen ihre Doubles schnell wieder hoch ins Rampen-Licht getragen werden.

Finanzmarkt, das ist ein Schauerstück wie im Mittelalter, mit „offshore-Rittern“, viel Verbrechen und ohne jede Sühne. Es gibt Einzeltäter, große Darsteller, die Bewunderung erzeugen, noch kurz bevor sie vor Gericht stehen und lügen, dass sich die Balken biegen müssten. Es gibt entdeckte, aber verschwiegene und unentdeckte Verbrechen. Hingenommene, als selbstverständlich geltende und zum guten Ton gehörende Verbrechen. Politisch gewollte, gut organisierte Verbrechen, die sich ausdehnen, bis sie Gesetz werden. Ein unüberschaubares Geflecht. Schließlich so groß, fast identisch mit der „Gesellschaft“. Das kranke Rhizom.

„Wir haben einen Verdacht“ würde besser zu Verbrechen passen als „Wir haben eine Theorie“.

Zwölf Leute lesen, um den Verdacht einzugrenzen. Um wenigstens einige Darsteller mit bürgerlichem Namen zu benennen, damit es nicht beim Anonymen „sie“ bleibt, die „es“ so eingefädelt haben, woran man wegen der Unfassbarkeit des Ganzen nichts ändern kann. Wir wollen einige ihrer Tricks enthüllen, damit die Angst vor dem übermächtigen System verschwindet. Damit wir wenigstens wissen, auf wessen Konto die Sache geht, wenn wir schon verlieren. Damit wir beweisen können: es gibt keine Katastrophe, keine Naturgewalt. Sondern nur Macht und Umverteilung.

Zwölf Leute, die bislang den Namen Fuhrmann nicht kannten, bis er jetzt wichtig wurde. Keiner, der Batailles „Ökonomie der Verschwendung“ gelesen, der mit Zolas „Saccard“ (Titelfigur im Roman „Geld“) um Anleihen gepokert hätte. Silvio Gesell: klingt entfernt vertraut. Aber wie funktioniert eigentlich Freigeld? Es gilt viel zu klären, wenn wir einmal aus dem „lass es laufen, wir können es eh nicht stoppen“ zur Einsicht „so läuft es nicht mehr“ gelangt sind.

Bekämpft Denkverbote!

Das Verbot, machbare Alternativen zu denken, muss überwunden werden. Wir bilden eine Enquete-Kommission in eigenem Auftrag. Im Sinne der Methode, durch eine „vorherige Prüfung“ (Enquete) das gesetzgeberische Verfahren in einer Demokratie auf soliden Boden zu stellen, sehen die in diesem Buch versammelten Wissenschaftler & Künstler ihren Einsatz als Aufgebot aller zur Verfügung stehenden Phantasie, um zu zukunftsfähigen Lösungen in den Bereichen der Gesellschaft zu kommen, die von der derzeit herrschenden Wirtschafts-Kultur am schwersten betroffen sind. Denn was uns fehlt, ist nicht das Geld, sind nicht irreale Summen, für deren Darstellung in lesbarer Größe selbst die riesigen 16:9 Querformatfernseher bald nicht mehr ausreichen.

Was uns fehlt, ist ein maßvolles Verständnis von Begriffen wie „Wert“, „Reichtum“ und „Wohlstand“: der Wert von echten, nicht geldwirtschaftlich fundierten Gemeinschaften und Beziehungen, der Reichtum, der Vielfalt bedeutet und der Wohlstand, der mit der Sicherheit gesundheitlicher Versorgung und Bildung zu tun hat, dem bescheidenen Luxus, der von jeder Zivilisation erwartet werden darf.

Was uns fehlt, ist Vertrauen im Alltag und ein Verständnis von Recht, Staat und Demokratie, das sich nicht in Bankguthaben ausdrückt, noch deren Befestigung dient. Wir sprechen also nicht länger von einer Finanz-, sondern von einer Gesellschaftskrise, einer Krise von humanitärer Dimension, so wie wir sie sonst nur aus immer weiter ausufernden (Bürger-)Kriegen kennen.

André Amar, ein zu Unrecht wenig bekannter Psychoanalytiker und höchst präziser Finanzsoziologe, hat diesen ans absurde grenzenden Widerspruch auf den Punkt formuliert: „Am Tag des Wall-Street-Krachs im Oktober 1929 hat der Kursturz die brutale Verarmung einer ganzen Nation verursacht. Und dennoch waren am nächsten Tag auf den Feldern, in den Bergwerken, in den Lagerhallen und auf den Baustellen die realen Reichtümer der Welt genau dieselben. Wo befand sich dann die Verarmung? … Die kapitalistische Wirtschaft hatte sich auf den rein abstrakten Begriff der Wertdifferenz gestützt und ihre Entwicklung bis zum Ende verfolgt.“ (in: Ernest Bornemann, Psychoanalyse des Geldes, Frankfurt a.Main 1973)

Der gegenwärtige Finanz-Imperialismus benötigt, um dieses „Ende“ zu erreichen, trotz martialisch-militärischer Diktion keine Boote, keine Bomber, vergießt kein Blut an der Börse. Sein „Theater of Operation“, seine Bühne ist der „freie Markt“. Seine Geschosse flitzen durch die Kabel superschneller Rechner. Auf den Knopf drücken allerdings Menschen. Die Kommandeure des Imperiums. Computer brauchen diese Menschen nur, damit es nicht so lange dauert, bis alles Geld bei ihnen eingeht. An den Computern sitzen Menschen, die wir vielleicht nicht kennen lernen wollen, die wir aber kennen könnten. Die wir vielleicht sogar kennen müssen, wenn wir überleben wollen. Menschen, für deren sofortige Ergreifung eine verantwortungsbewußte Gesellschaft schon aus Selbstschutz eine Ringalarmfahndung um jede Bank oder Börse verfügen sollte. Man muss den Finanzkapitalismus als eine neue Form von organisiertem Verbrechen verstehen, um ihn vernünftig bewerten zu können, als eine Variante der „Makrokriminalität“ (in: Herbert Jäger, Makrokriminalität, Studien zur Kriminologie kollektiver Gewalt, Frankfurt am Main 1989), in der das Kriminelle nicht durch (von der gesellschaftlichen Norm) abweichendes Verhalten gekennzeichnet ist, sondern durch das Kollektive des Verbrechens, für das die Konformität des Verhaltens charakteritisch ist.

Damit tauchen wir im Milieu unter – einer zwilichten Umgebung, in der ein neuer Typus Mensch gedeiht, der sich hauptsächlich mit dem Problem der Beschaffung von immer mehr „Stoff“ herumschlägt. Um den Betrieb in dauernde „Zirkulation zu bringen, ist eine immer größere Geldmenge notwendig. Diese wachsende Geldmenge muß eben – beschafft werden.“ wusste schon Rosa Luxemburg. (in: Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals, 1913, S. 131)

Das Milieu ist, stark verkürzt gesagt, die „technologische Bedingung“ (Die technologische Bedingung, Hg von Erich Hörl, Frankfurt am Main 2011), das Substrat, auf dem die neue Lebensform wächst und gedeiht, Begriff zwischen Chemie, Soziologie und Kriminologie, aufgehängt zwischen zwischen „immersive environment“ und „illegal deal“.

Das aktuelle Finanzsystem hat mit dieser Mischung den Mangel an Mitteln künstlich erzeugt. Es bedient sich dazu eines komplexen technologischen Systems. Es fehlt kein Geld. Es ist nur vollkommen asymmetrisch verteilt. Man könnte sagen, wir leben in einer Welt der Umbuchung, die maßgeblich von rein abstrakten Begriffen bestimmt ist. Um diese Umverteilung ohne nennenswerten Widerstand und scheinbar legal bewerkstelligen zu können, wird ein „intrikates“, das heißt, für den Laien undurchsichtig komplexes System von Regeln aufgebaut.

Wie mit einem „Zaubertrick“ (in: Philippe Pignarre and Isabelle Stengers, Capitalist Sorcery) erzeugen Banken, Versicherungen und Politiker gemeinsam den Schein einer „Berechtigung, andern in die Tasche zu greifen“. (zitiert nach: Serge Livrozet, Über die Berechtigung, in fremde Taschen zu greifen. Reflexionen eines ehemaligen Diebes, München 1975)

In Wirklichkeit ist dieser Griff pure Gewalt.

Wir befinden uns mithin nachweislich in einem Krieg, einem „Dollarkrieg“ (Wolfgang Pircher in: Supramarkt 2015)

Allerdings werden die Toten, die an ihrer Psyche schwer Verletzten nicht gezählt (korrekt wäre zu sagen: „selten gezählt“ und zumeist von den gleichen Leuten, siehe: Alexander Kentikelenis, Marina Karanikolos, Aaron Reeves, Martin McKee, David Stuckler, Greece’s health crisis: from austerity to denialism, in: Lancet 2014; 383: 748–53; und Martin McKee, Marina Karanikolos, Paul Belcher and David Stuckler, Austerity: a failed experiment on the people of Europe, Clinical Medicine 2012, Vol 12, No 4: 346–50; sowie Marina Karanikolos, Philipa Mladovsky, Jonathan Cylus, Sarah Thomson, Sanjay Basu, David Stuckler, Johan P Mackenbach, Martin McKee, Financial crisis, austerity, and health in Europe, in: Lancet 2013; 381: 1323–31; Martin Knapp Mental health in an age of austerity, in: ebmh.bmj.com, August 13, 2012, acceesed May 12th 2015)

Es gibt keine klare Front und die Denkverbote, die über Alternativen zu diesem System verhängt werden, sind nur die harmlosesten der eingesetzten „Massenvernichtungswaffen“. (nach Warren Buffets Bonmot „derivates are weapons of mass destruction“)

Sparpolitik macht krank

Angst, Depression, Verzweiflung mit nachfolgendem Selbstmord sind die von den neuen „Massenvernichtungswaffen“ verursachten Verletzungen. Auch und gerade die Führungsschicht unserer Gesellschaft bleibt nicht verschont: selbst wenn das Konto (noch) ausgeglichen aussieht, hetzt das „Gespenst des Kapitals“ (Joseph Vogl, Das Gespenst des Kapitals, Zürich 2010) die Elite durch ein horribles Konstrukt, früher „Leben“ genannt und bannt jedes kritische Wirken durch die Erzeugung permanenter Überlast.

Die Überlast, aus dem selben technischen Milieu heraus erzeugt, das auch die Geldtransfers beschleunigt, mit tausenden und abertausenden von Emails, Chats, Netzwerktätigkeiten und Twittereien, ist insofern die ideale Ergänzung der realen Schulden, von denen Noam Chomsky sagt, dass wer mit ihnen beladen ins Leben einsteigt, nicht gerade dazu neigt, das System, das ihm den Kredit angedient hat, zu hinterfragen, sondern zuerst einmal – und nicht nur kurz – an der Tilgung arbeitet. Daraus resultiert eine Grundhaltung der Verunsicherung – mit der Tendenz zur Unterwerfung. Deswegen nennt Chomsky es eine „Kultur der Disziplinierung“. (in: ottawacitizen.com, letzter Zugriff 15. Juli 2020)

Sparen und Schulden machen schwach und krank, aber nicht nur das. Die volkswirtschaftliche Gesamtbilanz zeigt, dass die Erfolge der Sparpolitik durch Verluste aus gesundheitsbedingten Arbeitsausfällen bei weitem übertroffen werden.

Am Schrecklichsten jedoch wüten die „diffusen Ängste“, schrecklich, weil sie politisch zerstörend wirken und damit nicht nur, was dramatisch genug wäre, den Einzelnen, sondern die ganze Gemeinschaft beschädigen.

Der Philosoph Byung-Chul Han sagt: „Es ist letzten Endes das Kapital …, das für massive soziale Ungleichheit sorgt und diffuse Ängste erzeugt.“ (in: Zuhören!, 18. Januar 2015 Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung)

Sollte diese These richtig sein, verwundert es nicht, warum in unmittelbarer zeitlicher Folge der Serie von Finanz-, Wirtschafts- und Staatsschuldenkrisen ein deutlicher Rechtsruck durch Europa geht, mit Beispielen wie „PEGIDA“ (Deutschland), „UKIP“ (Großbritannien), Partij voor de Vrijheid (Niederlande), Front Nationale (Frankreich), Jobbik (Ungarn), der griechischen „Morgenröte“ oder den „patriotischen“ Vereinigungen in Schweden, Finnland, Italien. Rechte Propaganda bündelt ganz offenbar sehr erfolgreich diffuse Ängste. Rechte Propaganda arbeitet mit dem Prinzip des Sündenbocks – mag er nun „Islam“, „Juden“, „Migration“ oder einfach „das Fremde“ heißen. (siehe hierzu Heidrun Friese´s Text „Border Economies. Lampedusa and the Nascent Migration Industry“, in: Supramarkt, 2015)

Mit dem Verschieben des Problems z.B. ins Religiöse und durch das Prinzip des „Sündenbocks“ wird der Blick auf den wahren Problemzusammenhang, das neoliberale Regime und seine Politik, verstellt. Es wird durch rechte Propaganda ganz grundsätzlich die Politisierung des Unwohlseins verhindert, das aus der fehlgeleiteten Finanzwirtschaft resultiert.

Diffuse Ängste entstehen vermutlich, wenn es unklare Bedrohungen gibt. Was aber ist unklar an der Weltlage? Und was bedrohlich? Oder werden diffuse Ängste nur von Soziologen gefühlt, wenn ihnen die gesellschaftlichen Reaktionen heftig, also kommentarwürdig, ihrem Grund nach aber unklar sind? Wer also leidet in unserer Gesellschaft und warum? Wer ist Opfer und wer ist Täter?

Warum klären uns die Soziologen über diesen offenkundigen Zusammenhang zwischen Angst und Krise nicht auf? Wäre es nicht ihre Aufgabe, die Menschen vor dem „Krebsgeschwür des Kapitals“ zu retten? Sie zum Nachdenken und vom Nachdenken zum Handeln zu bringen. Ihnen zu helfen, ihre Kritik an die richtige Adresse zu bringen?

Auch hierauf gibt es eine einfache Antwort: Wissenschaft ist systemrelevant, als das Mittel, mit dem Bereicherungspolitik demokratisch legitimiert wird. Haben Sie schon jemals von einem Studienzweig namens „Finanzsoziologie“ gehört, in dem das Finanzsystem kritisch evaluiert würde? In dessen Erstsemesterkursen herauskäme, ganz streng wissenschaftlich gearbeitet, dass Wirtschaftswissenschaft keine Wissenschaft ist, sondern ein Konvolut von beliebig gesetzten und jederzeit von Menschhand veränderbaren Vereinbarungen? Dass es gar kein Gesetz gibt, das beweist, dass die Wirtschaft nur funktioniert, wenn sie permanent wächst?

Jason W. Moore, ebenfalls Autor in „Supramarkt“ und einer der Soziologen, den dieser Widerspruch nicht ruhen lässt, hat das derzeit omnipräsente Gerede vom Anthropozän entschlüsselt als Versuch der Selbstentschuldung der Menschheit. Unter dem Stichwort „Anthropozän“ wird die bigotte Frage diskutiert, ob die Erde sich „zyklisch“ von selbst erwärmt und dabei ihr Klima wandelt, oder ob wir, die Menschen, das im aktuellen Fall ausgelöst haben. Das wissenschaftliche System, das uns Raubbau an den Resourcen, Vernichtung der Artenvielfalt, mithin die Zerstörung unserer Gesundheit, unserer Arbeitswelt und unserer sozialen Sicherheiten einträgt, will jetzt mit dem gleichen System die Schäden, die es selbst verursacht hat, reparieren. Das kann man eigentlich nicht einmal einem Erstsemester als logisch verkaufen.

Moore fordert daher, dem Kind den richtigen Namen zu geben: Kapitalozän. Das Gleichgewicht der Erde ändert sich dort, wo das Kapital hinfließt. Das aber machen wirklich wir: die Menschen.

In der Natur gibt es kein Kapital. Also können wir sein Strömen auch lenken oder beenden. Kapitalfluß ist keine Naturgewalt, sondern einfache Gewalt, ausgeübt von gesellschaftlichen Cliquen. Wenn aber die Gier nach Akkumulation von Kapital den Schaden erzeugt, muss es möglich sein, dass wir das ändern. Wenn wir begreifen, dass das geht, verschwinden die diffusen Ängste wieder und die neue Rechte hat keinen Nährboden mehr.

Die Normalisierung des Außergewöhnlichen – Exzeptionalismus als politische Technologie der Neuen Rechten

Der Friedens-Aktivist Jørgen Johansen ist Trainer für gewaltlosem Widerstand, Autor, Hochschullehrer und Herausgeber von Irene Publishing, Ed, Schweden.
Jørgen ist ein bibliophiler Unruhestifter, der mit mehr als 30.000 Büchern, archiviert in einem Keller unter Luken im Boden seiner Holzhauses, in Südschweden lebt. Er ist Mitherausgeber des Journal of Resistance Studies. Nach 40 Jahren Arbeit in mehr als 100 Ländern reist er nicht mehr und lässt sich von Cicero inspirieren: „Wer einen Garten und eine Bibliothek besitzt, hat alles, was er braucht.“

Johansen argumentiert in seinem Beitrag für DIE AKTION, dass die Covid-19-Pandemie, ähnlich wie schon vor ihr der Terrorismus, von Politikern rund um die Welt genutzt wird, um außergewöhnliche Einschränkungen der Grundrechte zu normalisieren, die den gesundheitlichen Notstand lange überdauern werden.

Krise. Einübungen in den Ausnahmezustand

Beitrag Nr. 1 in der Reihe „Enquete – analytische Präparate für die post-pandemische Gesellschaft

Mit der Wieder-Veröffentlichung eines Ausschnittes aus dem Text „Krise – Ein Brevier für schwierige Lagen“ starten wir heute eine neue Reihe: Enquete – analytische Präparate für die post-pandemische Gesellschaft

In ihr erscheinen kommentierte Auszüge aus älteren Texten, die als geistiges Rüstzeug für die Bewältigung anstehender Probleme dienen können. Die Auszüge werden jeweils aktuell kontextualisiert.

Keine „schwierige Lage“ ist so neu und einzigartig, dass sie nicht Vorgänger hätte, aus deren schon geschehener gesellschaftlicher Bearbeitung wir etwas lernen könnten. Insofern ist „Enquete“ gegen das Vergessen historischer Leistungen gesetzt. Enquete hilft uns, nicht gleich alle Errungenschaften der aufgeklärten Zivilisation, des in Generationen übergreifender Arbeit erkämpften Humanismus zu opfern, nur weil uns eine nächste Seuche überfällt.

4. Juli 2020 / Einleitung

Das Corona-Virus hat in nur wenigen Monaten in schneller Folge alle zentralen Widersprüche des neoliberalen Kapitalismus ins hellste Bühnenlicht gerückt:

– unser kaputt gespartes Gesundheitssystem, das nur für einkommensstarke Bürger noch erfreuliche Aspekte bietet;

– die katastrophale Situation in Pflegeheimen, die Kritiker vom Fach als „an der Grenze zur Folter“ einschätzen; hier kommen die Problemkreise von Billiglohn, atemberaubenden Renditerwartungen in einer Größenordnung wie sonst nur bei Finanzspekulationen, inhumane Ausgrenzung „überflüssigen Lebens“, unterirdisch schlechte Nahrungsmittelversorgung, Einschränkung der Grundrechte, chemische und mechanische Abschaltung des natürlichen Bewegungsdranges und Einiges mehr noch zusammen. Dass ausgerechnet diese so herausragend schlecht behandelte und durch den menschenverachtenden „Normalbetrieb“ bereits übermässig gefährdete Bevölkerungsgruppe mit dem Hinweis, sie sei eine besonders schützenswerte „Risikogruppe“, als Generalbegründung für alle möglichen Pandemiemaßnahmen herhalten musste, vergrössert die Bigotterie unseres Verhältnisses zu „den Alten“ ins schier Skandalöse;

– unsere strukturell gewalttätige, rassistische Verwaltung, die schneller einige tausend Billigarbeitskräfte zum Spargelstechen ins Land holt, als 50 unbegleitete Kinder aus einem Lager zu retten;

– unser umweltzerstörerisches Reise- und Partyverhalten (Ischgl, Kreuzschifffahrt und Billigflüge);

– unsere gesundheitsschädigende Weise der Nahrungsmittel-, insbesondere der Fleischproduktion und die mit ihr einhergehenden menschenfeindlichen Arbeitsbedingungen (der Tönnies-Skandal);

– unser defizitäres Bildungssystem, das nun schon einen „Corona-Jahrgang“ produziert hat.

Die Liste ließe sich fortsetzen. Nicht, dass ein einziger Punkt zuvor unbekannt gewesen wäre. Alle hatten schon ihre Solo-Skandale. Doch so geballt wie jetzt und dann noch durch den „Killervirus“ aufgewertet, erscheinen sie als das „Monster vor der Tür“ (Mike Davis, in: „Die kapitalistische Globalisierung lässt sich biologisch nicht aufrechterhalten„)

Hinzu kommen decouvrierende Neologismen. Die Rede von „systemrelevanten Eltern“ macht die Verzichtbarkeit der Mehrzahl der offenkundig nicht-systemrelevanten Eltern überdeutlich. Es ist zudem ein übles flash-back des Begriffs „kriegswichtig“. Wir befinden uns in der Corona-Krise mitten in einer brutalen Klassenspaltung. Ein Großteil der Bevölkerung ist plötzlich arm (insolvente Einzelhändler und Soloselbständige), gesundheitlich schrottreif (Risikogruppe) oder schlicht überflüssig.

Ganz im Tenor solcher Radikalisierung bestehender Mißstände kündigt mir meine Bank „Bausteine für eine Welt im Umbruch“ an. Was soll das heißen? Ich denke, sie meint damit, dass wir uns mit Veränderungen, die wir unter „normalen Bedingungen“ ablehnen würden, im Ausnahmezustand nolens volens abfinden.

Die Zerstörung der Kultur und Gesellschaft, wie wir sie bisher kannten, wird nämlich gerade durch „unverzichtbare“ Innovationen beschleunigt, die unseren Alltag radikal verändern und die nächsten Gesundheitsprobleme erzeugen.

5G wird für Gesundheitstracking und alle möglichen Anwendungen der künstlichen Intelligenz mit Turbotempo durchgeboxt, obwohl die gesundheitsschädigende Strahlung nicht zu Ende analysiert ist. Anders, so heisst es, sei kein vernünftiges Krisenmanagement möglich. Welche sicherheitsrelevanten Nebeneffekte dies hat, analysiert Jørgen Johansen in seinem aktuellen Beitrag für Die Aktion.

Impfstoffe werden unter Aussetzung der Prüfregularien produziert, die vor 50 Jahren eingeführt wurden, weil man Folgeerkrankungen vermeiden wollte. Homeschooling verstärkt fraglos häusliche Gewalt. Es fördert Erkrankungen durch zu wenig Bewegung, zu schlechte Haltung und belastet die Augen. Weitere psychische Folgen des Hausarrest neben der Aggression sind sicher Depression und suizidale Tendenzen. Bringdienste mit sog. Junk-Food-Schwerpunkt führen schließlich zu weiterer Mangel-Ernährung.

Nach der 2008er Krise hat Martin McKee diese „Kollateralschäden“ mit einer Forschergruppe am London School of Hygiene and Tropical Medicine durchanalysiert. Einen Ausschnitt der Ergebnisse haben wir 2015 in unserem Enquete-Bericht zu den Folgen der Wirtschaftskrise unter dem Titel Supramarkt veröffentlicht.

Am meisten jedoch irritiert der absurde Stolz auf die dreistelligen Milliardensummen, die unsere Notenbanken drucken können, ohne sie durch wirtschaftliche Aktivität oder andere Werte abzusichern. Das ist eine abstrakte Bedrohung verglichen mit Fleisch, Reisen, Komasaufen und anderen Freuden des Lebens, die uns der „Ärgernis-Erreger“ vergällt. Eugen Roth hat es in seinem knappen, treffenden Gedicht auf den Punkt gebracht.

Der auf Schulden und Verluste getrimmte Finanzkapitalismus triumphiert, denn er kann endlich unter Beweis stellen, dass er nicht nur „persönlich heiter“, sondern vor allem „autark“ ist und letzten Endes für seine Reproduktion keinen Umsatz, keine Kundschaft mehr benötigt. Er erzeugt seine Centi-Milliarden aus sich selbst heraus.

Als mich am 26. Juni 2020 der Beitrag über „COVID-19, conflict and hunger: The impact on critical global food supply chains and food security“ des schwedischen Friedensforschungsinstitutes SIPRI erreichte, fiel mir ein Text ein, den ich 2009 verfasst habe unter dem damals recht frischen Eindruck der Finanzkrise 2008, die gravierende soziale und gesundheitliche Auswirkungen zeigte: die Krise und die ihr folgende Sparpolitik hatten Hunderttausende von Europäern krank gemacht und viele Menschen rund um den Erdball getötet.

Im Folgenden nun der Auszug aus dem elf Jahre alten Text:

Oktober 2009

„Krise ist Bewegung. Ohne Krise keine Umsatzsteigerung. Ohne Krise kein Zwang zu Improvisation. Das spontan in der Krise provisorisch Zusammengenähte ist eine Vorform der Innovation.

Die Gesellschaft stürzt unerwartet in etwas Neues. Daher die Rede von der „Sprunginnovation“.

Krise ist so gesehen Motor des Fortschritts.

Damit alles möglichst effektiv verläuft, müssen Krisen gut geplant und lange vorher angekündigt sein: durch berufene Institute und Thinktanks.

Neue Gesetze, neue Technologien zur Beherrschung und Überwindung der Krise: alles lässt sich unter dem Vorzeichen des Ausnahmezustandes, den die Krise bedeutet, schnell installieren. Nie kommen Geldflüsse so flott in Gang wie während einer Finanzkrise. Krise ersetzt den Krieg.

Krise ist mehr Umschichtung als Verlust.

Die Ausnahme ist wichtiger als die Regel, weil nur sie imstande ist, die Regel entweder zu retten oder eine neue zu erschaffen. Insofern neigt jeder Ausnahmezustand dazu, in eine Form von Diktatur zu münden. Krise ersetzt Krieg. Die milde moderne Version der Wertvernichtung, die endloses Wachstum erst ermöglicht. Krise ist daher Grundlage unserer Wirtschaft.

Sommer der Wut / Winter des Hungers

Trendberater Gerald Celente bringt die Sorgen auf den Punkt: „Hungerrevolten, Rebellion durch Hausbesetzungen, Steueraufstände, Arbeitslosenmärsche.“ Und zwei Zeilen weiter ist der Teufel an der Wand: „Weihnachten in diesem Jahr wird mehr mit der Suche nach Essen als mit der nach Geschenken zu tun haben.“ Celente, der „Kämpfe im griechischen Stil“ voraussieht, weiß auch, wie viel Geld in ein Programm zum Ausbau entsprechender Unterkünfte für gefangene Randalierer investiert wird: 500 Millionen US Dollar.

Im gleichen Artikel wird der Chef des International Monetary Fund IMF, Dominique Strauss-Kahn nach dem Londoner „Guardian“ zitiert mit den Worten, „gewaltsame Proteste werden rund um den Erdball auch in Ländern mit hoch entwickelter Wirtschaft ausbrechen, wenn das Finanzsystem nicht so rekonstruiert wird, dass alle, statt nur die Eliten davon profitieren.“

Der Direktor für „nationale Sicherheit“ der USA, Zbigniew Brzezinski sekundiert mit den Worten, „die Leute sehen finsterster Geldnot entgegen. Und es wird dauern, bis sich etwas ändert…Teufel noch eins, es wird Straßenschlachten geben!“

Die Kunde der kommenden Aufstände ist in den obersten Rängen der politischen Elite angelangt.

Obamas Heimatschutzministerin Janet Napolitano hält sich zum Thema „Aufstände“ sichtlich zurück. Doch die Polizeipräsidenten diverser US-Städte lassen uns unmissverständlich wissen: „Wir sind bestens vorbereitet.“ Die britische Polizei lässt verlauten, sie sei auf einen „Sommer der Wut“ eingerichtet.

Die große Umverteilung

Der russisch-kanadische Globalisierungskritiker und Ökonom Michel Chossudovsky spricht – ebenso wie der bekannte Soziologe und Urbanist Mike Davis – statt von „Krise“ von einer planvollen wirtschaftlichen Maßnahme: der „größten Umverteilung von Arm zu Reich in der Geschichte der Menschheit“.

Beide halten in Folge dessen massive Hunger- und Armuts-Unruhen, sowie ausgedehnte Aufstände in den USA nicht für ausgeschlossen.

Die Trainingsprogramme für Polizei und Militär, die daraufhin im Sommer 2009 anlaufen, finden nicht allein in den USA, sondern mit Unterstützung deutscher und britischer Ausbilder beispielsweise in Deutschland und im Irak statt.

Jedoch sieht Chossudosky die derzeitigen Vorbereitungen auf einen militärischen Einsatz im Innern und die Einrichtung von insgesamt 800 Notinternierungslagern in den USA weniger als Katrophenschutz-Szenario.

Er versteht die Programme eher als einen weiteren Schritt in Richtung „Gentrifizierung“: ein Begriff, der einen radikalen sozialen Umstrukturierungsprozess beschreibt.

Krise ist Erfrischung

Wenn wir „Krise“ sagen, denken wir automatisch an alle möglichen Formen von unvorhersehbaren, negativen Ereignissen, an schlimme Überraschungen. Krise ist synonym mit Katastrophe, Naturgewalt. Krise bezeichnet den Übergang von Normalzustand zu Ausnahmezustand. Eine Krise kann jederzeit fatal verlaufen. Krise führt dann in den Tod.

In der Tat gibt es die These, dass das Gegenteil der Fall ist. Krisen sind nicht nur integraler Bestandteil unseres Alltags und Wirtschaftslebens. Sie scheinen ein Teil der notwendigen Stimulanz für das Wirtschaftswachstum zu sein. Krise ist eng verbunden mit einer besonderen Form der Panik, dem sog. Hamsterkauf. Auch ertönt in der Krise häufiger als sonst der Ruf nach „mehr“: mehr Schutz, mehr Einsatz von diesem oder jenem Werkzeug, das Erfolg verspricht bei der Bekämpfung der Folgen der Krise.

Ohne Krise also kein unerwarteter Umsatz. Für den Kapitalismus hat die Krise die Funktion einer Erfrischung. Selbstredend ist, kann der Satz nur zynisch sein, in dem Sinn, wie Guillotine von seiner Erfindung zur Mechanisierung des Tötens behauptet, sie sei eine humanitäre Leistung, eine Verbesserung gegenüber dem bestialischen Zerhacken auf dem Schafott. Die Guillotine bedeute für den Delinquenten nämlich lediglich eine „leichte Erfrischung am Hals“.

Ideen zu Märkten

Wenn Ideen zu Märkten werden, kommen Dinge in Bewegung. Schuhe zum Beispiel. Nike: „Die Revolution fängt immer unten an.“ Die „revolution in military affairs“ korrespondiert der „revolution in performance“ (Autoreifen-Werbung).

Stagnation jedenfalls ist das Gegenteil von dieser Art von „Revolution“. Erstarrung ist der Feind jeder Marktordnung. In der Krise werden die Mittel neu verteilt. Die Kräfte reguliert.

Dass die Revolution die Tendenz besitzt, das spätere Establishment zu werden, wie Daniel Cohn Bendit es einmal mit Bezug auf die 68er Revolutionäre ausgedrückt hat, ist heute für niemanden mehr eine Überraschung: der „Mythos Revolution“ ist demaskiert. Was bleibt ist der Zwang zu zyklischer Erneuerung. Und die – weitgehend künstlich erzeugte – Angst vor den temporären Verheerungen durch „Revoluzzer“. Der Aufstand gegen die Ordnung ist mehrheitlich nur ein Aufstand gegen die alten Ordnungshüter, nicht gegen ihr profitables System.

Ausnahmezustand

Das Wort vom Ausnahmezustand hat der oft als „Kronjurist des III. Reichs“ bezeichnete Carl Schmitt in den politischen Alltag eingeführt. Seither ist es oft zur Rechtfertigung, zur Legitimierung aller möglichen Änderungen und Außerkraftsetzungen der (Rechts-)Ordnung missbraucht worden. Genau das ist das Kernproblem der quasi legalen Außerkraftsetzung der Menschenrechte.

Mit den Worten des Wiener Philosophen Wolfgang Pircher gesprochen: “Bei Schmitt behauptet sich souverän, wer im Ausnahmezustand die Entscheidung fällt.“ Diese selbst tendiert dann zum permanenten Zustand der Ausnahme. Noch einmal Pircher: „Es geht, dem Problem der Diktatur entsprechend, um die zeitweilige und zweckbestimmte Außerkraftsetzung von Gesetzen, um in militärischen oder allgemeinen Verwaltungshandlungen staatliche Notsituationen zu bereinigen.“

Der leergefegte Tisch

Mit geradezu unerträglicher Genauigkeit verbindet Omar Vulpinari auf seiner Graphik, die als eigens hierfür gefertigte Illustration zu meinem Text gehört, nicht zusammen gehörige Signets zu schlüssiger Einheit. Wenn er dem Garanten der körperlichen Sicherheit im bürgerlichen Leben, dem Polizisten, den militärischen Kampfanzug anzieht, ihm die Hannibal-Lecter-Maske des grausamen Massenmörders aufsetzt, und „Ordnung“, bzw. „Befehl“ statt „Polizei“ auf sein Schild schreibt, spricht er nicht nur von individuellem Machtmissbrauch im konkreten Einzelfall (wie durch die italienische Polizei in Genua beim G8 Gipfel 2001), sondern thematisiert eine gewisse Fatalität, die mit aller Ausübung von Macht einhergeht. Sie zeigt sich im delikaten Verhältnis von Schutz und potentieller Verletzung von Menschenrecht.

Ganz kursorisch ist damit umrissen, dass Krisen, Kriege, Chaos Grundlagen für neue Wirtschaftszweige bilden können: Private Militär- und Sicherheitsdienstleistungen, entsprechende Technologien, Wiederaufbauhilfen. Krise, Kriege und Chaos leisten den zunehmend gigantischeren Gentrifizierungsplänen der unter der permanenten Gefahr der Erstarrung leidenden kapitalistischen Gesellschaften idealen Vorschub. Gentrifizierung wird ugs. auch „Yuppisierung“ von Stadtvierteln genannt.

Gentrifizierung ist eine Art architektonisch-bevölkerungspolitische, am Ende in echtem Developer-Beton gegossene Präventionsmaßnahme gegen unerwünschte Veränderungen. Das Alte muss weg, radikal, mit der Wurzel ausgerissen werden, damit das Neue Platz hat, sich auszubreiten. Dass diese augenscheinlich harmlose, ja geradezu wünschenswerte Wohnwertverbesserung alptraumhafte ideologische Untiefen besitzt, überrascht niemanden. Die Historiker Werner Durth und Niels Gutschow haben dies sehr präzise „tabula rasa Träume“ genannt.“

Soweit der Auszug aus dem elf Jahre alten Text. Insbesondere die letzten Zeilen verweisen auf die aktuellen Umbau-Pläne für unsere Städte zu seuchensicheren Burgen. Die Grenzen zwischen den Klassen werden sichtbar an der Berechtigung zur freien Bewegung. Die bewachten Bauzäune um die Siedlungen der sozial Schwachen sind das Sinnbild der Ausgliederung „überflüssiger“ Menschen (Zygmunt Baumann) aus der neoliberalen Gesellschaft.

Wir sind Viele!

Widerstand gegen die große Erstarrung – sich zusammen schließen und eine Gegenmacht bilden

Bild oben: Die Freude an unserer Zukunft steht den Mächtigen ins Gesicht geschrieben: Andrew Cuomo (Gouverneur Staat New York) und Eric Schmidt (Google, Alphabet, Schmidt Futures) bei der Mundwinkel-Endausscheidung am 6. Mai 2020; screenshot aus Video „COVID briefing

Ein gutes Jahresdrittel nach Ausbruch der sogenannten „Gesundheitskrise“ zeigen die Regierenden rund um die Welt langsam ihr wahres Gesicht.

Der Gouverneur des Bundeststaates New York will mit Hilfe der Plattform-Kapitalisten von Google und Amazon die ganze Stadt auf Hausarrest umbauen – mein Artikel in Telepolis an diesem Wochenende, „Totale Telematik„, nimmt die Pläne aus der Sicht eines ehemaligen Silicon-Valley-Akademikers unter die Lupe. Teil 2 des Textes, „Erosion der bürgerlichen Freiheiten?“ ist nun ebenfalls erschienen.

Bolsanaros Regierungsstil hat in Brasilien eine Welle faschistischer Kräfte freigesetzt. Der Ku-Klux-Klan lebt wieder auf: Peter Schröder berichtet für „Die Aktion“ aus „Hellcife“ über den anstehenden „indirekten Genozid“ an den Indigenen

Selbst Kanzlerin Merkel will die Corona-Lähmung, die dieser Tage in eine Art Weglauf-Panik umschlägt, für allerlei längst ersehnte „Reformen“ nutzen .

Der Zeitpunkt ist nicht schlecht gewählt: die Aufmerksamkeit sinkt gerade ins Bodenlose. Alle wollen Ferien, heißt: Erholung von den Corona-Zwangsferien und nichts mehr hören von der zweiten Welle und ihren möglichen Folgen.

In der Einleitung zu dem Interview mit Noam Chomsky in „Die Aktion“ habe ich bereits auf die sich abzeichnende politische Aufbruchsstimmung verwiesen – eine euphorische Netzwerkstimmung hat die außerparlamentarische Linke erfasst.

Es bilden sich gegen die „Reform“-Pläne der Regierungen breite Allianzen. Interessant daran ist, dass dies neben alternativen Parteien wie PI hauptsächlich auf Graswurzel-Niveau stattfindet – aber in einer zahlenmässig historisch neuen, enorm hohen Dimension. Dabei stehen zum Glück ideologische Minimalunterschiede und kleinliche Abgrenzungen endlich einmal zurück. Ich werde dafür ein paar Zeilen weiter ein Beispiel geben. Doch zunächst aus aktuellem Anlaß ein paar Worte zum Stand des G20-Prozesses.

Polizeigewalt ist nicht nur ein Thema in den USA und Frankreich: weil alle damit beschäftigt sind, ihre Aerosole unter der Maske zusammen zu halten, nimmt kaum jemand Anteil am Elbchaussee-Prozeß in Hamburg: G20 fühlt sich so lange her an, als hätte es in einem früheren Jahrhundert stattgefunden, die verantworlichen sind mittlerweile in die Bundespolitik aufgerückt, Olaf Scholz ist Finanzminister und regelt die Corona-Förderung .

Die Prophezeiung von Fritz Sack scheint Wahrheit geworden: „Die Herrschaft über die Wirklichkeit hat die Polizei“.

Ich zitiere aus der Pressemitteilung des Bundesweiten Vernetzungstreffen gegen G20-Repression:

„Der seit Dezember 2018 unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführte Prozess um die Demonstration in der Elbchaussee während des G20-Gipfels in Hamburg wird mit den anstehenden Plädoyers von Staatsanwaltschaft und VerteidigerInnen am 17. Juni 2020 wieder öffentlich.

Seit inzwischen gut 18 Monaten wird gegen unsere GenossInnen in Hamburg verhandelt. Nach internationalen Razzien werden die fünf Beschuldigten aus Frankfurt/Offenbach und Frankreich im Sommer 2018 festgenommen. Zwei der fünf Beschuldigten saßen acht Monate in Untersuchungshaft und Loic aus Frankreich sogar fast anderthalb Jahre, bis Dezember 2019.

Entgegen dem Wunsch aller Angeklagten beschließt das Landgericht bei Prozessbeginn im Dezember 2018 eine nicht öffentliche Prozessführung. Vorwand ist das jugendliche Alter von zwei Angeklagten und die Behauptung, dass eine solidarische Prozessbegleitung sowie Hinweise der Roten Hilfe auf ein prinzipielles Aussageverweigerungsrecht „erziehungsschädlich“ seien. Durch diesen Schachzug wird nicht nur die kritische Prozessbegleitung deutlich erschwert, auch Presse und Öffentlichkeit sind komplett ausgeschlossen. Ein repressiver skandalöser Vorgang, geht es bei dem Prozess doch um weit mehr, als ein paar verbrannte Autos. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft ist die Demonstration am Morgen des 7. Juli in der Elbchaussee nicht als Versammlung, sondern als „kriminelle Bande“ zu werten. Damit ist der Weg frei, über das bisher nur im „Hooligan-Milieu“ angewandte Konstrukt der „emotionalen Unterstützung“ die reine Anwesenheit zu kriminalisieren. Wie schon in anderen G20-Prozessen wird damit ein weiteres Mal versucht, die vermeintliche Teilnahme am Protest zu einem Straftatbestand zu erheben und darüber die Bedingungen für Proteste in Deutschland grundlegend zu verändern. Denn geht diese Strategie auf, könnte zukünftig jede/r Demonstrierende aufgrund der reinen Anwesenheit für alles verantwortlich gemacht werden, was im Umfeld der Demonstration passiert.

Eindrucksvoll beschreibt Loic, einer der Angeklagten, in seiner Erklärung von Januar 2020, was das konkret politisch und juristisch bedeutet: „99 % der vorgeworfenen Taten haben nichts mit den Beschuldigten zu tun. Die Anschuldigung dreht sich um über eine Million Euro Sachschaden. Die Staatsanwaltschaft versucht eine sehr weite Auffassung von Komplizenschaft durchzusetzen, die noch weit über die vermeintliche Anwesenheit der Beschuldigten hinaus geht. Stellt es euch konkret vor:

Ihr seid auf einer Demo und 50 Meter von dort verbrennt jemand ein Auto – und ihr werdet für den Sachschaden verantwortlich gemacht. Doch das ist noch gar nichts! Stellt euch vor, ihr hättet die Demonstration verlassen und zehn Minuten später wird ein Molotow-Cocktail geworfen: Obwohl ihr nicht mehr anwesend seid, werdet ihr dafür verantwortlich gemacht.“ Damit wird weitere Abschreckung und Einschüchterung gegenüber Menschen beabsichtigt, die ihr Recht auf Protest und Demonstration wahrnehmen wollen. Die Möglichkeiten einer willkürlichen Kriminalisierung werden weiter ausgeweitet.

Dieser Prozess darf nicht isoliert betrachtet werden. Es ist zu befürchten, dass die Verhandlung politisch dazu dient, mit einem hohen Strafmaß Maßstäbe für die noch kommenden G20-Prozesse – zum Beispiel im Rondenbarg-Komplex – zu setzen. Außerdem müssen die G20-Prozesse auch als Teil einer autoritären Formierung der Gesellschaft gesehen werden, zu der u.a. auch die neuen Polizeigesetze und das Verbot von linksunten.indymedia gehören. Vieles davon zielt direkt auf die

Einschränkung der Demonstrationsfreiheit. Aber wir werden uns davon – wie schon beim Gipfel in Hamburg – nicht einschüchtern lassen und werden weiter für eine bessere und gerechtere Welt streiten.“

Gleich noch einmal spielte der 17. Juni 2020 eine Rolle: beim „Aufstand gegen die Wiedervergiftung der Welt„.

„Die Aktion“-Autorin Sophia Deeg schreibt mir dazu:

Nicht erst seit der großen Erstarrung infolge der Ausgangsbeschränkungen wegen Covid-19-Pandemie überlegen sich immer mehr Französinnen und Franzosen, wie ein gemeinsamer Widerstand gegen die gesamtgesellschaftliche Misere aussehen und wirksam werden könnte.

Ein Widerstand jenseits aller Institutionen oder bekannter Floskeln und ideologischer Denkschablonen. Ein Widerstand, der basisdemokratisch vorgeschlagen und weiterentwickelt werden soll und an dem sich idealerweise möglichst alle gesellschaftlichen Sektoren beteiligen. Mit dieser Idee und der entsprechenden Praxis haben seit November 2018 die Gelbwesten das Land überzogen. Doch auch schon in den Jahren davor gab es Ansätze dazu bei den Kämpfen gegen rassistische Polizeigewalt, die von den Betroffenen in der Banlieue ausgingen, und beim Kampf gegen das Arbeitsgesetz, sowie kürzlich dem gegen die Rentenreform.

Die Pandemie hat in Frankreich wie in vielen anderen Ländern die Verheerungen eines entfesselten neoliberalen Kapitalismus grell ausgeleuchtet und bei Vielen die Entschlossenheit verstärkt, nicht zur anormalen Normalität zurückzukehren.

Im Mai diesen Jahres kam ein solcher Vorschlag, einen gemeinsamen Widerstand auf die Beine zu stellen bzw. die bestehenden Bewegungen und Initiativen zusammenzuführen: „se fédérer“, in Anlehnung an die batallions fédéres, den Zusammenschluß libertärer Kräfte während der Pariser Commune https://de.wikipedia.org/wiki/Pariser_Kommune.

Dieser aktuelle Vorstoß kam von einigen Lehrenden und Forschenden und wurde rasch von über tausend Einzelpersonen und lokalen Gruppen, z.B. von UmweltaktivistInnen, den Kämpfern von Le ZAD, den Gelbwesten, GewerkschafterInnen, AnarchistInnen aufgegriffen, die den Appell unterzeichneten und seither in seine Weiterentwicklung und Umsetzung einbezogen sind.

Der Appel zum Zusammenschluß im Wortlaut steht hier online. Unter dem Bild ein Auszug daraus. Zur Unterzeichnung des Appells : appelsefederer(at)riseup.net

Auszug:

Wir sind viele. So viele, die denken und die Erfahrung machen, dass dieses System am Ende ist. Aber unsere Stimmen sind verstreut, unsere Aufrufe verhallen ungehört, unsere Aktionen laufen ins Leere. Das geht so weit, dass wir uns manchmal kaum noch etwas zutrauen, überwältigt sind von Ohnmachtsgefühlen. Zwar hat die Zersplitterung durchaus auch ihr Gutes, denn sie ist unvereinbar mit Zentralisierung oder der Einschwörung auf einen Kurs. Dennoch: Wir müssen zusammenkommen. Und das ganz sicher jetzt, da eine wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Krise dabei ist, ohne Umschweife ihre Gewalt zu entfesseln: brutal und in ungeahntem Ausmaß. Wenn wir tatsächlich „im Krieg sind“ [so Macron angesichts von COVID19 am 16.03.2020], dann in einem gesellschaftlichen. …

Wir sind uns bewusst, dass die Macht des Kapitals es niemals zulassen wird, dass wir uns friedlich als kollektive Kraft organisieren, die ihm grundsätzlich entgegensteht. Wir wissen, dass die Konfrontation unausweichlich ist. Umso wichtiger also, dass wir uns organisieren, Verbindungen und Solidarität untereinander schaffen, auf der lokalen wie der internationalen Ebene, und aus der Selbstorganisierung und der Autonomie unserer Aktionen ein aktives Prinzip machen, eine geduldige und hartnäckige Sammlung der Kräfte. …

Wir sind legitimiert und in der Lage, über unser Leben selber zu befinden – zu entscheiden, was wir brauchen: die Selbstverwaltung als Form, unsere Angelegenheiten in die Hand zu nehmen. Und die Verbindung (fédération) als Gegenmacht.

Wir verklären die Vergangenheit keineswegs. Aber wir erinnern uns daran, wer „die Federierten“ waren, diejenigen, die in der Commune von Paris tatsächlich das Leben verändern, ihm Sinn und Kraft verleihen wollten. Ihre Bewegungen, ihre Kulturen, ihre Überzeugungen waren durchaus unterschiedlich: unter ihnen gab es Republikaner*innen, Marxist*innen, Libertäre und manchmal all das in einer Person. Aber was sie einte, das war derselbe Mut und die gemeinsame Überzeugung vom „Gemeinwohl“.

Welcome to Hellcife!

Situation Brasilien Mitte April 2020: Unter dem Eindruck der unzureichenden Maßnahmen, das Corona-Virus einzudämmen, macht sich in Brasilien Unmut gegen Bolsanaro breit. Die Fake-News, die sich der Präsident und seine Söhne in ihrem „gabinete do ódio“, dem „Hass-Zimmer“ im Regierungspalast, ausdenken, wollen nicht mehr wirken. In den Großstädten gehen die Bewohner auf Balkone und schlagen mit Löffeln gegen Topfböden oder schalten ihr Licht rhythmisch ein und aus: siehe Foto oben!

Die „panelaços“ zeigen die sinkende Popularität von „Bozo“ an. Ich frage meinen Freund, den Anthropologen Peter Schröder, wie sich der Alltag unter COVID19 anfühlt? Peter lebt seit 1996 in Brasilien und seit 2001 in Recife. Seine Antwort erscheint im Rahmen meiner Reihe mit Berichten zum Lockdown in Telepolis.

Situation zwei Monate später: Mitte Juni 2020. Bolsanaro scheint wieder erstarkt: er reitet auf einem Polizeipferd durch die jubelnde Menge. Täuscht der Eindruck? Mit Beklemmung sehe ich die Bilder brasilianischer Ku-Klux-Klan Männer: kaputter Karneval oder rechtsextreme Bedrohung? Ich frage Peter erneut – wie hat sich die Lage entwickelt? Sein Bericht erscheint heute in Die Aktion.

DIE AKTION: „Badly Needed“ (Noam Chomsky)

Ein „Schlafsong“ für die nächste Ausgangssperre und ein Pfingst-Gruß von Noam Chomsky an DIE AKTION – zwei Fragmente einer Theorie des Katastrophismus

Heute erscheint in „Die Aktion 4.0“ als Nr. 6 ein Gedicht des Punk-Künstlers und Herausgebers V. Vale aus San Francisco.

Weiterhin möchte ich der werten Leserschaft nicht den Pfingst-Gruß von Noam Chomsky vorenthalten, den er am 31.Mai 2020 an DIE AKTION übermittelte:

Glad to hear about the journal. Badly needed!

Am 8. Juni 2020 erscheint ein brandneuer Text von Chomsky bei uns: Stellt euch vor … erkämpfen wir uns eine andere Welt! Nur dann werden wir vom Virus genesen!

Das schöne Foto aus dem Jahr 2005 stammt von John Soares und wird von Stevertigo als copyright-frei ausgewiesen.

Dürfen Experten auf offener Bühne lernen?

1. Auf flachen Pfützen und staubtrockenen Äckern

Aus der höchst anregenden Diskussion um meinen Artikel „Schockwellenreiter“ veröffentliche ich heute einige spannende, für eine größere Leserschaft bestimmte Kommentare.

185 Kommentare sind online verfügbar – doch viele nachdenkenswerte Zeilen erreichten mich auch per Email – darunter eine kritische Anmerkung unseres Freundes Holger Kenn und eine schöne wütende Notiz unserer Freundin Evelyna.

Ich starte mit der ein wenig wehmütig klingenden, doch sehr präzisen Analyse unseres Freundes Jürgen, dem sich der Eindruck aufdrängt, „dass es im individuellen (auch massenpsychologischen) Agieren nur minimale Nuancen gewohnten Handelns gibt. Sowohl in der Konformität, als auch in der vermeintlich oppositionellen Empörung. Es passiert also eigentlich fast gar nichts. Das Schockwellenreiten findet folglich auf flachen Pfützen oder staubtrockenen Äckern statt… Diese Aussage würde ich auch auf das staatliche Handeln beziehen, wenn man von den ökonomischen Einbrüchen und dem diesbzüglichem Gegensteuern absieht. Die ökonomischen Folgen dieser Monate werden erst dann sichtbar und spürbar werden, wenn die Aufmerksamkeits-Ökonomie schon wieder etwas Neues entdeckt haben wird.“

2. Überforderung und fehlende Weitsicht?

Holger Kenn schrieb mir, er sähe es als problematisch an, dass ich die „fehlerhafte Einschätzung (z.B. RKI-Empfehlung zu Obduktionen, aber auch z.B. die ganze Maskendiskussion) mit verunglückter Kommunikation (Drosten, aber auch Söder)“ als „aktiven, um nicht zu sagen: bösartigem Irrsinn“ deuten würde, „insbesondere wenn es dabei um unterschiedliche Akteure und unterschiedliche Zeitpunkte geht. Hier implizierst Du eine Strategie oder doch zumindest eine Grundhaltung, wo man mit etwas gutem Willen auch einfach nur Überforderung und fehlende Weitsicht sehen könnte.

Auch wenn man sich natürlich wünschen würde, das sich gerade eine gewählte Regierung mit einer Naturwissenschaftlerin an der Spitze vorher genau überlegt, welche Worte sie wählt, war z.B. die Nummer mit der Disziplin wohl ehr ein Griff in die Mottenkiste, als ein gezielter Apell an den preussischen Obrigkeitsstaat.“

Soweit Holger.

Hier meine Antwort an ihn: „1995 sind die sog. Referenzzentren in Deutschland neu organisiert worden, mit viel Aufwand und Budget und durchgehender Besoldung, nehme ich an. Seit etwa 2008 gibt es verschiedene Arbeitsgruppen rund um das Wuhan-„Risiko“, das darin besteht (was auch viele Leute bemerkt hatten), dass mittelständische Pharma-Firmen mit einem vermutlich eher geringen Sicherheitsstandard aus Risikokapital Genscheren kaufen und mit (Corona)Viren als Vektoren arbeiten. 2009 gab es die sog. Schweinegrippe. Ein Testfall vor 11 Jahren.

An was haben die RKIler seit 25 Jahren gearbeitet, dass sie jetzt, wie das ZDF sie so schön zitiert, „auf offener Bühne“ (wohl analog zu „am offenen Herzen“) lernen?

Man darf da m.E. mehr erwarten. Die Forscher vom RKI haben vom Staat ihre Rolle erhalten, weil es eine Expertengruppe geben sollte, die sich genau für so einen Fall bestmöglich präpariert – und wir haben sie nur dafür aus Steuermitteln alimentiert, oder?“

Diesen luxoriösen Apparat zur Risikoabwendung haben wir ein viertel Jahrhundert „vorgehalten“, damit der Staat eben nicht auf mittelalterliche Methoden der Infektionsvermeidung zurückgreifen muss.

3. Ich bin wütend!

Meine Freundin Evelyna schrieb mir kürzlich etwas, das hierzu als Antwort gut passt:

„Ich habe gerade recherchiert, wie man mit einfachen Hausmitteln Angebranntes reinigen kann, oder die Kerzenleuchter vom Wachsresten befreit.Sie wirken noch, die guten mittelalterlichen Methoden. Wie beruhigend! Und wie beunruhigend, dass man noch im 21. Jahrhundert in der Epidemiebekämpfung ebenso mittelalterliche Methoden anwendet. „Einsperren! Einsperren!“… hört man die Rufe und „Verbrennen!“ Kein Kontakt! Häretikern werden online die Zungen abgeschnitten.

Wo sind die innovativen, intelligenten Problemlösungen?

Wozu haben wir uns diese wohlgenährte, top-frisierte, irrsinnig teuer aus- und weitergebildete politische Elite geleistet? Ich dachte immer, das machen wir, damit wir eine  Avantgarde vorne oder oben oder wo auch immer in der Gesellschaft parat hätten für Tage wie diese.Vorausschauend, analytisch, human – sollte man doch für das ganze Geld, das unsere Gesellschaft in ihre Elite investiert hat, erwarten dürfen, oder? Ich bin wütend!“

Soweit Evelyna.

Wo ist sie? Unsere angeblich weltweit führende Hi-Tech Nation? Hat sie wirklich nur selbstgenähte Gesichtsläppchen und die Polizei zu bieten, die ihr Tragen kontrolliert?

4. Versagen auf der ganzen Linie?

Besonders zum Nachdenken anregend, aber leider auch tief in den Eingeweiden der Kommentar-„threads“ verborgen, ist ein längerer Text des Forums-Mitgliedes „Naturzucker“, dessen wahre Identität ich nicht kenne, den ich aber hier dennoch gern zitieren möchte.

„16.05.2020 09:21 Es gibt bei Corona eigentlich nur 3(4) relevante Fragen

Hat die Bundesregierung ausreichend Vorsorge für den Fall einer Pandemie getroffen?

Welche Lehren wurden aus Schweinegrippe, Sars und der Risikostudie des RKI aus dem Jahr 2012 getroffen?

Schutzkleidung wurde nicht bevorratet, Testkapazitäten abgebaut, Produktion lebensnotwendiger Medikamente ins Ausland verlagert. Und wäre Corona 5 Jahre später aufgetreten, hätte die Politik mit Schützenhilfe und ideologischer Begleitung von Bertelsmann und der Leopoldina die deutsche Krankenhauslandschaft in gleichem Maß rasiert wie es in Spanien oder Italien bereits heute der Fall ist

Antwort: Versagen auf der ganzen Linie.

Hat die Bundesregierung rechtzeitig reagiert?

Auch, wenn Spahn & Co noch im Januar eifrigst damit beschäftigt waren, sich mit Hilfe des Zwangsgebührenfunks über besorgte Bürger und Verschwörungstheoretiker im Internet lustig zu machen, die damals davor warnten, Corona sei gefährlicher als SARS, auch wenn in Bayern noch Kommunalwahlen angehalten wurden und bundesweit Karneval und Starkbierfeste gefeiert wurden, Fußballspiele mit Publikum stattfanden, offenbar hat Deutschland noch gerade rechtzeitig die Kurve gekriegt. Anders als Italien und Spanien, die es besonders hart getroffen hat.

Man wird aber bei der Aufbereitung der Vorgänge (i)m Januar 2020 sehen, dass die Bundesregierung Corona mindestens um 4 Wochen verschlafen hat. 4 Wochen, die am Ende gefehlt haben, um das in den Vorjahren versäumte nun nachzuholen.

Antwort: die Bundesregierung hat erst spät reagiert und dann sehr drastische Maßnahmen getroffen. Ob und in welchem Umfang die Maßnahmen der Bundesregierung angemessen waren, dies ist die dritte Frage.

Waren die Maßnahmen angemessen und richtig?

Man könnte sagen, das Ergebnis gibt der Regierung recht. Es ist nicht zu der ganz großen Katastrophe wie in einigen anderen Ländern gekommen. Und das, obwohl hier in nicht allen Bundesländern das öffentliche Leben so eingeschränkt wurde wie in Italien oder Spanien. Und auch die Einschränkungen für die Wirtschaft waren nicht ganz so drastisch wie in Italien.

Aber hier fehlt immer noch der Beweis, dass die Maßnahmen tatsächlich die Ursache für die Eindämmung des Virus waren und ob man mit weniger harten Einschnitten nicht praktisch zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen wäre. Und eine Bewertung der Kollateralschäden steht bis heute aus und es steht zu befürchten, dass sie sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Maßnahmen gegen Corona am Ende schlimmere Folgen haben als eine weitere Verbreitung von Corona gehabt hätte.

Bilanz wird immer am Ende gezogen. Und da stehen auf der Haben-Seite Menschen, welche nun erst später an Corona erkranken werden oder vielleicht auch nie, weil sie vorher sterben. Auf der Soll-Seite stehen wirtschaftliche Schäden im oberen dreistelligen Milliardenbereich, Steuerausfälle im dreistelligen Milliardenbereich. Die Vernichtung wirtschaftlicher Existenzen und damit von Familien.

Es heisst ja immer, Corona würde Arme und sozial benachteiligte Menschen besonders hart treffen. Da ist es nicht besonders schlau, mit den Maßnahmen gegen Corona mehr Menschen in Armut und soziale Benachteiligung zu stürzen.

Antwort: hier wird man genau analysieren müssen, welche Maßnahmen richtig und welche völlig überzogen waren.

Insbesondere aber wird man sich fragen müssen, ob man mit einer rechtzeitigen Vorsorge für den Fall einer Pandemie uns den Lock-Down hätte ersparen können.

Kommen wir zu Frage 4, die Zusatzfrage:

Wie steht es um die Kommunikation, die Einhaltung demokratischer Standards, den Umgang mit Kritik?

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass insbesondere die letzten 10 Wochen wie folgt geprägt waren:

– Durchregieren
- ständig wechselnde Standards zur Bewertung der Verbreitung
- Mangelwirtschaft in der Bewältigung der Krise
- fehlende Beteiligung bzw. völlige Abwesenheit einer Opposition
- Abkanzelung und Diffamierung von Kritikern statt sachlicher Auseinandersetzung
- Abwesenheit von Evidenz und Fakten zur Begründung der Maßnahmen (keine Obduktionen, keine repräsentativen Tests)
- Quasi-Installation einer Notregierung unter weitgehender Ausschaltung des Parlaments und öffentlicher Debatte

Kurzum, in der Corona Krise hat sich gezeigt, dass unsere Demokratie das Papier nicht Wert ist, auf dem das Grundgesetz geschrieben steht.

Ausgerechnet der Föderalismus, der von den Medien in den letzten Wochen gerne für seine uneinheitliche Reaktion auf Corona scharf angegriffen wurde, hat aber am Ende dafür gesorgt, dass wenigstens regional angemessen auf Corona reagiert werden konnte, wenn die Landesregierung denn dies wollte.

Eigentlich aber hätte man noch viel kleinteiliger anstatt zentralistischer reagieren können und müssen. Warum soll ein Bürger von Meck-Pom nicht an den Strand dürfen, wenn dieser praktisch leer ist? Die Ansteckungsgefahr dürfte am Ostseestrand um Faktor 1000 niedriger liegen als in einer mäßig gefüllten S-Bahn.

Statt einer Politik der ruhigen Hand haben wir in den letzten Wochen einen aufgeregten Hühnerstall erlebt, der hauptsächlich damit beschäftigt war, Bürger mit immer neuen Horrorszenarien und Geldbußen-Katalogen gefügig zu machen.

Antwort: Versagen auf der ganzen Linie“

Soweit der Kommentar von „Naturzucker“. Das Gespräch kann auf diesem Blog gern fortgesetzt werden.

Das Prinzip Verschärfung

Mit der Ankündigung der „Corona-Soforthilfe“ im März 2020 verglimpfte sich der deutsche Staat selbst als „Wohltäter“. Das war kein zweckfreier Altruismus. Damit erkaufte er die nötige Disziplin der Bevölkerung für den Lockdown: „Bleibt zu Hause! Wir zahlen euren Schaden!“
Die Bewilligungsbescheide, die nun acht Wochen später nach den „ersten Lockerungen“ ergehen, sprechen eine andere Sprache. Sie gehorchen dem Prinzip der Verschärfung.

Näheres dazu ist nachzulesen in meinem aktuellen Artikel bei Telepolis

Das französische Autorenkollektiv Tiqqun sagte bereits zu Anfang des „Confinement“ (Ausgangssperre) Mitte März 2020 in einem Text mit dem Titel „Das Coronavirus und der Ausnahmezustand“ , „dass die Gerissenheit des Gegners immer relativ zu unseren Wahrnehmungsqualitäten ist, zu unserer Fähigkeit, zwischen den Zeilen … zu lesen.“
Etwas arrogant, dennoch korrekt schlussfolgern sie: „Leider ist nicht so sehr die Relativität begrenzt. Begrenzt sind unsere Wahrnehmungsqualitäten. Die List der Herrscher funktioniert nur bei denen, die die Verblödung zu ihrem Kampfsport gemacht haben.“

Die Regierungen sprechen augenblicklich sehr viel über „die Bürger“, doch es bleibt meist abstrakt – und die Rede über den Bürger entbirgt ihre Intention erst, wenn es ans Handeln geht. Grenzverschärfungen, Kontrollverschärfungen, Verschärfung der ohnehin schon bestehenden Einschränkungen, den öffentlichen Raum zu nutzen. Ähnlich ist es auch mit den Hilfsgeldern: nicht das vollmundige Angebot zur Hilfe, sondern die schmallippig-scharf formulierten Konditionen der Auszahlung lassen erkennen, was gemeint ist.

So agieren Staaten. Das ist keine Überraschung – und auch nicht neu „seit Corona“. Neu ist, dass wir alle „den Schwanz einziehen“ und „Schiss haben“. Wie Giorgio Agamben schon Ende Februar 2020 bemerkte: “Der Feind ist nicht ausserhalb von uns, sondern in uns.“ Es ist daher unsere bleibende, immer wichtiger werdende Aufgabe, zwischen den Zeilen der Verlautbarungen zu lesen. Aus den kursierenden Gesetzesentwürfen, Verfügungen und Hilfs-Angeboten abzuleiten, wie wir behandelt werden sollen und dadurch endlich die Verunsicherung abzustreifen. Erst dann können wir wieder vernünftig reagieren.

Beliebig manövrierbare Masse sind wir nur als erfolgreich Verunsicherte, wie jetzt: durch die zweifache Angst von Infektion und die Angst vor Verlust der wirtschaftlichen Existenz.

Nicht das vorgebliche Hilfsangebot ist existenziell wichtig. Es ist existenziell wichtig, sich nicht von Verschärfungen einschüchtern zu lassen.

Schockwellenreiter: Risiko als Mittel politischer Strategie

Bildmaterial zum Telepolis-Beitrag vom 16. Mai 2020

In diesem Blog-Beitrag befinden sich die Links der Bebilderungen zu meinem Text „Schockwellenreiter“, die in Telepolis nicht veröffentlicht werden können, weil sich trotz intensiver Bemühungen die Rechte nicht klären liessen.

Zum Kapitel „Zweite Welle“: das Original-Titelbild des Romans „Schockwellenreiter“ von John Brunner findet sich hier.

Über die Jahre hat der Stoff des Romans Illustratoren immer wieder zu (bisweilen fragwürdigen) Höchstleistungen motiviert. Hier einige herausragende Beispiele (die Bild-Titel stammen von mir, um die Cover-Versionen zu unterscheiden):

The most electrifying novel of the year.

Der Planet der Rechner.

Digitales Wellenreiten.

Elektrischer Stuhl

Zum Kapitel „Dritte Welle“: die Illustratoren von Alvin Toffler, aus dessen Buch „Future Shock“ Brunner die Idee für „Schockwellenreiter“ bezogen hat, setzen hingegen deutlich mehr auf Schriftgestaltung. Wie leicht erkennbar, wurde dieses Buch in alle Weltsprachen übersetzt.

Zum Kapitel Die Mißbildungs-Epidemie„: Die Werbedisplays für Contergan fotografierte Prof. Dr. Klaus-Dieter Thomann in einer Ausstellung im Deutschen Orthopädischen Geschichts- und Forschungsmuseum, Frankfurt a.M.

Zum Kapitel Isolation: Die „camera silens„-Rekonstruktion von Moonen und Arndt (1994) befindet sich im Besitz des ZKM Karlsruhe. Hier noch ein Foto und eine Grafik aus unserem Buch „camera silens“, das in geringen Stückzahlen hier bestellbar ist.

Zum Kapitel „Gehirnwäsche“: das Cover von Ed Hunters Buch „Brainwashing„.

Die Aktion Nr. 4 Jonatan Kurzwelly „Freie Gesundheitsversorgung weltweit!“

Der Identitätsforscher

Jonatan Kurzwelly ist „Patient Nummer 3 aus Brandenburg“, der COVID19 gerade in Frankfurt/Oder hinter sich gebracht hat.

Jonatan ist Weltbürger, global operierender Wissenschaftler und als Postdoctoral Fellow am Department of Anthropology an der University of the Free State, Bloemfontein, South Africa tätig. Er ist in Bonn geboren und in Poznan aufgewachsen. Er arbeitet als Anthropologe auf der ganzen Welt. Seinen Master hat er in Manchester gemacht. Danach kam ein Doktorandenstipendium in Schottland. Dafür hat er in Paraguay geforscht.

Das ist eine Biografie, wie sie von unserer voll vernetzten Welt idealisiert und gefördert wird. Kommt es jedoch wie jetzt anlässlich der Pandemie zu irgendwelchen Störungen, ist genau so eine Biografie ein großes Problem.

Jonatan ist auf dem Weg von Barcelona zu einem Forschungsauftrag nach Sibirien am SARS-Virus erkrankt, wahrscheinlich weil er dort auf eine internationale Forschergruppe traf, zu der auch viele Italiener gehörten.

Nach einer Odyssee über Moskau, Minsk und andere Flugplätze in Osteuropa ist er nach Deutschland gelangt. Auslöser der unfreiwilligen Rundreise war, dass keine Flüge von Moskau in Jonatans aktuelle Heimat Südafrika mehr abgingen, weil dort bereits der Zugang gesperrt war.

Das größere Problem allerdings ist, dass Jonatans südafrikanische Krankenversicherung nirgendwo außerhalb, auch nicht in Deutschland, für die Kostendeckung einer Behandlung anerkannt wird – während sein Gehalt, das in einer Währung auf Krisen-Tiefflug ausgezahlt wird, täglich weniger wert ist, hier, wo er tatsächlich sich gerade aufhält.

Jonatans Vater, unser Freund Michael Kurzwelly, hat seinem Sohn eine Plattenbauwohnung am Grenzübergang zu Polen besorgt, um ihn dort 14 Tage zu isolieren. Michael hat ihn in dieser Zeit per Eimer und Seil mit Lebensmitteln versorgt.

Jetzt ist er wieder „frei“ – darf aber immer noch nicht „nach Hause“ (wo auch immer das ist).

Für „Die Aktion 4.0“ hat Jonatan eine exklusive Fassung seines Textes in englisch geliefert, die wir übersetzt ins Deutsche veröffentlichen. Das Original ist als PDF am Anfang des Artikels verfügbar.

Die Aktion Nr. 3: Penny Rimbaud und Gerald Grüneklee

Die 3. Ausgabe der neuen „Aktion 4.0“ nähert sich konzeptionell weiter der Pfemfertschen „Aktion“ von 1911-1933 an: kritische Beurteilung der Zeit und der ihr zugehörigen Zeitgenossen, neben Poesie und Kunst. Diesen Weg werden wir weiter verfolgen. Essays sind wichtig. Sie werden weiter vorn stehen. Aber ohne Literatur und Kunst sind sie isoliert von ihrem geistigen Umfeld. Ein Prozeß, der ohnehin schon läuft in jenem Pattformkapital-gelenkten Staatswesen, das uns gerade zur Unheimat gerät.

Der späte 11. Mai also ganz im Zeichen des Anarchismus.
Unser Freund Penny Rimbaud, Schlagzeuger der legendären 80er Jahre Anarcho-Punk-Band „Crass„, Mit-Erfinder des selbsorganisatierten Musikvertriebs, Poet, Philosoph und Co-Herausgeber von Exitstencilpress, sendet aus dem Nordosten von London ein Gedicht über die Normalität, die unser Problem ist.

Gerald Grüneklee versteht sich als Randfigur, Zeit- und Augenzeuge in verschiedenen sozialen Bewegungen. Langjährig prekäre Existenz in verschiedensten Tätigkeiten, u.a. in der Buchbranche als Publizist, Antiquar, Buchhändler, Verlagsservice, Lektor, Rezensent. Seit Beginn der 1990er Jahre bis zur Auflösung um 2000 in der „Anares Föderation anarchistischer Verlage und Vertriebe“ aktiv. Ab 2000 mehrere Jahre eigener Buchladen in Bremen. Derzeit Lohnarbeit als Sozialpädagoge. Seit 2014 versendet er unaufgefordert und unregelmässig den „Ziegelbrenner“, einen digitalen Baustein für die bessere Welt mit „gesellschaftskritischen Medien“. Das Motto: „Anarchie ist nicht Gewalt, Willkür, Herrschaft. Sondern das Gegenteil davon. Kein Gott, kein Chef, kein Staat. Keine Abgeordneten, keine polizeilichen Knüppelbanden, keine kapitalistische Ausbeutung. Keine Helden, kein „Deutschland sucht den Superstar“. Sondern Herrschaftslosigkeit und Selbstorganisation. Gerade das bedingt gegenseitige Hilfe, Kooperation, Verantwortlichkeit und Verbindlichkeit.“
Geralds Text ist ein Auszug aus seinem nächsten Buch, das er als „linke Corona-Kritik“ verstanden wissen will und gemeinsam mit Clemens Heni und Peter Nowak verfasst hat. Es erscheint Ende Mai bei Edition Critic.

Die Aktion Nr. 2: Heidrun Friese „Fetisch Mutter“

In ihrem Beitrag vom 5. Mai 2020 über „Women‘s lib in der Krise“ zeigt Heidrun Friese, wie durch die Pandemie patriarchale Strukturen, die längst als überwunden galten, wieder erstarken. Friese beschreibt, wie Frauen aus dem Bürgertum COVID-19 mit Wucht nutzen, um ihre Privilegien zu sichern. Sie geht dabei der Frage nach: Was passiert mit den Frauen aus ärmeren Schichten? Nimmt der Umgang mit dem Virus die Befreiung der Frauen zurück?

Gesellschaft im „l’après-confinement“
Ein Kurz-Kommentar zu „Fetisch Mutter“ von Heidrun Friese

Immer noch starrt die Welt gebannt auf das Virus und unseren Umgang damit. Wenn die Franzosen „lockdown“ mit dem Wort “confinement“, das außer Quarantäne zu deutsch auch „Haftanstalt“ oder „Stallpflicht“ heißen kann, bringen sie mit einem einzigen assoziationsreichen Wort unverblümt zum Ausdruck, was wir alle fühlen und womit wir uns beschäftigen sollen: wie wir ganz persönlich mit den Auflagen zurecht kommen, und nicht damit, wie wir als Gesellschaft damit umgehen sollten.

Insofern fördert das Paket der Maßnahmen den ohnehin schon durch unser Wirtschaftssystem eintrainierten Egoismus und die Vereinzelung der Akteure, ihre Isolierung. Dies neutralisiert die Kräfte der Emanzipation genau in dem Moment, in dem sie am nötigsten sind.

Doch nicht alle fühlen die Härte staatlicher Zwangs-Maßnahmen gleich. Heidrun Friese zeigt in ihrem Artikel, wie die Pandemie soziale Ungleichheit zwischen den Geschlechtern etabliert, ein Gefälle zwischen Männern und Frauen und zwischen Frauen verschiedener Schichten baut, von dem wir dachten, dass es durch die Kämpfe um die Frauenbefreiung bereits überwunden wäre.

Durch unsere Fixierung auf das vermeintlich wichtigere Gesundheitsproblem haben sich so unbemerkt gesellschaftliche Veränderungen eingestellt, die aller Wahrscheinlichkeit nach schwer reversibel sind, wenn wir nicht schnell handeln.

Bernd Scherer, Intendant des „Haus der Kulturen der Welt“ Berlin, nimmt in der FAZ von heute das Bild vom „geöffneten Fenster“ aus dem „Brunner Affekt“ auf und fordert:
„Angesichts des Coronavirus hat sich in unseren Gesellschaften ein kleines Fenster geöffnet, um Handlungsspielräume zu gewinnen. Dieses Fenster gilt es ein Stück weit offen zu halten. … Wir sollten … die Zeit nutzen, um die Frage zu beantworten, welche Welt wir wollen.“

4. Mai 2020 11:58 Uhr Die Immunen

In meinem Beitrag zum 1. Mai habe ich gesagt, wir würden demnächst lebenslang markiert – wenn es nach dem Willen markierwütiger Impfstoffhersteller und ihrer politischen Unterstützer ginge. „Das Verfahren heisst “Unterhautspeicherung“. Jens Spahn schafft dafür gerade die Gesetzesgrundlage.“

Ich habe mich bei einem befreundeten Anwalt darüber erkundigt, ob ich die Formulierung des Gesetzesentwurfes richtig verstehe und der damit geplante Eingriff in die Grundrechte eine Petition notwendig macht.

Die Antwort ist ernüchternd – der Eingriff ist bereits jetzt weitgehend festgeschrieben. Hinzu kommt lediglich, dass der Rekurs auf den „Stand der medizinischen Wissenschaft“ weitere Tore öffnet.

Hier die Antwort im Wortlaut:

Zu deiner Frage zum Infektionsschutzgesetz, resp. zu dem seit dem 27. März 2020 wirksamen „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite„, das nun erneut novelliert werden soll – nach nur einem Monat.

Zur Zeit lautet Satz 3 im § 28 Abs 1 IfSG: Eine Heilbehandlung darf nicht angeordnet werden. Mit Satz 4 sind die dort genannten Grundrechte außer Kraft gesetzt – das ist bereits jetzt gesetzlich so geregelt.
 
Die geplante Ergänzung aus dem Gesetzesentwurf vom April 2020 dient der Relativierung der Regelung in Satz 3 (Keine Zwangsheilbehandlung), indem er Ausnahmen von den Maßnahmen bei Immunität oder Impfung zulässt und gehört systematisch eigentlich vor den heutigen Satz 3, der – mutmaßlich –  dann mit : „eine Heilbehandlung darf nicht angeordnet werden“ enden wird.
 
Die von dir befürchtete Grundrechtseinschränkung gibt es also bereits.

Neu ist nun: die Bevölkerung soll zur Impfung verlockt werden, weil alle Ungeimpften zu Hause bleiben müssen und nicht demonstrieren dürfen etc.

Die Immunen (wie passend!) und Geimpften können aber nach Herzenslust das Leben genießen. Bei künftigen Pandemien also nicht mehr Wegsperren der gesamten Bevölkerung, sondern Aufteilung in die Kooperativen und die ewigen Quertreiber.
 
Interessanter ist für mich das Berufen auf den „Stand der medizinischen Wissenschaft“. Na, da findet sich doch sicher etwas bei Robert Koch und der Bill und Melinda Gates Stiftung, das begründet, warum mal wieder 7.000.000.000 Impfungen fällig wären (z.B. Stagnation der Gewinne im Pharmabereich).
 
Hinzu tritt die furchterregende Vorstellung: was da vielleicht alljährlich – wenn sich das Volk erst einmal dran gewöhnt hat, abgespritzt zu werden, weil man natürlich nicht zu Hause bleiben und natürlich auch kein Spielverderber und Assozialer sein will – noch so alles im Huckepackverfahren mit hinein gespritzt wird – eben zb. die von Dir erwähnte „digitale Identität„.
 
Nett ist dabei der Nebeneffekt, dass die Quertreiber und chronischen Meckerer dann zu Hause bleiben müssen – natürlich nicht wegen ihrer abweichendern Meinung, sondern aus gesundheitlichen Gründen (wenn Ihnen das nicht gefällt: Sie können sich doch impfen lassen…!)

Was mir beim noch mal Durchlesen aufgefallen ist: Ein wesentlicher Aspekt dieses Entwurfes könnte sein, dass er – vielleicht – einen Angriff auf den Föderalismus darstellt. Denn es taucht eine Formulierung auffällig häufig auf – „Ohne Zustimmung des Bundesrates“ – bleibt zu hoffen, dass die Länder wachsam genug sind, Herrn Spahn nicht die Einführung eines „Präsidialsystem“ mit dem Gesundheitsminister über allem zu erlauben.

Ein weiterer unschöner Aspekt der Pandemie: das Geld ist nun verschoben, nun kann man es ja auch lassen mit den Maßnahmen und endlich wieder „lockern“.
 
Da nun alles Geld gestohlen ist, kann man zum „business as usual“ zurückkehren (das Volk muss jetzt ordentlich arbeiten, die Summe muss ja schließlich wieder reinkommen) „Aber hat doch gut geklappt, das machen wir jetzt jedes Jahr – na ja, vielleicht zu auffällig, aber so alle 3 – 4 Jahre wäre es schon nett…“

Wie stand es so passend Anfang der 80er in Kreuzberg 36 an allen Wänden?

Ihr wollt nur unser Bestes, aber das bekommt ihr nicht!

1. Mai 2020 11:47 Uhr Markierte und Markierer. Maskierte und Maskierer.

Ich war guter Dinge, aber der Anblick der Welt heute morgen hat mich sehr versachlicht. (frei nach dem Typoskriptbuch von Georg Jappe (2007) mit dem Titel „Ich war guter Dinge, aber ihr Anblick hat mich sehr versachlicht.“ )

Wenn es heute heisst „Heraus zum 1. Mai“, dann stellen wir bestürzt fest, dass wir nicht genau wissen, wohin wir gehen sollen.

Nicht etwa, dass die Strasse als Ort der öffentlichen Meinungsäußerung unwichtig geworden wäre – ganz im Gegenteil. Nach sechs Wochen Hausarrest gilt es erst recht, heute die Plätze im öffentlichen Raum zurück zu erobern.

Aber die Schlacht findet nicht mehr auf der Strasse statt, egal was dort passieren mag. Früher hat die Polizei Plünderungen verhindert, wenn die rituellen Ausschreitungen „Staat gegen Bürger“ zu kippen drohten. Das Ritual war seinerzeit eine Rache für die viel größere Plünderung, die an den übrigen 364 Tagen des Jahres an den Arbeitern und ihrer Arbeitskraft stattgefunden hatte.
Heute hat die Plünderung bereits vor dem 1. Mai stattgefunden: in einem x-beliebigen Labor der Biotech-Industrie. Unsere „Identität“ soll am Körper digital abrufbar werden. Wir werden dafür lebenslang markiert – wenn es nach dem Willen markierwütiger Impfstoffhersteller und ihrer politischen Unterstützer geht. Das Verfahren heisst „Unterhautspeicherung„. Jens Spahn schafft dafür gerade die Gesetzesgrundlage.

Dieser Tage hören wir häufig: „In so einer Situation ist die Menschheit noch nie zuvor gewesen.“

Wenn etwas zu oft wiederholt wird, beschleicht uns als aufgeklärte Bürger der Verdacht, dass es nicht stimmen könnte und der „Klangkörper“ dieses Mantra sich durch „repetitives Rezitieren im Diesseits manifestieren soll.“ Als aufgeklärte Bürger glauben wir nicht ans Jenseits – und wir wissen, dass wir aus der Geschichte etwas ableiten, etwas lernen können.

Wir fangen also an zu suchen, ob wir nicht vielleicht doch schon mal in einer ähnlichen Lage waren. Tatsächlich werden wir recht bald fündig.

Dazu gilt es, zunächst die Suchkriterien zu klären.
Der Satz „In so einer Situation ist die Menschheit noch nie zuvor gewesen.“ besteht aus einer lesbaren und einer stummen, mitlesbaren Botschaft.
Lesbar ist, dass wir alle gemeinsam angeblich noch nie zuvor derart stark bedroht worden sind – noch dazu von einem unbekannten, unsichtbaren, unbeherrschbaren Feind. Das steckt in „so einer Situation“.
Mitzulesen ist die Botschaft, dass gegen eine derartige Bedrohung jede nur vorstellbare Maßnahme gerechtfertigt ist.
Wenn wir nun nach einem historischen Vorgänger suchen, finden wir gleich drei Fälle im vorigen Jahrhundert: Atomkraft, Raumfahrt und Euthanasie.

Die Mischung der Beispiele mag irritieren. Sie sind untereinander auch überhaupt nicht verbunden. Aber sie zeigen, dass „die Menschheit“ in dem aktuellen Mantra-Satz, schon dreimal vor eine ähnliche Problematik gestellt war – und daraus hätte lernen können, wie man sich 2020 vernünftig verhält.

In aller gebotenen Kürze meine Erläuterungen – Stoff genug steckt in den drei Begriffen, um ein mehrbändiges Werk zu füllen. Ich konzentriere mich also nur ganz kursorisch auf die Vergleichsmomente.

Atomkraft
„Atomkraft“ verstehe ich sowohl als „Atomenergie“, wie auch als „Atomwaffe“. Der einzige wirkliche Unterschied zum derzeitigen globalen Bedrohungsszenario ist, dass uns zu diesem Stichwort bereits erfolgreich eingeredet wurde:

  • Atomwaffen seien notwendig, um den übermächtigen Feind im Schach zu halten, weil er auch Atomwaffen baut (siehe Dr. Seltsam und das „Gleichgewicht der Schrecken“)
  • Atomenergie sei unverzichtbar, um unseren immer größeren Stromhunger „sauber“ (meint: umweltneutral) zu befriedigen. Das Feld ist zu weit, um es hier abzustecken. Wer dazu etwas Aktuelles anschauen möchte, gebe das Stichwort „hyperscale provider“ ins Netz ein oder schaue sich die Fotos der größten Rechenzentren an: hier oder hier.

Ich denke, es ist durch eine 60 Jahre Atom-Aufklärung jedem, der es wissen oder verstehen möchte, klar, welche bekannten (Krebs) und noch unabsehbaren (Klimawandel) Gefährdungen, die niemanden, keinen einzigen auslassen, der in unserer Biosphäre lebt, von dieser Technologie ausgelöst werden.
Heiner Müller hat einmal den Krebs „die Kreativität des Körpers“ genannt. Die Zellen reagieren auf die genetische Bedrohung durch die Strahlung – und entfernen sich dabei von dem ursprünglichen Konzept „Mensch“.
Wer sich das deutsche Schutzziel „eine Million Jahre“ versucht vorzustellen, erkennt unmittelbar, von welcher Dimension der Bedrohung wir sprechen.
Wie bei allen wirtschaftsgetriebenen Projekten können wir auch sofort verstehen, dass wir hier über eine vollständige Privatisierung gigantischer Gewinne und eine noch unvorstellbarere Dimension der Übertragung von Lasten, Verantwortung und Gefahr auf die Gemeinschaft sprechen.

Sind wir also nicht ohnehin schon in einer Situation, die der jetzigen ähnelt: nämlich durch unsere wirtschaftlichen und politischen Aktivitäten von einem unsichtbaren Feind (Strahlung) umstellt?

Raumfahrt
Bevor die Menschheit, oder nennen wir es präziser: NASA und Lunik den Wettlauf ins All starteten, stellten die USA ein landesweites, mit tausenden von klugen, wissenschaftlich gebildeten Köpfen besetztes Team auf, um die Sicherheit des „biologischen Bollwerks“ Erde zu erkunden. Die Amerikaner fürchteten, dass zurückkehrende Fähren oder Astronauten „Xenorganismen“ („Fremdkörper“, unbekannte Viren) in die Atmosphäre eintragen könnten und unsere gute Mutter Erde blitzschnell in eine „faulige Kammer“ verwandeln. Diese Geschichte ist nachzulesen in dem unterhaltsam geschriebenen Text „Biological Ramparts“ von Ronald Jones, abgedruckt in dem Buch „Incorporations„.

Apropos Maskendiskussion: ein General, der seinerzeit die US-amerikanische Mondfahrt-Risikoabschätzungs-Gruppe leitete, schlug zum Schluss angesichts der höchst unterschiedlichen Ideen der Forscher vor, die rückkehrenden Kapseln und Raumfahrer mit Whiskey zu dekontaminieren. Es sei nicht erwiesen, dass irgend etwas, dass die Wissenschaftler vorgeschlagen hätten, gegen den unbekannten Feind wirksamer sei als der Schnaps.

Das erste Foto vom All zurück auf die Erde hat dann schlagend klar gemacht: wir leben alle unter der selben Glocke.
Was wir hier drin veranstalten, wird früher oder später uns alle gleichermassen betreffen. Es gibt weder „die Anderen“ (dies, obwohl damals die Welt in zwei politische Hälften geteilt war). Noch gibt es Rückzugszonen.
James Lovelock (ein Hoch auf den 101-jährigen Großmeister der Wissenschaften) hat uns allen plausibel vorgeführt: Wer an Gaia fummelt, stürzt uns alle ins Unglück.

Waren wir also vor Corona wirklich noch niemals in einer Situation der globalen Bedrohung durch Destabilisierung des Gleichgewichts in den unsichtbaren „five Kingdoms“, den Königreichen der Kleinstwesen ?
Drohten nicht schon lange uneinschätzbare Mikroorganismen, die wir selbst in Umlauf gesetzt haben? Mit „nein, niemals zuvor“ kann nur antworten, wer die letzten 80 Jahre Augen und Ohren fest verschlossen hat.

Euthanasie
Zu den schlimmsten, von Menschenhand freigesetzten mental wirkenden „Viren“ des vergangenen Jahrhunderts zählt die Rassenideologie. Sie stellt eine elementare Bedrohung dar, die bis heute uns alle betrifft. In diesem Fall stimmt das Mantra, jedoch für das Jahr 1933: tatsächlich „nie zuvor“ hatte es ein quasi-industrielles Programm zur Vernichtung bestimmter Teile der Menschheit gegeben. In Euthanasie steckt das griechische Wort thánatos, „der Tod, das Sterben“.
Die Frage des Tages am 1. Mai 2020: Triage.
Selektion, Abschaltung, Sterbehilfe.
Und vorher alle Unerwünschten sedieren.
Alle Stichworte kennen wir aus der Aktion T4 .
Das Thema ist zu weit, um es hier nur annähernd korrekt zu diskutieren.
Wer sich vertiefen möchte, dem sei dringend empfohlen, H.G. Adlers bis heute bedeutendes Werk „Der verwaltete Mensch“ (1974) zu lesen – Euthanasie wird ab S. 234 behandelt, spielt aber auf den 1076 durchgehend lesenswerten Seiten dieses einzigartigen Buches eine wichtige Rolle.

Bei der Euthanasie schon die gleichen Merkmale: mit dem Gesundheitsschutzgesetz regieren, Menschen auslesen, Menschen markieren (siehe oben“digitale Identität“) – letztlich eine Schlacht um die Gene.

Fazit
Es ist soweit: das Monster steht vor der Tür.
Wie Mike Davis es treffend sagt: „Die kapitalistische Globalisierung lässt sich biologisch nicht aufrechterhalten.“
Die Welt zerfällt nicht mehr in Arbeiter und Fabrikbesitzer, sondern in Markierte und Makierer, in Maskierte und Maskierer.
Deswegen: herunter mit der Maske!
Heraus zum 1. Mai!
Er wird für den Rest des Jahres – wenn nicht für immer – zum Dauerkampftag verlängert.

30. April 2020 15:21 Uhr Tiki vs. Virus

Nun der zweite Beitrag zum Thema „Masken“, diesmal von Moritz ® (Der Plan)

Moritz und seine „contendiente“, Frau Gsottschneider, bespielen mit ihren Tikis die gestern von mir schon gepriesene „Layoutfläche mitten im Gesicht“.
Künstler sind ja bekanntlich Resilienz-Experten. So hat für viele das Virus dazu geführt, dass sie sich vor Angeboten nicht mehr retten können oder wegen einer Geschäftsidee, die den zahlreichen Beschränkungen etwas entgegen setzt, „nicht mehr hinterher“ kommen.

Das heisst aber nicht, dass die Künstler damit viel verdienen. Also: kauft Masken! Fördert die Kunst!

Bestellung bei „r(ät)derplan.com“ & dann: „Schau mir in die Maske, Kleines!“

29. April 2020 12:33 Kreative Lumpenverwertung

Heute also dritter Tag der staatlich angeordneten Gesichtsvermummung. Zugleich auch Premiere für die persönliche händische Übergabe der Einkaufswagen BürgerIn zu BürgerIn. Klappt ganz gut.

Solche Schlangen habe ich zuletzt in Leningrad im Winter 1990 vor Geschäften gesehen, über die das Gerücht umlief, dass es dort kurzfristig eine Art Mortadella-Ersatz zu kaufen gäbe. Damals waren die vermummten Gesichter allerdings dem Kältetief von 30 Grad minus geschuldet.

Weil man ja heutzutage – wenn es sich einrichten lässt – allein in die spuckgeschützen Areale gehen soll, bleibe ich auf dem Parkplatz vor dem ALDI im benachbarten Kleinstädtchen an der Elbe sitzen.

Meine Freundin muss allein zusehen, wie sie vorschriftsgerecht „ohne anzufassen“ das Gemüse aus dem Regal in den Korb bekommt.

Währenddessen schiele ich verlegen auf die bekleideten Gesichter.
Das neue Nackt ist die Maske.

Erstaunlich, wie gut alle aussehen. Fadendünne, zusammengepresste, halbmondförmig nach unten gekrümmte Lippen: kaschiert. Doppel- und Dreifachkinne: kaschiert. Das Verbissene der frühen Einkäufer: hinter schönem Vorhangstoff verborgen.
Hinter der Mauljalousie kann man seine Pappenheimer allerdings nun nur noch anhand der unverwechselbaren Lippenbekenntnissen identifizieren, die in fetter Fraktur auf Brust und Rücken gedruckt sind.

Alle nähen wie besessen und kommen zu nichts anderem mehr. Die viel zitierte Heimarbeit bekommt erst durch das Spuckschutzgebot ihren Sinn. Forsa warnt allerdings schon vor verfrühter Umstellung der Betriebe: „Arbeitsminister Hubertus Heil, der bereits ein Recht auf Homeoffice gesetzlich verankern will, sollte sich nicht zu früh freuen. Womöglich handelt es sich nur um einen kurzfristigen Trend.“

Ob kurzfristig oder nicht: Trend ist, dass Veranstaltungen abgesagt bleiben, bis intelligente Lösungen da sind. Jeder ist gefragt.

Eine Art Wiederaufbau-Wirtschaftswunder-Stimmung.

Telegram macht ping. Ich erhalte den passenden Eintrag eines Freundes https://www.facebook.com/mthannover . Er hätte jetzt normalerweise keine Sekunde Zeit, weil er Festival auf Festival mit Bühne, Ton und Licht bestücken müsste. Jetzt: kein einziger Auftrag. Seine Systeme hat er kurzfristig umfunktioniert, um dem hohen Bedarf an Speichel-Sprüh-Vermeidung zu begegnen.

Derweil kommt es vor dem ALDI zu einem Stau bunt getarnter Menschen.
Was sich neben den dreireihigen Einkaufswagen-Abstell-Fächern abspielt, ist Fernseh-Ballett-reif.

Es entwickelt sich zweifelsfrei ein buridanisches Paradox, das wie typisch für dieses Gleichnis zu „deadlock“ (Stillstand) führt.

Der unlösbare Konflikt: darf man in eine neben liegende Reihe einrücken, wenn der vor-und rückwärtige Abstand zwar stimmt, aber nicht der seitliche? Die Sache kompliziert sich, wenn man wie üblich dem Vordermann hinterher trottet, nun aber der Abstand auch beim rückwärts Ausparken korrekt eingehalten werden soll. Die Bunten sind ratlos, was man an ihrer pantomimischen Auseinandersetzung über eine Raumnutzung erkennt, die dem Infektionsschutz entspricht.

Meine Freundin jedenfalls ist mit ihrem blauen Motivschmuck mit Schiffen und Möwen mittlerweile an der Kasse angekommen und winkt stumm durch die Scheibe: „Muss noch kontaktlos zahlen, dann gehts weiter!“
Letzte Woche hatten wir schon von einer Jeansfirma unaufgefordert ein buntes Fetzchen zum Umschnallen mitgesendet bekommen. Man solle sich, so die Empfehlung, allerdings noch einen Staubsauger-Filter in den Stoff einbauen.
Was wir jetzt tragen, stammt aus einer kleinen Manufaktur nahebei.

Während ich also hinter der Windschutzscheibe hocke und die erste bundesweite bottom-up Modebewegung analysiere, drängt sich ein Widerspruch auf.

Ich habe prinzipiell nichts gegen Recycling und Ressourcen-Schonung. Ich finde die kleinen Schneidermeisterwerke mit Ohrgummihalterung auch ganz niedlich.

Aber leben wir nicht in Deutschland, der führenden Forschungs- und Industrienation, einem der reichsten Länder der Welt? Reden wir nicht gerade täglich über Multikanal-Videokonferenzen, G5-Durchsatz, künstliche Intelligenz für autonome Autos?

Sprechen nicht alle ununterbrochen über „superhuman capabilities“?
Gucken wir nicht ganztägig in den Gardner Hype Cycle und die Top Trends to Watch , um zu entscheiden, in welche Zukunftstechnologie wir unsere Corona-Soforthilfe gewinnbringend investieren sollen?

Hat nicht Elon Musk mit seiner Mondbesichtigungs-Firma gerade das Weltall erobert? Vielleicht wusste er schon früh von kommenden COVID19-Beschränkungen und sattelt fix auf Einzelkabinen um? Tourismus für das 21. Jahrhundert im virenfreien Raum.

Also: wie ist das?
Airbus lässt Starfighter führerlos im Schwarm über der Ostsee fliegen und LIDAR-basierte Drohnengruppen pilgern durch den Wald, ohne mit Bäumen zu kollidieren – keine Vision: habe gerade das Video angeschaut .

Überall geistern „Edward“-eske Startup-Unternehmer mit ihren Genscheren-Händen durch die Hecken und schnetzeln uns die Welt zurecht.

Und in der Situation bricht sich das manufakturelle Mittelalter mit gebrauchten Gardinen Bahn?
Ist das „made in Germany“ 2020?

Eine vom medialen Dauerfeuer verängstigte hi-tech-Nation wird mit selbst zusammen geschusterten Lappen fragwürdiger Web-Dichte aufeinander los geschickt. Der ganze, höchst fragwürdige Bastel-Terror soll angeblich helfen, Sekrete zurück zu halten, die beim Aussprechen zu vieler Zischlaute möglicherweise ein Virus auf die Schleimhaut des Gegenüber praktizieren könnten, in dessen genetischer Struktur sich aller Wahrscheinlichkeit nach ein Strang HIV angesiedelt hat?
(siehe hierzu den Nobelpreisträger für Medizin 2008, Luc Montagnier)

Da müssen wohl dringend die Herrschaften vom Cyber-Valley noch mal ran. Die digitalen Talbewohner ahnen schon, was das Problem ist: Eine Größe passt nicht für alle.
Eine wissenschaftliche Höchstleistung, die unseren Beifall verdient.

Die Ansiedlung, die so bahnbrechende Erkenntnisse mitten in der Krise zu Tage fördert, ist schon eindrucksvoll. Im schwäbischen „Stanfordle“ sind die Energien von Max-Planck-Gesellschaft, Amazon, BMW, Bosch, Daimler, IAV, Porsche, ZF mit denen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gebündelt. Unterstützt werden sie von unserer „Machfabrik“ namens Bundeswehr und den alliierten Streitkräfte von Facebook.

Wo so viel Gutes zusammen kommt, muss doch ein wasserdichter Spuckschutz im Beipackpaket liegen! Falls das Tübinger Kraftpaket immer noch nicht ausreichen sollten, könnte die Cyber-Valley-Initiative ja vielleicht ihre neuen Finanziers von der ex-NSA-Forschungseinrichtung IARPA bitten, eine etwas zeitgemässere Technologie zur Produktion von Atemschutzmasken zu entwickeln.

In Frankreich hat die kreative Lumpenverwertung jedenfalls schon zu politischen Bekenntnissen geführt, siehe mein Blog-Beitrag „Der Staat mordet“.

Solche Gedanken gehen mir durch den Kopf – und ich bemerke erste viel zu spät, dass diese merkwürdige vermummte Gestalt vor mir, die durch das Sicherheitsglas winkt, wohl … meine Freundin ist.

Weil wir nicht vorhatten, das Eingekaufte in weniger als 50 Meter Entfernung vom Kaufort der Waren zu verzehren, geben wir schnell Gas und ab in die Büsche zum heimlichen Verzehr.
Ich schließe mit der Bitte: wer kann mir erklären, wodurch eine Infektionskette ausgelöst wird, deren Beginn die Nahrungsaufnahme auf einem ALDI-Parkplatz ist?

29. April 2020 08:35 Uhr SoldatInnen in Säcken

In diesem Beitrag befinden sich die Illustrationen zu meinem Text „Der Brunner-Affekt“, die Telepolis nicht übernehmen wollte, weil die Rechte nicht einwandfrei geklärt sind.
Sie stammen aus dem Twitterkanal von Bastien Parisot, https://twitter.com/BastienParisot/status/1250132343777525760  
Sie drehen sich um die „Soldaten“-Thematik, die aus der Kriegs-Metapher von Macron entstanden ist.

SoldatInnen können den Krieg gegen das Virus nicht in Lumpen gewinnen. Sie sind kein „Kanonenfutter“.
An vernünftiger Ausrüstung mangelt es jedoch. 

Ich verstehe diese Bilder als bildliche Erläuterungen zu meinem Text im Sinne eines wissenschaftlichen Zitates. Ausserdem verstehe ich ihre (freie?) Verbreitung über Twitter als Idee, den Kampf der Krankenhausangestellten um bessere Arbeitsbedingungen zu unterstützen. 

Dennoch will ich natürlich den eventuellen Copyright-Besitzern ihren korrekten Credit gewähren. Ich habe Bastien über „direct message“ kontaktiert und nach den Rechtsinhabern gefragt – jedoch (bislang) keine Antwort erhalten.
Ich werde die Benennung umgehend nachholen, sobald sich erweist, dass jemand abweichend von meinen Angaben Ansprüche anmeldet.

zum Kapitel 1 Mobilmachung
Doppelfoto mit schwer bewaffnetem Polizist und Krankenschwester in improvisiertem Kittel aus Müllsack.
Text: „Ausgerüstet für die Unterdrückung. Ausgerüstet für die Pflege.“

Das Foto illustriert die aktuelle Debatte in Frankreich, dass der Präsident seine Angestellten im Gesundheitswesen als SoldatInnen in den Krieg gegen das Virus schickt, sie jedoch miserabel ausrüstet und daher schlecht gegen den Feind schützt. 
Die Gewerkschaft sudsantesociaux.org hat das Bild deswegen als Illustration in dem Aufruf „Covid19 – Der Staat mordet“ verwendet.

verbreitet auf Twitteraccount Bastien Parisot https://twitter.com/BastienParisot/status/1250132343777525760 und 
https://twitter.com/MoonDom34 könnte der Autor sein.

 Zu Kapitel 2 „Schafe blicken Auf“
Originalumschlag J. Brunner, 1972, Ballantine Books
Zum Buchcover kann man leider keinen Illustrator mehr ermitteln. 
Foto stammt von der Website von http://www.chris-winter.com/Erudition/Reviews/SciFiFic/Brunner_J/Sheep_Look_Up.html

zu Kapitel 3 Micro-Dosis
Krankenhausangestellte vor CT
verbreitet auf Twitteraccount Bastien Parisot https://twitter.com/BastienParisot/status/1250132343777525760

Der Text unter dem twitter-post lautet:
Herr Macron:
Sie haben die Situation von Tausenden von Pflegern verschlechtert.
Sie haben die öffentliche Gesundheit aus reiner Ideologie in Gefahr gebracht.
Sie haben das öffentliche Gesundheitswesen unter Missachtung der öffentlichen Interesses zerstört.
Sie haben unsere berechtigte Wut verachtet und Streikende verprügeln lassen.

Bastien schreibt dazu:
„Eine Freundin hat mir diese Fotos gesendet. Sie arbeitet in einem öffentlichen Krankenhaus in der Region Paris. Ihre Kittel sind aus Müllsäcken, Vorhängen, Tischdeckenstoffen genäht…es fehlt am Nötigsten.“ Über dem Bild steht „Jaquie-j“

  1. Foto:
    3 Krankenschwestern mit Schild „Keine Schutzkleider aus alten Gardinen“!
    verbreitet auf Twitteraccount Bastien Parisot https://twitter.com/BastienParisot/status/1250132343777525760

Zum Kapitel 4 Schleim, Saft, Gift
Grafik „Das Gespür für Prioritäten“ – nicht-tödliche Waffen werden angeschafft für ein vielfaches der Kosten der Masken. Für Tränengas zur Unterdrückung der Aufstände in den Banlieus ist allerdings genug Geld da.
verbreitet auf Twitteraccount Bastien Parisot https://twitter.com/BastienParisot/status/1250132343777525760

  1. Foto:
    Drohnen
    „Während der Covid19-Krise befiehlt der Staat über 651 Drohnen im Gesamtwert von 3,5 Millionen €“
    verbreitet auf Twitteraccount Bastien Parisot https://twitter.com/BastienParisot/status/1250132343777525760
  2. Foto:
    „Der Staat setzt für 3.642.864,00 € Tränengas ein während es immer noch an Masken, Kitteln und Tests fehlt“
    verbreitet auf Twitteraccount Bastien Parisot https://twitter.com/BastienParisot/status/1250132343777525760

27. April 2020 13:20 Uhr Überblick

Ich gebe euch heute einen kurzen Überblick über den Publikationsplan für die nächsten Tage. 

Meine Möglichkeiten, bei Telepolis weitere Artikel unterzubringen zum Thema Corona und Alltag sind mit den jetzt erschienen zehn Veröffentlichungen erschöpft. 
Es kommt dieser Tage noch ein Essay von mir, relativ umfänglich mit zehn Manuskriptseiten, unter dem Titel „Der Brunner-Affekt“. 
Mit der Veröffentlichung dieses Textes ist meine Corona-Reihe bei Telepolis dann erst mal abgeschlossen. 

Weil aber noch nicht alle Texte, die mich erreicht haben von Freunden rund um den Globus, gedruckt sind, geht es weiter hier auf dem Blog. 
Sie werden Schritt für Schritt veröffentlicht werden. Auch die Diskussion per Email in der Lese-Gruppe wird jetzt auf dem Blog hier weiter geführt. 

Ich bitte euch deswegen, wenn ihr am Ball bleiben wollt, euch hier in den Newsletter einzutragen!

Dann werdet ihr informiert, wenn ein neuer Beitrag erscheint. Danke.

Schule in China, Foto von Arne Weber gepostet, 27.04.2020

Nächste Texte
USA/England/Bulgarien: „Wut! „, Corona-Punk mit Evelyna aus Sofia, Vale (RE/SEARCH) aus San Francisco und Penny Rimbaud (CRASS) aus London
UK: „This is criminal, Peter Lewis, Herausgeber von http://slashseconds.org/
ZA: „Das Brot des Bäckers“, Detlev Reichel, blogger
E: „The army in the streets of Barcelona“, Marti Guixe, Designer
ZA: „Guaranteed free healthcare on board of Spaceship Earth“, Jonatan Kurzwelly, Anthropologe 
F: „Im Banlieue“, Sophia Deeg, Journalistin
USA:  „Quarantine Time in LA, CA“ Spring, Musikerin, Yogalehrerin
S: „in my country at the moment, there are some who don’t know and there are others who don’t want to know“, Jasjit Singh, Designer
CN: „Liebesräume“, Arne Weber und Fan Yang, Unternehmer Shenzhen City, Guangdong, China

24. April 12:30 Uhr Wenn die Blumen antworten

Politische Statistik: Hausarrest mit Vitamin-D, um das Blutbad Potential zu senken

Ich möchte heute den Text https://www.heise.de/tp/features/Zwischen-Lockdown-Leugnern-und-Pandemie-Panikern-4708729.html
von Lorenz Borsche empfehlen.

Der Text hilft, auf wenigen Seiten kompakt zu verstehen, wie Statistik politisch instrumentalisiert wird – und zwar deswegen, weil der Text selbst eine Manipulations-Maschine ist.
Er kommt zunächst „locker vom Hocker“ geschrieben daher und erklärt uns Statistik für Anfänger.
Man begreift Einiges.

Dann lesen wir, relativ aus heiterem Himmel, nach endlosen Zahlenableitungen den Satz „Das Potential von Corona sind aber die 2,4 Millionen Tote“.
Das entscheidende Wort ist natürlich „Potential“.

Es ist das Wort, mit dem im Moment regiert wird.

Woher kommt das Potential?
Borsche zaubert die nächste magische Dimension in die Statistik:
„Epidemiologen und Statistiker mit tiefem Blick sehen allerdings das Grauen im Potential einer solchen Seuche.“
Der tiefe Blick? Das ist die Glaskugel, oder?

Ich denke, ab hier sollte klar sein, dass es nicht lohnt, weiter zu lesen, wenn man wissen will, wie gefährlich die Seuche ist. Es lohnt aber, weiterzulesen, wenn man Merkels Argumentationskette kapieren möchte – und der folgt er nun.

Er macht klar, wie man mit „bashing“, „framing“ und „shit storm“ Gegner der gegenwärtigen Lockdown-Politik abräumt. Und er macht klar, wie wie man – ähnlich wie man es von der Börse kennt – durch das Heranziehen der Beispiele aus Staaten, die von der Merkel-Macron-Linie abweichen: nun geht es darum, Gerüchte zu streuen und Stimmung zu beeinflussen.

Dazu müssen zunächst die „Fakten-Leugner“ platt gemacht werden: dem „Herrn Professor“ (pejorative Zitierung von Borsche) Homburg setzt man schnell ein (!) hinter den Titel „Direktor des Instituts für Öffentliche Finanzen(!) der Uni Hannover“ – so einer, der nicht mal Statistik versteht, ist für unser Steuergeld zuständig.

Über eine Journalistin verbindet Borsche ihn mit dem Staatsfeind Nummer 1, dem „ehemaligen Lungenarzt“ Wodarg und sagt zu dem „Richtig und doch grottenfalsch, weil nicht zu Ende gedacht.“

Wer gehört noch zur Wodarg-Korona, Entschuldigung: Entourage?: natürlich, der Zahlenfälscher Streeck, Autor der Heinsberg-Studie.
Den macht er nieder mit der Aussage, der Landrat von Heinsberg habe 48 Kondolenzbriefe versendet und Streeck meine, er habe nur 7 Tote gezählt. Wie der Unterschied zustande kommt, das erklärt Borsche nicht.

Er sagt nur, „da“ (verglichen mit Streeck) klänge die Aussage des Landrates „realistischer“.
Aber in welcher Realität wir uns nun befinden, gibt er nicht an.

Der Heinsberg Studie unterstellt er einen „Kommafehler“ mit Faktor 10, weil er, der Autor Borsche, der Herr der Zahlen, nach seiner regierungsnahen Denkkette bei 3,7%, statt wie Streeck bei 0,37 % Legalität raus kommen muss.

Von dort ab nur noch „unter Gürtellinie“-Argumentation: „Homburg hat übrigens noch einen bösen Taschenspielertrick angewandt…“ etc – um dann zu dem statistisch völlig unbegründeten Schluss zu kommen, „Und überall und ohne Lockdown hieße: 2-3 Millionen Tote nur in Deutschland in einer Zeitspanne, in der sonst 250.000 sterben.“

Borsche schliesst seine eigene politische Interpretation der Zahlen, die er als „soziologische Hermeneutik“, als das gute Gefühl der Experten ausgibt, mit dem Splatter-Movie-Werbesatz:
„Nun also haben wir fast alles: Ohne wirksame Bekämpfung der Infektionskette durch z.B. Lockdown oder einen Impfstoff droht ein Blutbad in der ungeschützten Bevölkerung.“

Das sitzt: Impfen! Sonst Blutbad.

Um dann als Höhepunkt, ganz die Regierung in Person, zu erklären:
„Ja, aber wann können wir denn wieder normal leben?
Wenn ein Impfstoff wirksam geprüft ist und alle 15 Millionen Risiko-Personen geimpft sind. Das kann dauern. Bis dahin muss die R°-Rate unter 1 bleiben. Also Kneipen geschlossen, Theater und Kino auch, kein Fußball, keine Festivals. So, jetzt alles klar? Würde mich freuen.“
Alles klar, immerhin schon mal 65 Millionen weniger verkaufter Dosen Impfstoff für Herrn Gates.
Das Ziel des klugen Bürgers also ab jetzt, nicht auf die neue Terroristenliste, die „ Risiko-Personen“-Liste zu kommen!
Die hier kommunizierte Impfstoff-Unausweichlichkeit erklärt, warum die Bundesregierung ein 4-Jahres-Budget für die Corona-Kommunikation beschlossen hat.
https://fragdenstaat.de/anfrage/bundesweite-kommunikation-bzgl-corona/
22 Millionen für Scholz&Friends Berlin, um uns diesen Senf einzutrichtern, den Leute wie Borsche schon freiwillig und fast unbezahlt schreiben.
Fast unbezahlt, weil er natürlich davon profitiert, das solche Artikel für sein Zuckerbuch, seine Buchhändlerwebsite, seine Vitamin-Kampagne werben. Ja, man fasst es kaum, er untersteht sich nicht, sein eigenes kleines Irrsinns-Projekt zu verlinken: https://borsche.de/page/vitamind_sars

Jesus, ein Vitaminpillen-Guru als Merkel-Apologet! Es gibt nichts, was sich unter dem Druck des Lockdown nicht zusammen kompilieren lässt. Mir schaudert, denke ich an die seelischen Folgen von Lockdown 2, den heute schon Drosten & Co als unausweichlich einhämmern: 4. Mai: aufschließen, 12 Tage Infektionskette beobachten, Anstieg sehen, wieder dicht machen am 16. Mai.

Ein neues Genre sind ja Corona-Witze, die über Telegram versendet werden. Ein Freund sendete mir gestern ein Video zu den psychischen Folgen des Hausarrest. Ein fake-Psycho-Berater sagt: „Es ist ganz normal, wenn sie mit Blumen oder Wänden sprechen. Rufen Sie uns erst an, wenn die Blumen antworten.“

20. April 2020 14:50 Uhr Coronavirus enthält HIV Sequenzen

Langsam zeichnet sich etwas ab, das ich in meinen Artikeln schon vor Wochen unter dem Stichwort „Coronaviren als virale Vektoren in der genetischen Medizin“ umschrieben hatte:
https://www.heise.de/tp/features/pLai3-envLuc2-Wurde-mit-HIV-Pseudovirus-das-Coronavirus-fuer-den-Menschen-gefaehrlich-4705632.html

Florian Rötzer hatte schon vorgelegt
https://www.heise.de/tp/features/Warnten-US-Geheimdienste-schon-Anfang-November-vor-einer-Epidemie-in-Wuhan-4705301.html

Ich habe vor circa 5 Wochen schon mal aktuelle Meldungen über AIDS-Heilungen versendet, 
https://www.welt.de/gesundheit/article206460501/HIV-Zweiter-Patient-weltweit-gilt-als-geheilt.html
die mich deswegen verwundert hatten, weil sie es als einzige geschafft hatten, mitten im Pandemie-Ausbruch das Virus medial auszustechen.
Gleich darauf die Spiegel-Titelgeschichte, dass und wie viel „wir“ uns von der genetischen Medizin versprechen:
Auch hier
https://www.berliner-zeitung.de/gesundheit-oekologie/crispr-cas-heilung-per-genschere-in-der-medizin-beginnt-eine-neue-aera-li.3086
ein irritierendes Datum: 12.12. 2109 – es korrespondiert mit dem Datum im Text von Florian Rötzer im Anhang: Ausbruch entdeckt!

Nicht zu vergessen: sogar das Handelblatt meldet
https://app.handelsblatt.com/politik/international/angebliche-laborpanne-bericht-us-diplomaten-behaupten-dass-ein-unfall-die-corona-pandemie-ausgeloest-hat/25746466.html?utm_source=pocket-newtab

dazu 2 Quellen:

  1. Polytechnische Universität aus Wuhan hat zumindest seit 2013 mit einem universellen Viruskiller – AgNPs experimentiert: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27649147
  2. Laut dieser Studie: https://www.nejm.org/doi/10.1056/NEJMoa2001316 ist SARS-Co2 bereits Mitte-Dezember 2019 in Wuhan ausgebrochen.

Als der erste Geheilte 2017 sagte „meine HIV-Heilung hat alles verändert“
https://magazin.hiv/2017/03/06/meine-hiv-heilung-hat-alles-veraendert/
da hat er sicher nicht daran gedacht, dass „alles“ zwei Jahre später „die ganze Welt verändert“ bedeuten könnte.

Ein kleiner Schritt für den Geheilten. Ein großer Schritt für die Menschheit.

19. April 2020 22:06 Uhr Jandln

Ich weiß, es ist alles erschlagend und ich fühle mich nach 5 Wochen langsam selbst auch so.
Aber bitte lest das unten mal zur Aufheiterung wie Ernst Jandl – als „konkrete Poesie“.
Lest es laut und zügig, egal ob jemamnd zuhört.
Beim Sprechen: Viel knarren – die Konsonanten sind das Salz in der Suppe.
Bei unterstrichenen Stellen immer die Stimme senken bis zum Flüstern.
Bloß keine weiterführenden Links anklicken.
Durchrauschen lassen.
Dazu irgend eine Ode hören.
Nehmt, was zur Hand ist.
Muss ja nicht „an die Freude sein“.
Am besten etwas mit Vinyl-Knistern. Akustisches Lagerfeuer beruhigt das Herz.

Gestern trafen wir ein höchst vitales Mitglied der Riskogruppe 70 +, ehemaliger Bundeswehroffizier und Nachbar.
Er sagt aus 4 Meter Abstand: „Es (er meinte das Wetter und die allgemeine Ruhe) ist so schön, aber es fühlt sich (vage pochende Handbewegung auf den Sitz der Seele) hier drin unwirklich an.“
Unwirklichkeit zwischen lauter maskierten Unmenschen in einer Unheimat – wenn Sigmund Freund das wüsste!
Der Nachbar ergänzte: Immerhin hört man nichts mehr von den Reichsbürgern. 

Das nenne ich Optimismus.
Weiter so!

Weiterleitung: Medizinische Notizen 18. April 2020


• Eine neue serologische Studie der Universität Stanford fand im Bezirk Santa Clara in Kalifornien Antikörper in 50 bis 85 mal mehr Personen als bisher angenommen, wodurch sich eine Covid-Letalität von 0.12% bis 0.2% oder sogar darunter ergibt (d.h. im Bereich einer starken Influenza).
• Das Zentrum für evidenzbasierte Medizin (CEBM) der Universität Oxford geht in einer neuen Analyse davon aus, dass die Letalität von Covid19 (IFR) zwischen 0,1% und 0,36% liegt (das heißt im Bereich einer starken Grippe). Bei über 70-Jährigen ohne schwere Vorerkrankungen liege die Letalität voraussichtlich bei unter 1%. Bei über 80-Jährigen liege die Letalität zwischen 3% und 15%, je nachdem, ob die bisherigen Todesfälle hauptsächlich mit oder an der Krankheit erfolgten. Die Letalität bei Kindern liege – im Unterschied zur Grippe – nahe bei null. Zur hohen Sterblichkeit in Norditalien weist die Forschungsrupppe u.a. auf die europaweit höchste Antibiotika­resistenz in Italien hin. Tatsächlich zeigen Daten der italienischen Behörden, das rund 80% der Verstorbenen mit Antibiotika behandelt wurden, was auf bakterielle Superinfektionen hindeutet.
• Der finnische Epidemiologie-Professor Mikko Paunio von der Universität Helsinki hat in einem Arbeitspapier mehrere internationale Untersuchungen ausgewertet und kommt auf eine Covid19-Letalität (IFR) von 0.1% oder weniger (d.h. im Bereich der saisonalen Grippe). Der Eindruck einer höheren Letalität sei entstanden, weil sich das Virus sehr schnell verbreitet habe, insbesondere auch in Mehr-Generationen-Haushalten in Italien und Spanien. Die „Lockdown“-Maßnahmen seien überall zu spät gekommen und hätten nichts mehr gebracht bzw. seien letztlich sogar kontraproduktiv gewesen.
• Die Gesamtsterblichkeit in Italien lag im ersten Quartal 2020 (bis 8. April) trotz Covid19 niedriger als in den drei Jahren zuvor. Ein Grund hierfür könnte die milde Grippesaison aufgrund des milden Winters sein, die nun durch Covid19 teilweise „kompensiert“ wurde. (Datenquelle)
• Die Gesamtsterblichkeit in der Schweiz lag im ersten Quartal 2020 (bis 5. April) gemäß den Zahlen des Bundesamtes für Statistik trotz Covid19 im mittleren Normalbereich. Auch hier dürfte der milde Winter einer der wesentlichen Gründe sein.
• In der Schweiz sind laut einer Recherche vom 14. April nicht nur die Krankenhäuser insgesamt sehr tief ausgelastet, sondern auch die Intensivstationen. Es stellt sich damit weiterhin die Frage, wo und woran die testpositiven Schweizer Todesfälle tatsächlich verstorben sind.
• Der Präsident der deutschen Krankenhausgesellschaft schlägt Alarm: Mehr als 50 Prozent aller deutschlandweit geplanten Operationen wurden abgesagt, der „OP-Stau“ gehe in die Tausende. Zudem würden 30 bis 40% weniger Patienten mit Herzinfarkt und Schlaganfall behandelt, da sich diese aus Angst vor Corona nicht mehr in die Kliniken wagen. Es gebe bundesweit 150.000 freie Krankenhausbetten und 10.000 freie Intensivbetten. In Berlin seien nur 68 Intensivbetten mit Corona-Patienten belegt, die Notklinik mit 1000 Betten werde aktuell nicht gebraucht.
• Neue Daten des RKI zeigen, dass auch in Deutschland die Reproduktionszahl von Covid19 bereits vor dem Lockdown unter den kritischen Wert von 1 gefallen war. Allgemeine Hygiene­maß­nahmen waren mithin ausreichend, um die exponentielle Ausbreitung zu verhindern. Bereits zuvor wurde dies von der ETH Zürich auch für die Schweiz belegt.
• In Kanada verstarben 31 Menschen in einem Altersheim, nachdem „fast alle Pflegekräfte die Einrichtung aus Angst vor einer Ausbreitung des Coronavirus fluchtartig verlassen hatten. Gesundheitsbehörden fanden die Menschen in dem Heim in Dorval bei Montreal erst Tage später vor – viele der Überlebenden dehydriert, unterernährt und teilnahmslos.“
• Ein schottischer Arzt, der auch Pflegeheime betreut, schreibt: „Was war die Regierungs­strategie für Pflegeheime? Die bisherigen Aktionen machten die Situation viel, viel schlimmer.“
• Auf einem französischen Flugzeugträger wurden 1081 Soldaten positiv getestet. Davon blieben bisher knapp 50% symptomlos und ca. 50% zeigten milde Symptome. 24 Soldaten wurden hospitalisiert, davon einer auf der Intensivstation (Vorerkrankungen unbekannt).
• Der deutsche Virologe Christian Drosten hält es für möglich, dass manche Menschen durch Kontakt mit normalen Erkältungs-Coronaviren bereits eine wirksame sogenannte Hintergrund-Immunität gegen das neue Coronavirus aufgebaut haben.
• Der Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschsel, der bereits zahlreiche testpositive Verstorbene untersucht hat, erklärt in einem neuen Beitrag: „Die Zahlen rechtfertigen die Angst vor Corona nicht“. Seine Erkenntnisse: „Corona ist eine vergleichsweise harmlose Viruserkrankung. Wir müssen uns damit beschäftigten, dass Corona eine normale Infektion ist, und wir müssen lernen, damit zu leben, und zwar ohne Quarantäne.“ Die von ihm untersuchten Todes­opfer hätten alle so schwere Vorerkrankungen gehabt, dass sie, „auch wenn das hart klingt, alle im Verlauf dieses Jahres gestorben wären“. Püschel wird noch deutlicher: „Die Zeit der Virologen ist vorbei. Wir sollten jetzt andere fragen, was in der Coronakrise das Richtige ist, etwa die Intensivmediziner.“
• Eine Übersicht auf Medscape zeigt, dass Coronaviren-Erkrankungen typischerweise Ende April zurückgehen – mit oder ohne Lockdown.
• Infosperber: „Weniger Corona-Fälle? Einfach weniger testen!“ Die täglich gemeldete Zahl der «neuen Fälle» sage über den Stand der Epidemie wenig aus. Es sei fahrlässig, mit der Kurve der kumulierten testpositiven Todesfälle Angst auszulösen.

18. April 2020 13:26 Uhr Schlüssel zur Rückkehr zum normalen Alltag

Hier der Wortlaut des Abschnitt 17 des Protokolls der Telefonschaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 15. April 2020: das ist, was unsere Bundeskanzlerin offenbar für angemessen hält angesichts von Bill Gates am gleichen Tag unterbreiteten Vorschlags, 7 Milliarden durchzuimpfen: https://www.euractiv.com/section/health-consumers/news/gates-foundation-calls-for-global-cooperation-on-vaccine-for-7-billion-people/

„Eine zeitnahe Immunität in der Bevölkerung gegen SARS-CoV-2 ohne Impfstoff zu erreichen, ist ohne eine Überforderung des Gesundheitswesens und des Risikos vieler Todesfälle nicht möglich. Deshalb kommt der Impfstoffentwicklung eine zentrale Bedeutung zu. Die Bundesregierung unterstützt deutsche Unternehmen und internationale Organisationen dabei, die Impfstoffentwicklung so rasch wie möglich voranzutreiben. Ein Impfstoff ist der Schlüssel zu einer Rückkehr des normalen Alltags. Sobald ein Impfstoff vorhanden ist, müssen auch
schnellstmöglich genügend Impfdosen für die gesamte Bevölkerung zur Verfügung stehen.“

https://www.bundesregierung.de/resource/blob/973812/1744452/b94f2c67926030f9015985da586caed3/2020-04-16-bf-bk-laender-data.pdf?download=1

14. April 2020 22:06 Uhr Wir haben die Zähne von Wölfen und das Gedächtnis von Elefanten

Die Situation in Frankreich eskaliert: zumindest verbal.

COVID-19 : Der Staat mordet!
Am 17. November 2019 tauchte in der chinesischen Stadt Wuhan das Coronavirus 2019 (COVID-19) auf. Am 30. Januar 2020 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den internationalen Gesundheitsnotstand ausgerufen. Die damalige Gesundheitsministerin Agnès Buzyn hat erklärt, den Premierminister Edouard Philippe über die bevorstehende Pandemie informiert zu haben… Seitdem die Regierung von Emmanuel Macron in Frankreich an der Macht ist, hat sie versucht alle Bewegungen mit extremer Gewalt in den Griff zu bekommen: die Gelbwestenbewegung, die Bewegung gegen die Rentenkürzungen, die Bewegung für bessere Gesundheitsversorgung. Sie kriminalisiert die Demonstrantinnen, rüstet ihre Ordnungskräfte mit Material und Kriegsmunition im Wert von mehreren Millionen Euro aus, um Augen auszustechen, zu verletzen, zu töten…. Und um in der allgemeinen Sorglosigkeit und unter Beihilfe der institutionalisierten politischen Parteien, die Gemeindewahlen vorzubereiten, ohne dabei besondere Vorkehrungen für den Verkehr von Gütern und Menschen zu treffen. Normalität für eine ultraliberale, kapitalistische und faschistische Regierung. Am 24. Januar wurden in Frankreich die ersten Fälle von COVID-19 bekanntgegeben, anschließend folgten die Ereignisse rasch aufeinander. Die Fälle von mit COVID-19 Angesteckten explodieren in denKrankenhäusern aber auch in den Altenheimen, den medizinischen und sozialen Einrichtungen: wer trägt die Verantwortung dafür? Die Beschäftigten des Gesundheitswesens werden schutzlos und mit widersprüchlichen Anweisungen, die sich je nach dem Stand der Bevorratung von Materialien ändern, an die Front geschickt! Bis heute haben sich mehr als 3500 unserer Kolleginnen mit COVID-19 infiziert, einige von ihnen befinden sich seit mehreren Wochen auf der Intensivstation.


Heute zählen wir unsere Toten.
Wir sehen die Regierung als verantwortlich, die die Krankenhausbeschäftigten völlig unvorbereitet in den Tod schickt, darin einer „groländischen“ Regierung gleich [Anspielung auf fr. Satiresendung über eine fiktive, von inkompetenten Politikern geführte Republik; Anm.d.Ü.]. Wir werden nicht vergessen, dass die Regierung uns gestern unterdrückte, als wir Mittel für das Gesundheitswesen einforderten, heute ermordet sie uns!
Unsere einzigen Waffen, die Masken, sie fehlen; die Handschuhe, sie fehlen; die Brillen und Visiere, sie fehlen; die Überkittel, sie fehlen; die hydroalkoholischen Gele, sie fehlen; die Beatmungsmaschinen, sie fehlen… und diese Liste ist unvollständig.

Die Kommunikation des Präsidenten der Republik und seiner Regierung ist zum Kotzen, unfähig seine Pflegenden zu schützen, nur dazu in der Lage, seine Sprache anzupassen und, angesichts fehlender Mittel, unsere Kolleginnen zu zwingen, unter entwürdigenden Zuständen zu arbeiten. Es fehlt an derart viel Material, dass sich die Hygienevorschriften von einem auf den anderen Tag ändern. Während heute die Minister, Direktoren und Geschäftsführer von Einrichtungen, Abgeordneten, etc. ihren Arsch zu retten versuchen, indem sie sagen, „nicht ich bin schuld, er ist es, es ist die vorige Regierung“, sagen wir ihnen, dass sie alle, Männer und Frauen, Komplizen dieser lügenhaften Politik sind, die tötet! Wir erinnern die Einrichtungen daran, dass es ihnen freisteht, die Materialbestellungen, auch bei neuen Lieferanten, zu vervielfachen. Sie sind nicht verpflichtet auf die Verteilung der staatlichen Bevorratung zu warten. Wir erinnern sie daran, dass es ihnen freisteht, die himmelsschreienden Bedarfe an Schutzmaterialien, biomedizinischen Materialien, pharmazeutischen Produkten öffentlich anzuklagen, anstatt den tödlichen, lügenhaften Diskurs der Regierung zu wiederholen! Wir erinnern die Regionalpräsidentinnen daran, dass es ihnen es ihnen freisteht, ein Maximum an Branchen zu zwingen, ihre Produktionsketten zu ändern, um auf diese lebenswichtigen und so dringenden Bedarfe zu antworten… dies gilt auch für die lokale Ebene.
Dies verlangt die Gewerkschaft SUD seit mehreren Wochen von der Regierung, bislang vergeblich!
Wir tragen den Hass tief in uns, einen tiefgründigen Hass (Bernard Lavilliers)
Wir haben die Zähne von Wölfen und das Gedächtnis von Elefanten. Wir erwarten Euch nach der Aufhebung der Quarantäne, wir vergessen nichts! Eure Inkompetenz, Eure Lügen, Euer Dünkel, Eure Missachtung…
„Ach, man solle sich nicht beunruhigen, sagtet ihr, diese kleine Grippe wird vorübergehen!“ Seid beunruhigt: ihr von jetzt ab! Für die Morde zahlt man früher oder später, die Arbeiter und Arbeiterinnen, die dem SARS-coV-2 durch Eure Sorglosigkeit ausgesetzt sind, werden sich an euer gutes Souvenir erinnern und alles dafür tun, dass ihr vor die Volksjustiz kommt, und nicht vor Eure bourgeoise Justiz!“

13. April 2020 19:17 Uhr Wenn die Birken blühen und der Löwenzahn

Anbei das zweite, neue Video von Herrn Wodarg.
https://www.youtube.com/watch?v=zAXBg3YkIsU&feature=youtu.be

Die Entwarnung gleich vorweg: es ist ein unaufgeregt vorgetragenes, durchweg wenig spektakuläres Werk, das wenig Belege liefert. Es ist aber aus anderem Grund interessant. Ich wollte eigentlich gar nicht in die lästige Debatte einsteigen, ob Wodarg ein „gemeingefährlicher Irrer“ ist oder nicht.

Aber der Mechanismus seiner Ächtung  interessiert mich schon – oder genauer: 
der Mechanismus der Ächtung aller Personen, die sich dem Dreigestirn aus Bundesregierung, Robert Koch Institut und Bill Gates kritisch entgegenstellen (Gates hier als Bündelbegriff für Hopkins Universität, WHO und M&B Gates Foundation). 

Hier gleich noch mal die Empfehlung – wer es verpasst hat: die Arte-Doku „Die WHO – Im Griff der Lobbyisten“ . Achtung: ist ungefährlich! Öffentlich-rechtlich!

Die Ächtungsfrage ist deswegen hoch interessant, weil immer mehr Leute geächtet werden: jetzt ist auch Streeck, der Autor der Heinsbergstudie, „dran“: 
https://www.sueddeutsche.de/wissen/heinsberg-studie-herdenimmunitaet-kritik-1.4873480

Wodarg jedenfalls ist für die Mainstreammedien seit seinem ersten Video der Staatsfeind No. 1: Mr. Verschwörungstheorie.
Wer ihn zitiert, ist „Sympathisant“.

Doch es kommt noch dicker. 
Wodarg, der Fakten-Leugner, so schreibt mir ein junger Wissenschaftler aus Brüssel, gehöre in die Szene der Querfront – diese steile These entspringt mE hauptsächlich der Tatsache, dass Wodargs erstes Video, wie man so schön doppeldeutig sagt, „viral gegangen“ ist (mehr als 1 Million clicks) und dass beim Weiter-posten offenbar ziemlich viele Kanäle beteiligt waren, zu denen ganz sicher auch etliche Rechte gehören.

Ich will mich auch über die Brandmarkung zum „Querfrontler“ hier gar nicht weiter auslassen, als dass diese meist mit der These zusammen kommt, der Querfrontler x oder y sei ein „ausgewiesener Antisemit“. Und Antisemit ist ja heute jeder, der die Politik des Staates Israel kritisiert. Wenn in so einem Kontext der Begriff der Fakten-Leugner fällt, dann weiß man gleich: im Geist ein Holocaust-Leugner.

Diese ganze Stigmatisierungs-Kultur ist der Grund, warum ich mit dem, was ich hier schreibe, länger gezögert habe. Denn es gilt ja (seit 50 Jahren mindestens) das Kontaktverbot, das jedem älter als Jahrgang 75 noch erinnerlich sein dürfte im Zusammenhang mit dem bereits erwähnten Sympathisanten-Begriff.

Ich weiß, dass ich mich mit der Erwähnung Wodargs unbeliebt mache – vor allem bei gewissen Leuten, die offenbar lieber mit der Angst leben, dass Corona ein „brandgefährlicher Killervirus“ ist. Aber wenn man das Diktum vom Killervirus bestätigt, und sagt: ja, vielleicht ein ausgebüchster Laborvirus, dann wollen sie das auch wieder nicht hören und sagen, verschone mich mit deiner Scheiß Verschwörungstheorie.

Meine Theorie zu dieser Haltung: Ich denke, diese Leute tun das vielleicht, weil ihnen dann die Aktivitäten unserer Regierung hinnehmbarer, die Beschneidungen des Alltags plausibeler erscheinen.

Ich versuche, das Wirrwar von Argumenten und Gefühlen mal etwas aufzuräumen.

Die Argumente, die gegen Wodarg aufgefahren werden (zB im ZDF), klingen recht schwach: Wodarg sei „pensioniert“ (was ist das für ein Argument?), und „ehemaliger Arzt, kein Wissenschaftler“.
Und die Zahlen würden nicht stimmen.
Natürlich, die Zahlen, dagegen kann man nichts sagen. Zahlen lügen zwar nicht – können aber zum Lügen benutzt werden.

Ähnlich macht es Kathrin Zinkant, die Autorin des Streeck-Verrisses, auch: 
Herr Drosten habe gesagt, man könne Herrn Streeck gar nicht verstehen.
Zinkant, die nach eigenem Bekennen gern allgemein-Verständliches anschaut wie zB eine Sendung des Populärwissenschaftlers Sagan aus den 70ern, die jetzt von der Amazon-Tochter Twitch erneut gezeigt wird, fährt mit der Erwähnung von Drosten DIE Wissenschaftskeule auf. 
Wem das noch nicht genügt, sagt sie, dass unter der Regie von Kai Diekmanns Firma der Fortschritt der Studie bei Facebook und Twitter veröffentlicht wird.
Das ist natürlich ein dicker Hund! Wer Streecks Studie jetzt noch glaubt, ist wahrscheinlich unbelehrbarer Fakten-Leugner.

(Dass die Bundesregierung sich in Sachen Corona auf die nächsten 4 Jahre – sic! – von Scholz & Friends medial coachen lässt für 22 Millionen €, das findet offenbar niemand anrüchig)

Bei Wikipedia steht dann auch schon ganz unmissverständlich: „Streeck kritisierte die im Zusammenhang mit COVID-19 von der Exekutive erlassenen gefahrenabwehrenden Maßnahmen.“
Die Exekutive kritisieren! In Deutschland! Meine Herren, ein mutiger Virologe – aber das geht natürlich nicht!

Zurück zu Wodarg. Man muss gar nicht so viel glauben – man kann selber schauen. 
Über Wodarg lässt sich leicht Aussagekräftiges finden – frühere Forschungsarbeiten stehen zB zuhauf in der EU-Datenbank online. 
Er hat schon 2009, also vor 11 Jahren, damals als SPD-Bundestagsmitglied, zum Thema „faked“ Pandemie und Politik gearbeitet.
https://pace.coe.int/en/members/4199?lang=EN
Hört sich für mich erst mal so an, als sei das keine schlechte Voraussetzung, in der derzeitigen Situation als Experte zu gelten. 

Aber ich zweifele bis zum Beweis des Gegenteils an, dass die 16 Koautoren in diesem Text
http://www.assembly.coe.int/nw/xml/XRef/Xref-DocDetails-en.asp?FileID=12720
die Kerngruppe einer neofaschistoiden Bewegung sind, die unter das Tarnmäntelchen der EU gekrochen sind.

Andere Arbeitsthemen Wodargs lesen sich erst mal auch nicht wie typisch „rechte Verschwörer“-Gegenstände oder Fakten-Leugnerei.

Es sei denn, der Kampf für Menschenrechte, gegen GMOs, PMCs (private military corporations), und kritische Aussagen zu Medien und Demokratie (dies übrigens alles behandelt in „zertifizierten“, dh. vom EC Committee abgenommenen Berichten) würde heute alles – weil wirtschaftskritisch – als rechtsradikales Verschwörertum betrachtet.

Mir scheint, was Streeck und Wodarg verbindet, und was der Auslöser der Ächtungs-Attacken sein dürfte, ist gar nicht die Frage, ob es fahrlässig oder verharmlosend sei, was sie zum Virus sagen (also gar kein wissenschaftlicher Streit über die beste Strategie der Gesundheitssicherung) – sondern es ist die offen vorgetragene Kritik an staatlichen Maßnahmen, die sie zu „Verschwörern“ und „Leugnern“ werden lässt.

Denn das ist zweifelsfrei: Bestritten wird von beiden, dass der Staat recht tut mit dem, was er gerade tut.

Stehen die beiden denn in Deutschland allein da?

Dazu ist mir gerade dieses Papier auf den Tisch gekommen, dass ich euch lesen lasse: PDF unten im Anhang
Thesenpapier zur Pandemie durch SARS-CoV-2/Covid-19

In dem Papier findet sich ein Satz, der wohl eine Garantie dafür sein dürfte, dass die Autoren das Wodarg/Streeck Schicksal ereilt:
„Soziale Ungleichheit und psychosoziale Implikationen: Auch wenn immer gesagt wird, „vor der Seuche sind alle gleich“, ist davon nicht auszugehen. 
Weder die ökonomischen Lasten (Verdienstausfall) noch die psychosozialen Einschränkungen (faktische Ausgangssperre für Familien in kleinen Wohnungen vs. Einfamilienhaus mit Garten, Problematik der innerfamiliären Gewalt etc.) oder die Fähigkeit, die Kinder über einen längeren Zeitraum selbst zu unterrichten (bildungsferne vs. bildungsorientierte Familien) sind gleich verteilt.

12. April 10:37 Uhr Zwangs-Psychiatrisierung und Umverteilung

Schnelle Welt: … angeblich ist die Idee einer Zwangs-Psychiatrisierung von Quarantäne-Verweigerer inzwischen schon wieder zurück genommen worden, weil es zu „Verunsicherung“ geführt haben soll (wirklich? wie kann das denn sein?).

Es ist aber dennoch interessant, sich einmal anzuschauen, was gedacht und geplant wird und wie (mit welchen Argumenten) welche Vertreter welcher Parteien sich äußern. Denn in der Sprache entbirgt sich manchmal tatsächlich (vielleicht sogar unfreiwillig) der dahinter stehende Gedanke und das Ziel.

1. Zwangs-Psychiatrisierung für Quarantäne-Verweigerer
Quarantäne-Verweigerer können in Sachsen in Zukunft weggeschlossen werden. Das hat das Sozialministerium des Freistaates auf Anfrage von MDR AKTUELL mitgeteilt. Demnach hat die Landesregierung in vier psychiatrischen Krankenhäusern insgesamt 22 Zimmer freigeräumt, und zwar in den Kliniken Altscherbitz, Arnsdorf, Großschweidnitz und Rodewisch – was für hoffnungsvoll tönende Orts-Namen!

Dort sollen Menschen eingeschlossen werden, die sich einer Quarantäneanordnung widersetzen. Die Überwachung soll die Polizei übernehmen.

Zitat der SPD-Politikerin Petra Köpping:
„Es ist für unser aller Gesundheit und Leben wichtig, dass die Menschen sich an die Quarantäneanordnungen der Gesundheitsämter halten. Falls es im Einzelfall dazu kommen sollte, dass sich Menschen den Anordnungen widersetzen, ist es aber notwendig, die von den Gesundheitsämtern angeordneten Maßnahmen mit Zwang durchzusetzen. Dazu ist es möglich, diese Menschen mit einem richterlichen Beschluss in einem geschlossenen Teil eines Krankenhauses unterzubringen.“

Und wer es noch nicht glauben mag, wird von Jürgen Kasek, Grünen-Politiker und Rechtsanwalt in Leipzig, aufgeklärt:

„Und ganz wichtig, das muss verhältnismäßig sein, das bedeutet, dass es kein anderes, milderes Mittel geben darf. Weil diese zwangsweise Festsetzung in einem Krankenhaus ist eine sehr sehr stark grundrechtseinschneidende Maßnahme, was die Freizügigkeit betrifft, was das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Menschen betrifft, und deshalb kann das nur das absolute Ultima Ratio sein, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden.“ 

Ach ja, wirklich? In die „Geschlossene“ zu kommen ist also „einschneidend“ – na, wer hätte das gedacht?
Und noch ein enthüllender Wortgebrauch: ich hatte immer geglaubt, „Freizügigkeit“ hätte was mit „oben ohne“ zu tun? „Freiheit“ als neue „Freizeit“-Beschäftigung – falls es mal nichts besseres zu tun gibt? Oder ist wirklich „oben ohne“ gemeint: das Hirn, das eingeschränkt wurde?

Jedenfalls, meine Meinung: einem Rechtsanwalt, der Bürgerrechte und Freiheit als „Freizügigkeit“ bezeichnet, dem sollte die Approbation aberkannt werden.

https://www.mdr.de/nachrichten/panorama/corona-quarantaene-verweigerer-strafen-einsperren-100.html

Mein Tipp: Sachsen weiträumig meiden in Zukunft!

2.   „Das ist das größte Umverteilungsprogramm in Friedenszeiten“
Prof. Stefan Homburg, der Direktor des Instituts für öffentliche Finanzen an der Leibniz-Universität in Hannover, betrachtet die politischen Reaktionen auf die Corona-Krise kritisch. Im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick beleuchtet er die gesellschaftlichen und ökonomischen Folgen der jetzt gestarteten Programme.

Zitat Homburg: „Mich beeindruckt und beängstigt die Bereitschaft unserer Gesellschaft, stärkste Eingriffe in Freiheits- und Eigentumsrechte hinzunehmen, obwohl es für die Maßnahmen keine valide Datenbasis gibt. Führende Virologen wie John Ioannidis von der Universität Stanford oder Sucharit Bhakdi von der Universität Bonn wenden sich vehement gegen Lockdowns und Social Distancing. Gehört werden aber offenbar nur Panikmacher wie Herr Drosten oder Herr Kekulé, der übrigens schon 2009 im Zusammenhang mit der „Schweinegrippe“ Schulschließungen wollte. Im Nachhinein handelte es sich bei der Schweinegrippe um eine von der Pharmaindustrie geschürte Hysterie, die übrigens Niedersachsen viele Millionen Euro für Impfstoffe gekostet hat, die unwirksam waren und weggeworfen wurden. … Durchgesetzt hat sich mittlerweile ein Überbietungswettbewerb um die schärfsten Maßnahmen. Wenn jetzt in Berlin diskutiert wird, große Teile der Wirtschaft bis tief in den Sommer oder Herbst zu schließen, dann kann einem nur Angst und Bange werden. Vernünftig abgewogen wird jedenfalls nicht mehr: Niemand zählt die Opfer verschobener Operationen, darunter Krebs- und Herzpatienten. Niemand diskutiert, was wir hier erleben werden, wenn sich die Leute in den Supermärkten nicht mehr um Hygieneartikel streiten, sondern um Nahrungsmittel, nachdem die Ernten in Deutschland, Italien und Spanien eingebrochen sind. Der Ansturm auf Waffengeschäfte in den USA ist da ein Menetekel.“
 
https://www.rundblick-niedersachsen.de/finanz-professor-das-ist-das-groesste-umverteilungsprogramm-in-friedenszeiten/

5. April 00:07 Uhr Urangst

Anbei das viel diskutierte PDF, das angeblich dem Innenministerium empfiehlt, in der medialen Kommunikation von Corona Urängste zu adressieren, damit wir gehorchen.

… keine Ahnung, ob Focus jetzt auch zum „Feind“ übergelaufen ist oder dem allgemein verbreiteten Verschwörertum aufgesessen oder ob es so ist, wie man sagt: „Na klar bin ich Verschwörungstheoretiker. Schließlich heißt der Wirtschaftsexperte auch Wirtschaftsexperte, weil er sich mit Wirtschaft auskennt. Mein Spezialgebiet ist staatliche Verschwörung gegen den Bürger…“

Das Papier hat einige derbe Tippfehler an zentraler Stelle, die einen zweifeln lassen (Wort Case statt Worst Case). Aber es scheint ja ohnehin mit der heißen Nadel gestrickt zu sein. 
Etwas merkwürdig finde ich auch, dass das Papier keinen „Kopf“ hat, keinen Autor, keine Auftragsbestätigung („Studie für BMI“ oder so ähnlich)
Aber: Focus? Prüfen die das nicht vor Veröffentlichung? Wäre doch sicher rechtsrelevant, keine Falschinformation zu veröffentlichen.
Wo schon auf die Behauptung „Händewaschen nützt nichts“ hohe Strafen stehen.

Hat gar jemand die Focus-Seite gehackt? deep fake?
Heute ist ja alles denkbar.

Wenn das Papier echt ist, haben wir alle ein viel größeres Problem als Corona.
Häusliche Gewalt nimmt vor allem in Städten zu, lese ich. Um Propaganda und Falschinformationen zu bekämpfen, müssen die Demokratien des Westens die gesamte Kommunikation im Internet regulieren, lese ich. Es gibt eine Krise der Mathematik, was die Zahlern anbelangt, lese ich. Alles in sog. Mainstreammedien (Zeit, FAZ). Sogar das Handelsblatt dreht hohl und verspricht Untergang der Finanzwelt, wie wir sie kennen.
Nächste Woche dürfen wir nicht einmal mehr Auto fahren. 
Keiner muckt auf.

Wir hatten letzte Woche hier diese Debatte: „Alle Leute kuschen natürlich, wenn es ihnen an die Gurgel geht!“

Simpel – aber effizient. Könnte ein Grund sein.

Komisch ist tatsächlich, dass es früher bei jeder popeligen abgesagten Demo einen Welle von Klagen gibt – jetzt passiert nichts,
Warum?

Zitat Focus:
„Zwölftausend Tote – im günstigsten Fall“: Ein internes Papier aus dem Bundesinnenministerium zur Eindämmung der Corona-Krise sorgte Ende März für Wirbel. Darin sprechen sich die Autoren unter anderem für flächendeckende Tests der Bevölkerung nach dem Vorbild Südkoreas aus. Doch erst jetzt kommt heraus: Das Papier empfiehlt auch drastische Maßnahmen zur Krisenkommunikation.
Das Innenministerium hatte sich geweigert, das Papier auf Grundlage des Presserechts und des Informationsfreiheitsgesetzes für andere Medien verfügbar zu machen: Das Dokument sei „Verschlusssache“ und „nur für den Dienstgebrauch“. Jetzt hat das gemeinnützige Portal „Frag den Staat“ das vollständige, 17 Seiten lange Papier veröffentlicht. Und es stellt sich heraus: Das Papier befasste sich nicht nur mit der Frage, wie die Pandemie am besten einzudämmen ist. Die Autoren beschäftigten sich auch mit Kommunikationsstrategien. Wie vermittle ich den Menschen den Ernst der Lage? Und wie bewege ich sie zum Mitmachen, wenn es um Ausgangsbeschränkungen geht, um Restaurantschließungen und ums Home Office? (…)
Um der Bevölkerung den Ernst der Lage klarzumachen, empfehlen die Autoren drastische Maßnahmen. „Um die gewünschte Schockwirkung zu erzielen, müssen die konkreten Auswirkungen einer Durchseuchung auf die menschliche Gesellschaft verdeutlicht werden“, schreiben die Verfasser, und nennen gleich mehrere konkrete Beispiel-Szenarien.
Erstens würden viele Schwerkranke von ihren Angehörigen „ins Krankenhaus gebracht, aber abgewiesen und sterben qualvoll um Luft ringend zu Hause. Das Ersticken oder nicht genug Luft kriegen ist für jeden Menschen eine Urangst. Die Situation, in der man nichts tun kann, um in Lebensgefahr schwebenden Angehörigen zu helfen, ebenfalls.“
Zweitens empfiehlt das Papier, Kindern Angst zu machen. „Kinder werden sich leicht anstecken, selbst bei Ausgangsbeschränkungen, z.B. bei den Nachbarskindern“, heißt es in dem Text. „Wenn sie dann ihre Eltern anstecken, und einer davon qualvoll zu Hause stirbt und sie das Gefühl haben, Schuld daran zu sein, weil sie z.B. vergessen haben, sich nach dem Spielen die Hände zu waschen, ist es das Schrecklichste, was ein Kind je erleben kann.“

https://www.focus.de/politik/deutschland/aus-dem-innenministerium-wie-sag-ichs-den-leuten-internes-papier-empfiehlt-den-deutschen-angst-zu-machen_id_11851227.html

Zu der Zahl 12.000 erinnere ich noch mal an meinen Post vom „Ärzteblatt“: 25.000 Tote im Grippewinter 2017/18: wer erinnert den Namen des Virus?
Damals wurde wohl einen andere Strategie gefahren… jedenfalls nicht die, Urängste zu bedienen.

3. April 2020 12:06 Uhr Lobby & erste Corona-Gesetz-Entwürfe

Hier mal wieder ein höchst interessanter Artikel aus dem Handelsblatt:
https://www.handelsblatt.com/politik/international/sars-impfstoffe-virologe-drosten-wir-muessen-regularien-fuer-impfstoffe-ausser-kraft-setzen/25657800.html

Angesichts der Lage „müssen wir ein kleines Risiko in Kauf nehmen“, sagte Drosten mit Blick auf mögliche Nebenwirkungen eines Impfstoffs, der nicht die üblichen Phasen der klinischen Erprobung durchläuft. „Für so ein Risiko müsste dann der Staat haften“, fordert der Chef der Virologie der Berliner Charité.

Im Deutschlandfunk sagt Drosten ferner, sein Institut habe sich kürzlich einer Zuwendung der Bill and Melinda Gates Stiftung versichern können.

Nebenwirkungen von Impfstoffen sind offenkundig bekannt: Nordrhein Westfalen ist schon mit einem Gesetzesentwurf vorgeprescht, der die Impfschäden regelt.
siehe Anhang

Man will die Firmen den Gewinn am Impfstoff machen lassen, mögliche Folgen soll der (dann schon ge-impfte?) Steuerzahler tragen – im Gesetzesentwurf ist von „Angehörigen“ die Rede, die entschädigt werden – scheint also keine Kleinigkeit zu sein.

Wer macht den Impfstoff?
https://www.handelsblatt.com/technik/forschung-innovation/biotechfirma-zwei-moegliche-corona-impfstoffe-curevac-will-kapazitaeten-stark-ausbauen/25652244.html

An Curavec, die Frau von der Leyen nun gern kräftig fördern möchte, halten Hopp/SAP und Gates/Microsoft erhebliche Anteile.

Zurück zu Drosten – er begründete seinen außergewöhnlichen Vorschlag vor allem mit der vor wenigen Tagen veröffentlichten Studie des renommierten Imperial College London zu Covid-19.

Mitarbeiter des Imperial College London ICL pflegen offenbar enge Beziehungen zu Glaxo Smith Kline und arbeiten über: Respiratorische Virusinfektion der unteren Atemwege. 

An Glaxo Smith Kline hält Gates/Microsoft Anteile.

ICL kooperien mit der Europäischen Arbeitsgruppe für Influenza, European Scientific Working group on Influenza (ESWI). 

Die ESWI wiederum arbeitet eng mit „Vaccines Europe“ zusammen, die ihr Wirken so beschreibt:
„Als EU-weit anerkannter Interessenvertreter der Impfstoffindustrie vertritt Vaccines Europe große innovative forschungsbasierte Impfstoffunternehmen, die in Europa tätig sind, sowie kleine und mittlere Unternehmen.

Der Spiegel befasste sich bereits 2009 mit der ESWI:
„Walter Haas, Koordinator der Influenza-Expertengruppe am staatlichen Robert-Koch-Institut (RKI), ist wissenschaftlicher Berater einer ausschließlich von der Pharmaindustrie finanzierten Vereinigung. Nach SPIEGEL-Informationen unterstützen zehn Arzneikonzerne die European Scientific Working Group on Influenza (ESWI), für die er tätig ist. “
 
Aktuell ist Prof. Dr. Walter Haas beim RKI zuständig für respiratorisch übertragbare Erkrankungen. https://www.rki.de/DE/Content/Institut/OrgEinheiten/Organigramm_PDF.pdf?__blob=publicationFile

1. April 2020 10:19 Uhr Die Modi SARS Simulation von 2012

Robert Koch Institut und Bundesregierung haben 2012 die „Modi SARS“ schon exakt so durchgespielt, wie es jetzt passiert:

Ich hänge euch die offizielle Bundes-Drucksache 17/12051 vom 3. Januar 2013 an: ab Seite 56 wird das Pandemie Szenario beschrieben.

Szenario kurz gefasst laut: https://www.epochtimes.de/politik/deutschland/virus-pandemie-bundestag-risikoanalyse-von-2012-zeigt-moegliches-horror-szenario-a3153015.html
Im Szenario wird das Virus hauptsächlich durch zwei Personen eingeschleppt: eine chinesische Studentin in Süddeutschland und einen Messebesucher in Norddeutschland.  Sie sind von besonderem Interesse, weil beide Personen mit außerordentlich vielen Menschen in Kontakt kommen und so stark zur initialen Verbreitung beitragen. Es gibt weitere Fälle, die nach Deutschland importiert werden, sodass man von insgesamt zehn infizierten Personen ausgeht, auf die die erste Infektionswelle zurückzuführen ist.
Die Inkubationszeit beträgt meist drei bis fünf Tage, kann sich aber in einem Zeitraum von zwei bis 14 Tagen bewegen.  Fast alle Infizierten erkranken auch.

Die Symptome sind Fieber und trockener Husten, die Mehrzahl der Patienten hat Atemnot, in Röntgenaufnahmen sichtbare Veränderungen in der Lunge, Schüttelfrost, Übelkeit und Muskelschmerzen. Ebenfalls auftreten können Durchfall, Kopfschmerzen, Ausschlag, Schwindelgefühl, Krämpfe und Appetitlosigkeit.
Die Übertragung erfolgt hauptsächlich über Tröpfcheninfektion, da das Virus aber auf unbelebten Oberflächen einige Tage infektiös bleiben kann, ist auch eine Schmierinfektion möglich. 
03-16 08:34 – ‚Bundesregierung: „Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012“, darin ausführliche Risikoanalyse „Pandemie durch Virus Modi-Sars“‘ 
„Pandemie durch Virus Modi-Sars“
[„Unterrichtung durch die Bundesregierung – Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2017“]
„Hierbei zeigte sich, dass das Ereignis „Pandemie durch Virus Modi-SARS“ bei fast allen betrachteten Schutzgütern (Mensch, Volkswirtschaft und Immateriell) die größten Schäden verursacht.“…Der Bereich „Gesundheit“ wird in allen bisherigen Risikoanalysen, ganz besonders in der Risikoanalyse „Pandemie durch Virus Modi-SARS“ auf die Probe gestellt.
Ausführlich! dann im Bericht 2012 –
[„Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012“]
„Die Risikoanalyse „Pandemie durch Virus Modi-SARS“ wurde unter fachlicher Federführung des Robert Koch-Instituts und Mitwirkung weiterer Bundesbehörden13 durchgeführt.“…“Das Szenario beschreibt ein außergewöhnliches Seuchen- geschehen, das auf der Verbreitung eines neuartigen Erregers basiert.“…“Das Szenario beschreibt eine von Asien ausgehende, weltweite Verbreitung eines hypothetischen neuen Virus, welches den Namen Modi-SARS-Virus erhält.“…“Zum Höhepunkt der ersten Erkrankungswelle nach ca. 300 Tagen sind ca. 6 Millionen Menschen in Deutschland an Modi-SARS erkrankt. Das Gesundheitssystem wird vor immense Herausforderungen gestellt, die nicht bewältigt werden können.“
Na, hoffentlich stellt sich der letzte Satz als Irrtum heraus.
„Amüsant“:
Eintrittswahrscheinlichkeit: Klasse C: bedingt wahrscheinlich – ein Ereignis, das statistisch in der Regel einmal in einem Zeitraum von 100 bis 1.000 Jahren eintritt

28. März 2020, 10:51 Uhr Amazon

„Wie unser Freund und  Brandenburger Nachbar Volker Heise kürzlich so schön schrieb:
Bemerkenswert aber bleibt, wie Covid-19 auf all die Prozesse, die sich seit Jahren abzeichnen, wie ein Brandbeschleuniger wirkt: die Einzelhändler, die zumachen müssen, während Amazon neue Beschäftigte einstellt. Die Restaurants und Gastwirtschaften, die leer sind, weil nur noch to go gegessen wird. Die Kinos, denen die Besucher weglaufen, weil es auf der Couch und mit Mediatheken bequemer ist. Die sozialen Kontakte, die nicht mehr über den Gartenzaun oder von Balkon zu Balkon stattfinden, sondern über Chatgruppen. Die Selbstisolierung in kleinen Zellen. Die Schockwellen der öffentlichen Erregung.“
Quelle: https://www.fr.de/meinung/virus-brandbeschleuniger-13602975.html
Hierzu der Hintergrundartikel:
Die Coronakrise treibt Einzelhändler reihenweise in den Ruin. Amazon profitiert dagegen vom Onlinehandelsboom und stellt schlagartig 100.000 neue Mitarbeiter ein. Jeff Bezos macht zehn Milliarden Euro in zehn Tagen.
https://www.n-tv.de/politik/Der-weltgroesste-Corona-Profiteur-article21664237.html

Schön der Charity-Satz:
Für (erkrankte Mitarbeiter) legt der Konzern nun einen „Amazon Relief Fund“ (Amazon Linderungs Fonds) auf. Damit soll Paketboten und anderen Mitarbeitern geholfen werden, sofern sie positiv auf das Coronavirus getestet oder an Covid-19 erkrankt sind. Den eigenen US-Mitarbeitern wird im Fall einer Erkrankung nun mit großer Geste eine zweiwöchige Lohnfortzahlung gewährt – hierzulande eine Selbstverständlichkeit auch ohne Pandemie. Der „Linderungs-Fonds“ hat ein Gesamtvolumen von spärlichen 25 Millionen Dollar. Das hat Bezos in einer halben Stunde verdient.

28. März 2020 um 10:36 Uhr Keine Blankoermächtigung

COVID19 sei „keine Blankoermächtigung“ zur Aussetzung der Grundrechte, sagt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

…leider denken so etwas nur pensionierte Politiker und Akademiker ohne Handlungsbefugnisse:
https://www.heise.de/tp/features/In-Krisenzeiten-haben-die-Grundrechte-keinen-Ausschalter-4692548.html

In diesem Artikel der schöne Satz: kein Auge zudrücken: beide öffnen!
https://www.sueddeutsche.de/politik/spahn-infektionsschutz-1.4855511

Interessant, dass auch im Gespräch mit L-Schnarre wieder von der unglaublichen Zumutung einer Zwangsimpfung geredet wird – und davon, wie einfach es scheint, die anonymisierten Handydaten wieder zu personalisieren und „Infizierte“ zu tracken (Beispiel Österreich). 
Beides erinnert langsam doch fatal an Zeiten von Hollerithkarten-Erfassung, der Erbgutgesetze und Zwangskennzeichnung von Bevölkerungsgruppen – findet nur heutzutage alles hübsch immateriell mit digitalen Methoden statt.
 
Ich schwinge damit nicht die „Nazi-Keule“, wie mir gestern unterstellt wurde, sondern sehe einfach frappierende Parallelen, die sich historisch belegen lassen.

Deswegen ein dritter Hinweis auf den sehr informativen Artikel über die Geschichte des Robert-Koch Instituts und das Regieren durch Gesundheitsgesetze:
https://www.freitag.de/autoren/salz/grundrechtsfragen-und-infektionsschutzgesetz

Herfried Münkler hat ganz schön in einem Interview vergangene Woche https://www.spiegel.de/geschichte/herfried-muenkler-ueber-die-coronakrise-keine-gefahr-fuer-unsere-demokratie-a-8e31ed5f-af12-4ad9-96ba-c64776f760e7 heraus gestellt, wie sich unter dem Druck der Krise die verschiedenen politisch-kulturellen Traditionen der europäischen Länder wieder heraus kristallisieren (Frankreich Etatismus – mit, wie ich finde: einem Schuss Monarchie; Österreich und Ungarn: rechtskonservativ, man regiert per Selbst-Ermächtigung; England+Schweden: liberal)

Und noch mal zum Vormerken: 

  1. April 2015
    Arte:  Die WHO – Im Griff der Lobbyisten? https://programm.ard.de/TV/Programm/Detailsuche/?sendung=2872498016546
    jetzt auch unter: https://www.youtube.com/watch?v=dYlia_fQOLk

24. März 2020 11:19 Uhr Der „Wolf“ namens Corona?

Angesichts des Umstandes, dass Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts, am 20. März 2020 im Pressebriefing des Institutes die Zahlen relativierte (»Bei uns gilt als Corona-Todesfall jemand, bei dem eine Coronavirus-Infektion nachgewiesen wurde« – also unabhängig davon, woran der Patient wirklich verstorben ist)
hier – zu eurer Erinnerung an den Verlauf und die Hintergründe der Schweinegrippe-Pandemie 2009 – ein kurzer (von mir übersetzter) Auszug dem Bericht der Untersuchungskommission für das „Social, Health and Family Affairs Committee“, Council of Europe, Parliamentary Assembly, vom 7. Juni 2010

Volltext in Englisch unten anhängend.

Zum Abschluss des vorliegenden Berichts ist der Berichterstatter nach wie vor sehr besorgt über die Art und Weise, wie 2009/2010 die H1N1-Grippe-Pandemie behandelt wurde. Für den Berichterstatter sind die Hauptkritikpunkte in Bezug auf die H1N1-Grippe die Verhältnismäßigkeit der Reaktion auf die Bedrohung der öffentlichen Gesundheit durch H1N1, die mangelnde Transparenz der relevanten Entscheidungs-Prozesse, einschließlich der Möglichkeit einer unzulässigen Einflussnahme durch die pharmazeutische Industrie. Wir sind besorgt über die Art und Weise, in der während  der Pandemie das Vorsorgeprinzip durch die Medien den Regierungen der Mitgliedstaaten und der europäischen Öffentlichkeit kommuniziert wurde.
Der Berichterstatter ist der Ansicht, dass einige der Ergebnisse der Pandemie, wie sie in diesem Bericht dargestellt wurden, dramatisch waren: 

  • die Verzerrung der Prioritäten der öffentlichen Gesundheitsdienste in ganz Europa
  • die Verschwendung riesiger Summen öffentlicher Gelder
  • die Provokation ungerechtfertigter Angst bei den Europäern
  • die Schaffung von Gesundheitsrisiken durch Impfstoffe und Medikamente, die vor ihrer Zulassung im Schnellverfahren möglicherweise nicht ausreichend getestet wurden
    Die sind nur Beispiele dieser unerwünschten Ergebnisse. 

Aus der Sicht des Berichterstatters müssen diese Ergebnisse kritisch betrachtet werden und von den Gesundheitsbehörden auf allen Ebenen geprüft, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in ihre Entscheidungen wieder herzustellen.

Die Gesundheitsbehörden müssen besser auf die nächste Infektionskrankheit von pandemischem Ausmaß vorbereitet werden.

Leider bleiben am Schluß ernsthafte Zweifel an der Transparenz der Entscheidungsprozesse im Zusammenhang mit der H1N1-Pandemie, namentlich ist der Berichterstatter alarmiert über 

  • die unangemessene Zeitplanung 
  • die Änderung wesentlicher Definitionen im Zusammenhang mit dem Wort „Pandemie“
  • sowie den nicht auszuschließenden Einfluss der Pharmakonzerne auf einige der zentralen Entscheidungen.

Schließlich ist der Berichterstatter sehr besorgt über die Art und Weise, wie die WHO Informationen über die Pandemie
den nationalen Behörden der Öffentlichkeit mitgeteilt hat, die Rolle der Medien dabei und die Angstzustände, die diese Information
in der Öffentlichkeit erzeugt hat.

Im Hinblick auf frühere Ängste bezüglich der öffentlichen Gesundheit (Vogelgrippe, SARS usw.) ist der Berichterstatter überzeugt, dass
die reale Gefahr besteht, dass man jetzt so oft „Wolf“ geschrieen hat, dass die Öffentlichkeit keine angemessene Notiz mehr nimmt, wenn die nächste Infektionskrankheit auftritt.

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20. März 2020 11:14 Uhr Industrielle Landwirtschaft

Industrielle Landwirtschaft & Viren-Ausbreitung
Hier https://www.marx21.de/coronavirus-gefahren-ursachen-loesungen/ der bislang spannendste Einblick in größere Zusammenhänge, den ich zu lesen bekommen habe.

Sowie ein guter, gewerkschaftlich organisierter Überblick über den Zusammenhang „Katastrophen-Kapitalismus und Corona“ https://www.labournet.de/internationales/das-monster-vor-der-tuer-der-corona-kapitalismus/

Angesichts der seit gestern diskutierten Zensur-Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung sog. „Fake News“ sollte man schnell lesen;-)
https://www.heise.de/newsticker/meldung/Coronavirus-EU-aktiviert-erstmals-Fruehwarnsystem-gegen-Desinformation-4676943.html

18. März 2020 16:30 Uhr Bundeswehr & Corona

„gewaltige Umverteilungsprogramme und Gesetzesverschärfungen“

Nach meinen beiden Tagebuchbeiträgen auf Telepolis zur Rückreise aus Frankreich jetzt mal ein Hinweis auf die Seite von unserem Freund „Mari“ (Christoph Marischka), der beim IMI unter https://www.imi-online.de/2020/03/17/antimilitaristische-politik-in-zeiten-der-pandemie/ (17.3.2020) zum Thema (antimilitaristische) Politik in Zeiten der Pandemie publiziert hat.
Es gibt ja jede Menge Themen, die unter dem Eindruck der Pandemie nicht ins Vergessen geraten dürfen.

18. März 2020, 23:43 Uhr
Schweinegrippe 2009

Daneben ein weiterer Hinweis eines Freundes: man erinnert solche Dinge einfach zu kurz!
Vielleicht interessiert Euch das Nachstehende ebenfalls, mir drängen sich da Parallelen auf.
https://youtu.be/VG_TkPL3jM4